Beginnen wir diesen Text mal mit einem Sprung ein paar Jahre zurück. Sagen wir mal—völlig willkürlich—ins Jahr 2009. Stellen wir uns vor, wir hätten als Mensch des Jahres 2009 das dringende Bedürfnis nach einem sehr guten Cafe Latte, einem mindestens so guten Burger, einem exzellenten Gin-Tonic und Craft Beer gehabt. Dafür hätte der Mensch des Jahres 2009 wahrscheinlich drei bis vier Gastronomiebetriebe nacheinander besuchen müssen. Der Mensch des Jahres 2016 muss dafür mit ein bisschen Glück nur an eine Adresse.
Megatrends ziehen sich durch alle Preissegmente und betreffen früher oder später jeden, wenn auch nicht im selben Ausmaß.
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Was hier so klingt wie der Beginn einer Teleshopping-Sendung, ist die Beschreibung eines Megatrends der Gastronomie. “Megatrend” heißt paradoxerweise, dass er im Großen und Kleinen auf so breiter Basis kontinuierlich voranschreitet, dass man es es oft gar so nicht bemerkt. Wie ein Raum, dessen Temperatur alle fünf Minuten um ein halbes Grad erhöht, bis man sich plötzlich fragt, warum es eigentlich so heiß geworden ist. Megatrends ziehen sich durch alle Preissegmente und betreffen früher oder später jeden, wenn auch nicht im selben Ausmaß.
Der Mensch, inbesondere in den Avantgardemilieus der Großstädte, gibt heute Geld anders aus als im Jahr 2009. Die Marketingmenschen bezeichnen ihn als “Concept Consumer”. Überspitzt gesagt, wollen wir heute nicht mehr in einen Buchladen, danach in einem Restaurant essen und danach in einer Bar trinken. Sondern alles unter einem Dach. Und am besten dazu noch die Möbel kaufen, auf denen wir konsumieren.
Das hat Einfluss auf den Einzelhandel. Man kann jetzt an die zahlreichen hipsterigen Concept Stores denken, wo man zum bolivianischen Biokaffee Designergewand einkaufen und Kunst ignorieren kann. Aber das ist nur ein einzelner, recht auffälliger Aspekt des Ganzen. Dazu gehören im Kleinen auch die zahlreichen Kaffeemaschinen, die in fast jedem Laden Einzug gehalten haben. Oder die Tatsache, dass heute kaum eines der neuen Wiener Burgerlokale (sei es “Said the Butcher to the Cow”, sei es “Rinderwahn”, sei es “It’s all about the meat, Baby”) ohne eine ausführliche Gin-Karte auskommt, die auch prominent beworben wird. “Viele Restaurants, die eröffnen, haben auch eine Bar beziehungsweise eine Cocktailkarte. Umgekehrt bieten viele Bars auch eine kleine Food-Auswahl an”, sagt Jan-Peter Wulf, Gastro-Journalist aus Berlin. “Die Grenzen verschwimmen zwischen diesen beiden Segmenten immer mehr.” Das ist eben nicht mehr nur das namenlose Bier zum Burger. Das ist mehr. Und der DJ ist heute sowieso überall obligat.
Tatsächlich stehen Produkte, die sich an ein breites Publikum wenden, aber noch Qualitätsstandards haben, vor einem gewaltigen Problem.
Das hat es natürlich früher schon gegeben. Man denke nur an das phil, man denke an Das Möbel. Aber es nimmt—auch durch die Durchdringung mit Smartphones—dramatisch zu. Der “Concept Consumer Index” ist vor allem für technologiegetriebene Volkswirtschaften wie die USA, Singapur und Japan hoch. Aber auch Deutschland ist relativ weit oben. Für Österreich gibt es keine Zahlen, aber man kann davon ausgehen, dass es nicht allzu weit vom großen Nachbarn stehen dürfte.
Übrigens funktioniert das Modell (heutzutage) nur mit sehr außergewöhnlichen oder sehr günstigen Produkten. “Niemand will die Mitte”, ist ein geflügeltes Wort unter den Marktforschern und Marketingbeauftragten. Tatsächlich stehen Produkte, die sich an ein breites Publikum wenden, aber noch Qualitätsstandards haben, vor einem gewaltigen Problem. Man denke da im Journalismus an General-Interest-Magazine wie NEWS oder Stern, bei den Bekleidungsmarken an S.Oliver oder Esprit. Diese zu vermarkten, wird immer schwieriger. Deshalb haben auch Warenhäuser wie Karstadt—the orginal concept store quasi—kaum noch Zukunft.
