Im August 1819 versammelten sich zwischen 60.000 und 80.000 Menschen auf dem St. Peter’s Field, eine große Grasfläche im Zentrum von Manchester. Laut Augenzeuge Sir William Jolliffe waren so viele Leute gekommen, dass es so aussah, als würden sich die „Hüte der Leute berühren“. Sie waren gekommen, um gegen die Regierung zu demonstrieren, von der sie sich immer weniger vertreten fühlten. Schuld daran war eine nicht mehr zeitgemäße Gesetzgebung, die im Hinblick auf die Stimmenverteilung bei der Wahl zum britischen Parlament die wachsende städtische Bevölkerung gegenüber den auf dem Land lebenden Adligen benachteiligte.
Um die Versammlung aufzulösen, setzte man die Kavallerie gegen die Demonstranten ein, wobei insgesamt 12 Menschen ihr Leben verloren und Hunderte verletzt wurden. Die Tragödie ging als „Peterloo-Massaker” in die englischen Geschichtsbücher ein und wurde zu einem Schlüsselmoment des englischen Radikalismus. Außerdem führte das Blutvergießen zwei Jahre später zur Gründung der Tageszeitung The Manchester Guardian, die heute unter dem Namen The Guardian bekannt ist.
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Im Mai 2005—also kurz nachdem der mittlerweile verstorbene Finanzinvestor Malcolm Glazer vollständig die Kontrolle über Manchester United übernommen hatte (mit einer durchaus fragwürdigen Finanzierungsmethode)—kam es zu einer Reihe von Treffen von Manchester United-Anhängern in der Methodist Hall in Manchester. Enttäuscht von immer höheren Spielergehältern, hohen Ticketpreisen und einer zunehmenden Kommerzialisierung bei einem Verein, der einst von einfachen Eisenbahnern aus Lancashire und Yorkshire gegründet wurde, hatten die Fans nur noch ein Ziel: Sie wollten einen neuen Fußballverein ins Leben rufen, der ihren sozialen und wirtschaftlichen Idealen entsprechen sollte. Laut dem Buch Football and Community in the Global Context hing bei einem der Treffen hinter der Bühne eine große Flagge, auf der Che Guevaras Slogan „Hasta La Victoria Siempre” zu lesen stand.
Zu den ersten öffentlichen Auftritten des neugegründeten FC United of Manchester kamen neben Schaulustigen und Sympathisanten auch mehrere Hunderte Menschen, die sich als Spieler empfehlen wollten, da sie entweder vom Geist des Vereins überzeugt waren oder nach einer schnellen Möglichkeit suchten, in den Niederungen des englischen Fußballs auf Torejagd zu gehen. Seitdem sind mehr als neun Jahre vergangen und der FC United of Manchester bahnt sich langsam aber sicher den Weg nach oben. Am Dienstag schafften sie durch ein 1:0 gegen Stourbridge den Aufstieg in die sechste britische Liga.
„Natürlich wollen wir als Fußballverein auch Spiele gewinnen und aufsteigen”, erklärte mir der Gründer und Geschäftsführer Andy Walsh am Telefon. „Doch das ist nur eines unserer Ziele.”
„Unser wichtigstes Ziel war es, ein nachhaltiges Geschäftsmodell für den modernen Fußball zu erschaffen, bei dem Vereine ihren Fans gehören und von diesen auch geführt werden, was uns gelungen ist”, so Walsh weiter. „Und in den fast zehn Jahren seit Gründung hat sich daran nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Soweit ich das einschätzen kann, werden wir unseren Verein noch für eine lange Zeit nach diesem Modell führen.”
Der Verein hat heute über 3.000 Mitglieder, einen eigenen Online-Shop (der gemeinnützigen Zwecken dient), die von Fans erstellte Website FCUM.TV, auf der man Videos von Spielzusammenfassungen und Höhepunkten sehen kann, einen eigenen Web-Radiosender, der nach Vereinsangaben der größte von Freiwilligen geführte Sender in ganz Großbritannien sein soll, und—nachdem man die letzten neun Jahre in den Stadien anderer Vereine Unterschlupf suchen musste—bald auch eine eigene kleine Fußballarena.
