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Popkultur

Das dunkle Paradies der Schweizer Pädokriminellen

Wer sich Bilder von nackten Kindern kauft, macht sich in der Schweiz nicht zwingend strafbar.
Titelfoto von Ervin Stauhmanis

Probleme lösen sich bekanntlich nicht einfach in Luft auf. Kinderpornografie ist ein solches Problem, auch wenn im herkömmlichen Internet immer weniger kinderpornografische Inhalte auftauchen.

Denn Bilder und Videos, für die Kinder sexuell ausgebeutet und missbraucht werden, verschwinden nicht einfach vom Netz, sondern finden einen anderen Weg auf die Festplatten der Konsumenten, die über das Leid dieser Kinder für die persönliche Befriedigung ihrer sexuellen Triebe hinwegsehen können. Andere können mit dem Leid dieser Kinder hervorragend leben, da es für sie Big Business bedeutet.

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Dieser nicht mehr ganz neue Weg ist natürlich das Darknet, das noch dazu viel schwerer zu kontrollieren ist als das herkömmliche Internet. Seit Bedienungsanleitungen im World Wide Web kursieren, die es sogar meiner Grosstante mit ihrem seniorengetunten Lupenglas-Computer erlauben, ins Deep Web zu gelangen, wird dort mehr Material mit kinderpornografischen Inhalten als je zuvor vervielfältigt, geteilt und gedownloadet. Und das bequemer und gefahrloser denn je.

Der Journalist Alexander Krützfeldt hat sich für sein Buch Deep Web—die dunkle Seite des Internets Zugang zu den digitalen Hinterhöfen verschafft. Das Buch erschien anonym, seine Identität gab er dann aber dem Spiegel preis. Ich frage Alexander, wie schwer es wirklich ist, ins Darknet zu gelangen.

Er differenziert: „Es gibt geschlossene Peer-to-Peer-Tauschbörsen und verschlüsseltes Internet. Die meiste Zeit war ich in letzterem, da der Zugang zum ,echten' Darknet, das auf einem Einladungsprinzip beruht, sehr schwer ist." Die über P2P-Börsen ausgetauschten Inhalte können von Dritten, beispielsweise Strafverfolgungsbehörden, nicht eingesehen werden.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Alexander Krützfeldt

Ich frage Alexander, wie schnell er auf kinderpornografisches Material gestossen ist. „Es ist nicht sehr schwer, da ran zu kommen. Ich bin allerdings, weil schon das Betrachten strafbar sein kann—also der Download einer Kopie im Zwischenspeicher—, mit den Ermittlern eingestiegen. Sie haben mir das Meiste erzählt, gezeigt und verdeutlicht. Ich habe auch nicht den Reiz verspürt, diese Videos selbst zu sehen. Nicht jedes Leid muss man sich ungefiltert vor Augen führen, an manchem zerbricht man auch."

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Gegen Kinderpornografie, die übers Darknet getauscht und angeboten wird, gehen die Ermittler von ihren Bildschirmen aus vor, erklärt mir Alexander weiter: „Sie beobachten, werten aus, verfolgen zurück. Zumeist werden Daten heruntergeladen, es wird geguckt, ob ein Urheber feststellbar ist oder ob man jemanden auf den Videos erkennt. Aber auch über Details wie Wohnung, Töne oder Sprache werden Täter identifiziert, und gegen diese Personen wird dann ermittelt."

In der Schweiz ist die KOBIK—die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität—für solche Ermittlungen zuständig. Alexander Rechsteiner, der stellvertretende Leiter Kommunikation und Medien der KOBIK, erklärt mir, warum es sehr schwer ist, im Darknet gegen Pädokriminelle vorzugehen.

„Ermittlungen im Darknet gestalten sich aufgrund der weltweiten Umspannung wie auch der Tatsache, dass die Rückverfolgung von Datenströmen in den meisten Fällen über mehrere Länder hinweg erfolgt, als sehr zeitaufwändig", sagt Rechsteiner. „Einzig mit verstärkter internationaler Zusammenarbeit und gross angelegten globalen Operationen, beispielsweise unter der Federführung von internationalen Organisationen wie Interpol und Europol, lassen sich wirkungsvolle Ergebnisse erzielen."

Kinderpornografie ist in der Schweiz aber nicht gleich Kinderpornografie. Sexuelle Handlungen mit Kindern sind im Strafgesetzbuch explizit verboten und auch gewisse Nacktfotos von Kindern gelten als pornografisch. Allerdings erst dann, wenn sie den Genitalbereich übermässig betonen und klar dazu inszeniert worden sind, den Konsumenten sexuell aufzureizen.

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Nur: Was ist eine übermässige Darstellung von Kinder-Genitalien? Und wie wird abgegrenzt, ob das Bild zur sexuellen Aufreizung eines Erwachsenen gemacht wurde oder das Kind einfach zufällig am FKK-Strand einem Hobby-Fotografen vor die Linse gestolpert ist?

Diese Fragen hat sich auch SVP-Kantonsrätin Natalie Rickli gestellt. Sie reichte im Februar 2014 eine Motion ein, die auch sogenannte Posing-Bilder unter Strafe stellen soll. Damit keine Eltern wegen Kinderpornografie angezeigt werden, wenn sie ihre Sprösslinge während des Badeurlaubs fotografieren, will Rickli „den gewerbsmässigen Handel mit Nacktfotos und entsprechenden Filmaufnahmen von Kindern" unter Strafe stellen.

Foto: amira_a | Flickr | CC BY 2.0

Die juristische Grauzone eröffnet allerdings auch Pädokriminellen, die mit entsprechenden Nicht-Posing-Fotos erwischt werden, Ausreden—und spült den Produzenten solcher Fotos viel Geld in die Tasche. Aber hinter jedem derartigen Foto steht ein ausgenütztes oder missbrauchtes Kind. Mit jedem verkauften Video wird mehr Anreiz geschaffen, weitere solcher Bilder und Videos zu produzieren.

Es dürfte klar sein, dass der Endverbraucher dieses Leid mitproduziert. Ricklis Motion könnte ein Anfang sein. Trotzdem sind staatliche Regulierungen ein Anreiz für den Ausbau des Schwarzmarktes. Und dieser ist nirgends so gross wie im Darknet.

Probleme löst man natürlich nicht allein mit neuen Gesetzes-Artikeln. Menschen mit pädophilen Neigungen sollte präventiv geholfen werden, keinen Missbrauch zu begehen. Dafür braucht es professionelle Angebote, wie das deutsche Projekt „Kein Täter werden".

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Titelfoto: Ervin Stauhmanis | Flickr | CC BY 2.0