Der amerikanische First-Reaction-König Big Quint hat sich für uns Deutschrap-Videos angesehen

Videos, in denen Leute ihre eigene Reaktionen auf Bewegtbild-Memes wie 2 Girls 1 Cup, Fail-Compilations oder erschrockene Kleinkinder filmen, sind seit Jahren ein fester Bestandteil des Internets. Auch Big Quint filmt sich bei seinen Reaktionen—aber nicht etwa auf kaum auszuhaltende Koprophagie oder schiefgegangene Stunts, sondern auf neue Rap- und R’n’B-Alben. Wann immer eine neue Platte erscheint, setzt Big Quint sich an seinen Schreibtisch, schaltet die Webcam ein, startet eine Listening Session und fühlt die Musik dabei so intensiv und verleiht seiner Begeisterung für das eben Gehörte Ausdruck, durch mimische, gestische, akustische und tänzerische Glanzleistungen, dass es eine wahre Freude ist, dem 27-jährigen Amerikaner dabei zuzusehen.

Wir haben Big Quint gebeten, euch das mal anhand von Deutschrap-Songs zu zeigen, die wir ihm extra dafür handverlesen haben. Mit dabei: Haftbefehl, Shindy, Gzuz & Maxwell und… Ach, seht einfach selbst!

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Seit Big Quint 2011 seinen YouTube-Kanal gestartet hat, wurde der von über 170.000 Nutzern abonniert und die dort veröffentlichten Videos bis heute über 17 Millionen Mal aufgerufen. Wie tickt ein Typ, der sich dabei filmt, wie er neue Musik hört, dazu seinen Schreibtischstuhl kaputtbumst und Unmengen an Fast Food isst? Wir haben mit Quint gesprochen.

Noisey: Erste, ernstgemeinte Frage: Wie bist du auf die Idee gekommen, dich beim Hören von Musik zu filmen?
Big Quint: Ich habe damals noch in Kalifornien gelebt und meine Freunde vom College und ich waren große Fans von The Weekend. Sein Mixtape House of Ballons war gerade erschienen. Wir haben es rauf und runtergehört und hatten richtig Bock auf die nächsten Releases von ihm. Meine Freunde wussten von meinen Reaktionen auf neue Filmchen aus dem Internet, Musikvideos oder einfach neue Musik und meinten, dass ich mich doch mal dabei filmen sollte. Ich meinte dann: “Wer zur Hölle soll sich das ansehen?”, aber sie meinten: “Film dich einfach und schneide die guten Momente hintereinander!”

Was war denn so besonders an deinen Reaktionen?
Ich weiß es auch nicht! Wenn ich Sachen höre oder ssehe, kommt das einfach aus mir heraus—insbesondere wenn ich mit meinen Freunden Zeit verbringe. Ich halte dann nicht an mich, sondern lasse es einfach raus. Mir ist egal ob Leute sagen, dass ich überreagiere—I’m just being myself.

Du spielst selber auch Klavier und hast zum Beispiel ein Cover von “Un-Thinkable” von Drake und Alicia Keys auf deinem Channel hochgeladen.
Mein Vater war schon immer ein Musikliebhaber und hatte eine große Vinylsammlung—da war viel Jazz aber auch obskurer Reggae und Avantgarde-Kram dabei. Meine Mutter war eine Pastorin, weshalb wir auch immer viel Gospel und Live-Musik gehört haben. Ich habe das alles schon als kleines Baby mitbekommen und habe scheinbar damals schon auf Musik reagiert. Ich liebe Musik einfach—insbesondere Rap und R’n’B.

Das erste Video war dann deine Reaktion auf das Thursday-Mixtape von The Weekend.
Ich hatte nicht vor, dabei so auszurasten. Ich hatte nämlich keine Shorts an. Aber ich habe das Mixtape so gefeiert, dass ich dann doch einfach aufgesprungen bin. Den Moment habe ich anfangs noch rausgeschnitten, mir beim Schneiden aber so den Arsch abgelacht, das ich es doch dringelassen habe. Die Reaktionen auf das Video waren extrem, ein paar Blogs haben darüber berichtet und The Weekend hat es auf seiner damaligen Tumblr-Page veröffentlicht—ich hatte vorher schon ein paar Vlogs gemacht, aber bei dem Video habe ich gemerkt, dass das vielleicht etwas Großes werden könnte. Damals ging ich noch aufs College und habe dann relativ schnell viele Videos gemacht, auch eins über “Take Care” von Drake—und das war der Punkt, an dem es richtig losging und ich tatsächlich so etwas wie Fans bekommen habe.

Hörst du die Musik wirklich zum allerersten Mal, wenn du dich filmst?
Ja, definitiv! Ich habe vorher noch keinen einzigen Ton gehört. Mittlerweile ist das echt ein Problem geworden, weil ich fürchte, dass die Fans sich die Reaktion auf ein Album wünschen und ich dann unvoreingenommen reinhören muss. (lacht) Ich glaube aber, dass diese allererste Reaktion der Grund ist, warum die Leute meine Videos so mögen—weil ich ihnen eben zeige, wie ich mich in genau diesem Moment fühle.

