Achtung: Spoiler!
„Das Erwachen der Macht” hat die Erwartungen erfüllt. Der Film hat nicht nur ein millionenschweres Rekordergebnis an den Kinokassen eingefahren, auch Fans und Kritiker zeigten sich gleichermaßen begeistert. JJ Abrams Beitrag zur Weltraumsaga ist ebenso spannend wie humorvoll und setzt Ästhetik und Stimmung des heißgeliebten Epos souverän fort. Es lässt sich ohne Zweifel sagen, dass Das Erwachen der Macht all diesen hohen Ansprüchen genügt, ja sie mit Bravour erfüllt—mehr aber auch nicht.
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Dennoch: Das Erwachen der Macht kann das zentrale Versprechen eines Science-Fiction-Films nicht einhalten. Das neue Meisterwerk ist letztendlich eine kaum originelle Wiederauflage, die der popkulturellen Lieblingsmythologie nur wenig frische Ideen hinzufügt. Damit ist Episode VII auch das jüngste und unübersehrbare Zeichen einer aufkommenden Sci-Fi-Monokultur auf den High-Tech-Leinwänden dieser Welt.
Das Erwachen der Macht ist bei weitem nicht der schlechteste Teil der Star Wars-Saga, im Gegenteil: Als Kinobesucher habe ich den Film vom ersten bis zum letzten Bild begeistert aufgesogen und wurde von JJ Abrams Werk bestens unterhalten. Dennoch widerspricht die allenthalben verkündete triumphale Rezeption von Star Wars 2.0 all dem, was die Original-Trilogie damals so aufregend machte. Die Freude über den vorhersehbaren, nostalgischen, neu verpackten Nervenkitzel will nicht so recht zur unbedarften und radikalen Experimentierfreude der ersten Filme passen.
All das ist nicht die Schuld von JJ Abrams. Die allgegenwärtigen Wiederholungen sind eher Zeugnis der Nostalgiesucht, der wir Zuschauer nachjagen.
Im Erwachen der Macht verstecken sich mehr Zitate auf die eigene Geschichte als in allen vorherigen Episoden. Der referenzstärkste aller Star-Wars-Filme ist ein wahrhaft postmodernes Sci-Fi-Drama—und ein nahezu identisches Remake des erstverfilmten Teils der Saga Eine neue Hoffnung. Im ersten Moment bedeutet das für jeden Fan eine große Erleichterung—der Film schließt nicht an die, unter Star-Wars-Jüngern, gerne kritisierten Prequels an. Wir sehen, wie imperialistische Truppen eines galaktischen Imperiums einen Roboter quer über einen verlassenen Planeten jagen. Dieser hat irgendwelche mysteriösen Pläne geklaut und rennt direkt in die Arme eines einsamen Jungen, mit eigenartigen Kräften, der dann von einem Schmuggler in eine schäbige interstellare Taverne geführt wird, in der heitere Außerirdische ohrwurmtaugliche Weltraumklassiker spielen—ein glückliches Grinsen zaubert sich in das Gesicht des Zuschauers.
Unterdessen planen die Rebellen, auch die dritte Inkarnation des Todessterns in die Luft zu jagen. Diverse alte Charaktere, die jedem Fan ans Herz gewachsen sind, schauen in wohl inszenierten Cameo-Auftritten vorbei, während John Williams sein orchestrales Crescendo erklingen lässt. Und das sind nur einige der widerbelebten Szenarien der neuen Episode.
Entertainment Weekly fand 18 Wege, in denen Das Erwachen der Macht dem Film von 1977 Tribut zollt oder einfach ganz offensichtlich bei ihm klaut. (Wäre der Film nicht mit dem Segen von George Lucas entstanden, müsste er wohl als dreistes Plagiat durchgehen, bilanziert Tasha Robinson in ihrer Kritik bei The Verge.)
All die Anleihen sind wohl weniger ein Zeichen mangelnder cinematographischer Kreativität, sondern vor allem auch ein sicherer und effizienter Weg, die Erwartungen des anspruchsvollen Publikums zu bedienen und die Kasse zum Klingeln zu bringen. Die bisherigen Einnahmen sind längst galaktisch und der Film nahezu wahnwitzig profitabel: Nach nur zwölf Tagen spielte der Film bereits über eine Milliarde US-Dollar ein und übertrifft damit die Produktionskosten von 320 Millionen Euro bereits jetzt um ein Vielfaches.
