Der Drogentod des Essener Clubgängers hätte wohl verhindert werden können

Bereits vergangene Woche berichteten wir vom Tod eines 27-Jährigen in Essen. Er starb vermutlich an einer zu hoch dosierten oder verunreinigten synthetischen Droge. Die Polizei warnte anschließend drastisch, Konsumenten und deren Angehörige wie Freunde sollten die Wirkung genommener Drogen genau beobachten: “Wenn jemand scheinbar normal schläft, wecken Sie ihn auf!”, sagte der zuständige Polizeisprecher. Mittlerweile haben die Beamten den mutmaßlichen Dealer in Bochum festgenommen. Diese Maßnahme aber wird das Problem nicht lösen. Denn Clubgänger, die während einer Party oder daheim Drogen konsumieren, können nicht sicher sein, was genau in ihren von Dealern verkauften Drogen ist—und wie hoch der Wirkstoff selbst bei nicht verunreinigten Pillen oder Pulvern dosiert ist.

Im Falle von Essen ist nicht bekannt, welche Pillen der Tote zu sich genommen hatte. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass es sich um die in der Region seit Monaten im Umlauf befindliche Superman-Pille handelt. Diese enthält statt des üblichen Ecstasy-Wirkstoffs MDMA PMMA und zwar satte 160 mg davon. Solche Dosen können letztendlich zu Überhitzung, Kreislaufproblemen, Atemnot bis hin zu Herzstillstand oder Organversagen führen. Zudem setzt die Wirkung von PMMA erst später ein als MDMA, weshalb Nutzer Gefahr laufen, vorab nachzulegen—und so die Dosis noch weiter erhöhen.

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Der Tod des Mannes wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf, wie in Zukunft verhindert werden kann, dass Menschen aufgrund von verunreinigten oder hochdosierten Drogen sterben. Mit Drug Checking könnte man dabei die Gefahr für drogenaffine Partybesucher deutlich verringern. 

“Wer Drogen konsumieren will, lässt sich von Verboten nicht davon abhalten”

Bei dem sogenannten Drug-Checking werden synthetische Drogen chemisch analysiert, um Reinheit, Zusammensetzung und Wirkstoffgehalt zu ermitteln. Bei uns, in Frankreich oder der Schweiz gibt es Drug Checking (CheckIt​), in Deutschland bisher nicht. Hier ist es kriminalisiert. Das, so findet zum Beispiel Die Linke NRW, müsse sich ändern. “Wer Drogen konsumieren will, lässt sich von Verboten nicht davon abhalten”, wird Jasper Prigge, der NRW-Sprecher der Partei, in einer Pressemitteilung zitiert. Es sei “oftmals völlig unklar, welche Substanzen überhaupt gerade in Ecstasy-Pillen verarbeitet wurden”, so Prigge weiter. Die Linke NRW forderte daher, dass Möglichkeiten zur Untersuchung solcher Substanzen zu schaffen.

Allerdings könnte Drug Checking auch die Arbeit von Notärzten und Sanitätern erleichtern. Deutlich weniger Konsumenten würden eine zu hohe Dosis oder verunreinigte Substanzen nehmen—das ist jedenfalls die Hoffnung. Simon, der seinen Nachnamen nicht verraten möchte, ist pro Monat drei bis vier Mal als Notfallsanitäter in Duisburg und Essen unterwegs. “Hauptberuflich arbeite ich in einem Essener Krankenhaus und habe da auch viel mit Drogenkonsumenten zu tun, weil quasi alle Essener Diskotheken im Einzugsbereich meiner Klinik liegen.” Einer Einführung von Drug Checking würde er generell begrüßen. Drug Checking, so sagt Simon, trage zur Sicherheit bei. Allerdings bezweifelt er, dass den Konsumenten die Risiken von synthetischen Drogen so bewusst sind: “Ich glaube, das Problembewusstsein ist unter den meisten Konsumenten nicht gegeben.” Wie viele Konsumenten das Angebot von Drug Checking annehmen würden, hält er allerdings für fraglich.

