Colleen “Cosmo” Murphy war eine der engsten Freundinnen und Kollaborateurinnen von David Mancuso. Der legendäre Partyhost starb traurigerweise in dieser Woche. Als Murphy, die Gründerin der Classic Album Sundays und Mitbegründerin der Lucky Cloud Loft Party ist, in den frühen 90ern anfing, Mancusos Loft-Partys in New York zu besuchen und dort aufzulegen, nahm er sie als Protegé unter seine Obhut. Im Jahr 2000 sagte er gegenüber Time Out New York: “Sie ist sehr hingebungsvoll und rein, wenn es um Musik geht. Sie gehört zu den wenigen Leuten, denen ich sowohl die Musik und das Equipment als auch den Dancefloor anvertrauen würde.” Im Folgenden erinnert sich Murphy an das bewegte Leben und das Erbe ihres Mentors—und erklärt, warum die Lektionen über den Wert von Selbstlosigkeit, die sie von ihm gelernt hat, heute relevanter sind als jemals zuvor.—Michelle Lhooq
Colleen Murphy: Mein enger Freund und Mentor David Mancuso ist Anfang der Woche gestorben. Ich bin am Boden zerstört, genau wie tausende andere Loft-Anhänger. Einige von ihnen haben David getroffen, andere nicht, doch alle wurden entscheidend von seiner Herangehensweise an Musik und Klang und durch den Gemeinschaftssinn seiner Partys beeinflusst. Er hat das Leben so vieler Leute verändert.
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2006 waren mein Mann und ich während des Irakkriegs für ein paar Tage mit David Mancuso in Moskau. Während wir in der Lobby unseres Luxushotels warteten, etwas verloren aussahen und uns auch so fühlten, fuhr eine Autokolonne vor dem Eingang vor. Aus einem der unauffälligeren Fahrzeuge stieg US-Außenministerin Condoleezza Rice, deren Sicherheitsmannschaft um sie herumschwirrte, als sie durch die Lobby schritt. Ich sah zu David, der ein verschmitztes Funkeln in den Augen hatte, und wusste, dass er etwas im Schilde führte. Plötzlich stand er auf und rief: “Love saves the day! Love saves the day!” Immer und immer wieder. Sie tat so, als würde sie es nicht hören.
Mancuso bei der The Lucky Cloud Loft Party. Foto von Guillaume ChottinDavid Mancuso war ein Rebell aus gutem Grund. Dieser Grund bestand jedoch nicht aus den narzisstischen, aufgeblasenen und von Egos geleiteten Absichten der meisten DJs. Tatsächlich sah David sich selbst gar nicht als DJ. Seine Absichten waren von den Idealen der Gegenkultur der 60er beeinflusst und drehten sich um Respekt, Gleichheit, Liebe und Freiheit. Das mag sich für ein junges Publikum vielleicht wie andächtige, altmodische “Hippie-Sprache” anhören. Ich würde jedoch argumentieren, dass diese Werte im Angesicht eines wachsenden rechten Flügels in der westlichen Welt nicht nur fordernd sondern sogar unumgänglich sind.
David fing 1970 an, Partys in seinem Loft am Broadway 647 in New York City zu veranstalten. Er war ein bescheidener und reflektierter Mann, der von der Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegung, der Schwulenbewegung und von Klassengleichheit motiviert war. Bei seinen privaten Loft-Partys—die noch bis heute stattfinden—fanden sich Leute zusammen, um zu tanzen und zusammen zu feiern, egal welcher Ethnie, welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung, welchen Alters oder welchen Einkommens. Davids Absicht war, eine Gemeinschaft aus Gleichgesinnten zu erschaffen und einen offenen Rückzugsort zu bieten, für den die einzige Bedingung ein offener Geist war. In dieser Zeit der sozialen Spaltung ist dies in jedem Fall ein sehr mutiges Konzept.
“In der heutigen Zeit der ständigen Eigenwerbung ist nichts so rebellisch, wie selbstlos zu sein.”—Colleen Murphy.