Wirtschaftlich betrachtet folgt Das Erwachen der Macht der selben Logik, die bereits die Filme des Marvel-Universums so erfolgreich machte: Referenzen und Nostalgie sind die Kür. Ideen, Charaktere und Geschichten, die sich beim Publikum bewährt haben, werden im neuen Gewand inszeniert und erneut auf die Leinwand gebracht.
Ich kann jedem Fan nur empfehlen, Forrest Wickmanns Abhandlung über die Genese der Weltraum-Filmreihe zu lesen. Wickmanns Analyse erinnert daran, wie wegbereitend, überraschend und einzigartig Star Wars war, als die Saga in den 1970ern das schummerige Licht der Kinosäle erblickte. Die Filme waren ein enorm ehrgeiziges Experiment, wie es das Nachkriegskino bis dato kaum gesehen hatte. Es war aber auch ein Experiment, das nicht nur ein ganzes Genre prägte sondern auch mit einer Formel aufwartete, die sich im Nachhinein als wunderbar reproduzierbar herausstellte—für zukünftige Filmemacher genauso wie für Nerds und Geeks, die den Visionen noch Jahrzehnte später voller Inbrunst folgen. Das Erwachen der Macht ist letztendlich nur die neueste Widergeburt dieses jahrzehntealten Kults.
Ich glaube nicht, dass all das die Schuld von JJ Abrams ist. Er drehte womöglich sogar den bestmöglichen Film, den der heutige Markt vertragen könnte. Die Macht der Referenzen und der Wiederholung sind eher ein Zeugnis der modernen Filmindustrie und der Sucht nach Nostalgie, Retromania und Altbekanntem, der wir Zuschauer nachjagen. Wenn es noch eines weiteren Beweises für die komplizierte Beziehung von kultigen Serien, Publikumserwartung und Neuauflagen bedarf, so sei an Joss Whedons Frustrationen in Sachen Avengers 2 erinnert.
Trotz all dem hat mich Das Erwachen der Macht im Kinosaal dennoch umgehauen—ja begeistert wie ein kleines Kind. Doch sobald der Abspann vorbei war, verschwanden auch die tollen Bilder und die dramatischen Schlachten aus meinem Gedächtnis. Die Szenen siedelten sich stattdessen umgehend wieder in dem filmischen Universum an, auf das sie eigentlich verwiesen und dem sie entliehen waren. Mein nächster Gedanke, der mich auf dem Heimweg einholte: Ich wünschte mir tatsächlich, der Film hätte mehr von den Prequels gehabt und George Lucas wäre stärker involviert gewesen.
Ja, ich bin bei Sinnen und es ist mir vollständig bewusst, dass die Prequels größtenteils fürchterliche, enttäuschende Filme sind, und dass auch George Lucas die Schuld an dem Desaster trägt. Aber mir ist jetzt klar geworden, dass die Prequels zumindest Zeugnis unerschrockener, fimischer Fantasie sind. Sie versuchten gerade nicht, den Originalen nachzueifern oder sie gar wiederzubeleben, sondern erweiterten und bereicherten das galaktische Universum sogar. Die Filme bestechen durch ihre Farbpracht, die imaginären Wolkenstädte, Klon-Armeen, Duelle auf Vulkan-Planeten und einer Erklärung, warum die demokratische, intergalaktische Gesellschaft zerbrochen war, und ein autokratisches Imperium entstehen konnte.
Selbst Jar Jar Binks, der vielleicht unbeliebteste Charakter der Filmwelt überhaupt, war eine spannende Erfindung; sowohl als Mitglied einer neuen außerirdischen Rasse, als auch als erster voll integrierter CGI-Charakter der Filmgeschichte.
Mit anderen Worten, Lucas gab sich nicht damit zufrieden, auf die etablierten Konzepte der Original-Trilogie zurückzugreifen. Er wollte die Star Wars-Mythologie erweitern, neue Grenzen ausloten. Er selbst besteht darauf, als Experimentalfilmer betrachtet zu werden und liegt damit gar nicht mal so falsch.
