Ich war 13, als ich begann, regelmäßig auf Konzerte zu gehen. Ob das ein normales Alter dafür war, weiß ich nicht. Ich komme aus einem winzigen Kaff in Brandenburg und Berlin war mein Mekka. Der heilige Ort, an dem alles so viel schöner war. Bald aber reichte es mir nicht mehr, allein die Band auf der Bühne anzustarren. Also nutzte ich meine Bekanntschaften, um auch in Clubs zu kommen. Dort fühlte ich mich rundum wohl. Alles machte irgendwie (mehr) Sinn. Im Club fand ich auch Freunde. Leute mit dem gleichen Musikgeschmack und der gleichen Vorstellung von Freizeitgestaltung. Freunde fürs Leben, dachte ich. Aber da war ich auch noch saudumm.
Denn lass dir das gesagt sein: Kann sein, dass Freundschaften in der Regel fünf bis sieben Jahre halten: Party-Freundschaften gehen selten so lange gut.
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Der Beziehungskiller
Am Anfang meiner Partykarriere wählte ich immer die Menschen aus, die sich etwas zu weit von ihrer Gruppe entfernt hatten. Wenn du allein irgendwo auftauchst, ist es schwer sich mit so einer richtig großen Ladung Selbstbewusstsein zu bewegen. Da hilft es, sich den interessantesten Pulk von Leuten im Club anzuschauen und eben die Person, die vielleicht gerade für alle Getränke holt, anzusprechen. Das war für mich kein Ding.
„Toller Badge” oder so was ähnlich Belangloses purzelte aus meinem Mund. Dann war man im Gespräch, der Rest lief. So lernte ich Janine kennen.
Janine war ein schüchternes Mädchen, das bei dem kleinsten Kompliment total aufblühte. Wir hatten eine tolle Zeit. Ich war ständig mit ihr unterwegs, schlief von acht bis 14 Uhr auf ihrer viel zu dünnen Isomatte neben ihrem um einiges bequemer aussehenden Bett, vergaß, dass ich zur Schule musste. Vergaß wenig später, dass ich zur Uni musste. Alles spielte sich immer ganz ähnlich ab. Dass diese Zeit enden könnte, kam mir nicht in den Sinn. Dass man im Club auch einen potentiellen Partner findet, ebenso wenig.
Ja, und dann verliebte sich Janine. In diesen Typen mit der Brille, die ihm eigentlich viel zu groß war. Er hatte natürlich eine Band, die ganz nah vor den ersten EP-Aufnahmen stand. Kaum hatte meine liebste Party-Freundin einen Freund, wollte sie nicht mehr ausgehen. Also zumindest nicht mehr mit mir. Jetzt gab es nur noch ihren Brillenfreund und sie. Dank ihm hörte sie plötzlich U2 und fand okay, genau das auch laut auszusprechen. Es folgten Weinproben und Spieleabende.
Das hat sich leider bis heute nicht geändert. Die zwei sind mittlerweile verheiratet und ich sehe sie nur noch an Geburtstagen. Aber das zählt nicht mehr als Party, oder?
Der Ignorante
Als ich Pascal durch einen Uni-Freund begegnete, wusste ich sofort, dass ich ihn genauer kennenlernen wollte. Er war einfach der aufregendste Mensch, den ich je gesehen hatte. Er studierte Design, trug die unmöglichsten Farbkombinationen und sah nicht mal dick darin aus. Sein Lachen hatte etwas Fieses, das liebte ich.
Pascal und ich fanden die gleiche Musik gut, also war es nur logisch gemeinsam loszuziehen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl mit ihm am Club anzukommen. Pascal kannte extrem viele Leute. Oftmals mussten wir keinen Eintritt zahlen. Mit ihm auszugehen, gab mir einen mächtigen Ego-Boost. Ich zog mich immer mehr wie er an. Schrill, mit dem Bewusstsein, so die Blicke auf mich zu ziehen.
Nur konnte ich ihn ums Verrecken nicht überbieten. Und das gab unserer Party-Freundschaft ziemlich schnell den Gnadenstoß. Denn sobald wir auf der Tanzfläche waren, drückte Pascal mir höchstens noch einmal flüchtig die Hand, und dann hatte er schon ein anderes Girl am Start. Es entwickelte sich zu einer herrlichen Regelmäßigkeit, dass ich halb nutzlos neben ihm rumlungerte, während er wild mit jemanden knutschte. Dann sah ich nur noch seine Locken und ganz viel Zunge. Jedes mal war da eine andere. Mich ignorierte er dabei völlig. Und mein Spaß am Feiern ging bei der ganzen Geschichte irgendwie komplett abhanden.
Die Sache mit den Drogen
Wenn ich darüber so nachdenke, dann muss ich feststellen: Ich habe einen ziemlich großen Freunde-Verschleiß beim Ausgehen. Aber das liegt hauptsächlich daran, dass die Clubzeit um einiges intensiver ist als der Alltag. In einer Nacht kannst du eine Person ganz und gar kennenlernen. So wie das im Büro oder bei einem netten Nachmittagsbesuch in einer Galerie am Sonntag nie drin wäre. Man macht alle Höhen und Tiefen in doppelter Geschwindigkeit durch. Susann war so eine Person, mit der ich erst im Paradies blöde herumtanzte und dann rasend schnell in der Hölle landete.
Mit Susann rauchte ich meinen ersten unschuldigen Joint. Wir kicherten und mussten irgendwie viel spucken. Wir sahen dämlich aus. Dann kam sie mit anderen Drogen an. Ich dachte, es wäre an der Zeit auch mehr zu versuchen. Susann ging es aber nicht ums Versuchen. Sie wollte sich damit fertig machen. Also so richtig.
Es dauerte vielleicht zwei Monate, dann hatte ich jegliche Vorfreude auf ein Treffen mit ihr verloren. Mit ihren Augen schaute sie immer unschlüssig in alle möglichen Richtungen, aber sie schaffte es nicht, mich mal länger als für einen flüchtigen Moment anzuschauen. Susann fragte so gut wie gar nicht mehr, ob ich mit ihr zur Toilette gehen wollte. Das erledigte sie allein und relativ freudlos.
Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen, das wir ohne eine echte Konfrontation auseinandergegangen sind.
Der Umzug
Bis heute sind es meist Freundinnen, mit denen ich weggehe. Wenn es passt, können wir so, ganz klischeehaft, über Männer und Marotten reden und dabei noch tanzen. Mit den besten Freundinnen muss ich aber eigentlich gar nicht mehr sprechen. Die wissen auch, was ich als nächstes trinken möchte und ich weiß es auch von ihnen. Trotzdem ist mir die eine oder andere Freundin schon abhanden gekommen—durch total banale, verdammt alltägliche Dinge. Wie zum Beispiel durch einen Umzug.
Christin lernte ich bei einem Praktikum kennen. Wir mussten beide Kaffee und Schnittchen für wichtige Kundenmeetings vorbereiten und rollten dabei die Augen. Wir waren füreinander geschaffen.
Freitags schlichen Christin und ich uns immer ein bisschen früher aus der Firma und gingen zu ihr. Wie wir es in amerikanischen Highschool-Filmen gesehen hatten, schaukelten wir uns für die bevorstehende Party hoch. Wir lackierten uns die Nägel und tranken dabei Bier. Und danach ging es in den Club, wo wir uns einen Schlachtplan überlegten, um für sie an die Telefonnummer von dem Bärtigen an der Garderobe zu gelangen. Es war perfekt.
Aber dann war die Praktikumszeit vorbei und eine Vollzeitstelle wartete auf der anderen Seite Deutschlands auf sie. Pech gehabt. Ich blieb in Berlin und musste mir ernsthaft überlegen, ob ich wieder zu der Mensch-bewegt-sich-von-seiner-Gruppe-weg-Strategie oder doch langsam zum Familiegründen übergehen wollte.
Die, die bleiben
Das Tolle ist, dass Christin noch immer häufig nach Berlin kommt und ich sie auch so oft es geht besuche. Das Gleiche ist es trotzdem nicht mehr. Wir versuchen uns im Exzess, aber irgendwie wirkt dieser wie ein abgesprochener Exzess. So wie betrunken spielen.
Als ich Christin beim Skypen darauf anspreche, zuckt sie erst einmal mit den Schultern. „Ich habe halt keine Lust mehr, mich abzuschießen und noch drei Tage später einen Kater zu haben.”
Christin klingt älter als sie eigentlich ist. Sie ist 28. Mir geht es da ganz ähnlich, trotzdem frage ich sie, warum es das nicht wert ist. „Ich fühle mich nicht mehr … keine Ahnung … so gut. Also ich meine, wir haben uns doch unbesiegbar gefühlt.”
Sofort weiß ich, was sie meint. Das ist meine Christin. Es ist egal, wie wir tanzen. Andere sind immer noch ein bisschen besser, lässiger, schöner – so als müssten sie sich rein gar keine Mühe dabei geben. Ich muss mir aber wahnsinnig Mühe geben. Christin auch. Wir haben den Kopf voll mit Alltagsscheiß, wir sind nicht mehr naiv ausgelassen.
Ich versuche das Beste daraus zu machen. Bei neuen Jobs lerne ich zwar immer wieder neue Leute kennen, mit denen ich auch mal feiern gehe, und dann stellen sie mich ihren Party-Bekanntschaften vor, aber es nicht mehr dieses Rückhaltlose dabei. Diese völlige Hingabe.
Die Freundschaften, die ich bei lauter Musik und bläulich flackernden Lichtern gemacht habe, und die immer noch halten, haben sich mittlerweile verändert. Sie sind in den Tag mit hineingeschlittert. Mit ihnen treffe ich mich auch mal in einer Mittagspause, gehe ins Kino oder lerne ihre Partner beim Brunch kennen. Sie halten länger, weil ich sie aus dem Club ins normale Leben übertragen konnte. Und das ist was wirklich Gutes.
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