Der amerikanische Albtraum, aus dem die Insane Clown Posse entstanden ist


Am 21. Februar stank der historische Freimaurertempel von Detroit nach Gras, Schweiß, abgestandenen Softdrinks und Deo-Stick. Das Juggalo-Parfüm nebelte die Location ein, die mit ihrer goldenen Decke und dem roten Teppich mehr für eine Schwanensee-Aufführung geeignet schien als für weiße Rapper in Clownsschminke.

Die Atmosphäre auf Konzerten der Insane Clown Posse hat immer etwas von einem infernalisch-christlichen Wanderprediger-Spektakel, doch ein gewöhnliches ICP-Konzert und der Juggalo Day, das sind zwei Paar Clownsschuhe. Dieses Jahr erinnerte die jährliche Gratis-Show in der ICP-Heimat, bei der Konserven für Tafeln gesammelt werden, an den Blutbad-Rave aus Blade, nur mit dem Zuckerwasser Faygo Moon Mist anstelle von Menschensaft. Verzückte ICP-Fans wanden sich gemeinsam bei ihrem Brause-Abendmahl und schrien „Whoop whoop”, während Violent J, Shaggy 2 Dope und ihre Bande kryptischer Clown-Tänzer mit der Art Swagger, die man nur in den schlimmsten öffentlichen Schulen der USA lernt, die Bühne unsicher machten.

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Für Außenstehende sah der Juggalo Day im besten Fall wie eine peinliche Angelegenheit und im schlimmsten Fall wie eine gefährliche aus. Das FBI stuft Juggalos momentan als US-weite Bande ein. Nach 26 Jahren des Musikmachens und internationalen Tourens sind ICP heute noch genau so kontrovers wie damals, als das inzwischen nicht mehr bestehende Magazin Blender sie als die schlechteste Band der Geschichte bezeichnete. Auch wenn die Juggalo-Familie noch nie größer oder stärker war, ihre musikalische Kunstfertigkeit sowie der Zusammenhalt in ihrer Subkultur werden selten geschätzt. Doch die Clowns produzieren unbeirrt weiter Musik für ihre Horden besessener Fans abseits des Mainstreams.

Letzte Woche brachte die Gruppe ohne großes Aufhebens ihr neuestes Album, The Marvelous Missing Link: Lost auf den Markt. Obwohl die Platte es sofort unter die Top 10 der iTunes-HipHop-Albumcharts schaffte, gab es keine Rezensionen auf Pitchfork.com oder Kurzprofile im neuesten New Yorker. Wenn die Band überhaupt Presse bekommt, dann ist sie meist schrecklich negativ und kurz. Jeder respektable Rapkritiker, den ich auf ICP ansprach, weigerte sich, für diese Story einen Kommentar beizusteuern, denn die Band sei, um es mit dem Wort eines Autors zu sagen, „irrelevant”. Und natürlich hat auch jede Nachrichtenquelle, diese hier eingeschlossen, bereits jemanden auf Events wie den Juggalo Day geschickt, um die Freaks zu begaffen und die Band und ihre Anhänger als Zurückgebliebene darzustellen.

Ich nahm allerdings auf dem Juggalo Day nicht an den klebrigen Bacchanalien teil. Stattdessen war ich Backstage mit ICPs (fürs Rap-Gewerbe) kleinem Gefolge aus Familie und Freunden. Und von dort aus sah das Ganze auch nicht aus wie ein Haufen tollwütiger Fanatiker, die Idioten bewundern, während diese zuckrige Softdrinks preisen. Es sah vielmehr aus wie ein Uhrwerk. Roadies bewegten sich synchron auf die Bühne, um heiße Scheinwerfer vor Brausespritzern zu schützen und neue Requisiten und Effekte vorzubereiten. Hintergrund-Clowns lösten sich ab wie Tag-Team-Wrestler, alles nach einem strikten Zeitplan. Es war, als würden diese Detroiter Schwachmaten eine gestörte Version von Miss Saigon aufführen.

