Plötzlich fühlt sich die Zunge pelzig an, die Augen laufen einem aus, die Lippen knospen wie eine Blumenwiese zum Frühlingsanbruch: Wer sich das Musikvideo zu “When You Die” der Band MGMT anschaut, bekommt eine Ahnung, was es heißt, auf LSD zu trippen. Knapp vier Minuten ist das Video lang, sogenannte Tripberichte können allerdings deutlich länger ausfallen. Das weiß jeder, der schon mal Freunden dabei zugehört hat, wie sie auf Pilzen mit Vögeln im Wald gesprochen oder sich bei einer Ayahuasca-Session die Seele aus dem Leib gekotzt haben.
Das Internet ist voll von solchen Schilderungen. Über 5.000 Tripberichte zu mehr als 80 Drogen bietet allein die Community “Land der Träume“. Die beiden Promotionsstudenten Fabian Klinker und Mihael Švitek haben sie wissenschaftlich ausgewertet – im Seminar für Visuelle Linguistik an der TU Dresden. Welche Wörter wurden verwendet? Wie lang sind Texte und Sätze? Darüber schreiben sie auf ihrem Blog “Datenrausch“.
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Uns haben sie erzählt, wie die Tripberichte die gesellschaftliche Diskussion über Drogen bereichern und welche Droge zu den wirrsten Erzählungen führt.
VICE: Wie war die Reaktion eures Professors, als ihr ihm gesagt habt, dass ihr Tripberichte auswerten wollt?
Mihael: Es war voll easy. Die Professur hier ist relativ progressiv. Wir sollten in dem Seminar Sprachdaten visualisieren und konnten den auszuwertenden Inhalt frei wählen.
Wie seid ihr auf das Thema gekommen?
Mihael: Ich kannte Land der Träume schon seit Jahren. Die Seite war aus zwei Gründen ideal: Zum einen ist alles online frei verfügbar, wir konnten die Texte und damit unsere Daten direkt runterziehen und loslegen. Zum anderen ist bei Drogen oft von einer Sprachgrenze die Rede – viele sagen, dass man eigentlich gar nicht beschreiben könne, was man erlebt habe.
Fabian: Diese Tripberichte beweisen allerdings das Gegenteil. Die Nutzer probieren es zumindest.
Mihael: Es gibt ja auch berühmte Autoren, die sehr gut über ihre Erfahrungen schreiben konnten. Rainald Goetz und Aldous Huxley etwa.
Habt ihr einen neuen Goetz oder Huxley gefunden?
Fabian: Das war mit unserer Methode nicht möglich. Wir haben nur ein paar Texte privat gelesen und dann alle mit einem Skript von der Seite gezogen.
Mihael: Mein Lieblingsbericht heißt “Furcht & Schrecken In Nord-Deutschland“. Der Nutzer hat Cannabis, Benzodiazepine, Alkohol, LSD und MDMA konsumiert und ist von München nach Hamburg, Lüneburg und Neumünster gereist. Danach hat er über 11.000 Wörter geschrieben, mit einem Vorwort und mehreren Freunden, die er als Figuren einführt. Er schreibt, wie er neben einem Freund im Wasserbett liegt, rumschwappt und zerläuft: “Flüssiger konnte man sich nicht mehr fühlen.” Aber er spart auch die negativen Neben- und Nachwirkungen nicht aus.
Zu welcher Droge gibt es die meisten Berichte?
Mihael: Generell wird sehr viel über Psychedelika geschrieben. Zu Kokain gibt es hingegen relativ wenige Texte. Das kann an der Wirkung der Droge liegen, aber auch an den Menschen, die das konsumieren. Der koksende Klischee-Banker schreibt wohl keine Tripberichte.
Fabian: Aber man darf das nie nur auf das Konsumverhalten zurückführen. Die Texte auf Land der Träume repräsentieren keine spezielle Gesellschaftsschicht.
Mihael: In anderen Drogenforen könnte man ganz andere Ergebnisse erhalten.
