Fast jede Episode von Malcolm mittendrin endet mit dem Geräusch einer zuknallenden Tür. Dieses Geräusch signalisiert, dass bei Malcolms Familie—einer explosiven Mischung aus Querulanten und Außenseitern—alles wieder zum Status Quo zurückkehrt. Wir kennen das eigentlich von allen Sitcoms. Am Ende wird alles wieder so wie vorher. Bei Malcolm mittendrin gibt es jedoch einen Unterschied: Der Status Quo ist sehr trostlos. Im Gegensatz zu den Charakteren von Friends, die in hübschen New Yorker Apartments leben und sich um Geld nie Sorgen machen, ist Malcolms Familie arm. Und jeder Witz und jede Handlung dreht sich um diesen Umstand.
Früher dachte ich, Malcolm mittendrin sei einfach nur eine witzige TV-Serie über den Alltag von vier (später fünf) Brüdern und deren Eltern. Wenn ich mir die Sitcom heute anschaue, erkenne ich die eigentliche Botschaft sofort: Die Leistungsgesellschaft ist Betrug, soziale Einrichtungen sind korrupt und Lohnarbeit ist grausam. Hal und Lois, die Eltern, führen eine fast schon absurd sexuelle Ehe, was ich als kleiner Junge noch gar nicht wirklich realisierte. Aber so schützen sie sich vor den Unbeständigkeiten des Kapitalismus. Jeder Charakter ist auf seine ganz eigene Art und Weise durch die Welt, in der sie alle leben, verdammt.
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Die radikale Seite von Malcolm mittendrin
Für eine Primetime-FOX-Sendung klingt das niederschmetternd, aber Sitcoms haben auch schon vor Malcolm mittendrin radikale Ansichten umgesetzt. Auf diese Tatsache spielt sogar ein Poster der Serie Die Dinos an, das in Malcoms, Deweys und Reeses Schlafzimmer hängt. Die Dinos war anders als jede andere Sitcom aus den USA. Es war eine antikapitalistische und moralistische Puppenshow über eine Dinosaurierfamilie, die in einem Sumpfgebiet des “Treufuß”-Unternehmens lebt, und dessen CEO an Donald Trump erinnert. Die Serie kritisiert Ausbeutung, sexuelle Belästigung sowie politische Korruption und endet damit, dass die Familie ausstirbt—durch eine vom Klimawandel verursachte Eiszeit. Die Dinos dienten Malcom mittendrin als Vorbild.
Malcolms Familie steckt von Anfang an in Schulden, ist ständig gestresst und lebt in einem Haus, das auseinanderfällt. Ein typisches Bild der Serie ist ein Küchentisch voller unbezahlter Rechnungen. Lois hat gerade genügend Zeit, um im Haushalt das Nötigste zu erledigen—Wäsche waschen oder ein schnelles Mittagessen zubereiten—, denn sie arbeitet nebenher als Kassiererin im örtlichen Supermarkt. Hal geht einem typischen unproduktiven und sinnlosen Bürojob nach, den der Kapitalismus eigentlich nur hervorgebracht hat, um den Leuten das Leben schwer zu machen. Der Familienvater arbeitet jedoch nur so wenig wie nötig. Irgendwann kommt heraus, dass er freitags gar nicht im Büro erscheint und stattdessen Tagesausflüge in Freizeitparks unternimmt—eine radikale Arbeitsverweigerung.
‘Malcolm mittendrin’ hat uns gezeigt, dass die Versprechen des Neoliberalismus schon immer falsch waren.
In der ersten Folge wird entdeckt, dass Malcolm ein Genie mit einem IQ von 165 ist. Seine unterfinanzierte Schule steckt ihn daraufhin in die Klasse der Hochbegabten, wo all die Dinge auf ihn warten, die die Schulleitung nicht an die “normalen” Jugendlichen verschwendet. In einer regulären Sitcom wäre das wohl der Anfang einer typischen Aschenputtel-Story gewesen, in der Malcolms Intelligenz der Familie zu einer glücklicheren Zukunft verhilft. Was jedoch stattdessen passiert, ist brutal ehrlich: Malcolms Begabung bringt ihm keine Vorteile, sondern verankert ihn tatsächlich noch fester in seiner Ausgangsposition. So schafft er es am Ende der Serie zwar nach Harvard, kann sich die Studiengebühren aber nur leisten, indem er dort gleichzeitig als Hausmeister arbeitet.
Malcolm mittendrin porträtiert nicht nur den täglichen Überlebenskampf im Kapitalismus
Die Serie wurde vor der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 ausgestrahlt. Erst danach wurde die Gefahr einer “kollabierenden Mittelschicht” in westlichen Wirtschaften zum Thema—so als ob davor alles in Ordnung gewesen wäre. Malcolm mittendrin hat uns gezeigt, dass die Versprechen des Neoliberalismus schon immer falsch waren: Die Löhne von Arbeitern mit mittleren und niedrigen Gehältern stagnierten seit den 80ern, während die persönlichen Schuldenberge explodierten. Als Malcolms Familie den Sommerurlaub streichen muss, um eine Krankenhausrechnung zu bezahlen, stellt sie eine Kosten-Nutzen-Analyse auf, die in den USA so ähnlich tatsächlich zum Alltag vieler Menschen gehört.