„Alles basiert auf Einsatzsignalen, die [Violent J und Shaggy 2 Dope] festgelegt haben”, sagte ein Hintergrund-Clown.

„Wir treten gerade auf, also müssen sie von alleine wissen, wann sie herauskommen sollen, wann sie wieder gehen müssen, wann sie zu Boden gehen und wann sie Faygo werfen—alles synchron”, sagte mir Violent J. „Wie die Backstreet Boys.”

Für eine wichtige Show wie den Juggalo Day halten ICP und ihre Clown-Crew vorher eine Woche lang jeden Tag in einem Lagerhaus in Farmington Hill, Michigan, strapaziöse Proben ab. Sie üben Kostümwechsel, choreographieren Tänze, proben Auftrittssignale und perfektionieren ihre Faygo-Sprühtechnik. Es ist wie eine karnevalistische Version der strengen Probenpläne, die einst Motown-Künstler befolgten—passenderweise ist das erste Hauptquartier der Plattenfirma nur etwa 10 Minuten von dem Ort entfernt, an dem Violent J und Shaggy ICP gründeten.

ICPs Arbeitsmoral und intensive Vorbereitung waren entscheidend dabei, sie von einer zweitklassigen Detroiter Rapgruppe in die Anführer ihrer eigenen Subkultur zu verwandeln. Das ist eine Leistung, die fast keine andere Band in der Geschichte amerikanischer Populärmusik geschafft hat, außer vielleicht The Grateful Dead.

Das Juggalo-Dasein ist für Zehntausende Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich aus verschiedenen Gründen machtlos fühlen, zum Lebensstil geworden. Wie eine bedreadlockte Juggalette namens Sarah mir am Juggalo Day sagte: „ICP ist für junge Leute, die nirgends anders reinpassen. Wir sind eine Familie. Du fühlst dich gut … du kannst du selbst sein.”

Der Lebensstil der Juggalos dreht sich nicht einfach nur darum, die makabren Texte von den Dutzenden ICP-Alben auswendig zu lernen. Er dreht sich auch darum, die Spielfilme der Gruppe so oft anzusehen, dass man jedes Wort kennt, und all die anderen gesichtsbemalenden Künstler auf ihrem Label Psychopathic Records (das jährlich mehr als 10 Millionen Dollar einfahren soll) zu unterstützen. Es geht darum, Faygo zu trinken, bis das Diabetesrisiko schon fast an Sicherheit grenzt. Es geht darum, Events wie den Juggalo Day und das Gathering of the Juggalos zu besuchen, wo Berichten zufolge Zehntausende Menschen sich jedes Jahr vier Tage lang versammeln, um mutmaßlich Tila Tequila mit Scheiße zu bewerfen, einer Kleinwüchsigen dabei zuzusehen, wie sie behinderten Veteranen Lapdances gibt und bei ICP-Klassikern wie „Please Don’t Hate Me (Eminem’s Mom)” mitzusingen. (Textzitat: „Please don’t hate me, but I been fucking your mom loose lately.”)

Das jüngste Werk der verrückten Clownstruppe ist das zweiteilige Album The Marvelous Missing Link: Lost, das sich um Glauben dreht, denn Violent J zufolge ist ein Leben ohne Glauben etwa so wie „mit Sonnenbrille auf der Nase im Schatten der Depression zu leben. Ganz egal, wie das Wetter auch ist, es ist immer düster und scheiße.”

Das ist eine seltsame Haltung für eine Gruppe, die dafür bekannt ist, dass sie „unangemessene” Musik produziert, die so anstößig ist, dass ICPs zweiter großer Plattenvertrag Ende der 1990er aufgelöst wurde. Doch ich wusste schon immer, dass an ICP mehr dran ist, als man auf den ersten Blick erkennt, weswegen ich mich auch nach Detroit, der Geburtsstätte der Juggalos, aufmachte. Ich musste erforschen, wie sie es zu einem der meistgehassten und erfolgreichsten Phänomene der Popkultur gebracht haben.

Die Innenstadt von Detroit sieht aus wie Bagdad mit Schnee. Fensterlose, sechststöckige Gebäude, wohin man sieht. Restaurants haben Sicherheitspersonal mit kugelsicheren Westen, Polizeihubschrauber kreisen Tag und Nacht wie Geier am Himmel über der Stadt und ständig heulen in der Ferne die Sirenen auf.

Dennoch sind ICP stur optimistisch, was ihre Stadt angeht. Als ich das Duo im Hauptquartier von Psychopathic Records in der Vorstadt Farmington Hills kennenlernte, 35 Kilometer vom Stadtkern entfernt, versicherten sie mir immer wieder, dass die „Motor City” auf dem aufsteigenden Ast sei—eine Aussage, die für mich zunehmend unverständlich wurde. Ich dachte mir die ganze Zeit: „Wenn das hier also der aufsteigende Ast ist, wie zum Teufel sah es dann während ihrer Kindheit aus?”

Shaggy 2 Dope und Violent J, deren bürgerliche Namen Joseph „Joey” Utsler und Joseph Bruce sind, wuchsen in den 1970ern zusammen in verschiedenen schlecht situierten Vierteln außerhalb von Detroit auf. Zu dieser Zeit befand sich die Stadt im wirtschaftlichen Sturzflug, Weiße betrieben in Scharen Stadtflucht und wichtige Institutionen wie Motown und Industriebetriebe zogen in lukrativere Gegenden. Gewaltverbrechen in der Innenstadt erreichten einen grausigen Höhepunkt: Für den Großteil der Dekade gab es mehr als 1.000 Morde jährlich. Diese beklemmende Gewalt war für J und Shaggy selbst in ihrer Kindheit Teil des Alltags. In seiner Autobiografie, Behind the Paint, beschrieb Violent J, wie er auf dem Weg in die Schule eine nackte Frau sah, die „mit gefesselten Händen aus einem Haus rannte”. Die Frau war laut J gerade vergewaltigt worden.

Die Biografie beschreibt auch die Schwierigkeiten, die Violent J in seinem Elternhaus hatte. In einem Kapitel namens „Leben mit dem Teufel” beschreibt er, wie sein Stiefvater, den er beim Pseudonym „Lester the Molester” nennt, ihm an den Penis griff, als er ein kleiner Junge war.

(Violent J stand für Kommentare zum Thema seines Missbrauchs im Kindesalter nicht zur Verfügung. Die Publizistin von Psychopathic Records schrieb mir in einer E-Mail: „Bitte sehen Sie für Violent Js Ansichten zu diesem Thema in seine Autobiografie Behind the Paint … Viele Namen wurden aus rechtlichen Gründen geändert, doch Jumpsteady [Violent Js Bruder] kann bestätigen, dass alles sich so zugetragen hat wie im Buch beschrieben.”)

Violent J erinnert sich auch daran, wie die zwei Enkel seines Stiefvaters gelegentlich zu Besuch kamen. Eines Tages, so schreibt Violent J, sagte einer der Enkel: „Lasst uns Sex haben” und befahl ihm, sich auszuziehen und sich auf den Bauch zu legen. Zu jener Zeit wusste Violent J nicht einmal, was Sex war. Er sagt, er habe sich geweigert, das Zimmer verlassen und es seinem Bruder, Jumpsteady, gesagt. Laut dem Buch jagte Jumpsteady die Enkel aus dem Haus.

„Jetzt, wo ich ein ausgewachsener alter Knacker bin, ist alles ganz anders”, schreibt Violent J. „Wenn ich die müden Knochen [meines Stiefvaters] jemals wiedersehe, dann bring ich ihn um.”

