Titelfoto: Wumme mit 130 Joule Mündungsenergie, das knapp 20-fache des erlaubten Limits von beispielsweise Druckluftwaffen. Screenshot migrantenschreck.ru
Eigentlich könnte Konstanz auch für besorgte Bürger ein friedliches Nest in idyllischer Lage sein. Die Verbrechensentwicklung in der Bodenseemetropole liegt unter dem Durchschnitt im Ländle, und auch Gerüchten über die angeblich steigende Kriminalität aufgrund des Flüchtlingszuzugs tritt der Polizeipräsident höchstpersönlich entgegen.
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Ein Konstanzer jedoch schätzte die Lage offensichtlich etwas anders ein. Der Mann, den die Polizei als „ganz normalen Bürger” beschreibt, dachte sich wohl, er sei bewaffnet besser dran. Der Shop, der ihm diesen Wunsch erfüllen sollte, läuft auf die bezeichnende Domain Migrantenschreck.ru: eine Website, die nicht nur verspricht, Hartgummi-Knarren mit hoher Schusskraft „ohne bürokratische Hürden” per Post zu verschicken, sondern zudem empfiehlt, die Waffen für einen ganz besonderen Zweck einzusetzen—gegen Flüchtlinge und Migranten.
Der Kauf ging allerdings gehörig schief. Wie Recherchen von Motherboard und der Website Mimikama zeigen, könnte der Fall des Konstanzer Kunden sogar der Anfang vom Ende von Migrantenschreck sein. Denn die Schlinge um die Seite zieht sich immer enger zu: Mehrere Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften haben sich der Sache angenommen und ermitteln aus verschiedenen Richtungen gegen die Betreiber. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Website vom Netz geht.
Frühere Produktbeschreibungen und aktuelle Posts in der „Nachrichten”-Sektion der Website lassen dabei keinen Zweifel, wessen Geistes Kind die Verantwortlichen sind: Sie hetzen gegen „Rapefugees” und „Gangbang-Asylanten”, beschwören den Untergang ihres Deutschlands und rufen offen zur Bewaffnung auf. Praktischerweise bietet die Website dem geneigten Leser nicht nur präapokalyptisches Verschwörungsgeraune, sondern auch das geeignete Equipment für den kommenden Bürgerkrieg: etwa der Revolver „Migrantenschreck MS55 Lady”, der „jeden Schurken—egal ob Ficki-Ficki-Fachkraft oder Hobbydieb” vertreibe; oder das Gewehr „Migrantenschreck HD130 Superior”, das mit 9-Millimeter-Kaliber und einer Schusskraft von lebensgefährlichen 130 Joule aufwartet.
Was die Website jedoch verschweigt: Sie bietet illegale Ware an. Die Knarren fallen allein schon aufgrund der hohen Mündungsenergie in die Kategorie scharfe Feuerwaffen und sind damit erlaubnispflichtig. Nach einer Waffenlizenz werden potentielle Kunden jedoch zu keinem Zeitpunkt während des Bestellvorgangs gefragt, im Gegenteil: Es wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, keinen Waffenschein zu benötigen . Damit wird auch jede Bestellung zur illegalen Handlung—und jeder Kunde zum Straftäter.
Als der Kunde aus Konstanz nun das Geld für die illegale Waffe auf das von Migrantenschreck angegebene Konto überweisen wollte, wurde seine Bank misstrauisch. Sie blockierte die Transaktion und informierte umgehend die Polizei, wie die Behörde bestätigt.
Statt also einer niegelnagelneuen Wumme zur Abwehr „krimineller Invasoren” bekam der besorgte Mann Besuch von der Konstanzer Polizei. Gegen ihn wird laut Polizeipräsidium nun wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz ermittelt.
Nach dem Geldwäschegesetz sind Geldinstitute dazu verpflichtet, auffällige Transaktionen den Behörden zu melden. Warum die Überweisung im Falle des Konstanzers in das Verdachtsraster seiner Bank fiel, möchte weder der ermittelnde Polizeibeamte noch die Pressestelle des Präsidiums kommentieren. Nach welchen Kriterien die Anti-Fraud-Systeme der Banken arbeiten, ist weitgehend unbekannt und von Institut zu Institut unterschiedlich. Der Grund dafür ist offensichtlich: Kriminelle könnten versuchen, die Algorithmen der meist vollautomatisierten Detection-Software auszutricksen.
