Im Frühjahr 2011 begann der Aufstand in Syrien, der sich schnell zu einem brutalen Bürgerkrieg entwickeln sollte. Ungefähr zur selben Zeit fing der Schmied Aboud Saeed an, auf Facebook sein Leben in der Stadt Manbidsch zu dokumentieren. Seine kurzen Einträge, die vor schwarzem Humor nur so strotzen, gefielen irgendwann so vielen Leuten, dass der deutsche Verlag mikrotext schließlich ein Ebook mit dem Namen Der klügste Mensch im Facebook daraus machte, das später sogar als Taschenbuch erschien. Anfang 2014 beantragte Saeed Asyl in Deutschland, seitdem lebt er in Berlin. Als wir ihn gefragt haben, ob er eine Kolumne für uns schreiben will, dachte er ursprünglich, wir seien der wir seien der Spiegel. Er hat sich aber auch nach Aufklärung des Missverständnisses bereit erklärt, hier einmal in der Woche für uns zu schreiben—über sein Leben in Berlin und das, was er in Syrien zurückgelassen hat.
In Berlin, genauer genommen im Café Kotti, sitzt Dschihad alleine an seinem Tisch, trinkt sein Bier, raucht Selbstgedrehte, lässt seinen Blick von Tisch zu Tisch schweifen und lächelt jeden an, der vorbeikommt. Er bestellt ein Glas nach dem anderen, und für jedes bezahlt er fünf Euro: 2,50.- kostet das Bier und 2,50.- gehen mal an die Kellnerin mit dem arglosen Lächeln, mal an die mit dem dämlichen Kichern.
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So geht das eine ganze Weile, bis sich schließlich meine und Dschihads Blicke kreuzen und ich zu ihm sage:
“Hi. Ich bin Aboud.”
Da kommt er mit seinem Mund ganz nah an mein Ohr heran und flüstert, als wolle mir er ein Verbrechen gestehen:
“Ich heiße Dschihad!”
Wir lachen laut und Dschihad setzt sich an meinen Tisch, trinkt mit mir ein Bier und erzählt drauflos:
“Also mein lieber Aboud, es war folgendermaßen: Mein Vater war Fußballspieler. Er spielte in einem Verein, der FC Dschihad hieß. Den kennst du doch bestimmt, den FC Dschihad? Und als ich geboren wurde, nannte er mich nach seinem Fußballverein. Ich war damals ja noch ganz klein. Erst ein, zwei Tage alt. Hatte ja keine Ahnung, was Dschihad noch so alles bedeuten kann.
In der Schule hieß ich dann auch Dschihad. Alles normal. Mir ist das ja eh egal, ob jetzt Dschihad oder Youssef. Alles normal.
Und was dann passierte, weißt du ja selbst: Revolution, Bürgerkrieg, Krieg in Syrien, nenn es, wie du willst. Nicht da liegt mein Problem. Mein Problem ist, dass wir dann hierher gekommen sind. Illegal. Bitteschön. Wie ganz viele andere Leute auch, auf einem Schlauchboot übers Meer. Nur dass ich Kapitän war auf dem Schlauchboot. Aber das tut hier nichts zur Sache. Wir fuhren also übers Meer und kamen nach Deutschland. Dann gingen wir zum Lageso und meldeten uns. Alles normal.
Dann hab ich meine Unterlagen bekommen und man hat uns zu einer Flüchtlingsunterkunft geschickt. Ein Supertyp, der Beamte beim Lageso. Hat uns willkommen geheißen und mich nach meinem Namen gefragt. Alles ganz normal.
Und dann, mein Freund, ging es weiter zum Heim. Und da ging es los. Die anderen Flüchtlinge fingen an, mich verrückt zu machen. Sie sagten: ‘Wie bitte? Du heißt Dschihad? Träum nicht einmal davon, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen! Abschieben werden sie dich! Du wirst schon sehen.’
Und ich, lieber Aboud, hab mir das zu Herzen genommen. Deshalb bin ich immer direkt vom Heim in eine Kneipe, habe Bier getrunken, Leute angequatscht und mich mit ihnen unterhalten. Ich wollte wenigstens ein möglichst gutes Bild von mir abgeben, wo ich doch schon Dschihad heiße.
Überhaupt laufe ich seitdem immer nur noch mit Bierflasche herum. Nicht um mich zu besaufen! Ich achte natürlich immer darauf, Haltung, Ruhe und Anstand zu bewahren.