Weiterhin beschreibt er im Buch, wie er später, im Teenageralter, von einem Freund in den Garten eines verlassenen Hauses geführt wurde. Der Freund holte seinen Schwanz heraus und befahl Violent J, ihn zu lutschen. Violent J schreibt, er habe angefangen zu weinen und dann einen Holzscheit entdeckt. Er habe sich herabgebeugt, als ob er dem Befehl nachkommen wollte, sich den Holzscheit gegriffen, ihn auf seinen Freund geworfen und sei dann weggerannt.

„Solche Erinnerungen können dich dein Leben lang verfolgen”, schreibt er. „Mir ist klar, dass alle da draußen ihre eigenen schrecklichen Erinnerungen haben. Ich bin damit nicht alleine. Ich halte es für das Beste, wenn die Leute anderen Ninjas von ihren schrecklichen Erinnerungen erzählen, denn früher oder später wird deine schreckliche Erinnerung vielleicht zu einer lustigen Geschichte und du kommst so viel besser mit ihr klar.”

Dieses Motto zieht sich offensichtlich wie ein roter Faden durch ICPs Werk—man denke nur an die unzähligen humorvollen Songs über das Töten von Kinderschändern. Und auch wenn J in seiner Jugend missbraucht wurde, hat er offensichtlich glückliche Erinnerungen an seine Kindheit, vor allem, nachdem er und Shaggy in der Grundschule beste Freunde wurden. Ihre Freundschaft war für beide die eine Konstante zu einer Zeit, als ihre Familien Schwierigkeiten damit hatten, über die Runden zu kommen.

„Es gibt viele Juggalos da draußen, die alleine in solchen schwierigen Umständen aufgewachsen sind. Sie hatten es nicht leicht, bis sie [ICP] fanden.” —Violent J

Sie entwickelten einen guten Draht zueinander, weil beide so verdammt arm waren und keine Vaterfigur in ihrem Leben hatten. Das Fehlen einer männlichen Bezugsperson hatte vor allem auf Shaggy Auswirkungen: Er verfiel früh Alkohol und Drogen, zum Teil einfach, weil niemand in seiner Umgebung stark genug war, um ihn aufzuhalten.

„Niemand hat das gepackt. Ich war ein Säufer”, sagte Shaggy 2006 in einem Interview mit Howard Stern, in dem er darauf einging, wie schlimm sein Alkoholismus wurde, nachdem ICP ihren Durchbruch hatten. „Ich gerate immer noch in Keilereien. Das einzige Problem mit der Nüchternheit ist, jetzt erinnere ich mich daran.”

Als mittellose Kinder besaßen sie jeweils nur ein Hemd und zwei Paar Hosen, was sie bei ihren Klassenkameraden zu Zielscheiben machte. Andere Kinder verarschten sie ständig für ihre Armut und behandelten sie wie Loser. Eines Tages während ihrer Zeit in der Middle School entschieden sie, dass sie genug gehabt hatten: Sie machten das Losertum zu ihrem Stil und nannten sich „die Floobs”.

„Wir können es cool machen, nichts zu haben”, beschloss Violent J. Er und Shaggy fingen an anzugeben. Wenn sie ihre klapprigen Räder die Straße entlangradelten, schrien sie: „Wir sind die Floobs!” Es ähnelte vermutlich sehr der Szene auf dem Juggalo Day, wo ich hörte, wie Juggalos der Welt mit dem Ruf „Family!” trotzten und damit ihre Einheit als stolzer Abschaum verkündeten.

Etwas aus nichts zu machen, wurde zu einem zentralen Thema in ihrer Musik und in der Kultur, die sich darum bildete. Irgendwann schrieben sie Songs über Billigschuhe, als seien sie von Margiela, und Oden an übergewichtige Frauen, wie man sie sonst über Rihanna & Co. hört. „Viele fette Mädels wussten das zu schätzen”, scherzte Violent J mir gegenüber, doch er sieht ICPs Mission als eine sehr ernste. „Es gibt viele Juggalos da draußen, die alleine in solchen schwierigen Umständen aufgewachsen sind”, sagte er. „Sie hatten es nicht leicht, bis sie [ICP] fanden.”

