Man sagt, dass jeder Rumäne zwei Talente habe: Fußball und Politik. In den vergangenen drei Jahrzehnten konnte Rumänien allerdings nur drei politische Erfolge vorweisen: den Sturz eines Diktators und die EU- und NATO-Beitritte. Auch beim Fußball sieht es kaum besser aus. Es gab aber eine Zeit, in dem die Fußballgötter dem südosteuropäischen Land wohlgesinnt waren.
Bei drei Weltmeisterschaften hintereinander – Italien 1990, USA 1994 und Frankreich 1998 – wurde die rumänische Nationalmannschaft in einer Reihe mit den besten Teams der Welt genannt. Die rumänische Presse bezeichnete die Spieler sogar als “Goldene Generation”. Dabei war es egal, dass der größte Erfolg bei diesen Turnieren darin bestand, einmal nur einen Elfmeter vom Halbfinale entfernt gewesen zu sein. Was wirklich zählte? Dass man überhaupt zur Party eingeladen war.
Videos by VICE
Leitfigur dieser Ära war Kapitän Gheorghe Hagi. Er gehört zu den wenigen Spielern, die in ihrer Karriere sowohl für Real Madrid als auch für den FC Barcelona gespielt haben. Zwar kickte er nicht ganz in der gleichen Liga wie etwa Zinédine Zidane oder Roberto Baggio, aber in Rumänien war er dennoch ein Superstar. Wegen seiner Unberechenbarkeit sah man ihm und auch der Nationalmannschaft so gerne beim Spielen zu. Man nannte ihn sogar den “Maradona der Karpaten” – und manche Rumänen sind auch heute noch der festen Überzeugung, dass Hagi besser war als der Argentinier.
Neben Hagi bestand die rumänische Nationalmannschaft der 90er Jahre aus vielen weiteren Spielern wie etwa Gheorghe Popescu, Dan Petrescu oder Dorinel Munteanu, die in Rumänien selbst heute noch berühmter sind als die derzeitigen Nationalspieler. Das liegt wohl daran, dass keine andere rumänische Nationalmannschaft das Land jemals wieder so glücklich gemacht hat wie das Team damals: Rumänien konnte sich nun schon seit 20 Jahren nicht mehr für die Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren.
Auch bei VICE: Rumäniens moderne Hexen
Damals, 1998, schaffte es die rumänische Nationalmannschaft unter die besten 16 Teams, wurde dann aber von Kroatien mit dem Torjäger Davor Šuker rausgeschmissen. Aber nicht das Ausscheiden sorgte für Schlagzeilen, sondern das, was fünf Tage vorher geschehen war: Nachdem sich die Rumänen mit Siegen über Kolumbien und England ihren Platz in der zweiten Runde gesichert hatten, färbte sich das komplette Team ganz selbstbewusst die Haare wasserstoffblond.
“Als wir wieder zurückkamen, dachten die Leute im Hotel erst, wir seien ein anderes Team.”
Natürlich sollte mit diesem modischen Wagnis der Teamgeist gestärkt werden, aber wenn man den damaligen Trainer Anghel Iordănescu fragt, dann ist nach dem Frisörbesuch etwas ganz anderes passiert: “Wir haben Gott verärgert”, sagte Iordănescu gegenüber der Presse, nachdem seine Rumänen im letzten Gruppenspiel gegen die schlechteren Tunesier nur ein Unentschieden geholt hatten – und kurz davor waren, von Kroatien aus dem Turnier geworfen zu werden.
“Bei einer Taktikbesprechung zwei Tage vor unserem ersten Spiel gegen Kolumbien fragten wir Iordănescu, ob er bereit wäre, sich eine Glatze zu rasieren, wenn wir uns schon nach zwei Spielen für die nächste Runde qualifizieren”, erzählt der ehemalige Nationalspieler Andrian Ilie. “Als er einwilligte, beschlossen wir Spieler, dass wir uns die Haare färben, wenn unser Trainer sein Versprechen hält. Natürlich mussten wir dafür erstmal Kolumbien und England schlagen.”