Natürlich war die Musik immer die Hauptzutat und die vereinende Kraft im Loft—und ist es immer noch. Er wollte nicht die Bewunderung, nach der so viele DJs streben, und spielte die Platten nur selbst, da es seine Wohnung und seine Anlage war. Er hatte das Gefühl, dass seine Rolle die eines musikalischen Leiters war, dass er die Musik als intuitive Antwort auf eine telepathische Verbindung mit den Tanzenden kanalisierte. Er schrieb mir einmal: “Sich der Herrlichkeit von Musik zu ergeben, ist eine gute Sache.”
David hasste den Spitznamen “Godfather of Disco”, der ihm in letzter Zeit so oft verliehen wurde. Nicht nur, weil er nicht hervorgehoben werden wollte, sondern weil er ihn auch für unzutreffend hielt. David spielte bereits vor der Disco-Bewegung Platten und seine langen musikalischen Reisen—die sich oft über zwölf Stunden erstreckten—beinhalteten Soul, Funk, R’n’B, Psychedelic Rock, Jazz, Dub und alles, was sonst noch zum Flow passte. Diese endlosen musikalischen Ausflüge hatten ruhige Passagen und Peaks, sie waren viel dynamischer und gefühlvoller als die engstirnigen, von BPM getriebenen und genrespezifischen DJ-Sets, die in der heutigen Clubmusik leider allzu verbreitet sind.
Das Publikum einer Loft-Party in New York, kurz nach dem letzten Song der Nacht. Foto von August GouletNatürlich hat er Platten gespielt, die heute als wichtige Platten des Disco-Kanons angesehen werden. Viele davon wurden zunächst im Loft getestet und dann durch den New York Record Pool an andere DJs weitergegeben—den ersten Plattenpool für DJs, den er 1975 mitgründete. Es kam auch vor, dass Davids etwas abseitigere Musikauswahl regionale Radio- und Clubhits hervorbrachte. Manchmal fanden sie sich sogar in den nationalen Charts wieder, so zum Beispiel der Song “Soul Makossa” des Kameruner Musikers Manu Dibango aus dem Jahr 1972.
Für David war der Klang allerdings genauso wichtig wie die musikalische Auswahl. Er war schon immer von Klängen der Natur inspiriert, doch erst als er ein Paar Klipschorn-Lautsprecher vom Soundsystem-Entwickler Richard Long kaufte, begann seine unbändige und entschlossene Suche nach klanglicher Perfektion. In den späten 1970ern stellte David mithilfe von Alex Rosner ein System zusammen, das besser war als alles andere zu dieser Zeit und das bis heute im Prinzip genau so noch funktioniert. Er gab Unmengen an Geld für diverse Klipschorns, Verstärker von Mark Levinson, Plattenspieler von Mitchell Cotter sowie handgefertigte Koetsu-Tonabnehmer aus—audiophiles Sound-Equipment, das die klangliche Reinheit ermöglichte, nach der David strebte.
Foto von Guillaume ChottinFür ihn ging es bei dieser klanglichen Perfektion darum, die Botschaft der Musik so zu übermitteln, wie der Künstler es sich gedacht hatte; unverändert und nicht gemixt. Er sagte oft zu mir: “Der Klang der Musik sollte der dominierende Faktor sein, nicht das Soundsystem zu hören.” Die Anlage des Loft wurde sowohl von DJ-Kollegen wie Francois K und Larry Levan als auch den Gästen selbst überwiegend als die beste angesehen. Produzent François Kevorkian—der für seine makellosen Mixe bekannt ist—schrieb vor Kurzem, dass er “ins Studio ging und mehr oder weniger gewisse Dinge bei einem Mix anstellte, weil [er] wusste, dass sie so gut über die Anlage im Loft klingen würden”.
David und ich kamen uns durch Klang und Musik näher. Ich fing vor 25 Jahren an, seine Loft-Partys auf der East 3rd Street zu besuchen; als ich 23 war. Nach ein paar Monaten brachte ich den Mut auf, ihn zu bitten, Platten in meiner Radiosendung Soul School auf WNYU zu spielen. Er fragte, ob wir uns erst unterhalten könnten. Wir gingen einen trinken und sprachen über die Synchronität und die nonverbale Kommunikation, die ein DJ mit den Tanzenden—oder in meinem Fall einem Radiopublikum—haben kann. Wir verstanden uns auf musikalischer Ebene, aber auch auf spiritueller Ebene.
