Wenn die Wände von Clubs sprechen könnten, dann könnten sie uns wohl sehr viel über moderne Geschichte erzählen. Da Wände aber schweigen, können wir von Glück reden, dass Leute wie der Fotograf Bill Bernstein die Geschichte dokumentiert haben. Bernstein fotografierte Ende der 1970er das Nachtleben von New York City, und seine Bilder erinnern uns daran, dass Clubs den Menschen eine Art Zuflucht und ein Gemeinschaftsgefühl bieten.
Doch abgesehen davon hatten die Clubs, die Bernstein besuchte, eine weitere Sache gemeinsam: Sie spielten alle bis zum Morgengrauen Disco-Musik. Bernsteins neuer Fotoband zeigt den Aufstieg und Fall von Disco als wichtigen Moment in der Geschichte. Wir haben ihn gebeten, sich zu erinnern, wie eine Samstagnacht in den Disco-Clubs war und warum sie den Nachtschwärmern so wichtig waren.
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VICE: Hi, Bill. Wie wurdest du zum Fotograf des Nachtlebens und was hat dich daran angesprochen?
Bill Bernstein: Ich wurde Mitte der 1970er zum freien Fotografen für die Village Voice. Sie ließen mich Porträts von Underground-Künstlern und Dramatikern schießen. Eines Abends schickten sie mich ins Studio 54, um eine Preisverleihung für Lillian Carter, die Mutter des damaligen Präsidenten Jimmy Carter, zu fotografieren. Die Leute waren in Abendgarderobe, es war ein feines Dinner, und Lillian Carter saß neben Andy Warhol. Ich bin einmal mit Freunden vor dem Studio 54 gewesen und nicht reingekommen, aber in jener Nacht hatte ich einen Presseausweis, also blieb ich noch, nachdem alle gegangen waren. Ich kaufte einem anderen Fotografen zehn Filmrollen ab, versteckte mich und sah zu, wie die ganzen Stammgäste ankamen. Es war eine total harmonische Gruppe aus allen verschiedenen Kulturen, sexuellen Orientierungen und Altersgruppen. Alle wollten einfach nur feiern und Spaß haben.
Das ist selten für einen Club—oft ziehen sie ja eine bestimmte Subkultur an. Woran lag es deiner Meinung nach, dass das Studio 54 die Menschen zusammenbrachte?
Disco war damals ein extrem gefragtes Musikgenre. In den 1960ern war es noch Underground, aber nach dem Film Saturday Night Fever wurde es zu einem Phänomen. Zur selben Zeit machte New York City eine schreckliche Wirtschaftskrise durch und in der Disco konnte man all das vergessen. Es gab nach Stonewall eine starke Homosexuellenbewegung, es gab eine starke Frauenbewegung und eine Bewegung gegen Rassismus. All diese Leute brauchten einen Ort, an dem sie nachts die Sau rauslassen konnten.
Geständnisse aus dem Wiener Nachtleben
Ich bin ein großer Fan von Larry Levan. Ich liebe deine Fotos von ihm beim Auflegen im Paradise Garage. Wie war die Stimmung dort?
Es war ein großartiger Ort und ich ging während der Entstehung dieses Projekts häufig dorthin. Das Gebäude war ein großes Parkhaus mit einem unglaublich guten Soundsystem. Es steht heute noch. Es gab dort keinen Alkohol, doch der Geruch von Poppers erfüllte die Luft. Es entsprach ein wenig einem Besuch im Fitnessstudio, denn die Leute gingen dorthin, um einfach stundenlang zu tanzen und so richtig ins Schwitzen zu kommen. Es wurde dort so heiß davon, dass man an manchen Abenden den Schweiß sehen konnte, wie er durch geöffnete Fenster entwich.
Wie hat sich die Landschaft des New Yorker Nachtlebens geändert, als die AIDS-Epidemie losging?
Als AIDS zu einer Epidemie erklärt wurde, gab es nichts weiter als einen Artikel darüber in der New York Times. Du wusstest nicht, ob du dich anstecken konntest, wenn dir jemand beim Sprechen in den Mund spuckte oder dich am Arm berührte. Es war gerade der Anfang, und es war so wenig darüber bekannt, dass die Leute in Panik gerieten und nicht mehr so viel ausgingen.
Wenn du also auf den Ausschnitt der Disco-Ära zurückblickst, den du eingefangen hast, wie siehst du all das heute?
Zur damaligen Zeit war Disco so riesig, dass es im Untergrund in den gesamten USA immer mehr Leute gab, die unzufrieden mit Disco-Musik waren. Sie hatten einfach die Nase voll davon, denke ich. Und dann wurde das Studio 54 plötzlich wegen Steuerhinterziehung geschlossen und die Besitzer mussten ins Gefängnis. Es war eine seltsame Zeit … Disco war auf seinem Höhepunkt und stand kurz vor dem Fall. Das Vorwort zu meinem Buch heißt „Last Dance”, und das Bild dazu ist eine Ziegelmauer vor einem Club namens 2001 Odyssey in Bay Ridge, Brooklyn, auf die jemand „Disco Sucks” gesprayt hatte.
Du hast die letzten Tage der Disco-Ära eingefangen ….
Genau.
Danke, Bill.