Die soll Broadhurst Park heißen und nordöstlich vom Stadtzentrum liegen. Noch dieses Jahr soll das Stadion fertig werden und Platz für rund 5.000 Fans bieten. Der Kostenpunkt liegt bei rund 8 Mio. Euro, von denen mehr als ein Viertel von einem vereinseigenen Beteiligungssystem gestemmt wird. Dazu kommen noch 3,5 Mio. Euro an Fördergeldern sowie Investments durch örtliche Unternehmen und Organisationen—plus einem kleinen Zuschuss vonseiten der Stadt Manchester (hier geht es zum vollständigen Business Plan).
Die Stadt Manchester hat eine lange und stolze Geschichte von Radikalismus und dem Beschreiten neuer Wege”, so Walsh, als er erklärt, warum sein Verein auch die Identität Manchesters verkörpere. Unsere Stadt steht für radikale politische Ideen, Industrie und kreative Energie. Und ich finde, dass der FC United of Manchester ganz in dieser Tradition steht.
Mit einem Manchester United, das auch diese Saison wieder schwächelt (obwohl man im Sommer über 200 Mio. Euro für neue Spieler ausgegeben hat), und einem Manchester City, das einem ausländischen ?–lmagnaten gehört, dessen Familie Vermögenswerte in Höhe von einer Billion Dollar besitzen soll, stellt der FC United einen angenehmen Gegenentwurf dar. Und vor allem eine Alternative für eine Stadt, deren Identität eng mit der englischen Arbeiterbewegung verknüpft ist. Laut Walsh geht die Unterstützung für seinen Verein schon so weit, dass sie auch dabei hilft, die wohl größte Kluft der Stadt zu überbrücken.
„Unsere Fangemeinde besteht überwiegend aus aktuellen und ehemaligen Anhängern von Manchester United. Doch wir haben auch Fans, die schon andere Vereine, darunter auch City, unterstützt haben, und die allesamt gemeinsam haben, dass sie keine Lust mehr auf eine übermäßig kommerzialisierte Premier League haben.”
„Natürlich stellt es für einen City-Fan eine ganz schöne Überwindung dar, ein Team in Rot anzufeuern”, sagt Walsh. Doch er glaubt, dass die Ideale seines Vereins stärker seien als die große United-City-Rivalität. „Es geht hier weder um Manchester United noch um Manchester City, es geht darum, im Fußball etwas bewegen zu wollen.”
Obwohl United-Trainerlegende Sir Alex Ferguson den Anhängern von FC United unterstellt, „ein bisschen zu viel Eigenwerbung zu betreiben”, und zudem auch ihre frühere United-Loyalität anzweifelt (im Gegensatz zu Ryan Giggs, der in einem BBC-Interview Verständnis für die Gründung von FC United gezeigt hat), gibt Walsh offen zu, Manchester United noch immer die Daumen zu drücken. Weitaus weniger versöhnlich zeigt er sich gegenüber der Premier League.
„Ich glaube, die Sitten der Premier League schaden nicht nur dem Fußball, sondern der ganzen Gesellschaft”, so Walsh. Es geht doch nur noch darum, möglichst viel Geld zu verdienen, und das ohne Rücksicht auf Verluste.
Weil Milliardäre auf der ganzen Welt gierig auf die Premier League—und die Fernsehgelder, die mit ihr verdient werden können—schauen, entfernen sich Traditionsvereine wie Manchester United immer weiter von ihren ursprünglichen Wurzeln und Idealen, indem sie Stück für Stück zu weltweiten Marken ausgebaut werden. Dadurch und aufgrund immer höherer Ticketpreise werden viele alteingesessene Fans (darunter auch langjährige Dauerkartenbesitzer) vergrault, sodass der Verein zunehmend an Rückhalt verliert—und das oft unter seinen treuesten Fangruppen. Der FC United of Manchester steht für ein Modell, das zwar für den heutigen Fußball noch keine wirklich realistische Lösung bietet, aber irgendwann im Fußball (hoffentlich) Schule machen könnte.