In meiner Radiosendung spielte er das erste Mal außerhalb seiner Wohnung Platten. Kurz danach, 1993, lud er mich ein, ein paar Platten mit ihm im Loft zu spielen. Merkwürdigerweise belehrte er mich nicht über die Besonderheiten seiner Anlage, er vertraute mir einfach seine Koetsu-Tonabnehmer an, die tausende Dollar kosteten. Etliche Jahre später, nach einer ausgiebigen Audio-Mentorschaft von David, fragte ich ihn, warum er mir vor so vielen Jahren seine Anlage anvertraut hatte. “Man spürt den Vibe lange bevor jemand am Plattenspieler steht”, antwortete er.
Mancuso und die NYC-Loft-Familie bei der Party zum 46-jährigen Jubiläum am Valentinstag diesen Jahres. Foto von August GouletNachdem ich das erste Mal Platten im Loft gespielt hatte, bat er mich oft, mit ihm an den Decks zu stehen und manchmal auch ganz für ihn zu übernehmen, wenn er nicht da war. Als ich 1999 nach London zog, stellten er und ich die David Mancuso presents the Loft-Compilation-Reihe für Nuphonic zusammen. Nachdem ich London angekommen war, taten wir uns mit unseren Freunden Dr. Jeremy Gilbert und Tim Lawrence zusammen—letzterer ist der Autor von Love Saves the Day: A History of American Dance Music Culture 1970-1979, worin es um David und das Loft geht—und etablierten die Lucky Cloud Loft Party. David half uns, das Soundsystem für die vierteljährlich stattfindende Party zusammenzustellen.
Und so begann eine weitere Phase unserer Beziehung. David klärte mich über die HiFi-Komponenten des Soundsystem im Loft-Stil, das Tim, Jerry und ich gekauft hatten, auf: Die Effizienz von Horn-Lautsprechern, Positionierung der Lautsprecher, Verzögerungen, Gleichschaltung, Plattenspieler-Setup, Auflagekraft des Tonabnehmers, Psychoakustik. Die Liste lässt sich ewig weiterführen und ich habe Emails und handgeschriebene Notizen, die irgendwann zusammengestellt werden sollten.
David und Colleen während des Soundchecks. Foto von August GouletEr gab auch Lehren über soziale Verhaltensmuster weiter und wie Leute befähigt werden können, sich in einem Party-Umfeld selbst zu bestimmen—spirituelle und soziale Lehren, die in direktem Kontrast zum Hauptfokus der meisten Clubs stehen, nämlich Getränke zu verkaufen. Anstatt an den Konventionen des kommerziellen Clubgeschäfts festzuhalten, sah David die Party und den Dancefloor als heiligen Ort, an dem Leute “alles rauslassen” können.
Das Großartigste an David ist allerdings, dass er sein Wissen nicht für sich behielt. Er wollte es weitertragen und teilen, da er eine Vision für das Loft hatte, damit es nach seinem Ableben weiter existiert. Ich telefoniert am vergangenen Sonntag ein letztes Mal mit ihm, ein paar Tage vor seinem Tod. Neben vielen anderen Zukunftsplänen wiederholte er seine Idee, eine Loft Foundation ins Leben zu rufen, bei der eine ausgewählte Gruppe von uns dabei sein sollte. Er fand, dass es beim Loft nicht um ihn ging, sondern er nur der Verwalter war, und dass er einige von uns darauf vorbereitet hatte, die Fackel weiterzutragen.
David hat ohne Zweifel unser Leben verändert. Und noch wichtiger ist, dass sein Geist durch das Fortführen der Loft-Partys in New York sowie ihre direkten Nachfahren, die von David abgesegnet wurden, weiterlebt: Die Lucky Cloud Loft Party in London, Last Note in Rom und Satoru Ogawas Partys in Sapporo, Japan, die ein beinahe identisches Setup wie das Loft benutzen. Ich hoffe und glaube, dass die Loft-Partys und ihr Geist auch nach unserer Generation an Lofties weiterleben und die Wächter des Lofts sie an die nachfolgende Generation weitergeben. Darum kann sich nur jemand kümmern, der selbstlos ist. Und in der heutigen Zeit der ständigen Eigenwerbung ist nichts so rebellisch, wie selbstlos zu sein.
David Mancuso und Colleen Murphy. Foto von Dave Swindells. Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.
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