Jeder Juggalo, dem ich am Juggalo Day begegnete, machte ähnliche Aussagen. Wenn sie erzählen, wie sie dazu kamen, sich als Juggalo zu bezeichnen, klingen sie wie Homosexuelle, die über ihr Coming-out sprechen. Man wird nicht zum Juggalo, man wird als Juggalo geboren. Bevor sie durch ICP lernten, dass sie zur Juggalo-Familie gehörten, fühlten sie sich wie Ausgestoßene. Sie waren selbst für die Punks und die Comic-Nerds zu fett, zu hässlich und zu arm. Die Juggalo-Kultur gab ihnen eine Identität, verwandelte das Stigma des Loser-Lebens in etwas, auf das man stolz sein konnte. Oder, wie Violent J es formulierte: „Heute ist jeder ein Floob.”

In ihren späten Teenagerjahren wurden die Floobs zu einer richtigen Gang: die Inner City Posse. Sie „waren alle bisher im Leben Loser gewesen, und die ganze Gang-Geschichte gab uns einen Vorwand, Loser zu sein”, schreibt Violent J in seiner Autobiografie. Die meisten Banden kochen Meth oder betreiben Prostitutionsringe, doch sie taten stattdessen einfach „furchtbare Dinge”, wie zum Beispiel Prostituierte mit Ziegelsteinen ins Gesicht schlagen. Die Gang führte sich aber auch auf wie eine Gruppe blutrünstiger Robin Hoods. „Ich hasste die Reichen”, schrieb Violent J. „Wir fuhren einfach durch [die wohlhabende Vorstadt] Birmingham und prügelten reichen Kids die Scheiße aus dem Leib.”

Violent J war zu beschäftigt damit, auf den Straßen Chaos zu stiften, um Rap ernst zu nehmen. Erst als er mit 18 aufgrund eines fehlgeschlagenen Autodiebstahls für 90 Tage hinter Gitter musste, fing er an, Reime zu schreiben. Als er freikam, beschloss er, sich keine weiteren Schwierigkeiten einzuhandeln und sich der Musik zu widmen. Er nahm ein Tape auf, das Enter the Ghetto Zone hieß, und nannte sich zum ersten Mal Violent J. Shaggy liebte es und fing an, mit ihm zu rappen.


Alle in der Detroiter Rap-Szene entwickelten irgendwelche Gimmicks, um sich einen Namen zu machen. Kid Rock verkleidete sich als Cowboy. Esham behauptete, er würde Satan anbeten. Und ICP schminkten sich die Gesichter wie Clowns.

Das Duo verbrachte Stunden damit, Songs aufzunehmen, Flyer zu verteilen und Plattenladenbetreiber anzubetteln, ihre Alben zu verkaufen. Sie liebten die Arbeit und Violent J hoffte, eines Tages musikalisch so viel zu erreichen wie seine Idole Michael Jackson und Brian Wilson, der „so hart an diesem Scheiß arbeitete, dass er verrückt wurde.” Allerdings musste er für dieses Arbeitsethos einen gewissen Preis bezahlen: „Ich musste jede Menge Dinge opfern, die normale 19-, 20-, 21-Jährige gerne machen, wie in Clubs gehen, nach Mädchen Ausschau halten und feiern”, sagte Shaggy.

Die früheste Inkarnation der Inner City Posse rappte hauptsächlich darüber, Blödsinn zu machen. Erst als Violent J und Shaggy Ende der 1980er in Houston, Texas, die Rap-Gruppe Geto Boys hörten, fingen sie an, sich dafür zu interessieren, Musik zu machen, die sowohl vom Gangsterdasein als auch von Horrorfilmen inspiriert war. Anfang der 1990er schrieben viele Detroiter Rapper Reime über das Leben auf der Straße, also entwickelten alle in der Szene irgendwelche Gimmicks, um sich einen Namen zu machen. Kid Rock verkleidete sich als Cowboy. Esham behauptete, er würde Satan anbeten. Und ICP schminkten sich die Gesichter wie Clowns.

