Die Absurdität von Dingen lässt sich meistens ganz gut daran messen, wie man sie einem Außerirdischen (oder einem zeitreisenden Ritter aus dem Mittelalter) erklären würde. Im Fall von Christkindlmärkten lautet eine solche Erklärung: „Stell dir vor, in den reichsten Teilen der Welt stellen sich Menschen in der kältesten Jahreszeit des Jahres auf öffentliche Plätzen, wo ihnen die Zehen abfrieren, und kompensieren die fehlende Wärme, die sie in ihren Wohnungen fast gratis haben könnten, indem sie gemeinsam völlig überteuertes alkoholisches Zuckerwasser inhalieren, in dem Gewürze und Bröckchen des Vorabends schwimmen.”
Wahrscheinlich muss man gar nicht von besonders weither kommen, um die Skurrilität der Gesamtsituation zu erfassen—und da rede ich noch nicht mal von Lebkuchenherzen mit der Spritzguss-Aufschrift #YOLO oder davon, dass die Ausschankmethode aus gigantischen Bottichen mit Bröckchen-Treibgut selbst dem härtesten Ritter aus dem Mittelalter eine Spur zu unhygienisch gewesen wäre.
Videos by VICE
Für mich waren Christkindlmärkte schon als Kind ein Gruselkabinett aus allem, was ich nicht ausstehen kann—beschissenem Spielzeug, betrunkenen Pensionisten, Bratwürsten mit Sauerkraut, ständigem Harndrang, nervigen Volksmusik-Kapellen und so viel verschüttetem Punsch auf dem Boden, dass sich Gehen anfühlt, als würde man mit Magnetschuhen auf der Außenseite eines Raumschiffs entlanglaufen. Wenn wir Christkindlmärkte besuchten, waren sie meistens der elende letzte Zwischenstopp auf dem Weg vom Einkaufen nachhause—was irgendwie passt, weil zuerst wir Kinder im Bällebad herumtollen und später unsere Eltern auf der Glühweinwelle dahinschwimmen durften, was irgendwie dasselbe ist.
Hinzukommt, dass das Zeitfenster, um Christkindlmärkte von ihrer Schokoladenpunschseite zu erleben, nur zirka so lange geöffnet ist wie ein durchschnittliches Stargate oder die Spendenfreudigkeit der Österreicher während der Licht ins Dunkel-Gala: Vor 18:00 Uhr ist es noch nicht dunkel und belebt genug, um die volle Magie dieser dunstigen Orte zu spüren, und nach 20:00 Uhr sind die Punschstände bereits voll mit der Art von Menschen, die das restliche Jahr über in Tankstellen-Bistros mit sich selbst über die Mehrwertsteuer und die Situation in Syrien und dem Irak fachsimpeln.
Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) sind Christkindlmärkte ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen Seele, sobald es draußen kalt und dunkel wird und wir jedes Jahr wieder vom Wintereinbruch überrascht sind, als wären wir zum ersten Mal aus Peru zu Besuch.
Ja, Christkindlmärkte sehen nur 2 Stunden am Tag gut aus und riechen die restliche Zeit wie der Atemalkohol eines Wiener Rotlicht-Strizzis—aber dasselbe trifft im Winter irgendwie auf uns alle zu.
Ja, Christkindlmärkte sind absurde Orte voller Kitsch, Grind und sentimentaler Klebrigkeit—aber nichts wäre absurder, als ein Winter ohne all diese Sachen, wo es zwischen November und Jahresende noch weniger Möglichkeiten gäbe, seine gepflegte Winterdepression auf sozial akzeptierte Art und Weise in Hochprozentigem zu ertränken.
Und ja, der Glukose-Glühwein-Geruch, der an den Christkindlmarkt-Hotspots die Öffis durchweht, ist ohne eigenen Damenspitz und/oder Flachmann nur schwer zu ertragen—aber andererseits bedeuten mehr alkoholische Straßenbahn-Dünste auch, dass die Leute zumindest weniger Auto fahren, was auch mit der Unfallstatistik des Innenministeriums korrespondiert, der zufolge Alkoholisierung als Todesursache weit abgeschlagen hinter überhöhter Geschwindigkeit (30,6 Prozent), Vorrangverletzung (17,7 Prozent), Unachtsamkeit/Ablenkung (12,2 Prozent), Überholen (9,4 Prozent) und Fehlverhalten von Fußgängern (7,8 Prozent) zurückliegt (mit nur 4,4 Prozent).
Egal, ob ihr zu denjenigen gehört, die ab Ende November jeden Abend mit funkelnden (und ein bisschen glasigen) Augen vor der Punschhütte eures Vertrauens Schlange stehen und sich mit fünf pickigen Punschtassen in den Händen zwischen Skijacken-Schultern hin und her flippern lassen, oder ob für euch Christkindlmärkte und Glühwein-Stände und blinkende Kinderkarusselle sowas wie der erste Höllenkreis sind—wenn ihr euch ehrlich seid, ist ein Winter, der ausschließlich von der erfrischenden Farbpalette von Aschgrau über Ocker bis Blassbeige dominiert wird, definitiv schlimmer.