Es gab für Musik schon bessere Dekaden als die 80er. Zumindest geht es mir so, wenn ich an Hairmetal-Gepose, kitschige Synthies und verhallte Phil-Collins Drums denke. Ironisch kann ich das Zeug gerade noch so vertreten, aber die Neue Deutsche Welle ist für mich eines der schlimmsten Genres ever und die Songs übers Bruttosozialprodukt und den goldenen Reiter (wusstet ihr, dass Joachim Witt immer noch Musik macht und sie immer noch schrecklich ist?) gehören genau in die versifften Diskos, in denen sie heute noch gespielt werden.
Auf jeden Fall war das bei mir so, bis ich im März beim Club Nolabel im B72 Flut gesehen habe. Ich fühlte mich plötzlich bekehrt. Alles machte so viel Sinn: Der Vokuhila des Sängers, die Flying-V Gitarre und die Jogginganzüge in Neonfarben; es passte alles perfekt zusammen. Die Songs erinnerten noch genug an diese schreckliche Zeit vor 30 Jahren, waren aber fresh genug, um mich nicht sofort umdrehen zu lassen. Im Gegenteil. Sie zogen ihren Stil so konsequent durch, dass sich im kleinen B72 alle einig waren, gerade ein bisschen durch die Zeit gereist zu sein.
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Mittlerweile haben sie einen Song in die Welt geworfen und mit Zebo Adam die Vorproduktion hinter sich gebracht. Derzeit teilen sie mit Patrick Pulsinger das Studio, um ihre Debüt-EP aufzunehmen. Sie sind also auf jeden Fall in guten Händen und weil die 80er derzeit durch Stranger Things sowieso omnipräsent sind, haben wir uns entschlossen, ein paar Szenen aus der Netflix-Serie nachzustellen, während ich ihnen ein paar Fragen stelle.
Habt ihr schon viele Interviews gegeben?
Johannes: Nein. Es ist noch nicht so Routine für uns.
Das ist gut für mich, dann kann ich noch alle Standardfragen stellen.
Jakob: Shit.
Also: Wie seid ihr eigentlich zu eurem Bandnamen gekommen?
Schweigen.
Aber mal im Ernst, immer wenn ich euren Bandnamen sehe, muss ich an Die Welle denken. Das Buch ist übrigens 1981 rausgekommen.
Johannes: Also unser Bandname kommt ja von “Die Welle”. Das war schon immer so.
Also ist das jetzt eure Geschichte?
Jakob: Ja, so ist jetzt der Bandname entstanden.
Ihr kommt ja alle aus Oberösterreich. Dem Mekka der österreichischen Musik. Habt ihr als Band vom ganzen Hype auch noch was mitbekommen?
Johannes: Komplett. Vor zwei, drei Jahren kam da ja extrem viel aus Oberösterreich. Aber wenn man da heute nachsieht, ist eigentlich eher Sense.
Florian: Wir hatten von Anfang an einen recht weiten Blickwinkel, was Konzerte betrifft. Es war gleich der Wille da, überall zu spielen und nicht nur in Oberösterreich.
Johannes: Wenn wir am Land spielen, fühlen wir uns schon manchmal ein bisschen fremd. Die verstehen das nicht ganz, was wir machen. Ich hab genug Auftritte am Land gespielt, dass ich sagen kann, mich interessiert der Kack nicht mehr.
Jakob: Ich bin ja erst ein bisschen später zur Band dazugestoßen und hab erst vor Kurzem erfahren, dass meine Bandkollegen noch mit ihren Vorgängerbands die Erfahrungen gesammelt haben. Die haben alle mit der Band erst gelernt, ihre Instrumente zu spielen.
Manuel: Wir haben alle den Barrégriff noch nicht beherrscht, als wir anfingen Musik zu machen. Wir haben trotzdem einfach mal gemacht und geschaut, was dabei rauskommt.
Voll Punk.
Johannes: Genau, ja. Ich mag vielleicht das Politische vom Punk nicht so gern. Aber vom Grundgedanken und der Energie her schon. Technisch überzeugt’s mich eher nicht so, dass ich sage, wir müssen jetzt Punk machen.
Florian: Man muss sich als Musiker alle Sachen genauer ansehen und Gedanken darüber machen, denke ich. Es ist halt Kunst.
Also holt ihr euch von überall eure Inspiration her? Aber die 80er sind ja schon eindeutig euer Haupteinfluss.
Jakob: Absolut ja. Aber bei der NDW ist ja genau dieser punkige Ansatz da. Nur ist das in den meisten Fällen keine politische Musik mehr. Das ist genau das, womit wir konform gehen.
Johannes: Mit den 80ern verbinden die meisten Leute schnell mal Pop. Unsere Musik beschränkt sich aber mehr auf einen Zeitraum als auf ein Genre.
Wenn ich an die 80er denke, stellen sich mir alle Haare auf.
