Der Nachtclub-Ecstasy-Dealer entwickelt sich in Großbritannien langsam aber sicher zu einer immer gefährdeteren Spezies, denn der durchschnittliche Pillen-Konsument kauft seinen Stoff inzwischen eher bei einem Freund oder Bekannten als bei einem dubios wirkenden Typen, der im Club keinen richtigen Augenkontakt mehr hinkriegt. Die niedrigen Kosten von E haben außerdem zur Folge, dass organisierte Verbrecherbanden sich in den meisten Fällen nur noch darauf beschränken, Dealer mit Pillen zu versorgen und auf direkte Lieferungen zu setzen. Der Umweg über die Nachtclubs ist das Risiko einfach nicht mehr wert.
In den späten 80er und frühen 90er Jahren sah das Ecstasy-Business jedoch noch ganz anders aus. Neben dem Verkauf in den Clubs im eigenen Gebiet machten sich die Dealer aus Großstädten zusätzlich noch auf den Weg in kleinere Orte, um sich dort die Ausbreitung der Rave-Kultur zu Nutze zu machen. Drum’n’bass-MC Carl Thomas aka MC Flux war damals Teil eines Netzwerks aus dem Londoner Stadtteil Croydon, das auch Brighton mit Ecstasy versorgte.
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Besagtes Netzwerk bestand dabei aus einem doch recht ungewöhnlich Mix aus schwarzen Typen und Neonazis. Dieser Umstand führte auch dazu, dass die Polizei MC Fluxs Drum’n’bass-Kollektiv Inta Natty fälschlicherweise als eine organisierte Verbrecherbande mit Beziehungen zur rechtsextremen Gruppierung Combat 18 eingestuft hat. Wir haben uns mit Carl in Verbindung gesetzt, um herauszufinden, wie ein solches Nachtclub-Ecstasy-Netzwerk funktioniert und warum er als Schwarzer überhaupt mit Neonazis zusammengearbeitet hat.
VICE: Wie kamst du zum Ecstasy-Dealen?
MC Flux: Eines unserer jüngeren Mitglieder ist zuerst auf den Zug aufgesprungen. Viele Rave-Teilnehmer dachten beim Anblick von fünf schwarzen Typen direkt, dass man bei denen sicher Pillen kaufen kann. Das bedeutete, dass wir einfach nur warten mussten, bis uns die Leute ansprachen, denn dann konnten wir sie an das besagte jüngere Mitglied von uns verweisen. So hat unser Kumpel in nur wenigen Monaten richtig viel Kohle gemacht.
Warum seid ihr dann auch nach Brighton gegangen, anstatt euch nur auf London zu beschränken?
Als Margaret Thatcher 1989 damit anfing, gegen Acid-House- und Outdoor-Events vorzugehen, sind wir eben auch nach Brighton gefahren, um dort zu tanzen und Pillen einzuwerfen. Ein Kumpel, den ich vom Fußball her kannte, sah dort dann ein gewisses Potenzial zum Drogenverkauf. Dabei sollten erstmal unserer jungen Leute anfangen. Außerdem wurde uns klar, dass uns ein Freund mit Tausenden Pillen versorgen konnte. Das haben wir natürlich ausgenutzt und der Fußball-Kumpel hat uns dabei finanziell unter die Arme gegriffen. Wir haben pro Pille 6,50 Pfund gezahlt und dann 20 Pfund dafür verlangt.
Seid ihr dabei auf viel Gegenwehr von den Dealern aus Brighton gestoßen?
Wie haben eher Stress mit der dortigen Fußball-Firm bekommen, weil die wusste, dass wir zu Palace gehörten. Im Vergleich zur brutalen Hooligan-Szene Londons damals war das allerdings kaum der Rede wert.
Inta Natty, also das Drum’n’bass-Kollektiv, zu dem du damals gehörtest, wurde von der Polizei als internationales Verbrechenssyndikat mit Kidnapping- und Geldwäsche-Aktivitäten sowie Beziehungen zur Neonazi-Gruppierung Combat 18 eingestuft. Wie ist das passiert?
Daran war ein Ermittler der britischen Bahnpolizei schuld. Irgendjemand hatte einer bestimmten Person erzählt, dass ich ihr aufgrund von Schulden an den Kragen wollte, und deshalb dachte sich diese Person eben die Geschichte von einem Fußball-Hooligan-Drogendealer aus, um seinen Arsch zu retten. Dabei war ich zu dieser Zeit im Gefängnis! Die Bahnpolizei hat dann eben in meinem Umfeld ermittelt. Die Combat-18-Verbindung kam durch meinen Fußball-Bekannten zustande—er hatte ziemlich kontroverse Ansichten, aber ich mochte ihn aufgrund seiner Ehrlichkeit.
