Über die letzten Jahre hinweg hat sich „der erste Fernsehauftritt“ als Initiationsritus für Indiebands erwiesen, die gerade dabei sind, in den Mainstream überzuwechseln—oder wenigstens endlich ihre Alltagsjobs aufgeben können. Durch Jimmy Fallons übersteigerten Hipnessanspruch und David Lettermans glaubhaftes Interesse an neuer Musik sind relativ unbekannte Bands mittlerweile regelmäßige Gäste in Late Night Shows geworden. Die Gruppen spielen dann einen kurzen Song und bekommen mit etwas Glück noch einen feuchten Händedruck. Danach werden sie wieder zurück in die Welt der Sterblichen entlassen und absolut niemand interessiert sich dafür, dass ihr letztes Album eine 8.7er Wertung bei Pitchfork bekommen hat.
Am 4. März klickte ich auf einen Link und sah einen dieser besagten Auftritte mit einer Band, die ich wirklich sehr mag. Vor ein paar Jahren hatte ich sie mal als Vorgruppe in einem mittelgroßen Schuppen gesehen, was die meisten Zuschauer ziemlich ratlos und verwirrt zurückließ. Ich war mir also nicht ganz sicher, was ich hier erwarten sollte. Als ich das Video dann sah, war ich überwältigt, wie perfekt sie ihre Bühnenshow im Fernsehen rüberbringen konnten. Das Video machte mir wirklich so gute Laune wie wenig andere Sachen an diesem Tag. Vor lauter Begeisterung schrie ich so laut „YES!“, dass meine Katzen verängstigt die Flucht ergriffen, und ich führte vor lauter Entzückung einen kleinen Schattenboxkampf auf. Ich postete meine Reaktion auf Tumblr und sie wurde hunderte Male geteilt. Das Gleiche passierte überall: Die Zahl der Future Islands-Beiträge auf sämtlichen Social Media-Plattformen schoss in die Höhe und tausende Menschen hatten plötzlich eine neue Lieblingsband. Marketingexperten zerbrechen sich seit Jahren den Kopf darüber, wie „viral gehen“ eigentlich funktioniert. Was auch immer das Geheimnis dahinter ist, Future Islands hatten es in dieser Nacht auf jeden Fall geschafft.
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Niemand, der die Band kennt, sollte wirklich davon überrascht sein. Jeder Auftritt, den ich bislang von der Gruppe sehen konnte, glich einer transzendentalen Erfahrung. Wenn der Sänger Sam Herring die Bühne in einem Outfit betritt, das am ehesten die Bezeichnung #dadcore verdient—meistens eine Khakihose und ein eingestecktes Polohemd—, wunderst du dich noch über den komischen Sonderling, der plötzlich vor dir steht. Dann beginnt die Musik und er dreht komplett durch. Diese Melodramatik, der die ganze Welt durch Letterman beiwohnen durfte, findet bei wirklich jeder einzelnen Show statt, die Future Islands jemals gespielt haben. Der Unterschied ist allerdings, dass du nicht nur von oben betrachtest, wie sich Herring auf die Brust schlägt und wild gestikuliert, du bist dann wirklich dabei; wenn Herring mit Tränen in den Augen auf seine Knie sinkt, trennt euch kein Bildschirm, sondern er schaut dich wirklich an. Es ist schwer, nicht von der Emotionalität seiner Darbietung ergriffen zu sein. Während die meisten Bandleader vor allem cool rüberkommen möchten, will Herring, dass du wirklich verstehst, worüber er singt, und mit ‚wirklich’ meine ich wirklich! Wenn es dazu diesen bizarren Tanzstil und die theatralischen Gesten braucht, dann werde ich ihn niemals daran hindern wollen.
Wir alle haben ein paar Bands, mit denen wir etwas sehr persönliches verbinden und bei denen es sich irgendwie falsch anfühlt, wenn sie einer breiteren Öffentlichkeit ausgesetzt werden—so irrational das auch sein mag. Vielleicht ist das so, weil so wenigen Bands, die den Sprung in den Mainstream schaffen, ein Fünkchen Aufrichtigkeit geblieben zu sein scheint. Der Erfolg von Future Islands in den letzten Wochen brachte genau dieses mulmige Gefühl in mir hoch. Auf eine gewisse Weise freue ich mich wirklich für diese vier Jungs, die in den letzten acht Jahren die ganze Welt in kleinen Vans bereist haben, um für eine wirklich ergebene Fanbase zu spielen. Sie schienen nie Ambitionen gehabt zu haben, reich oder berühmt werden zu wollen. Das macht es natürlich umso schöner, eine Gruppe, die es eindeutig verdient und so wenig daran gesetzt hat, mit einem solchen Erfolg gesegnet zu sehen.