Violent J behauptet, er habe die Idee mit der Clownsschminke von Gott.

VIDEO: Er ist vielleicht nicht so ein G, aber makaber kann Nick Cave auch.

„Der Dark Carnival kam in unser Leben und fing an, uns Ideen zu liefern. Anfangs verstanden wir es noch nicht, aber wir sagten uns, tun wir’s—und wir taten es”, sagte mir Shaggy.

Die Bedeutung hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt, doch der Dark Carnival ist im Grunde das Universum, in dem der Mythos der Insane Clown Posse spielt. Genauer gesagt geht es um „das Töten von rassistischen Menschen und das Töten von Pädophilen”, wie Violent J es Rolling Stone gegenüber erklärte. So gesehen ist es ein Sinnbild über Urteil und Strafe, eine Art Fegefeuer-Themenpark, in dem die Bourgeoisie und die Unterdrücker und die Gewalttätigen endlich die Quittung für ihr Handeln kriegen.

„Wir drücken in unserer Musik viel Wut aus. Ein großer Teil dieser Wut ist immer noch sehr real. Es ist einfach leichter, es auf einer Platte zu sagen, und auf diese Weise hören es viel mehr Leute”, sagte Violent J mir gegenüber. „Wenn wir davon sprechen, einen Kinderschänder zu töten, dann hat das seine Gründe. Das ist echte Wut. Wir wünschten, wir könnten einen Kinderschänder töten, also tun wir es auf den Alben.”

Das kann man in den Songs eindeutig nachvollziehen, zum Beispiel in „Piggy Pie” von 1997 oder „To Catch a Predator” von 2010, eine Rachefantasie, in der ein Kinderschänder gefoltert und geköpft wird. In der Welt des Dark Carnival sind dies die Menschen, für die es keinen Platz gibt.

„Vielleicht wird es nicht genau so aussehen wie in meiner Vision, aber da draußen ist etwas, das auf uns zukommt, und es wird alle Seelen verschlingen, die nicht rein sind”, schreibt J in seiner Autobiografie.

Das Urteilen und Töten übernehmen im Dark Carnival eine Mannschaft von extrem gewalttätigen fiktiven Figuren. Sie haben ominöse Namen wie The Great Milenko oder The Ringmaster, werden mit grimmigen Fratzen dargestellt und haben alle besondere Kräfte. Jede hat ihre eigene „Joker Card”, die auf dem Cover des jeweiligen Konzeptalbums der Figur zu sehen ist. ICP schlossen ihr erstes Kartendeck 2004 mit sechs Karten ab und sind nun mit The Marvelous Missing Link: Lost/Found Era beim dritten Album ihres zweiten Decks.

„Normalerweise ist die Botschaft der Joker Card eher versteckt und der Unterhaltungsfaktor ist wichtiger”, erklärte mir Violent J. Aber: „Die Botschaft [von The Marvelous Missing Link] ist mehr als deutlich: Finde Hoffnung.”

„Kein Rapper da draußen, und es ist mir scheißegal, von wem wir sprechen, könnte tun, was [ICP] getan haben. Sie haben eine Bewegung ins Leben gerufen.” —DJ Paul

Inzwischen ist es nicht zu verwunderlich, wenn ein Thema wie Hoffnung den Kern eines ICP-Albums bildet. Als sie 2001 Island Records verließen, um in Zukunft auf ihrem eigenen Label Psychopathic Records zu veröffentlichen, brachten sie The Wraith: Shangri-La heraus (das erste Album der letzten Karte des ersten Joker-Decks). Der letzte Track auf dem Album, „Thy Unveiling”, schockierte Außenstehende und sogar langjährige Fans mit den letzten Zeilen der ersten Strophe:

„When we speak of Shangri-La, what do you think we mean? / Truth is we follow God, we’ve always been behind him. / The Carnival is God, and may all Juggalos find him!”