Und mit Kontrovers meinst du rassistisch?
Heutzutage würde man das wohl schon als rassistisch bezeichnen. Aber wenn du als Weißer mich als Schwarzen richtig wütend machen willst, dann bezeichnest du mich eben als ‘schwarzes Arschloch’. Das macht dich jedoch noch nicht gleich zum Rassisten—ich meine, wenn ich nur ein Bein hätte, dann würdest du mich wohl als ‘einbeiniges Arschloch’ bezeichnen. Inzwischen wird man aufgrund eines rassistischen Kommentars gleich als Rassist abgestempelt, aber ich sehe das doch etwas anders.
Wie dem auch sei, mein Fußball-Bekannter hat mich dann jemandem vorgestellt, der in der Combat-18-Hierarchie weit oben stand. Ich war Teil einer schwarzen Crew, hing mit einer weißen Crew ab, gehörte zu einer Firm und kannte Neonazis—und das konnten die Behörden einfach nicht begreifen. Für die gehörten alle Crews, mit denen ich etwas zu tun hatte, zu einem großen Netzwerk.
Ich habe gehört, dass viele Fußball-Firms damals sowohl schwarze als auch rechtsradikale Mitglieder hatten.
Das stimmt. Wenn man ein aufrichtiger Typ ist und mit seinen Fäusten umzugehen weiß, dann bringen einem die Firms Respekt entgegen—egal welche Hautfarbe oder Einstellung man auch hat.
Munchies: Von harmlosem Ecstasy, alkoholfreien Getränken, die besoffen machen und Anti-Kater-Pillen
Du bist dann schließlich aufgrund von Drogenverkauf im Gefängnis gelandet. Was ist da geschehen?
1995, also erst viel später, wurde ich bei einem Rave von den Securitys erwischt. Aufgrund meines Kokainkonsums konnte ich nicht mehr wirklich klar denken und hielt deshalb meinen Beutel voller Drogentütchen und Pillen gut sichtbar für alle hoch. Vor Gericht wurde mir dann vorgeworfen, dass ich das Zeug verkaufen wollte, aber das entsprach so nicht der Wahrheit, denn im Club hat mich ein Bekannter nur gefragt, ob ich ihm was von meinem Stoff abgeben würde—und da habe ich ja gesagt.
Heute bist du geläutert und engagierst dich in Workshops gegen Drogenkonsum und Kriminalität. Wieso der Wandel?
Es tauchten einfach immer mehr Berichte und Geschichten über die Folgen des Ecstasy-Konsums auf. Dazu sind die Preise und die Qualität immer weiter zurückgegangen und das Einwerfen von Pillen glich immer mehr einem Spiel mit dem Tod. Ich bin jetzt Ende 40 und deswegen wäre es auch ziemlich heuchlerisch, die “Wachmacher”-Wahl der jungen Leute zu rechtfertigen oder zu verurteilen, aber man muss die Jugendlichen auf jeden Fall über die Risiken aufklären.
Als ich im Gefängnis war, lernte ich außerdem einen Vollzugsbeamten namens William Barret kennen, der mich unterstützte. Er meinte immer zu mir: “Du bist nicht wie die anderen Typen, die ich hier immer ein- und ausgehen sehe. Du hast viel Potenzial. Arbeite an dir!” Diesen Ratschlag habe ich mir zu Herzen genommen und deswegen viele Kurse belegt und die Entscheidung getroffen, mich zu ändern.
Heute bin ich beim Lewisham Council angestellt und arbeite dabei in und um Liverpool herum. Meine Aufgabe besteht darin, junge Leute vom Weg in die Kriminalität abzubringen. Dazu engagiere ich mich noch bei einer Organisation namens CELLS, die Anti-Gang-Workshops anbietet. Jugendliche hören viel eher auf einen Menschen, der das alles schon mal selbst erlebt und durchgemacht hat. Mir gefällt es, etwas Positives zu tun, und ich schätze mich glücklich, noch am Leben zu sein und mich mit Menschen umgeben zu können, die mit mir durch dick und dünn gegangen sind. Ich hoffe, dass ich mit meiner jetzigen Arbeit etwas zurückgeben kann.
Vielen Dank für das Gespräch, MC Flux.
Mehr über MC Fluxs Vergangenheit findest du in seiner Autobiography Dirty.