Vor etwas mehr als einer Woche verbreitete ein österreichisches Portal die Pressemitteilung, dass die Republik Österreich plane, eine Brücke über das Mittelmeer zu bauen, um Flüchtlingen die Überquerung des Meers zu erleichtern. Außerdem werde man bis zur Fertigstellung des „größten EU-Infrastrukturprojekts und Konjunkturprogramms aller Zeiten” im Jahr 2030 erst einmal 1.000 Rettungsinseln im Mittelmeer verankern—„um das stille Sterben im Mittelmeer jetzt wirksam zu bekämpfen”, wurde der österreichische Flüchtlingskoordinator Christian Konrad zitiert.
Das klang fantastisch, und das war es auch: Hinter der gefälschten Mitteilung steckte die Künstlergruppe „Zentrum für politische Schönheit”, die schon in der Vergangenheit mit spektakulären Aktionen auf sich (und die Flüchtlingskrise) aufmerksam gemacht haben. Aber auch wenn Österreich nicht vorhat, eine Brücke zu bauen (was auch vollkommen unmöglich wäre)—die erste der angekündigten Rettungsinseln, „Aylan 1″ wurde tatsächlich am Sonntag von Mitgliedern des Zentrums ausgesetzt. Ich habe den Leiter des Zentrums, Philipp Ruch—der während des Interviews auch weiter in seiner Rolle als Künstler blieb—, direkt nach der Aktion befragt.
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VICE: Seid ihr zufrieden damit, wie es bisher gelaufen ist? Gab es irgendwelche Komplikationen?
Philipp Ruch: Aktionskunst stellt man sich gemeinhin als etwas Leichtes und Einfaches vor: man mietet zwei Busse, packt 100 Aktivisten rein und karrt sie an die EU-Außengrenzen, um die abzubauen („Erster Europäischer Mauerfall”). Was an diesen Akten politischer Schönheit logistisch dranhängt, ist vielen oft nicht so klar. Es gibt immer Komplikationen, bei all unseren Aktionen. Was denken Sie, was los ist, wenn man Leichen quer durch Europa karrt, um sie in der Hauptstadt der europäischen Abschottungspolitik in die Erde zu lassen?
Wo befindet sich das Floß genau?
Es handelt sich um eine in 100 m Meerestiefe festverankerte Rettungsplattform. Die genaue Position geben wir erstmal nur an Leute raus, die da unbedingt hinwollen, um die Plattform technisch zu erweitern. Es handelt sich um einen work in progress: wer also zu Hause noch den ein oder anderen Radarreflektor oder größeren Fahnenmast liegen hat, soll sich mal ganz schnell melden.
Was für einen Zweck soll sie erfüllen? Ist das eine symbolische Aktion, oder soll das Floß wirklich als eine Rettungsinsel für Flüchtlinge auf dem Meer dienen?
Die Installation von 1.000 Plattformen im Mittelmeer ist ein Denkanstoß, der die Menschen daran erinnert, dass mehr möglich ist. Dass wir oft viel mehr tun können, als wir zunächst denken. Wir sind ein Land vollgepackt mit deutscher Spitzentechnologie. Wir haben ja nur ein italienisches Ingenieursbüro mit dem Werk beauftragt.
Wenn ja, werden Flüchtlinge schon vorher wissen, dass die Insel sich an dieser Stelle befindet und dort gezielt ankommen, oder soll sie nur zufällig zu finden sein?
Wir hoffen, dass sie da gezielt ankommen. Unsere Mitarbeiter schreiben die Geodaten gerade an sämtliche libyschen Toilettentüren. Im Ernst: wir lassen das auf uns zukommen. Die Rettungsplattform liegt mitten auf einer der Todes-Flüchtlingsrouten. Die Überlebensquote liegt dort bei 60-70 Prozent. Der Kapitän der Seawatch sagte kürzlich im Fernsehen: „Wenn wir ein Boot finden, bin ich mir sicher, dass gerade irgendwo ein zweites untergeht.”
Wenn die Position der Insel an Flüchtlinge an der afrikanischen Küste kommuniziert werden wird, wie kann man verhindern, dass sich zu viele Menschen auf einmal auf den Weg dorthin machen?
Unser erklärtes Ziel ist die Installation von 1.000 Rettungsplattformen auf dem Mittelmeer. Wenn Sie damit rechnen, dass jede Plattform 120 Menschen aufnehmen kann, dann ist da Platz für 120.000 Menschen—täglich, denn Frontex, Amnesty International oder etwas ähnlich Überflüssiges soll die Plattformen mit Helikoptern ansteuern und Menschen retten.
Werdet ihr weitere Inseln aussetzen, wenn ihr sie finanziert bekommt?
Noch 999, aber das lassen wir die österreichische Regierung direkt machen. Auf lange Sicht zwingen wir sie in die Knie.
Was passiert, nachdem die Flüchtlinge die Insel erreicht haben?
Die österreichische Regierung, insbesondere ihr frisch gebackener Koordinator für Flüchtlinge Christian Konrad, der auch die Brücke von Nordafrika nach Europa bauen will, ist in Verhandlungen mit Frontex und Amnesty International. Beiden Organisationen ist ja in den letzten Jahren irgendwie der Lebenssinn abhanden gekommen.
Welche Signalwirkung erhofft ihr euch von dieser Aktion?
Wir sind keine Aktivisten, die sich mit ihren Aktionen etwas erhoffen. Wir schaffen Kunstwerke, zugegebenermaßen an eher ungewöhnlichen kunstaversen Orten wie dem Kanzleramt, Friedhöfen oder dem Mittelmeer. Nicht weniger als die Rettung der europäischen Humanität. Das Abendland ertrinkt in den Todeszahlen und Opferbilanzen des Mittelmeeres. Und das nicht erst seit heute. Jean Ziegler schätzte, dass 36.000 Menschen pro Jahr im Mittelmeer ertrinken. Das war 2008. Heute sind die Zahlen noch wesentlich höher. Denken Sie daran, wie die DDR in den Geschichtsbüchern dasteht, nachdem an die 1.300 Menschen an der Außengrenze der DDR gestorben sind.
Was sollte die EU eurer Meinung nach tun, um weiteres Sterben auf dem Mittelmeer zu verhindern?
Sie muss die Jean-Monnet-Brücke bauen. Und zwar jetzt. Wir haben bereits eine tunesische Baufirma mit dem Gießen des Brückenkopfes beauftragt – auf Kosten der STRABAG. Irgendwie muss man ja mit den Entscheidern in Kommunikation treten.
Und die Verantwortung für Flüchtlinge auf die Airlines zu delegieren, war eine ganz ganz dumme Idee. Seither ertrinken massiv mehr Menschen.
Hat die Strabag oder Konrad Euch direkt kontaktiert noch der Veröffentlichung des Videos? Gab es nennenswerte Kritik an der Aktion, die direkt an Euch gerichtet war?
Sie waren begeistert. Christian Konrad ist dafür bekannt, seine Mails mit Ja oder Nein zu beantworten. Die Antwort war denkbar kurz: „Ja! Ja!” Und der Bundeskanzler Österreichs schrieb uns nur: „Warum eigentlich nicht?” Am nächsten Tag hatten wir die erste angeforderte Bautranche von 50 Millionen Euro auf dem Konto. Wir sind überglücklich.