Manche Juggalos fühlten sich betrogen: Waren ICP schon immer religiös? Zwar haben der Guardian und andere Quellen die Gruppe als christlich bezeichnet, doch ICP haben dies als falsch abgestritten. Sie hätten einfach ihre Musik um eine tiefgründige Botschaft bereichern wollen, um den Juggalos, ihren Mit-Floobs, zu sagen, dass es selbst in der Apokalypse noch Hoffnung gibt. Der Schock-Faktor half auch dabei, weitere Aufmerksamkeit zu sichern.

„Wir sind das Gegenteil einer Band wie U2, die sagen können: ‚Wir machen jetzt ein paar Jahre Pause, Jungs.’ Die Scheiße können wir nicht abziehen. Wir sind underground”, sagte Violent J mir gegenüber. „Wir versuchen immer, relevant zu bleiben—wir kämpfen darum, genug Krach zu machen, der die Blicke der Leute auf uns zieht. Es ist schwierig, wenn du underground bist und du keine Hits im Radio hast und diesen ganzen Kram.”

Die Kühnheit zahlte sich aus. Heute brummt der Laden bei Psychopathic Records und ICP sind eine Institution in der US-amerikanischen Kulturlandschaft. Sie haben mehr Nummer-Eins-Alben laut den Billboard-Charts der besten Indie-Alben verkauft als die Yeah Yeah Yeahs oder die White Stripes. Die Fangemeinde der Band vergrößert sich ebenfalls stetig. Am Juggalo Day traf ich sogar Juggalos der zweiten Generation, die von Juggalo-Eltern großgezogen wurden.

„Ich denke nicht, dass andere Rapper überhaupt in einer Position sind, ihre Meinung zu ICP zu sagen, denn ICP tritt ihnen allen in den Arsch”, sagte der Three-6-Mafia-Gründer und HipHop-Legende DJ Paul. „Kein Rapper da draußen, und es ist mir scheißegal, von wem wir sprechen, könnte tun, was sie getan haben. Sie haben eine Bewegung ins Leben gerufen. Für [das Gathering of the Juggalos] schlafen die Leute drei Tage am Stück in ihren Autos oder auf der Wiese. Mir fällt kein anderer Rapper ein, der das kann. Du brauchst mehr als nur ein paar gute Songs und ein [paar] Millionen verkaufte Platten, um das hinzukriegen. Sie hatten einen genialen Plan.”

ICP betreiben Psychopathic Records aus einem zweistöckigen Backsteinbau in Farmington Hills, einer Vorstadt von Detroit. Es ist ihre eigene gestörte Version des Motown-Hauptquartiers, das den Spitznamen „Hitsville, USA” trug.

Shaggy rauchte eine E-Zigarette und führte mich zusammen mit Violent J herum. In einem Büro im Erdgeschoss zieren Fotos von Fans die „Karma Wall”.

„Hinter jedem Bild steckt eine Geschichte”, sagte Shaggy. „Es gibt Bilder von normalem Scheiß—die High-School-Fotos und Babyfotos der Leute—aber es sind auch total unterhaltsame Sachen mit dabei. Es würde da nicht hängen, wenn es jemandem hier nicht etwas bedeuten würde.”

Im Obergeschoss sind die Büros des CEO von Psychopathic Records, Bill Dail, den ICP als Kinder kennenlernten, und Jumpsteady, Violent Js Bruder. Dail hält im Büro die Stellung während die Gruppe auf Tour und im Studio ist, und Jumpsteady hilft dabei, wichtige Botschaften an die Juggalo-Familie zu vermitteln. „Juggalos lieben Jumpsteady und vertrauen auf sein Wort,” sagte Violent J.

