Für einen peruanischen Sol, umgerechnet circa 27 Cent, kann man sich in illegalen Lokalen versteckt zwischen riesigen Bergen im Valle Sagrado, dem Heiligen Tal der Inka, mit einem alten Andengetränk betrinken: chicha de jora. Dieses gegärte Maisbier gab es schon im Reich der Inka und auch heute noch im Hochland der Anden: Die Einheimischen brauen sich das Getränk nach eigenen Methoden—manche wandeln die Stärke im Mais durch Speichel in Zucker um, andere lassen die Maiskörner wie beim Mälzen keimen—selbst zusammen. Dafür nutzen sie jora, eine gelbe Maisart, die wegen ihrer Bedeutung für das Überleben der Einwohner verehrt wird.
Chicha de Jora war einst das heilige Getränk der Inka, das es nur bei den höchsten Zeremonien gab. Zuerst wurde das Maisgetränk der pachamama, der Erdmutter, geweiht, indem es auf den Boden gegossen wurde. Damit dankte man ihr für die fruchtbaren Maisfelder.Dann wurden die Berge geehrt, die apus, indem der kero, der Kelch, in die Höhe gehoben wurde. Danach wurde das Chicha getrunken, um sich in einen überbewussten Zustand zu versetzen, sodass man den Göttern näher ist und höhere Erkenntnis erlangt.
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Heute wird im ganzen Heiligen Tal immer noch Chicha de Jora hergestellt, unter anderem im Hotel Inkaterra Hacienda Urumbamba. Zusammen mit einem der Guides, Angel Layme, schaue ich mir den Herstellungsprozess und den Ort, wo das Chicha getrunken wird, die chicheria, genauer an. Auf dem Weg zum Hotel passieren wir riesige fruchtbare Felder. Angel kommt aus dem Dorf Huayoccari im Tal und kennt sich deshalb mit Chicha de Jora aus. Er zeigt mir den Weg zur Bar im Hinterhof des Hotels.
„Wenn man eine rote Fahne oder ein rotes Tuch sieht, weiß man, dass hier Chicha verkauft wird”, erklärt Angel. „Auf dem Land pflanzen einige auch Blumen an den Straßenrändern an, sodass man den Weg zur nächsten Chicheria besser findet.” Klingt ein bisschen wie die Andenversion von Hänsel und Gretel. Wenn man ordentlich von dem Maisgebräu trinkt, wird man außerdem eins mit dem Heiligen Tal, aber nur, weil man einfach nicht mehr weg will. „Man sollte lieber nur ein oder zwei Gläser davon trinken”, meint Angel. „Die Hauptzutat ist Mais, also fühlt es sich ein bisschen an, als würde man Suppe trinken. Im Magen gärt das Ganze dann weiter vor sich hin. Ein ganz schön wuchtiges Getränk.”
Auch die Höhe darf man nicht vergessen: Das Heilige Tal liegt fast 3.000 Meter über dem Meeresspiegel. Da wirkt ein Glas Chicha de Jora mit circa 4,5 Prozent gleich dreimal so stark. Angel zeigt sich von den Sorgen eines neugierigen Gringos (bzw. einer Gringa) unbeeindruckt. „Es hängt nicht von der Höhe ab, wie viel Chicha man trinkt … zumindest wenn man von hier ist”, meint er lachend zu mir.
In der Chicheria des Inkaterra erklärt mir Angel, wie das Andenbier gemacht wird. Am Anfang steht der Mais, der wird zuerst in Wasser eingeweicht, damit er aufkeimen kann. Dieses „Mälzen” wird noch unterstützt, indem der Mais dann zusammen mit einer Schicht Pfefferkörner in Stofftücher eingewickelt wird und in die Sonne zum Trocknen gelegt wird. Nachdem dadurch die Stärke in Mais in Malzzucker umgewandelt wurde, wird der Mais mit dem batan, einem großen Stein, zerstoßen. Mit Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen wird aus den kleinen Körnern ein feines Pulver. Dieses Maismehl kommt dann in einen Tontopf, den raqui, und wird zu einem Drittel mit Wasser aufgefüllt. Mehrmals wird das Gemisch aufgekocht, wobei noch Gerstenmalz hinzugegeben wird, sodass nach einer Zeit eine Art Bierkonzentrat, das upi, entsteht. Davon, meint Angel, braucht man nur einen Schluck, um betrunken zu werden.
Jeder verändert dann das Bier nach seinem Geschmack und fügt noch Fenchel, Kamille, Minze oder Zimt hinzu, die den Gärprozess noch weiter unterstützen sollen. Das Gemisch ruht jetzt über Nacht und am nächsten Tag kommen alle zusammen und trinken Chicha de Jora aus riesigen Gläsern. „Wir benutzen die typischen Gläser, die caporales“, erklärt Angel. „Der Preis ist unglaublich, nur einen Sol für ein Glas.” Die Einheimischen brauen es zu Hause und umgehen damit Steuern, was das Chicha noch ein bisschen mysteriöser macht, neben den konspirativen roten Flaggen, an denen man die geheimen Chicherias im Tal erkennt.
Das beliebteste Spiel in den Chicherias ist sapo, eine Art Skee ball: Die Spieler versuchen Goldmünzen in das Maul eines kleinen Frosches aus Metall oder in die Löcher drumherum zu werfen. Jedes Loch hat eine bestimmte Punktzahl. „Eigentlich geht es beim Sapo ganz ruhig zu, man kann es ja nur für maximal zwei Stunden spielen. Spätestens dann sieht man drei Frösche”, meint Angel.
Nachdem ich jetzt weiß, wie man Chicha macht, geht die Party in der Bar des Hotels weiter. Hier serviert Barkeeper Alfredo Quispctupac Orcowakanka sein ganz persönliches Chicha. Wie Angel ist auch er in Huayoccari aufgewachsen und hat als Kind von seiner Mutter und seiner Großmutter gelernt, wie man Chicha de Jora macht. „Wir haben schon sehr jung das erste Mal Chicha getrunken und ich habe mit fünf oder sechs Jahren gelernt, wie man es macht”, erinnert sich Alfredo. „Damals haben wir nur ein bisschen zu trinken bekommen, das aber in einem Zug runtergeschluckt. Für uns war das wie Saft.”
Alfredo schenkt uns ein und wir stoßen an, zuerst auf die Pachamama und dann auf die Apus. Das Andenbier ist golden und trüb und schmeckt leicht säuerlich—ein bisschen wie der erste Schluck Bier als Teenager. Alfredo scheint mich ein wenig zu bemitleiden und bietet mir etwas zum Gaumenreinigen an. Mit Koka-Pisco-Shots stoßen wir auf den Tag an.