Dieses Reise-nach-Jerusalem-Spiel im Parlament ist armselig

Wie kann man verhindern, dass gewählte Personen im Parlament ihre Partei nicht wie dreckige Unterwäsche wechseln und womöglich für neue Mehrheiten und Verhältnisse sorgen, die durch Wahlen so nie legitimiert wurden?

Anfang Juni waren bereits die Herren Georg Vetter und Marcus „Po-Grapsch” Franz vom Team Stronach zur ÖVP übergelaufen. Schon damals war das alles ein bisschen wie House Of Cards für Arme und man mutmaßte schon über Reinhold Lopatkas schwarz-blaue Fantasien. Am Wochenende folgten nun Kathrin Nachbaur und Rouven Ertlschweiger.

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Die ÖVP freute sich und präsentierte die Parteiwechsel unter dem Banner “ÖVP – stärkster Klub im Parlament”. Es ist meiner Meinung nach aber doch ein bisschen armselig, wenn man stolz darauf ist, plötzlich ‘Erster’ zu sein, nicht aber aufgrund von Wahlen (die sollten ja eigentlich im Parlament die einzige Legitimation sein), sondern durch interne, personelle Abmachungen und Deals, begünstigt durch den desolaten Zustand anderer Parteien. Genauso haarsträubend ist auch dieser Vergleich:

Als besonders krasses Beispiel: In Pakistan hat man in den 1960ern einem unkontrollierten Anstieg von durch Bestechung verursachten parlamentarischen Übertritten mit einem neuen Gesetz entgegnet, das bei Wechsel einen Mandatsverlust vorsieht. In Österreich, wie auch in Deutschland, ist das anders geregelt—es gilt das sogenannte „freie Mandat” und das ist ja an und für sich auch gut so. Personen können aus dem Klub austreten und als freie oder „wilde” Abgeordnete so stimmen, wie sie es für richtig halten.

Wenn sie zu anderen Parteien übertreten, ist das aber doch problematischer, da das Ergebnis von Wahlen dann verfälscht wird. Oft wird von Betroffenen das Argument gebracht, aus einem Bruch mit politischen Überzeugungen heraus zu handeln. Insgesamt wäre es aber am politisch hygienischsten, wenigstens bis zum nächsten Urnengang damit zu warten.

Wie nzz.at zeigt, sind Klubaustritte im Parlament in der Zweiten Republik schon öfters vorgekommen. In der Mehrzahl handelte es sich dabei, abgesehen vom Liberalen Forum, um Einzelfälle.

In den letzten Jahren hat der Vorgang aber eine neue Qualität bekommen. Es geht in erster Linie um einen Personenkreis „rechtsliberaler” Prägung, sozusagen die Überreste der schwarz-blau-orangen Ära. Und es geht wohl weniger um einen Bruch mit tiefen politischen Überzeugungen. Es verhält sich eher wie in einem Reise-nach-Jerusalem-Spiel, wo die Beteiligten um ihren Sitz fürchten und, um ihren Arsch zu retten, einfach woanders Platz nehmen.

Das Team Stronach ist so überhaupt erst entstanden: Nach Jörg Haiders Tod war auch das BZÖ zum Sterben verurteilt. Dann kam Frank Stronach, der es bekanntlich versteht, Löhne zu bezahlen und gab Willfährigen eine Aussicht auf Berufsverlängerung und 8.583 andere Gründe. Mittlerweile ist jetzt auch das Team Stronach dem Untergang geweiht. Und was passiert? Die Fraktion scheint sich ironischerweise genauso wieder aufzulösen, wie sie entstanden ist—durch demokratisch fragwürdiges Sesseltauschen.

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