Violent J und Shaggy haben Psychopathic Records auf der Grundlage traditioneller, familiärer Werte gebaut, was angesichts ihrer eigenen Erfahrungen in der Kindheit erstaunlich ist. Sie stellen Familienmitglieder oder alte Freunde ein und beide Rapper nehmen ihre Frauen und Kinder mit auf Tour und halten unterwegs in dem beliebten Kinderrestaurant Chuck E. Cheese, um die Kleinen bei Laune zu halten. Die Zeiten, in denen sie auf den Putz hauten und mit „Tausenden” Frauen schliefen, liegen weit hinter ihnen—Shaggy ist sogar komplett clean.

„[Nüchtern sein] macht für das Touren keinen Unterschied, weil wir niemals wirklich die Art Tour hatten, wo wir Rockstars außer Rand und Band waren”, sagte mir Shaggy. „Heute ist das auch einfach nicht mehr so attraktiv. Nach einer Show sind wir verdammt müde.”

Um ihr Erbe zu wahren, haben sie einen Konferenzraum in eine Lagerstätte für all ihre Andenken verwandelt. Silberne Metallregale und Kleiderstangen enthalten 25 Jahre ICP-Geschichte: falsche Polizeiuniformen, Zombiemasken, Mönchskutten, Affenkostüme—die Liste ist endlos. Von dem Zimmer führt eine Treppe hinunter in ein riesiges Lager. Hier sind die Fanartikel untergebracht, die sie online verkaufen. Die meisten Bands verkaufen T-Shirts schlechter Qualität, doch ICP Merch deckt das gesamte Spektrum von Shirts bis hin zu hochwertiger Streetwear ab. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hippe Fashion-Stores ebenfalls Höschen mit der Aufschrift „Psycho Bitch” oder lilafarbene Pullis mit „Faygo” auf dem Rücken anbieten.

Der wichtigste Raum im Gebäude hat allerdings nichts mit Online-Verkauf oder Kleidung zu tun: das Aufnahmestudio. Sie nennen es „The Lotus Pod”. In diesem holzvertäfelten Studio haben sie den Großteil ihrer Meisterwerke aufgenommen.

„[The Lotus Pod] ist das Mekka von Psychopathic Records”, sagte mir Violent J.

„Das hier ist der Ground Zero, wo die Magie produziert wird”, fuhr Shaggy 2 Dope für ihn fort. „Genau hier in diesem Gebäude, da kommt der Krach her.”

An den Wänden sehe ich die Ergebnisse dieses Krachs: eine gerahmte goldene Schallplatte für The Amazing Jeckel Brothers und eine Platintafel für The Great Milenko. Diese Errungenschaften und ihre Familienfestung in Farmington sind weit entfernt von ihrer Vergangenheit voller Gewalt und Leid als Streunerkinder auf den dreckigen Straßen der Motor City. Die Tafel steht für all die unermüdliche harte Arbeit, die sie in ihre Kunst investiert haben.

„Es ist mehr wie ein Lebensstil als Arbeitssucht”, fügte Shaggy hinzu. „Arbeit ist in gewisser Weise unser Leben.”

Mit den zwei neuen Alben, die sie dieses Jahr veröffentlichen, The Missing Link: Lost und The Missing Link: Found, wollen sie der Juggalo-Community beibringen, auf eine bessere Zukunft zu hoffen.

Und wer könnte diese Botschaft besser verbreiten als Violent J und Shaggy 2 Dope? Schließlich waren sie vor den Floobs, vor The Great Milenko, vor dem Gathering und bevor Faygo zum Weihwasser der weißen Unterschicht wurde, einfach nur zwei arme Kinder, die sich gegen die Gefahren des bandenverseuchten Detroit und das Trauma des Missbrauchs verbündeten.

„Wer kann schon sowas [wie Hoffnung] schlechtmachen? Wer kann etwas dissen, das Menschen Hoffnung gibt?”, fragte mich Violent J. „Und das ist es, wovon wir sprechen— hab Hoffnung im Leben.”