Genau so kam es, Ilie schoss sogar den Siegtreffer gegen Kolumbien. “Nachdem wir auch noch England besiegt hatten, packte unser Trainer wirklich die Haarschneidemaschine aus”, fährt Ilie fort. “Dann mussten wir unseren Teil der Abmachung einhalten. Zwar wollten einige Spieler erst nicht mitmachen, aber letztendlich entschieden wir uns alle dazu, das jetzt als Team durchzuziehen.” Und so ließen die Spieler die Hotelangestellten zwei Frisöre finden, die ihre Haare am Abend vor dem Spiel gegen Tunesien blond färbten.
Die ganze Aktion war so geheim, dass die Spieler nicht einmal ihren Verwandten Bescheid sagten. “Das Ganze fand nach dem Abschlusstraining statt. Niemand sah uns”, erzählt Ilie. “Als wir wieder zurückkamen, dachten die Leute im Hotel erst, wir seien ein anderes Team. Und unsere Familien waren richtig schockiert.”
Der Ex-Nationalspieler Gheorghe Craioveanu erinnerte sich in einem Interview daran, wie das Bleichmittel seine Kopfhaut verbrannt und an einigen Stellen sogar Haarausfall verursacht hatte. “Die haben uns richtig zugesetzt”, sagte er. Das Ganze habe so sehr weh getan, dass er drei Tage lang nur auf einer Seite schlafen konnte. “Ich glaube, da ging irgendetwas schief, als der Frisör die Alufolie um unsere Köpfe wickelte.”
“Ich hatte Glück, weil meine Haare damals sehr kurz waren. Meine neue Frisur sah also nicht allzu schlimm aus”, lacht Ilie. Selbst nach dem Turnier habe er seine Frisur erstmal nicht geändert. Die Spieler mit längeren Haaren sollen es laut Ilie da nicht so leicht gehabt haben: “Blond sah an ihnen einfach nicht richtig aus.”
Aber nicht nur einigen Spielern, sondern auch den TV- und Radiokommentatoren bereitete die einheitliche Frisur Schwierigkeiten. “Man konnte nicht mehr genau sagen, wer auf dem Feld jetzt wer war”, erinnert sich Emil Grădinescu, der die WM 98 für das rumänische Fernsehen kommentierte. “Als ich das Gerücht hörte, die Spieler hätten sich die Haare gefärbt, glaubte ich das erstmal nicht. Ich ging höchstens von ein paar blondierten Strähnen aus.” Als er dann elf wasserstoffblonde Köpfe aus der Kabine kommen sah, konnte Grădinescu es kaum fassen: “Andere Kommentatoren sind die ganze Zeit zu mir hochgekommen und wollten wissen, was da los sei. Aber ich hatte ja selbst keine Ahnung.”
“In Sachen Motivation war das eine dumme und schlecht ausgeführte Idee.”
Genauso wie Iordănescu ist auch der Kommentator der Meinung, dass die Entscheidung zur neuen Frisur das rumänische Team schlechter gemacht hat. Seine Gründe dafür sind aber anderer Natur: “In Sachen Motivation war das eine dumme und schlecht ausgeführte Idee”, sagt Grădinescu. “Dadurch legten die Spieler eine entspannte, fast schon lustlose Einstellung an den Tag. Wir hatten Glück, gegen Tunesien noch ein Unentschieden geholt zu haben. So schlecht war die Leistung. Und gegen Kroatien blamierten wir uns dann komplett.”
Zwar hat sich im rumänischen Nationalteam bis heute niemand mehr die Haare blond gefärbt, aber trotzdem bekommt man sportlich nichts mehr auf die Reihe. Die rumänischen Fußballfans feuern ihre erfolglose Nationalmannschaft dennoch weiterhin an und haben deren Platz in der Fußballgeschichte ganz stoisch akzeptiert: das Team, das sich die Haare blondiert und dabei jegliche Hoffnungen auf den Weltmeistertitel zerstört hat.