Foto: Antony Medley / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0.
Bücher über Dance-Musik sind nicht so allgegenwärtig. Zumindest nicht so sehr, wie amerikanische Romane über College-Professoren mittleren Alters, die existenzielle Krisen haben und gleichzeitig eine Studentin im eigenen Ehebett bumsen. Aber es gibt sie, die Dance-Musik-Bücher, und einige von ihnen sind sogar wirklich toll. Drei sind besonders empfehlenswert: Dave Haslams Life After Dark, Tim Lawrence’ Life and Death On The New York Dancefloor und Der Klang der Familie von Felix Denk und Sven von Thülen. Jetzt können wir dieser Liste ein weiteres Meisterwerk hinzufügen: Queer City: Gay London from the Romans to the Present Day. Sein Autor: Peter Ackroyd.
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Das Buch – es ist bereits das sechzigste (!) von Ackroyd – erschien vor Kurzem im Verlag Chatto & Windus. Queer City nimmt den Leser mit auf eine wilde Reise durch die Geschichte einer Stadt, die schon immer von Sexualität erfüllt war. Von den ersten römischen Siedlern bis zum traurigen und schäbigen Anblick dessen, was vom modernen Soho übrig geblieben ist: London ist zweifellos ein Ort, der unter dem Mantel der Dunkelheit zum Leben erweckt wird. Wenn die Lichter in London erlöschen, erwacht das ausschweifendes Vergnügen der Stadt.
Diese Geschichte erzählt uns Ackroyd mit seinem charakteristischen Elan für Ort, Figur und Situation. Du hast noch nie etwas von Peter Ackroyd gelesen? Dann stell dir vor, wie du in einem Pub sitzt. Einem richtigen Pub. Einem Pub, der warmes Bier aus Holzfässern serviert, einem Pub ohne Musik, einem Pub, in dem du rauchen kannst, einem Pub, in dem es Oliven aus dem Glas und billigen Käse gibt. Ein Pub, der dich stundenlang in seinem Netz gefangen hält, und das über Tage, ein Pub, der dich jeden Cent, den du in anderen Pubs ausgegeben und jedes Bier, das du woanders getrunken hast, bereuen lässt. Da sitzt du nun, versackt, vor dir ein paar leere Gläser auf dem Tisch, den Geschmack von feinstem Premium Lager im Mund, mit leicht schmerzender Brust vom vielen Lachen und dir wird klar, dass dein Gegenüber so klug, so gebildet, einfach so brillant ist, dass es dir egal ist, dass du seit ein paar Stunden nicht mehr zu Wort gekommen bist.
So ist es, Peter Ackroyd zu lesen.
Ob sich am Schwedenplatz wohl auch solche Pubs finden lassen?
Schon immer hat Ackroyd alles, was jemals über das Thema seiner Wahl geschrieben wurde, verschlungen – von Ezra Pound bis Alfred Hitchcock. Dennoch besitzt er bei aller Belesenheit eine Leichtigkeit, die den Leser nie überwältigt von der Ansammlung an Fakten, Figuren und anzüglichen Anekdoten. Sicher, in sechs Monaten wirst du wahrscheinlich vergessen haben, wer genau George Villiers, 1st Duke of Buckingham, war und wie genau der Lederdildo von Mary Hamilton 1746 rechtliche und soziale Erregung hervorrief. Trotzdem wird die wichtige Erkenntnis bleiben, dass es seit jeher kulturell, sozial und künstlerisch floriert, wenn sie dem queeren Nachtleben erlaubt, sein Ding zu machen.
Ich muss dich hoffentlich nicht daran erinnern, dass wir Clubbing, wie wir es heute kennen, der unermüdlichen Arbeit von Afroamerikanern, Latinos und Schwulen in der zweiten Hälfte der 1970er zu verdanken haben. Trotzdem sind Orte, an denen Mitglieder dieser Gemeinschaften eine Art soziokulturelle Autonomie haben, keine neue Erfindung. Das soll die gewaltigen Bemühungen der US-amerikanischen Protagonisten nicht schmälern, sondern sie in eine historische Abstammungslinie setzen. Dies gelingt Ackroyd auf den unglaublich faszinierenden Seiten von Queer City auf detaillierte Weise.
“In Kneipen, Clubs und Bars wird das Leben lebendig.”
Er zeichnet all die geheimen Pfade des Vergnügens nach: anhand von Kaffee- und Wirtshäusern, Theatern und öffentlichen Toiletten, Nachtclubs und Höfen von Kaufleuten. Die dabei von ihm porträtierten Leben waren unzertrennlich mit ihrer Sexualität verbunden – und wurden deshalb hauptsächlich nachts gelebt.
Bis heute bieten uns Städte des Nachts nicht nur pures Vergnügen: Sie halten auch dunkle Labyrinthe bereit, in denen wir uns verstecken können. In denen wir verändern, wie wir gesehen werden. In den wir ablegen, was auch immer wir an unserem Alltag nicht mögen. In Kneipen, Clubs und Bars wird das Leben lebendig. Dem liegt ein überzeugender und verführerischer Reiz der Vorstellung zugrunde, dass wir in die Nacht gleiten können und wieder geboren werden, abseits von neugierigen Blicken, unter den Lichtern der Straßenlaternen und Discokugeln.
Ob es nun Lesben in den 1960ern waren, die auf der King’s Road “hinter einer anonymen grünen Tür Unterschlupf fanden” oder eine Schwulen-Razzia in Mother Clap’s Molly House in Holborn: Die Geschichte ist laut Ackroyd von Geheimhaltung und Abschottung geprägt. Es ist die dunkle Seite der eskapistischen Ideale.
Doch Toleranz und Akzeptanz von Homosexualität verändern sich von Jahrhundert zu Jahrhundert: Mal war ein bedeutender Teil der oberen Gesellschaftsschicht homosexuell, meistens jedoch war die gleichgeschlechtliche Liebe ein Quell der Schande. Doch egal wie sie wahrgenommen wurde, sie ist nicht verschwunden und wird immer ein wichtiger Teil der Geschichte Londons und seiner Einwohner bleiben.
Queer City lehrt uns die Wichtigkeit, die queeres Leben in London für uns alle hat und immer haben wird. Oder, um es mit den Worten Ackroyds auszudrücken:
“Dieses Buch ist sowohl eine Feier als auch eine Geschichte einer vorherrschenden und diversen menschlichen Welt, die trotz Verfolgung, Verachtung und Leiden ihre Vielfalt behalten hat. Es steht für den ultimativen Triumph Londons.”
Peter Ackroyds Queer City ist bereits erschienen und kann hier bestellt werden.
Dieser Artikel ist zuerst auf THUMP erschienen.
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