Clubs machen mehr
Das macht natürlich alles nicht vor dem Nachtleben halt. Denken wir mal darüber nach, was die elektronische Clubszene in den letzten Jahren auf eine Metaebene geprägt hat. Das waren zum einen die Festivals. Die meisten von uns hatten 2015/2015 öfter in der Sonne ein Bier zu Techno in der Hand als im Jahr 2008. Festivals sind, zumindest auf einer globalen Skala, der Megatrend in der elektronischen Musikszene. Marktforscher nennen das “Eventisierung”: Menschen halten Konsum zu “normalen” Zeiten zurück, um ein, zwei Mal im Jahr so richtig die Sau rauszulassen. Zum anderen nehmen in den meisten Clubs die Aktivitäten außerhalb der Kernzeiten zu. Kaum einer, der heute nicht Konzerte abhält, Flohmärkte veranstaltet oder Raum für Lesungen, Screenings oder Foodie-Events bietet.
Ein Trend, den auch Katharina Seidler, Redakteurin bei FM4 und seit Jahren Clubkolumnistin, sieht. “Ich glaube unbedingt, dass sich diese Entwicklung auch in Wien immer mehr beobachten lässt”, sagt Seidler. “Die Wiener gehen auch tagsüber gerne tanzen oder socializen, und die Lokale merken das.” Lokale mit Außenbereich wie das Fluc oder das Celeste würden den Griller anwerfen, andere auf die vermehrte Programmierung von Festivals setzen, und wenn es sich nur um eine lose Verbindung einzelner Abende handelte. Am deutlichsten sähe man das an der Grellen Forelle und der Pratersauna.
“Die Wiener gehen auch tagsüber gerne tanzen oder socializen, und die Lokale merken das.”
Die Forelle ist da tatsächlich ein gutes Beispiel. Der Club an der Spittellauer Länder ist heute eine relevante Konzertlocation, vor allem im HipHop-Bereich. Auch wenn die Pläne, den Clubraum zu verkleinern und mit einem Restaurant zu ergänzen, vorerst auf Eis liegen, wird das “Nebengeschäft” außerhalb der Kernzeiten immer relevanter. “Durch unser erweitertes Angebot, welches sich zu einem großen Teil aus Konzerten zusammen stellt, können wir monatlich den Umsatz um zehn bis 15 Prozent steigern”, sagt Geschäftsführer Johannes Piller.
Auch in der Pratersauna hat sich seit der Übernahme durch Martin Ho, der sich ohnehin eher als Gastronom denn als Clubbetreiber sieht, die Wichtigkeit von Tagesevents und Essen erhöht, was im angrenzenden VIEiPEE eh schon immer der Fall war. Und von der anderen Seite drängen wiederum Player wie das Heuer hinein, eigentlich klare Gastrobetriebe, die aber auch so etwas wie Partys anbieten.
Wo geht die Reise hin?
Das Gefühl täuscht also nicht. Wir geben heute mehr Geld für Konsum außer Haus aus, es fließt nur nicht mehr unbedingt in die Kanäle, in die es früher geflossen ist. Und natürlich wollen vor allem Unternehmen wissen, wohin es heute wandert und in fünf Jahren wandern wird. Wenn sich in den USA das Geschäft um ein paar Prozentpunkte von Geschäftsmodell A zu Geschäftsmodell B verschiebt, sind das Abermilliarden von Dollar. Wer das nicht frühzeitig erkennt, riskiert den Konkurs.
Bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) versucht man diesen Fragen mit dem “GfK Trinkpanel” zu Leibe zu rücken. Mehr als 2000 repräsentativ ausgewählte Teilnehmer tragen darin ein, was sie wann, wo und in welchen Ausmaß auswärts konsumiert haben. Das ist nicht ganz repräsentativ für 82 Millionen Deutsche, aber zumindest mehr als 30 Millionen. Für das Erkennen von Trends ist das völlig ausreichend.