Welche Droge führt zu besonders ausufernden Berichten?
Fabian: Die längsten Texte haben die Nutzer zum Mischkonsum von LSD und Cannabis, zu 2C-B, zu Pilzen und zu Pilzen und Cannabis geschrieben.
Mihael: Die kürzesten Sätze wiederum haben Crystal-Meth-Nutzer geschrieben.
Kann man sagen, dass empfindsamere Menschen mehr schreiben?
Mihael: Nein, das wäre nicht wissenschaftlich, das so aus unseren Daten abzuleiten. Wir können nicht sagen, ob empfindsamere Menschen besonders oft Pilze nehmen, oder die Pilze sie empfindsamer machen.
Fabian: Die Leute, die da schreiben, sind durch die Bank weg anonym. Wir vermuten, dass es beim Mischkonsum von LSD und Cannabis beispielsweise mehr zu erleben gibt. Dadurch werden die Sätze und die Texte länger. Aber wir können das nicht genau sagen.
Mihael: Das subjektive Empfinden ist jedenfalls bei manchen Substanzen stärker gegeben als bei anderen.
Welche Droge hat euch bei den Auswertungen am meisten überrascht?
Mihael: 2C-B. Leute beschreiben es immer als eine Mischung aus LSD und MDMA. Wir konnten zeigen, dass es im Sprachgebrauch tatsächlich direkt zwischen LSD und MDMA angesiedelt ist.
Fabian: Bei Pilzen und anderen Drogen wird oft nur der Konsum an sich beschrieben. Bei Drogen wie Cannabis schreiben die Nutzer hingegen über den Mischkonsum mit Alkohol oder Tabak.
Mihael: Obwohl Alkohol am zweithäufigsten in allen Berichten konsumiert wird, würde doch nie jemand darüber einen Tripbericht schreiben. Aber Alkohol taucht eben im Hintergrund, im Mischkonsum, auf.
Was für Menschen schreiben die Berichte?
Mihael: Viele sind regelmäßige Drogenkonsumenten, die gut informiert sind und auch Langzeitbeobachtungen verfassen. Ich glaube, das sind eher junge Männer, die individuell …
Fabian: … und experimentierfreudig sind. Club- und Feierberichte finden sich dort weniger. Berichte, die Natur-, Draußen- und Kopferleben auf psychedelischen Drogen beschreiben, sind am häufigsten.
Welche Rolle spielen Tripberichte für die Gesellschaft?
Mihael: Sie ermöglichen es Leuten, sich von zu Hause und über das Internet über Drogen zu informieren.
Fabian: Statt der Erfahrung eines einzelnen, wie etwa Rainald Goetz, hast du in diesen Foren eine Vielzahl von Berichten. So kannst du dir einen besseren Eindruck verschaffen und erkennst eher, was das Wirkungsspektrum einer Droge ist. Bei Land der Träume steht dieser aufklärerische Auftrag direkt auf der Startseite. Sie wollen “unabhängige und möglichst objektive Informationen” zu Drogen bereitstellen, “ohne Verteufelung und ohne Verherrlichung”.
Und diese Aufklärung spiegelt sich dann auch in den Berichten wider?
Fabian: Aufklärung funktioniert am ehesten, wenn man die Wirkung beschreibt: Nimmst du das, passiert das und das. Das haben wir sehr stark bei relativ unbekannten Sachen gefunden, über die es nur wenige Infos gibt: Kratom, Katzenminze, Research Chemicals. Weil es bei Drogen keine Beipackzettel gibt, müssen Nutzer auch auf solche Berichte zurückgreifen.
Welches Potenzial steckt noch in eurer Arbeit?
Mihael: Wenn wir analysieren, wie Menschen über Rausch schreiben, können wir davon auch Erkenntnisse über Menschen ableiten, die krank oder auch nur oft müde sind.
Und welche Note habt ihr bekommen?
Mihael: 1,0.
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