Aber wenn ich zum BAMF gehe, dann nur noch mit Bierflasche. Damit ich mich gleich, falls mir irgendwer mit Dschihad und so weiter kommt, auf die Bierflasche in meiner Hand berufen kann.
Aber je länger es dauerte, desto mehr Sorgen machte ich mir. Also begann ich, nur noch in Shorts herum zu laufen. Ich rasierte mir die Haare auf beiden Seiten und ließ nur noch in der Mitte ein bisschen Haar übrig, wie Arturo Vidal. Wenn ich auf der Straße lief, bemühte ich mich, selbstbewusster zu wirken.
Außerdem vermied ich es, mit den anderen Flüchtlingen herumzulaufen. Denn manchmal waren wir einfach draußen Spazieren, alles normal, und plötzlich springt einer von ihnen los und ruft ganz laut nach mir: ‘Dschihaaaad!’ Und ich schaue mich nervös nach allen Seiten um und sage ihm: ‘Pssst, Bruder! Doch nicht so laut! Du kannst doch meinen Namen hier nicht so mitten auf der Straße sagen. Schau mal, wir spazieren doch hier gerade einfach nett durch die Gegend. Alles normal. Muss das denn sein, dass du uns jetzt den Spaziergang versaust?’
Einmal liefen ich und mein syrischer Kumpel gerade herum, da rief er nach mir: ‘Dschihaaad!’ Und in dem Augenblick rannte ein Typ voll gegen das Aushängeschild einer Pizzeria. Du weißt schon, diese Schilder, auf denen steht ‘Pizza für zwei Euro’ und ‘Cola für 1,50. Euro-‘. Ich weiß natürlich nicht, ob er da reingerannt ist, weil er meinen Namen gehört hat oder ob es einfach ein Unfall war.
Von nun an, Bruder, lief ich nur noch alleine herum. Ich gab mich nur noch mit Ausländern ab, hatte sogar ein paar deutsche Freunde. Ganz tolle Leute. Alles normal. Manche nennen mich einfach ‘Dschad’. Normal.
Nur sind seit meinem Antrag jetzt schon acht Monate vergangen und ich habe immer noch keinen Aufenthaltstitel. Und das ganze Flüchtlingsheim sagt inzwischen: ‘Acht Monate? Du wirst deine Aufenthaltsgenehmigung nie bekommen. … Tststs, heißt einer Dschihad und glaubt, er kriegt eine Aufenthaltsgenehmigung …’
Dann bin ich zum Lageso gegangen und hab der Beamtin gesagt, dass mein Aufenthaltstitel noch immer nicht da ist. Die Dame war super. Hat mich dort empfangen und mir gesagt: ‘Ich werde für dich einen Brief an das BAMF schicken und nachfragen. Hoffentlich klappt es. Wenn Gott will, bekommst du deinen Aufenthaltstitel.’ Gar kein Problem. Alles normal.
Dann bin ich zurück ins Camp, wo meine Freunde und ich dann gemeinsam zu Abend gegessen haben. Dann spielten wir Karten. Alles normal. Der Fernseher lief. Plötzlich sahen wir auf dem Bildschirm diese Explosion in Brüssel. Als ich die armen Zivilisten sah, sagte ich: ‘Gott, was haben diese armen Menschen denn verbrochen?’ Da schnellt mein Kumpel plötzlich hoch und sagt: ‘Weißt du was? Ab heute kannst du’s vergessen, Dschihad! Wenn es bis eben noch 1 Prozent Hoffnung auf deine Aufenthaltsgenehmigung gab, dann ist sie mit diesem Anschlag ein für allemal flöten gegangen. … Sag mal, musste dein Vater ausgerechnet beim FC-Dschihad spielen? Waren ihm der FC-Hittin oder der FC-Freiheit etwa nicht gut genug? Warum ausgerechnet Dschihad! Möge Gott ihm das verzeihen.’
Und so, mein Freund, ist die Sache mit meinem Namen für mich nach und nach zur Obsession geworden. Da hab ich zwei meiner Monatsgelder vom Lageso zusammengelegt, hab mir davon ein Piercing und ein Tattoo machen lassen, und jetzt sitze ich hier, trinke Bier und warte auf meine Aufenthaltsgenehmigung. Alles normal.’
‘Auf dich, mein lieber Dschihad. Mach dir keine Sorgen. Alles normal!’
Wir stoßen an und trinken auf das Wohl von Dschihads Aufenthaltsgenehmigung.
Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl.