„Dass Hanf, Opium, Kokain, Zauberpilze und LSD verboten sind, ist ein Skandal!“

Foto: Christian Rätsch

Mit zwölf kaufte sich Dr. phil. Christian Rätsch im Schulbus etwas roten Libanesen. Ein Radiobeitrag hatte kurz zuvor von einer Drogenwelle in Deutschland gewarnt—das hatte ihn neugierig gemacht. So kam Deutschlands führender Ethnopharmakologe auf den Geschmack und merkte, dass Drogen gut für ihn sind. Doch dass der Gesetzgeber da anderer Meinung ist, erzürnt selbst ihn, der sonst mit säuselnder Stimme die völlige Gelassenheit ausstrahlt.

Christian Rätsch ist Drogen-Guru und renommierter Wissenschaftler in einem. Mit seinem langen Rauschebart und dem über die Schulter geworfenen Wolfsfell sieht er aus, wie du dir den Maya-Schmanen vorstellst, von dem er einst im Dschungel gelernt hat, wie Rauschtränke zubereitet werden.

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Dem Leitbild des berühmte Anthropologen Carlos Castaneda folgend, gab Christian Rätsch sein eigenes Weltbild auf, um in die Kultur der Lakandonen abzutauchen. Drei Jahre hat er im Dschungel gelebt, dort gejagt, Mais angepflanzt und Zaubertränke gebraut. Er ist damals in eine veränderte Bewusstseinsebene eingedrungen und seitdem nicht mehr aus ihr zurück gekehrt. Heute ist er Hüter eines Wissens, das die indigene Bevölkerung bereits selbst vergessen hat.

Wenn es einen Mann gibt, der beim Thema Drogenkonsum weiß wovon er redet, dann ist es Christian Rätsch. Nach zwei Jahrzehnten Drogenexperimente im Selbstversuch schrieb er sein Magnum Opus: die Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. Sie gilt heute als Standardwerk der Wissenschaft.

Christian Rätsch ist der Meinung, dass psychoaktive Substanzen frei verfügbar sein sollten. Jedem solle die Möglichkeit gegeben werden, selbst heraus zu finden, welche ihm am besten zusagt. Er selbst mag am liebsten die Zauberpilze. Er bezeichnet es als einen Skandal, dass diese Pflanze, wie so viele andere psychoaktiven Substanzen, bei uns kriminalisiert wird, obwohl sie dem Menschen so viel positiven Nutzen bieten könne. Ich habe mich mit ihm darüber unterhalten, welcher Freiheit wir uns selbst berauben, wenn wir uns von unserer Regierung vorschreiben lassen, welche Drogen wir nehmen dürfen und welche nicht.

Foto: Dominik Schönleben

VICE: Hast du alle Drogenin der „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen” ausprobiert?
Das geht gar nicht. Aber möglichst viele. Ich hatte zwei Jahrzehnte Zeit, die Dinge auszuprobieren und zu erforschen.

Deine Dissertation war seinerzeit etwas Besonderes, beschäftigte sie sich auch schon mit psychoaktiven Substanzen?
Sie hieß „Das Erlernen von Zaubersprüchen”. Das war ein Teil des Schamanismus der Lakandonen, bei denen ich über drei Jahre gelebt habe. Die kognitive Anthropologie ist eine Forschungsmethode bei der man versucht die Kultur der Erforschten so zu erlernen, dass man sie selbstständig reproduzieren kann.

Du hast also die Zaubersprüche der Maya erlernt?
Ja, wie man die berauschenden Tränke zubereitet. Wie man Tabak pflanzt, erntet und den Göttern opfert. Wie man mit den Rauschtränken lange Rituale zur Heilung ausführt. Die ganze Mythologie, so wie sie mir der älteste Schamane beigebracht hatte.

Wie muss ich mir die Rauschtränke der Lakandonen vorstellen?
Dieser Ritualtrank heisst Mai-Che. Er wird nicht im täglichen Leben hergestellt und konsumiert, sondern nur bei Ritualen, die mit Opfergaben an die Götter einhergehen.

Was hast du dabei gelernt?
Als ich den Trank dann selbst brauen konnte, habe ich experimentiert, denn ich wollte wissen, was an dem Trank wirklich die Wirkung erzeugt, die ich oft erlebt und beobachtet hatte. Der Trank wird aus Honig, Wasser und der Rinde eines Baumes hergestellt. Ich konnte heraus finden, dass eindeutig der Wirkstoff der Rinde der ausschlaggebende Faktor für die Wirksamkeit des Trankes war. Ich habe dann immer mehr Rinde rein getan und die Ritualteilnehmer waren begeistert, wie stark das ist. Die haben das aber nicht darauf zurück geführt, dass ich mehr Rinde genommen habe, sondern darauf, dass ich den Zauberspruch zum Brauen so gut beherrsche. Mit diesem Spruch ruft man die Geister und Seelen der Pflanzen und Tiere herbei, die giftig sind. Man bittet sie die Essenz ihres Giftes in den Trank zu geben, damit er stark wird. Für die Lakandonen war klar: desto besser man die Geister und Seelen anrufen kann, desto stärker wird der Trank.

Foto:r0bz|Flickr|CC BY 2.0

Aber es ist ja offensichtlich, dass es an der Rinde liegt.
Ich habe gedacht, vielleicht ist es ja beides. Man kann das als offener Forscher nicht von vornherein ausschließen, nur weil es keinen Platz in unserem Weltbild hat. Ich musste in diese Kultur richtig eintauchen, um alles verstehen zu können.

Wollen die Lakandonen einfach nur High sein, oder ist da mehr dahinter?
Der Sinn dieses Rituals ist es, die Gemeinschaft des Stammes mit den Göttern und Göttinnen in Verbindung zu bringen und damit die soziale Struktur zu stärken. Dieser Trank, von dem man während des Rituals etwa pro Person zwanzig Liter trinkt, erzeugt etwas, dass wir als Herzöffnung bezeichnen könnten. Es ist empathogen, es verstärkt die Mitfühlsamkeit und die Liebesgefühle, die zwischen Verwandten und Paaren bestehen. Außerdem hat der Trank die Wirkung, dass er sehr reinigend für den Körper ist. Das heißt man muss unglaublich pinkeln, scheißen, kotzen, schwitzen, heulen, alles kommt raus. Am nächsten Tag ist man dann wie neu geboren. Ganz fantastisch, eine ganz tolle Wirkung.

Kennen wir diese Droge auch bei uns?
Nein, bei uns gibt es leider keine Pflanzen die Lamnistiline enthält, und sie würde hier auch niemals auf den Markt kommen.

Da würde der Gesetzgeber den Daumen drauf halten.
Der hat genug zu tun, mit den ganzen synthetischen Substanzen, die alle paar Tage auf den Markt kommen. Es ist eine Folge des Verbotes von Substanzen, die uns zuträglich und förderlich sein können. Dass Hanf, Opium, Kokain, Zauberpilze und LSD verboten sind, ist ein Skandal! Das sind Substanzen die seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden von verschiedenen Kulturen sinnvoll genutzt werden. Also LSD nicht, das ist eine relativ neue Substanz von 1938, aber die anderen haben eine lange schamanistische Tradition und sind ein wichtiger, integrierender Bestandteil der jeweiligen Kulturen. Sie haben sich als besonders gut und wenig gefährlich herausgestellt. Durch das Verbot suchen die Menschen immer nach Ersatz, aber der Ersatz ist niemals so gut wie das Original.

