Wenn Sexismus eine Person wäre, würde sie ein weit aufgeknöpftes weißes Jackett, Solariumbräune und eine rote Plastikbrille mit Peace-Zeichen tragen. Die Reality-Show Das Sommerhaus der Stars hat gerade erst auf RTL angefangen und schon jetzt steht der offensichtliche Antagonist für die Staffel – oder zumindest die ersten paar Folgen – fest: Ennesto Monte. Seines Zeichens “Musiker” und Lebensabschnittspartner von Helena Fürst, der vielleicht ikonischsten Figur, die das Dschungelcamp jemals hervorgebracht hat.
Bekannt wurde Monte dadurch, dass er dabei gefilmt wurde, wie er Sex an einem EC-Automaten hatte. Und dieses Image des egomanen Exhibitionisten lässt er sich nun wirklich nicht mehr nehmen, komme, was wolle.
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“Mein erster Eindruck: Es riecht nach Sperma hier”, kommentiert er treffsicher, als das Pärchen das Haus betritt, das sie sich in den kommenden zwei Wochen mit anderen Bekannten und Unbekannten der deutschen Medienlandschaft teilen werden. “Ich kann mir vorstellen, dass hier etliche Jungfrauen ihre Unschuld verloren haben.” Zuvor hatte er Helena Fürst klargemacht, dass er für sein galantes Angebot, ihren schweren Koffer zu tragen, eine Belohnung erwarte: “Dafür wirst du mir einen ganz schön blasen, dass ich dir das getragen habe.”
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Sollte die erste nackte Brust nach 20 Sekunden Sendung noch keine klare Richtung vorgegeben haben, wird spätestens jetzt klar: In dieser Staffel gibt es nur ein großes Thema und das ist Geschlechtsverkehr.
Wie angestrengte Berufsjugendliche wirkte der Großteil der Paare in den Vorstellungsvideos. Kichernd besprechen sie, wie viel Sex man miteinander hat, wie gut der Sex ist, und dass es sehr, sehr schwer wird, 14 Tage lang keinen Sex haben zu können. Zumindest nicht, ohne dabei gefilmt zu werden.
Martin und Sonja Semmelrogge beispielsweise lernten sich bei einem “höchst vergnüglichen One-Night-Stand” kennen und Koch/ Men’s Health-Model Ludwig Heer wird von seiner Freundin Giulia Siegel als “sehr gut im Bett” vorgestellt. Eine Einschätzung, die Ennesto Monte in Bezug auf sich selbst teilt. Der hatte allerdings zuvor schon offensichtlich gelogen, als er behauptete, eine gute Singstimme zu haben.
Der Rest der Hausbewohner setzt sich aus Personen zusammen, die man irgendwann schon mal im Fernsehen gesehen hat. Beinahe sympathisch wirkt es, wie sich die Teilnehmer gegenseitig zunehmend angetrunken versichern, wirklich keine Ahnung zu haben, wer ihr Gegenüber ist. Es menschelt auch an anderer Stelle. Nach rund einer Stunde ist es nicht mehr möglich, den grenzenlosen Hass in Helena Fürsts Augen zu übersehen, der jedes Mal aufflammt, wenn ihr Lebensabschnittspartner irgendetwas sagt. Endlich mal Reality-TV-Kandidaten, mit denen man etwas gemeinsam hat!
Eine Challenge erwartet von den Paaren, in mehreren Metern Höhe über bewegliche Plattformen zu balancieren und dabei Fragen zum Beziehungsleben der Deutschen zu beantworten. Die Meetings, in denen diese Spiele ausgeknobelt werden, müssen unglaublich absurd sein. Ist es dasselbe Team, das auch entscheidet, welche Tiere im Dschungelcamp gedeepthroatet werden müssen? Werden verschiedene Szenarien wie “unter Wasser”, “mit verbundenen Augen” oder “ohne die Hände zu benutzen” auf Zettel geschrieben, gemischt und dann auf gut Glück gezogen, um sich daraus eine neue “Herausforderung” zu basteln?
Der schönste Moment findet dann auch tatsächlich gegen Ende des dankenswert kurz gehaltenen Wettkampfes statt. Nach bestandener Challenge lässt sich Giulia Siegel mit gekreuzten Armen von einer Plattform fallen und schreit dabei, als würde in ihrem Rachen gerade ein Tier sterben. Dramatisch sinkt sie neben ihrem Freund auf dem Boden zusammen und keucht “Ich hasse …”. Was genau, bleibt offen. We feel you, Giulia.