Dummerweise stellte sich heraus, dass Lucas seine Energie den falschen Experimenten und kreativen Schlachten widmete—und JJ Abrams macht mit seinem Lucas-freien Star Wars nun das genaue Gegenteil. Er legt eine fachgerechte Neuinszenierung von Star Wars vor und bringt den Rhythmus, das Tempo und die visuelle Ästhetik auf den Punkt—und er verleiht den zentralen Protagonisten eine größere charakterliche Vielfalt. Gleichzeitig vermeidet Abrams allzu ausschweifende Erklärungen und gibt keine tiefgreifenderen inhaltlichen Einordnungen zur Geschichte, die über die Originalepisoden hinausgehen.
Lucas erntete mehr als genug Spott für die neuen Elemente, die er der Saga hinzufügte. Doch letztlich scheiterten er und seine Filme wohl an seinen mangelnden Künsten als Regisseur—ein Manko, dem er sich selbst nur allzu bewusst war. Nun hat Abrams Star Wars ohne den unmittelbaren Einfluss von Lucas neu erfunden. Und das sind schlechte Nachrichten für einen Science-Fiction-Markt, der droht im Fortsetzungswahnsinn und postmodernen Wiederholungszyklus zu versinken, statt die Grenzen des Films auf der großen Leinwand neu zu erkunden.
Der zweite Mega-Blockbuster des Filmjahres 2015 ist ebenfalls ein Sequel einer lieb gewonnen Filmreihe, die allerdings weniger wie eine Fortsetzung, sondern eher wie eine „Neuauflage” daherkommt. Jurassic World wird mit einem Kassenergebnis von rund 67 Milliarden Euro Einahmen wohl Platz zwei der abschließenden Topverdiener-Charts des Jahres einnehmen. Auch dieser Film folgt derselben Formel wie Das Erwachen der Macht: Statte den alten kampferprobten Handlungsbogen mit einer Kombination auch frischen und familiären Gesichtern und Szenerien aus, führe ein paar neue Elemente für eine „neue” Franchise-Handlung ein, aber vermeide jegliches inhaltliches (und damit auch finanzielles) Wagnis und verlasse ja keine eingetretenen, narrativen Pfade.
Selbst der wohl beste Science-Fiction-Blockbuster des Jahres, Mad Max: Fury Road, reiht sich in die Serie der Wiederauflagen ein: Er wartet mit demselben Plot auf wie sein berühmter Vorläufer, trägt den selben vermarktungskompatiblen Titel, greift auf dieselben Kameraeinstellungen zurück und füllt diese Kulisse lediglich mit einer neuen Besetzung. 2016 verspricht kein Ende dieses Trends: Wie jedes Jahr werden wohl drei neue Filme aus dem Marvel-Universum in die Kinos kommen, die alle der gleichen Struktur folgen und zunehmend langweiliger werden.
Betrachten wir abschließend noch zwei Science-Fiction-Filme, die an den Kinokassen gefloppt sind: Jupiter Ascending von den Wachowski Brüdern und Disneys Tomorrowland. Auch diese Werke waren mit einem enormen Budget ausgestattet—und beide waren cinematographisch originelle, erzählerisch durchaus neuartige und ziemlich riskante Unterfangen. Der Misserfolg beim Publikum strafte jedoch den Versuch ab—Jupiter Ascending entwickelte sich sogar zu einem waschechten finanziellen Desaster. Das lag zum Teil natürlich daran, dass sie keine besonders guten Filme sind—aber das war Jurassic Wold auch nicht. Womöglich sind diese beiden Filme auch nicht die schönsten Gegenbeispiele zum Recycling-Trend, die das Kinojahr 2015 zu bieten hat. Die Gefahr, dass wir Zuschauer unsere Erwartungen zu sehr an die Kassenschlager-Zyklen von Hollywoods Blockbuster-Maschinerie anpassen und Opfer unserer eigenen Nostalgie und Retromania werden, ist jedoch gerade im Sci-Fi-Genre unübersehbar.
Science-Fiction steht für neue Erkundungen und filmische Wagnisse und nicht für das Wiederkäuen von bereits Bekanntem. Um konkurrenzfähig zu bleiben, werden Filme nach bestimmten Formeln konzipiert und verlieren dabei den Kern dessen, was sie eigentlich antreiben sollte.
Es hat bereits begonnen: Eines der größten kreativen Werke des 20. Jahrhunderts wurde in eine äußerst unterhaltsame, aber leider kurzlebige Hollywood-Neuauflage gepresst. Wie JJ Abrahams die Star-Wars-Saga in seinen nächsten beiden Episoden kreativ fortführen will, dürfte nach dem Erwachen der Macht spannender denn je werden.