Ursprünglich aus North Carolina leben Future Islands seit 2008 in Baltimore und sind eng vernetzt mit Wham City, dem einflussreichen von Dan Deacon gegründeten Kunstkollektiv. Die Szene um Wham City war immer für ihren Anspruch bekannt, Authentizität und Absurdität zu vereinen, und Future Islands sind ein perfektes Beispiel dafür. Die Szene ist außerdem von einem DIY-Ethos geprägt. Und auch das bewundere ich an Future Islands Laufbahn: Wenn möglich spielte die Band in den USA in kleinen All-Ages Venues und auch in Österreich waren sie schon zu Gast. Es ist traurig, darüber nachzudenken, dass es jetzt in den USA wahrscheinlich kaum noch Konzerthallen mit einer ähnlichen Atmosphäre gibt, die noch die Kapazitäten für die Band hätten. Diese besondere Atmosphäre, die dir ein Laden ohne vernünftiges Belüftungssystem aber mit billigen Getränkepreisen geben kann, in den alle deine Freunde dürfen, lässt sich nur schwer auf eine professionelle Konzertvenue mit riesigem Bühnengraben und eingehender Leibesvisitation am Eingang übertragen.
Zu sehen, wie die Band ‚meme-ifiziert’ wurde, indem plötzlich .gifs von Herrings Tanzstil das Internet fluteten, war eine befremdliche Erfahrung. Es ist zugegebenermaßen extrem unterhaltsam, ihn bei einer Show in Aktion zu sehen, aber richtige Fans sind dabei natürlich respektvoll. Es ist klar, dass du auf seiner Seite stehst und dich nicht darüber lustig machst. Es bereitet einem Sorgen, wenn man daran denkt, dass die Band zu einem Witz verkommen könnte oder vielleicht jetzt für immer als „die Band mit dem bescheuert tanzenden Sänger“ bekannt sein wird—vor allem wenn du siehst, dass der Humor, der in den .gifs übermittelt wird, nichts mit der eigentlichen Kunst von Future Islands zu tun hat. Die meisten ihrer Lieder handeln von extremer Traurigkeit, Schmerz und Sehnsucht—all dies verpackt in wunderschöne Texte—und einem Konzert beizuwohnen, hat mehr von einem kollektiven Exorzismus als einer lustigen Danceparty.
Die Meme-ifizierung von Future Islands, via NPR
Abgesehen davon ist es auch mal gut, daran erinnert zu werden, dass der kommerzielle Durchbruch deiner Lieblingsbands viele tolle Aspekte aber auch einige negative mit sich bringt. Mit das Beste daran, wenn eine Band es schafft, aus der Schublade der Obskuritäten auszubrechen, ist die Tatsache, dass sie einige andere sträflich unterbewertete Bands mit ins Rampenlicht befördern kann. Der Erfolg von Arcade Fire verhalf Owen Pallett dazu, sich von einem computerspielbesessenen Außenseiter zu einem Grammy-Anwärter zu mausern und Grimes Aufstieg zum Ruhm öffnete unsere Herzen für die wunderschöne Intensität der Musik von Majical Cloudz. Ich wäre nicht erstaunt darüber, wenn Future Islands etwas Ähnliches machen würden und ihre neue Bekanntheit dafür ausnutzen, um langjährige Freunde mit sich nach oben zu holen.
Wo wir schon dabei sind, wenn du auch zu den neugewonnen Fans gehörst, kann ich dir eine ganze Gruppe von Künstlern empfehlen, deren Genre ich jetzt einfach mal „Weird Male Pop“ getauft habe. Aus Future Islands Heimatort gibt es den Absurditätenrapper DJ Dog Dick und den virtuosen Gitarrenlooper Dustin Wong, sowie ihre regelmäßigen Tourbegleiter und Wham City Mitglieder Ed Schrader’s Music Beat. Ebenfalls aus den USA kommt John Maus, der seine extrem einzigartigen Kompositionen und Philosophien mit ebenfalls viel Hingabe und einem noch größeren Hang zur Selbstzerstörung darbietet. Auf der anderen Seite der Welt, in Australien, haben wir Kirin J Callinan, der die Konzepte von Männlichkeit ähnlich auf den Kopf stellt und mit seinen Performances perfekt in den gleichen liebenswürdig-abgeranzten Läden aufgehoben wäre. Nicht alle dieser Künstler sind bereit für einen Fernsehauftritt und manche werden es niemals sein. Aber die Tatsache, dass eine Band aus dieser Liga die Medienaufmerksamkeitslotterie gewonnen hat, sollte uns hoffen lassen, dass es da draußen im Reich der populären Musik immer noch einen Platz für unverstellte Sonderlinge und authentische Emotionen gibt.
Sophie Weiner ist Autorin und tanzt gerne vor ihren Katzen. Folgt ihr bei Twitter—@sophcw
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