Das Sommerhaus der Stars kann man zusammenfassend als eine Art Oase in der allgemeinen Trash-TV-Tristesse betrachten. Die Kandidaten sind auf ihre jeweils eigene Art skurril bis liebenswert. Die Konflikte sind weniger offensichtlich konstruiert und die Challenges, die bei derartigen Formaten immer der langweiligste Teil sind, angenehm kurz. Das Sommerhaus ist kurzweilig und unterhaltsam – solange man nicht zu genau hinguckt. Der große Konflikt, der sich durch die erste Folge zog, war nämlich alles andere als unterhaltsames Drama für die Quote.
Am Ende des ersten Abends sitzt Lisa Freidinger, Freundin von Ex-Bachelorette-Teilnehmer Aurelio Savina, alleine draußen und raucht. Ennesto setzt sich ungefragt dazu und beginnt augenblicklich über Sex zu sprechen. (Was an dieser Stelle eigentlich niemanden mehr überraschen dürfte.) Es ist eine dieser Situationen, die viele Frauen kennen dürften. Eigentlich wollte man nur seine Ruhe haben und plötzlich ist man in einem Gespräch gefangen, das man so nie führen wollte. Unhöflich sein geht nicht, weil man mit dieser Person noch mehrere Tage auf engem Raum zusammenleben muss. Was also tun? Freundlich, aber desinteressiert sein? Versuchen, die Konversation langsam ausbluten zu lassen und zu hoffen, dass der Gesprächspartner es irgendwann merkt und einen in Ruhe lässt?
Beides macht Lisa dann auch, als Ennesto erklärt, jetzt gerne Sex haben zu wollen, weil er dann vielleicht endlich einschlafen könnte. Unangenehm berührtes Lächeln, ein kurzes “Ja, da wirste bissel müde.” Und dann war die Situation eigentlich schon wieder vorbei. Für Aurelio ein Grund, am kommenden Tag eine psychotische Achterbahn der Gefühle loszutreten.
Es sei respektlos, dass Ennesto mit ihr über Sex geredet habe, einfach so, erklärt er seiner Freundin und mansplaint ihr anschließend im Detail eine Situation, in der er nicht mal anwesend war. Die Schuldige ist, natürlich, sie. Weil sie eine offensichtlich unangenehme Situation so gelöst hat, wie viele Frauen es sich über Jahre hinweg verinnerlicht haben: subtiles Desinteresse zeigen und darauf hoffen, dass die Situation nicht eskaliert.
“Es kotzt mich an, weil ich das niemals erwartet hätte, niemals”, motzt der Bachelorette-Kandidat seine Freundin an. Und schiebt einen Vorwurf nach, der direkt aus einem Handbuch für dem Patriarchat nachtrauernde Machos stammen könnte: “Überhaupt, dass du alleine rausgehst!”
Anschließend kommt es zur Aussprache – aber natürlich nur zwischen den beiden Kampfhähnen Ennesto und Aurelio. Besitzansprüche an Frauen werden schließlich seit jeher zwischen Männern verhandelt. Bei Lisa entschuldigt sich niemand.
Natürlich lassen sich anhand eines Reality-Formats nur schwerlich Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Personen abseits der Kameras miteinander umgehen. Hier spielt jeder eine Rolle, um in der Fernseh-Verwertungsschleife aus Dschungelcamp, Promi Dinner und Celebrity-Rateshows relevant zu bleiben. Die Dynamik zwischen Aurelio und Lisa ist allerdings etwas, das viele Menschen aus schlechten Beziehungen kennen dürften. Deswegen ist es vielleicht schon beinahe gut, dass der Konflikt vor laufenden Kameras stattfand. Die 28-Jährige hat dadurch nämlich etwas, was viele andere, die von ihren Partnern manipuliert werden, in so einer Situation nicht haben – den Beweis, dass sie nichts falsch gemacht hat.
Die erste Folge vom Sommerhaus der Stars endet nach weiteren Mini-Konflikten, wie sie begonnen hat: mit Diskussionen über Brustimplantate, die müde machen, und Pärchen, die sich gegenseitig versichern, die Allerbesten zu sein. Sonst hätten sie ja nicht so viel Sex, zwinker, zwinker. Gehen müssen am Schluss die sympathisch schlecht gelaunten Semmelrogges. Die einzigen Personen im Haus, die sich gegen durchgehenden Alkoholkonsum entschieden haben. “Ihr geht zu früh ins Bett, ihr steht zu früh auf”, begründet Giulia Siegel die Entscheidung und damit ist dann tatsächlich auch alles gesagt. Die Spielverderber sind raus, nächste Woche kann also ganz ungeniert gesoffen und über Brüste gesprochen werden. RTL freut sich.
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