Aber heutzutage nicht irgendwo mal einen Song zu hören, ist doch in Zeiten von Leaks wahnsinnig schwierig, oder?
Ja, definitiv. Das ist ein richtiger Spießrutenlauf. Auch, weil ich nichts über die Songs lesen will.

Du betonst immer wieder, dass du dir keine Leaks anhörst. Wo bekommst du die Songs und Alben her?
Ich höre sie auf Spotify. Wenn es die Alben dort nicht gibt, dann kaufe ich sie. Leaks höre ich nicht, weil ich die Künstler und ihre Musik unterstützen möchte, so gut ich kann. Auch wenn Spotify seine Künstler nicht sonderlich gut bezahlt, ist es immerhin etwas.

Wie läuft der Dreh für ein Video denn genau ab?
Ich bin ganz ehrlich: Als allererstes gehe ich noch mal richtig schön scheißen, weil ich mich wirklich voll und ganz auf die Musik konzentrieren will. Dann setze mich an den Schreibtisch, schalte meine Kamera an und hoffe, dass es ein gutes Album wird. Das hoffe ich wirklich bei jeder Platte, die ich höre. Dann lasse ich die Musik einfach auf mich wirken—und dann kann eigentlich alles passieren. Zum Beispiel auch, dass ich mir Tee in den Schoß kippe, eine Lampe umfällt …

… oder dein Stuhl unter dir zusammenkracht.
Haha, ja, ein bisschen Schwund ist immer – ich weiß gar nicht mehr genau, was da passiert ist. Ich glaube, ich habe einfach ein paar Trockenfick-Bewegungen mit ihm gemacht und er ist auseinandergefallen. Ich bin kein ganz leichter Typ und da kann das schon mal vorkommen. Der Stuhl war eh schon ziemlich im Arsch und ich konnte mir einen neuen kaufen.

Es gibt ja so ein paar Reaktionen, an denen man merkt, dass du den Song richtig feierst. Was muss alles stimmen?
Der Beat ist extrem wichtig, aber die Lyrics sind es auch. I’m a bass guy! Wenn ich also einen gut gemasterten Bass auf deinem Song höre, dann hast du mich schon. Wenn du dazu auch noch etwas Gutes erzählst, drehe ich richtig ab. (lacht) Es kann aber auch sein, dass der Rapper kompletten Unsinn erzählt und ich es feiere. Nimm zum Beispiel The Life of Pablo von Kanye West: Er rappt auf dem Alben ein paar schreckliche Zeilen—aber die Beats sind okay und er macht halt sein typisches Kanye-Ding. Aber dann war da dieser Song „Freestyle 4“, der irgendwie ganz anders ist. Kanye klingt auf dem Track irgendwie besoffen—und in Kombination mit dem Beat ist das einfach eine extreme Mischung. Genau so der Moment in dem Future auf “Father Stretch My Hands Pt. 1” den Satz “If young Metro don’t trust you I’m gon’ shoot you…”—ich wusste nicht mal, dass Metro Boomin an dem Song mitgearbeitet hat und dementsprechend fassungslos habe ich darauf reagiert. Aber genau um solche Sachen geht es!

Was muss passieren, damit du zu einem Song tanzt? Das ist ja immerhin noch nicht so oft vorgekommen.
Ich muss den Song einfach fühlen. Wenn er mir etwas gibt, dann tanze ich dazu—ganz egal ob er funky, langsam oder schnell ist. Es geht ums Genießen!

Haben deine Nachbarn sich eigentlich jemals über die laute Musik oder dein Geschrei beschwert?
(lacht laut und lang) Überraschenderweise nicht! Als ich noch aufs College ging, hat mein bester Freund direkt unter mir gewohnt und manchmal mit einem Besen gegen die Decke geschlagen, um mich zu ärgern. Aber ansonsten hat sich noch nie jemand beschwert. Die meisten wissen eh, dass ich wieder eines von meinen Videos drehe.

Du isst während der Videos auch immer sehr gerne. Was denn am liebsten?
Wenn du dich bewegst, kostet das Energie—da muss also etwas nachkommen. (lacht) Eine ganze Zeit lang habe ich nur Truthahn-Sandwiches, aber damit musste ich aufhören. Mittlerweile esse ich einfach das, was ich gerade in der Küche finden kann: Cerealien, Sandwiches, Hot Dogs. Manchmal fahre ich vor den Videos aber noch schnell los und hole mir frisches Barbeque-Fleisch.

