Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan verkündeten die Taliban, rigoros gegen die florierende Opium-Industrie des Landes vorgehen zu wollen. Dabei scheint sich die islamistische Terrorgruppe aber erstmal auf die vielen süchtigen und verarmten Drogenkonsumierenden zu konzentrieren.
Bewaffnet mit Peitschen und Gewehren zogen Taliban-Kämpfer Anfang Oktober in Afghanistans Hauptstadt Kabul in Richtung des Stadtteils Guzargah. Dort trieben sie an einem berüchtigten Drogenumschlagplatz unter einer Brücke 150 Menschen zusammen – viele davon obdachlos und süchtig nach lokal produziertem Heroin und Methamphetamin.
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Journalisten der Associated Press hielten die Maßnahmen in erschreckenden Bildern und Interviews fest. “Das sind unsere Landsmänner, sie gehören zu unserer Familie, in ihrem Inneren sind sie alle gute Menschen”, sagte einer der Taliban-Kämpfer. “So Gott will, werden die Angestellten im Krankenhaus sie gut behandeln und sie heilen.”
Zuerst verbrannten die Taliban die Habseligkeiten der Drogenabhängigen, danach brachten sie die Männer in Kabuls größte Drogenentzugsklinik: das Avicenna Medical Hospital for Drug Treatment. Dort wurden die Neuankömmlinge ausgezogen und gewaschen, anschließend rasierte man ihnen die Köpfe.
“Das ist erst der Anfang”, sagte Taliban-Kommandant Qari Ghafoor. “Bald werden wir die Farmer ins Visier nehmen und sie nach dem islamischen Scharia-Gesetz bestrafen.”
Laut Schätzungen von Suchtberatern, die in Kabul arbeiten, gibt es dort zwischen 100.000 und 150.000 Menschen, die sich Heroin spritzen. Viele von ihnen sollen außerdem süchtig danach sein, Methamphetamin zu rauchen oder zu injizieren. Die Droge wird inzwischen auch in Afghanistan hergestellt – aus dem Bergkraut Ephedra – und in die ganze Welt exportiert.
Die Klinik war früher eine US-Militärbasis. 2016 folgte die Umwandlung in eine Klinik, seitdem wird dort ein 45-tägiger Entzug für bis zu 1.000 Patienten angeboten. Die Opioide, mit denen die Heroinsucht bekämpft werden soll – etwa Buprenorphin oder Methadon –, gehen inzwischen aber immer mehr zur Neige, und die Angestellten haben seit Juli kein Gehalt mehr bekommen.
Mat Southwell, ein britischer Berater für Drogensucht-NGOs in Afghanistan, besuchte 2018 die Avicenna-Klinik, als sie noch von der damaligen Regierung geleitet wurde. Gegenüber VICE sagt er: “Die Patienten dort werden im Grunde gekidnappt und drei Monate lang eingesperrt. Sie werden kaum medizinisch behandelt, auf ihre Bedürfnisse geht man nicht ein. Nach der Entlassung fangen sie direkt wieder an, Drogen zu nehmen.”
“Das ist ein brutaler Ort, der von bewaffneten Wachen umgeben ist. Man kommt sich vor wie in einem Konzentrationslager, weil den Leuten dort der Kopf rasiert wird und sie Pyjamas tragen müssen. Als ich dort war, redete ich mit einem afghanischen Soldaten, der beim Drogenkauf eingesammelt worden war. Er hatte Angst, dass man ihn wegen Fahnenflucht bestrafen würde”, sagt Southwell.
Laut Southwell gingen Kämpfer des aktuellen Regimes auch gegen Drogenkartelle vor, sie würden Drogendealer-Hotspots in Kabul niederbrennen, um das Angebot zu reduzieren. Die Taliban erlaubten aber immer noch Methadon-Behandlungen in drei afghanischen Städten, darunter auch Kabul. Der Berater hofft, dass die islamistische Terrorgruppe Drogenabhängigen weiterhelfen wird: “Wir müssen uns mit den Taliban darüber unterhalten, wie man das Thema Drogenabhängigkeit am besten angeht. Wollen sie dafür berüchtigt sein, Menschen am Rande der Gesellschaft gnadenlos zu verfolgen, oder wollen sie eine Regierung sein, die ihren hilflosesten Bürgerinnen und Bürgern die richtige Behandlung bei der Drogensucht ermöglicht?”