Dank diesem Panel weiß man zum Beispiel relativ genau, dass der Getränke im Vorbeigehen—der Coffee to Go, das Wegbier—in den letzten Jahren massiv angezogen haben. Oder dass die Morgenstunden sehr viel relevanter für die Gastronomie geworden sind. Und anderes, was man sonst nur fühlen kann. “Wir stellen fest, dass die Gastro zunehmend von Speisen getragen wird und reine Trinkgastronomie abnimmt”, sagt Alexander Schwarz von der GfK. “Wir sehen außerdem grundsätzlich eine Entwicklung von der Nachtgastronomie in den Tagessektor.”
“Da sterben Geschäftsmodelle.”
Das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Im Jahr 2013 konsumierten die Teilnehmer des Panels 32,3 Prozent der Getränke außer Haus in der “Clubkernzeit” zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr. 2015, zwei Jahre später, waren es nur noch 27,8 Prozent. Das klingt jetzt nicht so dramatisch. Aber diese Verschiebungen sind in zwei Jahren passiert. Und auf den deutschen Markt gerechnet sind das Milliarden, die von den klassischen Clubs wegwandern. Ein GfK-Mitarbeiter benutzte dafür auf der Berliner Clubkonferenz “Stadt Nach Acht” im November (der Autor dieses Textes war zu dieser Konferenz von den NEOS Wien eingeladen worden) drastische Worte. “Da sterben Geschäftsmodelle.” Andere blühen andere auf, viele verändern sich. Und oft eben irgendwas dazwischen.
Verschieben, Verkleinern, Verändern
Es gibt also neben dem einen Clubsterben, von dem wir in Wien periodisch immer dann reden, wenn zwei zusperren, auch noch ein anderes. Das langsame Aussterben des klassischen Geschäftsmodell “Club”, der Donnerstag- bis Samstagnacht Musik und Getränke anbietet. Das gilt genauso für den coolen, sorgsam kuratierten elektronischen Club im urbanen Raum wie die Großraumdisco am Land. Das heißt nicht unbedingt, dass die Räumlichkeiten, die Namen oder die Macher verschwinden. Aber das sich ihre Konzepte verändern. Und wenn sie es nicht tun, dann in der Folge eben auch die Clubs selbst.
Das waren jetzt, wenn man das klassische Clubmodell liebt, eine Menge schlechter Nachrichten. Das müssen sie aber gar nicht sein. Zum einen kann man es—je nach Standpunkt—durchaus als Differenzierung oder notwendiges Übel betrachten. Die Clubs hören ja nicht mit ihrem klassischen Modell auf, sondern ergänzen es. “Ich sehe das alles als positive Entwicklung”, sagt Seidler. “Je mehr Leute, denen die normalen Kernzeiten von Clubs nicht zusagen, die Orte durch diese neuen Veranstaltungen kennenlernen und dort zusammenkommen, desto besser.” Und selbst wenn nicht, kann man immer noch pragmatisch drangehen: Besser ein gelegentlicher Second-Hand-Markt im Lieblingsclub, als wenn irgendwann aus dem Club eine Tiefgarage wird.
Und es gibt noch eine gute, versöhnliche Nachricht. Erstens können sich auch Megatrends wieder umkehren, eh klar. Nicht innerhalb von ein paar Monaten, aber grundsätzlich natürlich. Zweitens reden wir, wenn wir von “Clubs” reden, ja meist von urbanen Avantgardemilieus. Also von den “oberen 20 Prozent”, in denen ein wenig andere Regeln gelten als in der breiten Masse. Dort machen die Megatrends nicht halt, aber es gibt dort immer noch Raum zum Überleben für Nischen. Es wird auch in Zukunft Clubs geben, die nur mit ihrem Kernangebot überleben. Das zeigt ja das Beispiel Berlin sehr gut. Es werden halt nur weniger werden. Dementsprechend ist das Clubsterben aus dem Titel zum Glück auch ein wenig zu relativieren. Es ist weniger ein Sterben als ein Verschieben, ein Verkleinern, ein Verändern. The times, they are a-changin.
Header via Flickr | Travis Wise | CC BY 2.0
Jonas auf Twitter: @L4ndvogt
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