Laut Ermittlern zog der Migrantenschreck-Kunde seine Bestellung zurück, nachdem die Exekutive bei ihm zuhause aufkreuzte. Gegenüber den Beamten begründete der Mann seinen Kaufversuch damit, sich „selbst verteidigen zu müssen”. Er wollte die Waffe zu seinem „Schutz” in der Wohnung aufbewahren. Vor wem oder was er sich schützen wollte, konnten aber auch die Polizisten vor Ort nicht klären, wie ein Ermittler im Gespräch mit Motherboard trocken kommentierte.
Ob der Konstanzer überhaupt sein Hartgummi-Gewehr bekommen hätte (angenommen die alarmierte Bank hätte geschwiegen), ist allerdings vollkommen unklar. Die Ermittler vermuten nämlich inzwischen, dass es sich bei dem Shop Migrantenschreck um eine Betrugsmasche handeln könnte: „Für mich ist es fraglich, ob die Betreiber überhaupt ausliefern”, sagt etwa der Beamte, der die Anzeige gegen den nun Beschuldigten aufgesetzt hat. Tatsächlich ist den Behörden bisher kein Fall bekannt, wo ein Abnehmer erfolgreich eine Waffe erwerben konnte. Die Polizei Konstanz jedenfalls geht mittlerweile davon aus, dass die Seite ein Fake ist, um Kunden zu prellen.
Eine verschwörungsideologisch aufgeputschte Website, die den „Lügenmedien” und „korrupten Eliten” den Krieg erklärt, aber die letztlich ihre eigenen Anhänger mit einem Fake betrügt—sollte das wirklich die Geschichte von Migrantenschreck sein?
Wer steckt hinter der Seite?
Tatsächlich sind an der Seriösität der Seite grundsätzliche Zweifel angebracht. Schon mit der Impressumspflicht nehmen es die Betreiber nicht so genau—bisweilen werden falsche oder Fantasienamen angegeben, gerne auch mal, um den politischen Gegner zu verunglimpfen (etwa als für eine kurze Zeit eine Privatadresse des Mimikama-Blogs, der sich der Berichterstattung gegen verschwörungstheoretische Posts verschrieben hat, als Verantwortlicher aufgeführt wurde.)
Doch wer steckt wirklich hinter Migrantenschreck? Für diese Frage interessiert sich längst auch das LKA Berlin. Wie Motherboard aus Ermittlerkreisen erfuhr, steht die Website im Visier des Staatsschutzes, gegen die Betreiber wird also im Bereich politisch motivierter Straftaten ermittelt. Zum Stand der Ermittlungen möchte das LKA sich derzeit nicht offiziell äußern.
Gehostet wird die Website aktuell in Russland, Namen von Verantwortlichen werden verschleiert. Das war allerdings nicht immer so: Als der Shop am 6. Mai online ging, war die Domain, die zunächst auf .net endete, auf den Namen Mario Rönsch registriert und verwies auf eine Erfurter Adresse. Die Angaben entsprachen einer Meldeadresse unter der zumindest zeitweise jener Mario Rönsch gemeldet war, der in der Vergangenheit bereits auf den neurechten Erfurter Montagsmahnwachen auftrat. Ob die Angaben der Domain-Anmeldung tatsächlich korrekt sind, und Mario Rönsch aus Erfurt hinter der Seite steht, oder ob jemand anderes seinen Namen eingetragen hat, lässt sich derzeit nicht sagen—eine Antwort könnten nur Ermittlungen ergeben. Mario Rönsch antwortete im vergangenen Mai nicht auf eine E-Mail-Anfrage von Motherboard.
Auch als die Seite einen Tag später von einer .net- auf eine .com-Domain wechselt, bleibt der Name Rönsch im Impressum stehen. Noch am selben Tag verschwindet der Name jedoch, auf der .ru-Domain, die den Shop bis heute hostet, bleibt der Betreiber anonym.
