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Deshalb sind Smartphones für Flüchtlinge so wichtig

Selbsternannte „Asylkritiker” und „Ich bin kein Rassist, aber …”-Menschen werden nicht müde, zu kritisieren, dass aktuell in Österreich und Deutschland ankommende Flüchtlinge auf ihrer gefährlichen Reise über die Balkan-Route neben ihren wenigen Habseligkeiten auch Smartphones dabei haben. Dass ein portabler Mini-Computer samt GPS unter diesen widrigen Umständen kein Luxus, sondern teilweise überlebensnotwendig ist, wurde bereits auf VICE und an anderer Stelle geklärt.

Dass sich Menschen überhaupt darüber aufregen, wenn Fliehende mit Technologie ausgestattet sind, die mittlerweile seit gut fünf Jahren als absolut etabliert und erschwinglich gilt, ist absurd. Ähnlich absurd wie es ist, sich zu wundern, warum Flüchtlinge nicht blutverschmiert und in Lumpen gekleidet unterwegs sind.

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Smartphones sind für fliehende Menschen mindestens genau so wichtig wie für die meisten anderen Menschen in Deutschland oder Österreich. Davon überrascht zu sein, weil manche Leute Fliehende gern auf den Status des Asylsuchenden reduzieren und sich wundern, dass sich dahinter auch Menschen mit menschlichen Bedürfnissen verbergen, ist bestenfalls ignorant und schlimmstenfalls, wie der Independent es nennt, idiotisch.

„Ich will mindestens einmal täglich meiner Familie Bescheid geben. In jedem Land eine neue SIM-Karte zu kaufen, ist teuer und mühsam, aber bisher habe ich das so gemacht.”

Da es während der Flucht teilweise widersprüchliche Informationen bezüglich Routen gibt, sind sie für Menschen auf der Flucht sogar wichtige Werkzeuge, die für die Kommunikation untereinander und mit Familienmitgliedern und Freunden daheim unabdingbar sind.

Am Wiener Westbahnhof sind vor allem günstige Samsung-Smartphone zu sehen, die bereits in den Heimatländern Afghanistan, Irak oder Syrien gekauft wurden. Im Gespräch erzählt mir ein junger, völlig übermüdeter Mann namens Ahmed aus Syrien, dass er auf seiner gut zweiwöchigen Flucht durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn ständig mit dem Problem konfrontiert war, auf lokale SIM-Karten zurückgreifen zu müssen, um mit seiner Familie kommunizieren zu können.

Refugees laden ihre Handys auf während sie im Budapester Keleti Bahnhof festsitzen. Bild Imago.

„Ich will mindestens einmal täglich meiner Familie Bescheid geben, dass alles OK ist und ihnen sagen, wo ich gerade bin, um ihnen die Angst zu nehmen, dass mir was passiert ist”, erzählt Ahmed. „In den letzten Tagen war das schwierig, weil in Syrien das Telekommunikationsnetz nicht stabil ist und ich außerdem drei Tage in Ungarn festgehalten wurde. In jedem Land eine neue SIM-Karte zu kaufen, ist teuer und mühsam, aber bisher habe ich das so gemacht.”

Am liebsten verwende er Skype, da er so seine Familienmitglieder auch sehen könne, allerdings war das im Laufe seiner Reise so gut wie nie möglich, weil er dazu eine halbwegs schnelle WLAN-Verbindung brauche. Außerdem seien Skype-Calls am ehesten mit den Leuten in der Türkei möglich, weil das syrische Internet in der Region, in der seine Familie lebt, entweder zu langsam oder gar nicht verfügbar sei, sagt Ahmed.

Wenige Meter weiter gibt es direkt am Bahnsteig einen kleinen Infostand, an dem alte Handys gespendet werden können. Ich komme mit Mohammed aus Wien ins Gespräch, dessen Brust mit einem Schild beklebt ist, auf dem in großen Lettern „Deutsch <-> Arabisch” (auf Deutsch und Arabisch) steht. Er erzählt mir, dass die meisten Flüchtlinge noch sehr jung seien und im Falle der ankommenden Syrer häufig aus wohlhabenderen, gebildeten Familien stammen würden. Für ärmere Menschen wäre eine Flucht nach Europa über die Balkan-Route sowieso unleistbar.

„Die meisten jungen Syrer haben Smartphones dabei, die sie noch daheim gekauft haben. Es kommen aber auch immer wieder Flüchtlinge an, die nicht mal ein altes Tasten-Handy besitzen,” erklärt Mohammed.

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Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Manche Handys wurden während der Flucht nass und unbrauchbar. Hinzukommt, dass Smartphones auch ein begehrtes Tauschgut sind. Die freiwilligen Helfer am Wiener Westbahnhof, zu denen auch Mohammed gehört, sammeln deshalb Handys und Smartphones, um sie an genau jene Flüchtlinge kostenlos abzugeben. Außerdem sind SIM-Karten mit Guthaben immer gern gesehen. Begehrt sind die SIMs von Lycamobile und Vectone mobile, mit deren Tarife Menschen relativ günstig in die Türkei oder nach Syrien telefonieren und SMSen können.

Sofern WLAN verfügbar ist, sind WhatsApp, Viber oder eben Skype beliebte Apps, um mit Familie, Freunden und anderen Fliehenden in Kontakt zu bleiben, ohne das Guthaben der Wertkarten zu strapazieren. Unterwegs sind (offline gespeicherte) Karten ein wichtiges Tool, um sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Ungarische Helfer berichten etwa, dass Apps wie Google Maps dem europäischen Schlepper-Geschäft Konkurrenz machen.

Nach dem Gespräch schaue ich noch mal zu Ahmed und seinem irakischer Begleiter, den er auf der Flucht kennengelernt hat. Beide haben sich zwischenzeitlich Wertkarten-SIMs mit je 10 Euro Guthaben gekauft, obwohl sie am Infostand wahrscheinlich kostenlose SIMs bekommen hätten. Während ich mit ihnen rede, laden sie die Wertkarten gerade auf.

Beide werden nervös, als es anfangs nicht klappt und sie sich zum Testen nicht gegenseitig anrufen können. Nach ein paar Minuten Wartezeit klappt es dann aber doch. Ahmed und sein irakischer Freund sind völlig übermüdet. Beide sagen mir, dass sie tagelang nicht richtig geschlafen haben. Ahmed zeigt auf seine rot unterlaufenen Augen und meint, dass er vor Müdigkeit gerade noch stehen könne. Was sie als nächstes machen und ob sie nach Deutschland weiter reisen, wissen beide noch nicht. Wichtig ist beiden, dass sie erst einmal ihre Familien kontaktieren.