Was hältst du davon, dass Menschen so in die Illegalität gedrängt werden?
Das ist natürlich absurd, dass man Pflanzen verbieten kann, oder für illegal erklären kann. Das ist eine Anmaßung der Gesetzgeber. Außerdem hat das nichts mit der gelebten Wirklichkeit zu tun. Jeder kann kriegen, was er gerne möchte. Wenn man diese Dinge legalisieren würde, dann würde der Konsum nicht steigen sondern nur entkriminalisiert und sicherer werden.

Warum verbieten wir Drogen trotzdem?
In Deutschland ist das wegen Frau Merkel, die von diesen Dingen überhaupt keine Ahnung hat—die labert einfach nur die selben Sachen nach, die schon in den Siebzigern zur Verfolgung von Kiffern geführt haben—aus ihrer Sicht ist es verständlich diese Sachen zu verbieten. Weil diese Substanzen erzeugen in den Konsumenten neue Perspektiven auf das Leben, auf die Gesellschaft, auf alles Mögliche. In der Regel sind Menschen die LSD oder Zauberpilze konsumieren eher abgeneigt gegenüber unserer Gesellschaft und merken, dass es eine ganz andere Art von Freiheit gibt, als das, was uns als Freiheit vorgegaukelt wird.

In vielen indigenen Kulturen wird der Konsum von Drogen meist mit Trommelmusik in Verbindung gebracht, durch die man sich in Trance versetzt. Wir gehen heute in Clubs, werfen uns was ein und tanzen bis in die frühen Morgenstunden. Kann man da Parallelen ziehen?
Alle Menschen haben ein Bedürfnis, nach extatischen Erfahrungen beziehungsweise veränderten Bewusstseinszuständen zu suchen. In unserer Gesellschaft gibt es geradezu eine Sehnsucht danach, aber unsere Kultur hat da wenig zu bieten. Zu einer GOA-Party gehen, etwas einwerfen und tanzen, dass erzeugt veränderte Bewusstseinszustände, die für den Menschen an sich gesund sind. Ein von Trance und Ekstase geprägtes Leben ist unglaublich gesundheitsfördernd.

Oft wird ein Zusammenhang zwischen einer besonderen Kreativität oder Brillanz und dem Konsum von Drogen hergestellt. Selbst bei Steve Jobs werden dessen LSD-Erfahrungen mit seinem späteren Lebenswerk in Verbindung gebracht. Deckt sich das mit deiner Erfahrung?
Für manche Leute, die kreativ sind, ist die Erfahrung mit anderen Wirklichkeitszuständen durch psychoaktive Substanzen sehr förderlich. Das gilt aber nicht für alle. Wenn jemand denkt, er nimmt einen Trip und ist am nächsten Tag ein Maler von Bedeutung stimmt das natürlich nicht. So funktioniert das nicht. Man kann für seinen eigenen Kreativitätsprozess etwas raus holen, aber Unkreative werden durch Drogen nicht kreativ.

Diese Welten die wir erleben, wenn wir uns in solch einer Trance befinden, sind die real oder bilden wir uns die nur ein?
Die Indianer sagen, dass die normale Weltwahrnehmung nur eine Illusion ist und dass die wahre Wirklichkeit in einer unsichtbaren Welt liegt. Dass man mit Hilfe von bestimmten Zauberpflanzen oder Zaubertränken das gewöhnlich unsichtbare wahrnehmen kann und damit ein vertieftes Weltverständnis bekommt. Aufgrund meiner Erfahrungen habe ich gemerkt, dass wenn ich Visionen habe, dann darf ich meine Brille nicht absetzen, weil ich sonst nichts mehr sehe. Ich sehe also etwas außerhalb von mir. Für mich steht es fest, dass es eine visionäre Welt außerhalb unserer Projektion gibt. Dass viele Wirklichkeiten parallel existieren, deckt sich auch mit den Überlegungen und Konzepten der modernen Physik.

Wir sind also auf Drogen angewiesen um die ganze Bandbreite der Wirklichkeit wahr zu nehmen?
Könnte man vermuten.