Die Ungarn-Connection
Die Herkunft der angepriesenen Waffen werden erst die weiteren Ermittlungen belegen. Allerdings führt bereits jetzt eine mögliche Spur nach Ungarn. Zum einen nennt der Shop eine ungarische IBAN, an die alle Kunden ihr Geld überweisen sollen. Die IBAN gehört zur Bank Sberbank Magyarorszag Zrt Kozpont in Budapest. Zum anderen sind die Waffenangebote nahezu identisch mit dem Angebot des ungarischen Waffenproduzenten Keserű Művek Fegyvergyár: Sowohl die Optik der Waffen als auch ihre technische Spezifikationen gleichen den Angeboten des ungarischen Herstellers mit Sitz in Budapest bis auf minimale Abweichungen. (Selbst die Produktvideos, in denen die Waffen vorgestellt werden, wurden ähnlich abgedreht.)
Ob Migrantenschreck die Annoncen nur kopiert hat oder ob die Betreiber dort Waffen kaufen, um sie—zum Teil für mehr als das Doppelte—an die eigene Klientel weiterzuverkaufen, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Auch wie viel Geld bislang auf das ungarische Konto geflossen ist und wie viele Waffen wirklich ausgeliefert wurden, oder ob mutmaßliche Kunden einfach nur geprellt werden, lässt sich derzeit nicht sagen. Zumindest ein bis heute aktiver Zähler der Bestellnummern auf der Website könnte einen Hinweis über die Menge an Bestellungen liefern, die bis dato bei dem Shop eingingen. So wird kurz vor dem letzten Bezahlschritt eines Kaufs eine stets fortlaufende Bestellnummer angelegt—aktuell steht der Zähler bei 3.840. Wenn das stimmt, wäre es eine erstaunlich hohe Menge an Käufern—doch wie so vieles an der dubiosen Seite, könnte auch diese Zahl nur heiße Luft sein.
Dass es auf Migrantenschreck nicht ganz mit rechten Dingen zugeht, dämmert langsam auch einigen Anhängern, die sich auf jenen Seiten herumtreiben, auf denen dieselbe Sprache wie auf Migrantenschreck gesprochen wird. So beginnt es beispielsweise auch auf der Nachfolger-Seite des „Anonymous.Kollektiv” auf dem russischen Netzwerk VKontakte ob des undurchsichtigen Angebots des angeblichen Waffenversandes heftig zu rumoren. Da die Waffenkäufe auf „Anonymous”, wie die Social-Media-Präsenz mittlerweile heißt, auffällig oft angepriesen werden, drohen manche User inzwischen schon mit dem Entfolgen, sollte die Werbung weiter so penetrant verbreitet werden. Außerdem beschweren sich Kommentatoren über die überteuerten Preise des Shops sowie die „Verarsche” der Betreiber, weil der Eindruck erweckt werde, es wäre leicht an die Waffen zu kommen. Ein anderer User meint sarkastisch: „Es ist unwahrscheinlich sinnvoll, mittels Sepa-Überweisung eine illegale Schusswaffe zu erwerben. Ich empfehle den Verwendungszweck Revolver anzugeben.”
Eindeutig fest steht bisher nur eines: Die Website Migrantenschreck zieht Ärger magisch an. So hieß es kürzlich in der Nachrichten-Sektion der Website, „ein Arzt für Intensivmedizin” habe eine Großbestellung für Kollegen und Mitarbeiter des Berliner Charité-Krankenhauses aufgegeben. Man müsse „Vorkehrungen treffen”, zitierte die Seite den angeblichen Medinizer, angesichts der aufkeimenden Gewalt von Flüchtlingen gegen das Krankenhauspersonal. Die Charité war nicht sonderlich amüsiert von dem Post und erstattete am selben Tag Strafanzeige wegen Verleumdung. Die Geschichte sei „blanker Unsinn” und zugleich „maximal ärgerlich”, erklärte ein Charité-Sprecher auf Anfrage, weil damit die komplette Belegschaft in ein schlechtes Licht gerückt werde. Für ihn sei die Seite ohnehin ein einziger Fake, er hoffe, dass den „Gaunern bald das Handwerk gelegt wird”.
Daniel ist wesentlich häufiger auf Twitter als am Bodensee.
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