Die Serie porträtiert nicht nur den täglichen Überlebenskampf im Kapitalismus, sondern untergräbt auch noch dessen Ideologie. Einer der Running Gags von Malcolm mittendrin ist der Umstand, dass die Armut der Familie nicht aus den strukturellen Zwängen, sondern aus den einzelnen Charakterschwächen der Eltern resultiert. Als Lois und Hal aufgrund einer Pilzinfektion nicht mehr so viel Sex haben, kümmern sie sich plötzlich obsessiv um ihr Haus und verwandeln es in eine Oase des bürgerlichen Lebens—inklusive saftig grünem Gras und blühenden Blumen. Und als Dewey herausfindet, dass Hal heimlich raucht, rechnet er aus, dass er mit dem für die Zigaretten ausgegebenen Geld auch auf eine bessere Schule hätte gehen können. All diese Witze spielen mit der Thatcher/Reagan-Rhetorik, dass arme Leute nur arm sind, weil sie nicht hart genug arbeiten.
Die eigentliche Botschaft der Serie: Die Leistungsgesellschaft ist Betrug, soziale Einrichtungen sind korrupt und Lohnarbeit ist grausam.
TV-Kritiker lobten Malcolm mittendrin für die (anfängliche) Einzelkamera-Produktionsweise und das Weglassen von eingespieltem Publikumsgelächter. Die Serie hat damit den Weg für viele Comedy-Serien der 2000er geebnet. Die Vielfältigkeit der Darsteller findet hingegen kaum Beachtung. Malcolms bester Freund Stevie ist nicht nur Afroamerikaner, sondern auch noch körperlich behindert und Teil der oberen Mittelschicht. Das Ganze ist jedoch nicht nur irgendein bissiger, intersektionaler Witz, sondern die Grundlage einer feinfühligen Freundschaft, durch die sich beide Charaktere weiterentwickeln. Außerdem stellen Stevies konservative Familienwerte eine Satire auf die sogenannten “Respectability Politics” das, also auf die Annahme, dass Schwarze in einer von Weißen dominierten Welt nur durch das richtige Verhalten weiterkommen. Diese Annahme lässt sich in Serien wie zum Beispiel Die Bill Cosby Show wiederfinden—und Stevies Pullover könnten auch direkt aus Cosbys Kostümgarderobe stammen.
Das Gleiche gilt für Piama, die Frau von Malcolms ältesten Bruder Francis. Sie ist Inuit und obwohl es in der US-amerikanischen Kultur nur bemerkenswert wenige Native American-Charaktere gibt, soll Piama keinen Beweis der Vielfältigkeit darstellen. Ihr Charakter ist nämlich sehr komplex. Anfangs misstraut ihr Lois noch, weil sie ihr den Sohn “weggenommen” hat, aber später entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Solidarität, weil die zwei Frauen gerne ihre nutzlosen Ehepartner bestrafen. Dieser Umstand manifestiert sich dann in einem eigennützigen Motorradausflug, bei dem sie Francis’ und Hals Hab und Gut zerstören.
Würde unsere Lieblings-Sitcom-Familie Trump wählen?
In letzter Zeit beenden Kritiker ihre Reviews immer öfter mit einem Versuch, die Popkultur in das zeitgenössische Politklima zu integrieren. Dieser Drang kommt manchmal bemüht daher. Aber da die Politik immer absurder wird, fällt es einem auch immer schwerer, sie von der kulturellen Welt loszulösen. Da ich mich jetzt wieder komplett dem Malcolm mittendrin-Kosmos verschrieben habe, hege ich so viel Sympathie für die Familie, dass ich mich einfach fragen musste, wie es ihnen wohl in Trumps USA ergehen würde. Wahrscheinlich nicht so gut.
Dann kam mir ein noch erschreckenderer Gedanke: Was, wenn sie den Multimilliardär gewählt hätten? Obwohl Trumps Erfolg von vielen demografischen Gruppen abhing, hätte Malcolms Familie als weiße Familie mit geringem Einkommen irgendwo in einem Midwest-Bundesstaat definitiv zu den Leuten gehört, die es zu mobilisieren galt—und die tatsächlich Trumps Wahlsieg ermöglicht haben. Wären Lois und Hal von Trumps Versprechen von höheren Löhnen und einer protektionistischen Wirtschaft überzeugt gewesen? Hätten sie sich von seiner Anti-Establishment-Phrasendrescherei blenden lassen?
Diese zugegebenermaßen komische Sorge, dass meine Lieblings-Sitcom-Familie Trump unterstützen könnte, konnte ich dann allerdings mit einer plausibleren Vorstellung zunichte machen: Am Tag der Präsidentschaftswahl wären Lois und Hal inmitten des Chaos der nicht bezahlten Schulden, des Arbeitsstresses und der unbändigen Söhne—so wie Millionen andere US-Amerikaner—einfach zu beschäftigt (oder zu zynisch) gewesen, um sich auch noch um ihre Stimmabgabe zu kümmern. Wenn Malcolm mittendrin nämlich die Erfahrung einer bestimmten demografischen Gruppe treffend darstellt, dann die der Nichtwähler.