British Condoms wird sich freuen. Denn es brauchte nichts weiter als eine mittelmäßig gephotoshoppte Grafik von einer schwarzen Kiste und ein paar lustige Behauptungen in einer Pressemitteilung, um Journalisten vom Guardian, Engadget, Medical Daily (!), CNet, Fortune, Business Insider und rund zwei Dutzend anderer Outlets vor einigen Tagen glauben zu lassen, dass es das folgende Produkt wirklich gibt:
Das i.Con, ein „smartes Kondom”, das Stöße, Temperatur, Penisumfang und verbrannte Kalorien beim Sex nicht nur misst, sondern die Daten auf Wunsch auch noch in einem sozialen Netzwerk zum digitalen Schwanzvergleich veröffentlicht. Außerdem soll es Geschlechtskrankheiten diagnostizieren können. „Wie ein Fitbit für Ihren Penis”, war in jedem zweiten Artikel zu lesen, und wer noch etwas Kontext liefern wollte, stellte fest, dass das i.Con nach dem SexBit schon das zweite Wearable seiner Art war, mit dem man Sex quantifizieren kann.
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Nur, dass es das SexBit nie gab. Und dass es auch das i.Con sehr wahrscheinlich nicht gibt.
Man hätte vielleicht stutzig werden können, dass ausgerechnet ein etwas altbackener Online-Kondomversand wie British Condoms sich plötzlich an die Speerspitze der Sextech-Produktentwicklung schiebt. Man hätte sich fragen können, wie genau das i.Con „durch einen Nanochip und Sensoren” messen will, ob sein Träger Chlamydien oder Syphilis hat. Jemand hätte den euphorischen, in der Pressemitteilung zitierten „Lead Engineer” googeln können und festgestellt, dass er zumindest online nicht zu existieren scheint — was für einen stolzen Projektleiter eines vernetzten Gadgets zumindest seltsam anmutet. Noch eine Idee: Mal beim vermeintlichen Hersteller anrufen und nach irgendeinem Bild des „revolutionären” Produkts fragen, das sich ja laut Website angeblich in der „finalen Testphase” befindet. Was man bei der Gelegenheit auch hätte fragen können: Warum ein Produkt, das eigentlich ein Penisring ist (so steht es zumindest in den FAQs), überhaupt als Kondom vermarktet wird.
Das passierte aber nicht, denn verständlicherweise setzt bei vielen Menschen ein bisschen der Verstand aus, wenn es um Sex geht. Blöd ist nur, wenn das auch Journalisten bei der Recherche passiert. Überschriften wie “Sex Wearable tracks your performance and judges you” oder ähnlich auf deutsch „Das erste smarte Kondom trackt eure Leistung beim Sex” (Mobilegeeks) sind verführerisch und werden gern geklickt, schon klar – sind aber extrem unkritisch und damit gar nicht so smart.
British Condoms hat auf unsere schriftlichen Fragen nicht geantwortet. Ruft man bei der Firma selbst an, meldet sich ein Mann, der versichert ,„Doch doch, das ist alles echt, aber ich weiß leider gar nichts über das i.Con. Ich kann auch nicht sagen, mit wem Sie reden könnten.” Es findet sich kein Hinweis darauf, welches Tech-Team das Produkt eigentlich entwickelt und wer das vermeintliche Soziale Sexdaten-Netzwerk verwalten soll. Es wäre wohl das erste Produkt, das der Kondom-Versandhandel British Condoms in seiner 21-jährigen Firmengeschichte je selbst produziert hätte – und das er offenbar selbst so unbeeindruckend findet, dass er nichtmal drüber twittert. Es spricht also sehr wenig dafür, dass das i.Con mehr als ein smarter Hoax ist, der der Firma ein paar Kunden auf die Website spülen soll.
Ähnlich wenig ging auch bei den „Vorgängern” der Sex-Tracking-Toys: Das 2014 angepriesene Wearable FitBit kam nie über das Prototyp-Stadium hinaus. Doch der Anbieter – ein ebenfalls britischer Versandhandel von Sexspielzeug – nutzte das Interesse an der Gadget-Blaupause, um ein Jahr später elegant auf seine tatsächlich im Handel erhältlichen Sextoys hinzuweisen. Ein weiteres Crowdfunding-Projekt namens Lovely, auch eine Art Penisring, der ebenfalls versprach, die Sex-Performace irgendwie in Zahlen zu messen, kann man ebenfalls als Rohrkrepierer bezeichnen: Es kam nicht einmal zur Hälfte an das gesetzte Finanzierungsziel heran. Man kann also beim besten Willen nicht von einem „Markt der Sex-Wearables” sprechen. Mag ja sein, dass es den irgendwann gibt. Bis jetzt gibt es nur ein bisschen Hype.
Dass man auch das i.Con überhaupt nicht kaufen kann, sondern nur ‘unverbindlich vorbestellen’ (Preis: rund 69 Euro), erwähnen nur rund die Hälfte aller dazu veröffentlichten Artikel. Sogar die angebliche Zahl der Vorbestellungen (96.000 laut British Condoms-Pressemitteilung) wurde gern einfach so als Tatsache abgeschrieben – klar, kann man sich ja alles vorstellen.
Aber genau das ist – gerade für Tech-Outlets – ein Problem. Um die technologisierte Welt mit ihren Innovationen besser zu verstehen, braucht es kritische und genaue Berichterstattung, auch und gerade über neue Produkte. Luftige Ankündigungen als gegenwärtige Tatsachen darzustellen, hilft Herstellern und PR-Firmen; nicht aber Lesern. Auch und gerade, wenn es um so etwas Radikales wie die Vermessung des eigenen Sexlebens geht. Sonst besteht die Gefahr, dass Unternehmen Online-Medien immer wieder ungeprüft Quatsch und großspurige Behauptungen diktieren können, weil Journalisten keine Zeit oder keinen Bock haben, nachzurecherchieren, ob das alles seine Richtigkeit haben könnte.
Wenn wir über mediale Glaubwürdigkeit und Fake News reden, dann schadet es nicht, selbst so eine total harmlose und lustige Geschichte mit dem nötigen kritischen Abstand zu betrachten, um sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Und sich auch bei einer total stimmig klingenden Meldung auf seinen hoffentlich aktiven Bullshit-Radar zu verlassen.