Es dürfte der lukrativste Film werden, der je gedreht wurde. Allein am Startwochenende spielte Avengers: Endgame weltweit über eine Milliarde US-Dollar ein. Wenn sich der Staub einmal gelegt hat, werden Marvels maskierte und unmaskierte Helden fünf der zehn erfolgreichsten Filme aller Zeiten zu verantworten haben.
Eine Überraschung ist das nicht. Das ist einfach, was Marvel-Filme so tun: wahnsinnig erfolgreich sein. Viel interessanter ist, wie gut Endgame in den Kritiken wegkommt. Am Ende sind sich alle einig – egal, ob Wochenzeitung oder Boulevardblatt, Comic-Nerds oder Indie-Kino-Fans: Avengers: Endgame ist ein unfassbar guter Film.
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Ist Marvel, beziehungsweise Disney, etwa das Undenkbare gelungen? Hat Marvel mit seinem neuesten Werk den heiligen Gral des Kinos entdeckt? Den winzigen Überschneidungspunkt zwischen künstlerischer Vision, kritischem Anspruch und geilen Profiten?
Nein. Das hat Marvel nicht. In seinen 181 Minuten klappert der Plot von Endgame das übliche Programm ab: Teamfindung, Teamstreit, Teamversöhnung in allerletzter Minute mit anschließender selbstloser Aufopferung und tränenreicher Auflösung. Währenddessen wird der Zuschauer visuell in einen CGI-induzierten Halbschlaf versetzt.
Marvel hat einen ganz anderen und weitaus beeindruckenderen Kniff vollzogen – einen, der 22 Filme und elf Jahre in der Mache war: Marvel hat unsere Erwartungen an einen Blockbuster grundlegend verändert. Marvel hat ein Universum erschaffen, in dem alles, was leicht überdurchschnittlich ist, als cineastischer Meilenstein gilt.
In dieser Hinsicht war Warner Bros, Disneys vermeintlicher Rivale, sein größter Verbündeter. Während Marvel-Filme nämlich größtenteils passabel sind, sind DCs Bemühungen (sechs bislang, sieben weitere in Arbeit und, nein, Nolans Batman-Trilogie gehört nicht dazu) erschreckend unterirdisch. Das Resultat ist aber das gleiche: Die beiden Studios haben mit ihren 29 Filmen neue Standards fürs Filmemachen gesetzt. Sie haben Funktionalität zur neuen Spitzenleistung erkoren.
Das soll nicht heißen, dass uns der Kapitalismus das Kino versaut hat. Tatsächlich lassen sich im Multiplex die überzeugendsten Beweise für ein harmonisches Zusammenspiel von Kunst und Kommerz finden. Jurassic Park, Matrix und Inception sind die Werke mutiger Visionäre und haben ihren Produzierenden die Klobrillen vergoldet. Die Mission Impossible-Filme liefern grenzenlose Unterhaltung mit nicht mehr als Bombast und einem üppigen Budget. Fast Five ist ein ziemlich guter Film.
Aber wenn es nur noch Franchise-Filme gibt, haben wir ein Problem. Vor 20 Jahren waren unter den 20 erfolgreichsten Filmen des US-amerikanischen Kinojahres 16 eigenständige Produktionen, viele von ihnen – The Sixth Sense, Die Matrix, American Beauty und American Pie – intelligent, kreativ und gewagt. Vergangenes Jahr gab es in der gleichen Liste lediglich vier Nicht-Franchise-Filme, zwei davon waren Remakes, dafür aber sieben Superheldenfilme. Alle waren von Marvel oder DC.
Und wer hätte es gedacht? Dieser Mangel an Originalität spiegelt sich in den Filmen selbst. Wenn du einen Marvel-Film gesehen hast – oder drei –, dürfte dich nichts an Avengers: Endgame auch nur ansatzweise überraschen, geschweige denn mit offenem Mund zurücklassen wie die Kung-Fu-Showdowns in Matrix oder der legendäre Twist am Ende von The Sixth Sense.
Endgame, der sehr wahrscheinlich bald erfolgreichste Film aller Zeiten, liefert eine Handvoll gut gemachter Genre-Standards, ein paar freche Sprüche und eine Tonne Premium-CGI. Der Film ist, um es sehr nett auszudrücken, ein Paradebeispiel für gutes Handwerk.
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Die überschwänglichen Kritiken für Endgame zeigen allerdings, wie sehr uns dieses Genre die Birnen weich gekloppt hat. Doctor Strange. Spider-Man: Homecoming. Ant-Man and the Wasp. Batman v Superman, Justice League, Aquaman. Jeder dieser Filme ist für sich unterdurchschnittlich aber harmlos, zusammengenommen sind sie eine dreiste Frechheit. Und das Resultat dieser systematischen Niveau-Senkung ist die Aufwertung des Durchschnitts. Wie ein Verdurstender, der in der Wüste über eine halb getrunkene Cola-Flasche stolpert, erscheint Banales plötzlich wie von Gott gesandt.
Das heißt jedoch nicht, dass Superheldenfilme komplett für die Tonne sind. Black Panther, Captain Marvel und Wonder Woman zeigen, wie progressiv Comicverfilmungen heute sein können. Im Großen und Ganzen ist Marvels Ansatz recht kurzweilig. Und allein die Tatsache, dass das Genre so unfassbar erfolgreich ist – unsere Sehnsucht nach Erlösern im Angesicht einer drohenden Apokalypse –, sagt viel über unsere heutige Zeit. Gleichzeitig bleiben wir jedes Mal, wenn der Abspann gelaufen und das Piepen in den Ohren abgeklungen ist, mit einem schalen Gefühl von Gleichförmigkeit zurück. Es dauert nicht lange und wir haben den Film wieder vergessen. 21 verschiedene Regisseure sind für die Marvel- und DC-Filme verantwortlich. Wie viele kannst du nennen?
Marvel hat weder den Superheldenfilm, noch den Franchise-Filme erfunden. Marvel hat noch nicht einmal das Filmuniversum erfunden. Aber Marvel ist der Grund, warum solche Werke heute die einzige Form des Blockbusters ausmachen. Mit einem Einspielergebnis von über einer Milliarde US-Dollar am Startwochenende hat Avengers: Endgame nicht nur Erfolg neu definiert, sondern auch Blockbuster als Filme, die alle ansprechen und niemanden verprellen. Deswegen sehen die Welten von Star Wars, Jurassic Park und Marvel auch so aus, wie sie aussehen: Die Sprache ist immer kinderfreundlich, Blut spritzt nie und jeder kommt mit eingebautem Keuschheitsgürtel auf die Welt.
Marvels Mission, in Multiplex-Kinos auf der ganzen Welt die Kassen klingeln zu lassen, zumindest für Disney, geht derweil munter weiter. Die 71-Milliarden US-Dollar-Übernahme von Fox dürfte diesen Prozess weiter befeuern. In diesem Sinne ist man schnell verleitet, Endgame erst als den Anfang zu bezeichnen. Aber vielleicht haben wir das Ende schon lange hinter uns.
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