Beim Innenministerium in NRW sieht man die Lage hingegen komplett anders. “Das sogenannte ‘Drug-Checking’ führt zu einer trügerischen Scheinsicherheit”, beantwortete Pressesprecherin Nadja Kwasny eine Noisey-Anfrage. “Denn bestimmt werden kann dadurch lediglich, ob der jeweilige Wirkstoff enthalten ist. Nicht aber der Reinheitsgehalt. Das bedeutet: Ob möglicherweise noch andere giftige Stoffe enthalten sind oder der Reinheitsgrad so hoch ist, dass die Gefahr einer Überdosis besteht, kann gerade nicht festgestellt werden.” Außerdem sei der Umgang mit illegalen Drogen im Betäubungsmittelgesetz geregelt. “Änderungen, also auch Legalisierungen, kann nur der Bundestag beschließen.”

Gefährlich sind nicht nur Verunreinigungen, sondern auch hohe Dosen und Fehlinformationen

Das ist gleich doppelt fragwürdig, wenn nicht gar falsch. Zwar stimmt es, dass normale chemische Drogentest-Kits gerade bei Pillen und Pulvern mit den besonders risikobehafteten Kombinationen aus MDMA und PMMA versagen. Allerdings können sie reine Pillen durchaus unterscheiden und Massenspektrometer, wie sie seit einigen Jahren in Europa bereits eingesetzt werden, decken sehr zuverlässig Unregelmäßigkeiten in der Zusammensetzung auf. Zudem können in Deutschland tatsächlich die einzelnen Bundesländer selbst über die Mengen-Regelung das Drug Checking erlauben. Erste Ansätze dafür gab es bereits in Hessen, Berlin, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Drug Checking würde Konsumentinnen darüber hinaus auch auf besonders reine und besonders hoch dosierte Ecstasy-Pillen aufmerksam machen, die unter Namen wie “Defcon” oder “Cry Later” über 200 bis sogar 400mg MDMA beinhalten. Dabei warnen Beratungsstellen regelmäßig, dass bereits mehr als 120mg ernsthafte Nebenwirkungen und Folgeschäden nach sich ziehen können.

Ein Infovideo des Global Drug Survey über Pillentests

Beim Innenministerium verliert man darüber allerdings kein Wort, stattdessen heißt es in der Antwort: “Produzenten und Dealer strecken die Drogen häufig, um ihre Gewinne zu maximieren. Beimengungen und Verunreinigungen stellen ein großes gesundheitliches Risiko für Konsumenten dar. Darauf weist die NRW-Polizei immer wieder hin.”

Im Angesicht des jüngsten Todesfalls weist Pressesprecherin Kwasny weiterhin auf eine Trendwende hin: “Die NRW-Polizei bekämpft den Handel mit synthetischen Drogen konsequent. Im Ruhrgebiet wurden im Jahr 2015 dazu insgesamt 2657 Fälle erfasst. Für das Jahr 2016 zeichnet sich ein deutlicher Rückgang ab.” Der 27-Jährige bleibt dennoch tot.

“Es würde die Konsumenten bewusster werden lassen, was sie da zu sich nehmen”

Aber was halten die eigentlich Konsumenten solcher Drogen vom Drug Checking? Schließlich wären sie es, die am meisten von einer Einführung des Drug Checkings profitieren würden.

Laura* heißt nicht wirklich Laura, sie will anonym bleiben. Aber wahr ist, dass sie oft in Essen und anderen Ruhrgebietsstädten feiern geht—gern auch auf synthetischen Drogen. Ob Drug Checking den Tod des 27-Jährigen Esseners hätte verhindern können, darüber ist sich Laura unschlüssig: “Oft haben solche Tode ja damit zu tun, dass die Personen Mischkonsum betrieben haben.” Also dass der Konsument mehrere verschiedene Drogen zu sich nimmt. Generell findet sie aber Drug Checking sinnvoll. “Man kann zwar seine Pille googlen, aber woher will man denn wissen, dass die im Internet beschriebene Pille genau die gleiche ist wie die, die man der Hand hält?” Da wäre Drug Checking deutlich besser. Wie viele das Angebot letztlich nutzen würden, weiß sie nicht, “aber es würde den Konsumenten bewusst werden lassen, was sie zu sich nehmen.”

Von der derzeitigen Regierung in NRW ist ein solcher Politikwechsel nach dem jetzigen Stand allerdings nicht zu erwarten.

*Name von der Redaktion geändert. Header: Ein Polizeieinsatz, der nicht in Essen vonstatten ging, und Drug Checking in Aktion. Montage, imago, Screenshot YouTube.com/Global Drug Survey. Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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