Welches Set-up benutzt du für die Videos?
Bis vor Kurzem habe ich noch einfache, alte Kamera von Samsung benutzt, die ziemlicher Schrott war. Ich verdiene nicht gerade das große Geld. Klar wächst der Channel—aber ich muss irgendwie auch meine Rechnungen bezahlen. Also habe ich meine Fans erst bei Twitter gefragt, ob sie mir Geld für eine neue Kamera spenden würden—und dann schließlich einen echten Spendenaufruf gestartet. Mein Ziel waren 1500 Dollar, mittlerweile sind wir bei über 3000 Dollar und ich werde mein Set-up nach und nach ausbauen. Meine Lautsprecher sind von Isignia und im Gegensatz zu der Kamera schon ziemlich ordentlich. Geschnitten werden die Videos mit einem ganz einfachen Schneideprogramm. Das war es eigentlich schon. Mein Vater meinte neulich zu mir, jetzt, wo ich Videos drehen würde, bräuchte ich doch einen vernünftigen Hintergrund. (lacht) Er hat zwar recht, aber andererseits mag ich den einfachen Look der Videos auch sehr gerne—und die optischen Lücken fülle ich halt mit meiner Persönlichkeit. (lacht)

Wie lange schneidest du an einem Video?
Puh, ewig. Im Schnitt sind es vier Stunden—aber es kann auch einen ganzen Tag dauern. Ich setze mich hin, fange an und dann kommt wieder irgendetwas dazwischen. Ich schneide ja nicht einfach nur die guten Reaktionen hintereinander, sondern muss aus Copyright-Gründen auch darauf achten, dass nicht zu lange Passagen der Songs zu hören sind. Um da nicht in Schwierigkeiten zu kommen, zeige ich nur die Highlights meiner Reaktionen. Aber im Grunde ist alles cool. Viele Künstler wie zum Beispiel Danny Brown schreiben mir, dass sie die Videos feiern.

Gab es auch schon Beschwerden von Plattenfirmen?
Ja, schon. Bei einem Drake-Song habe ich mal ein Snippet des Songs verwendet und es war nicht direkt Teil meines Videos, sondern lief als Soundspur—da habe ich eine Verwarnung bekommen. Das kann manchmal vorkommen. YouTube hat ja diese “Fair Use”-Richtlinien zur angemessenen Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material und ich bewege mich da in einer Grauzone. Ich bewerte die Musik ja und klaue sie nicht von jemandem. Deshalb finde ich, YouTube sollte die Richtlinien überarbeiten, weil sie ziemlich veraltet sind—denn neben mir gibt es noch zig andere YouTuber, die ganz ähnliche Sachen machen. Aber so oder so zeige ich nur so viel wie möglich vom Song, den Rest sollen die Leute sich selber anhören und ihre eigene Meinung bilden. Aber deshalb muss ich eben sehr präzise schneiden und es dauert manchmal ein wenig, bis ein neues Video erscheint.

Die Leute fordern in den Kommentaren ja auch ständig neue Videos von dir.
(seufzt und lacht) Das lässt sich nicht vermeiden. Es gibt natürlich viel mehr Alben als Reaktionen von mir. Aber ich denke, ich bilde den Geschmack der Leute schon ganz gut ab und versuche, nach und nach Video zu allen wichtigen und aktuellen Alben zu machen—aber die Zeit ist echt ein Problem, weil ich eben ganz normal arbeiten muss.

Kommen Plattenfirmen oder Künstler manchmal auch auf dich zu und wünschen sich, dass du in deinen Videos auf ihre Musik reagierst?
Auf jeden Fall. Ich habe das einmal gemacht, aber die Labels verlangen natürlich, dass man das Album gut findet—deswegen mache ich das nicht mehr. Ich will die Videos drehen, weil ich die Musik liebe und nicht, weil mich jemand dafür bezahlt, dass ich sie gut finde. Ich bekomme ein bisschen Geld durch die Werbung von YouTube und alles ist cool. Was ich aber definitiv machen möchte, sind Videos, in denen ich mir Musik von Newcomern anhöre, um ihnen damit zum Durchbruch zu verhelfen.

Hörst du eigentlich auch neue Musik und filmst dich dabei nicht?
Ja, wenn ein Album schon eine ganze Weile draußen ist oder niemand Interesse daran hat, dann mache ich das ab und an—zuletzt bei Sound & Colour von den Alabama Shakes. Das Album war unglaublich und ich verstehe gar nicht, dass es die Leute nicht interessiert hat.

Auf welche Alben freust du dich denn dieses Jahr noch?
Ich warte seit Ewigkeiten auf ein neues Album von Frank Ocean. Er ist einer meiner Lieblingskünstler und ich höre channel ORANGE immer noch so, als ob es gerade eben erst erschienen ist. Außerdem brauche ich endlich Views From The 6 von Drake.

Gibt es noch andere YouTuber, die sich bei ihren Reaktionen auf Rap-Musik filmen?
Ich bekomme immer wieder Mails von Fans, in denen sie mir Videos von anderen Leuten zeigen und sagen, dass die mich kopieren würden. Kann sein, dass sie von mir beeinflusst oder inspiriert sind—aber ich finde, niemand macht es so wie ich. Reaction-Videos sind gerade einfach das Dingen.

Was ist denn eigentlich das Interessante daran, jemand anderem bei seinen Reaktionen auf Musik, Filme oder lustige Internetfilme zu beobachten?
Haha, vielleicht finden die Zuschauer es spannend, sich mit jemandem und dessen Reaktionen auf etwas zu identifizieren? Aber um ehrlich zu sein hab ich keine Ahnung! (lacht)

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