Florian: Viele Leute verbinden eben eher diesen Grind damit. Aber das ist nur die Oberfläche. Wenn man da ein bisschen weiter gräbt in das Ganze, findet man ziemlich viele Juwelen.
Johannes: Wir haben ja jetzt seit drei Monaten Plattenspieler. Das ist super, weil wir draufgekommen sind, dass alles, was es damals gab, jetzt spottbillig ist.
Ja weil’s niemanden interessiert.
Johannes: Genau.
Florian: Obwohl es ja saugeile Musik ist.
Was sollte ich mir anhören, um endlich die 80er zu verstehen?
Johannes: Auf jeden Fall deutschsprachige Musik. Die find ich interessanter, weil sie meistens nicht so hochproduziert ist. Spliff heißt eine Band. Ideal, Extrabreit und Steinwolke sind auch alle gut. Aber wir wollen ja nicht genau so klingen wie 80er-Bands. Wir spielen mit der Ästhetik, das ist klar, aber es ist auch klar, dass wir was Neues machen.
Wie bringt ihr etwas Neues in die 80er rein?
Florian: Wir sind ja gar nicht mit der Musik aufgewachsen. Der neue Zugang kommt unterbewusst, weil wir mit dem aufgewachsen sind. Den 80er-Einfluss haben wir bewusst gewählt.
Johannes: Es ist 2016. Wenn wir uns vorlügen, dass wir irgendwas bestimmtes machen müssen, dann ist das Blödsinn. Wir machen die Sounds, die uns gefallen. Die sind eben zu 95 Prozent aus der Dekade.
Florian: Falco hat in einem Interview mal gesagt, dass in Zukunft in der Musik alles mit allem kombiniert wird. Ich finde, er hat damit recht gehabt.
Finde ich gut, dass du gerade Falco erwähnst. Ihr könnt euch schon darauf vorbereiten, tausend Mal auf ihn angesprochen zu werden, also mach’s ich zum ersten Mal. Wie steht ihr zu Falco?
Manuel: Extrem cool ist das Einzelhaft Album. [längeres Schweigen]
Jakob: Ja, von der Person sind wir nicht wahnsinnig überzeugt.
Sebastian: Dieses Macho-Gehabe geht einfach gar nicht.
Johannes: Zwar über die Toten nur Gutes, aber man muss sich mal ehrlich sein: Der Typ war am Ende ein totales Wrack. Das ist kein Vorbild für uns. Aber was er am Anfang gemacht hat mit dem Einzelhaft Album, ist in dem Sinn sicher unerreicht. Wir mögen es vor allem, weil es noch nicht so hochproduziert ist.
Wie würdet ihr das beschreiben, was ihr macht?
Johannes: Wir haben angefangen, Musik zu machen, weil uns fad war. Es ist derzeit so einfach, Musik zu machen und trotzdem hat es sich auf einen Sumpf runtergekocht, der nicht ganz interessant ist. Überall sind Produzentenduos am Werk. Die Musik ist nicht mehr so interessant heute. Auch bei den Inhalten. Aus dem Stillstand ist Tiefschlaf entstanden. Die EP ist eigentlich ganz anders.
Also ihr seht es negativ, dass es heutzutage so einfach ist, Musik zu machen und zu veröffentlichen?
Jakob: Ich mein, wir sind ja auch Nutznießer von dem.
Johannes: Generell ist es schon was Gutes, weil Kunst für jeden zugänglich ist dadurch. Mich stört nur daran, was die Leute daraus machen. Es hört sich alles gleich an einfach. Ich glaub, dass sich jeder so bemüht, dass allen ihre Lieder gefallen, dass alles zu einer dünnen Suppe ausgekocht wird. Es ist echt lange her, dass mich Musik so begeistert hat, dass ich mir ein ganzes Album anhören wollte. Weil ich schon alles kenne.
Habt ihr ein gewisses Publikum im Hinterkopf, wenn ihr eure Musik schreibt? Ich seh vor allem begeisterte 30- bis 40-Jährige, die bei euren Konzerten in Nostalgie verfallen.
Jakob: Ich denk da immer an Leute, die sich denken: ‘Den Scheiß hab ich ja eh schon vor 30 Jahren gehört.’ Aber ich würd’s feiern, wenn wir die auch ansprechen.
Johannes: Die 30- bis 40-Jährigen waren bisher leider nicht so fresh, dass sie unsere Musik mögen. Aber es gibt auch immer wieder Ausreißer. Zum Beispiel den Patrick Pulsinger.
Florian: Wir machen ja keine Popularmusik, die wir auf eine Zielgruppe zuschneiden. Das ergibt sich dann eher so.
Johannes: Aber es ist cool, wenn es mal ältere Leute erwischt. Die haben einen anderen Zugang zu unserer Musik. Die sehen viel mehr in uns als junge Leute.
Florian: Die erinnern sich dann an Bands, die wir gar nicht kennen und die dann drei Monate später unsere Lieblingsbands werden. Ist nicht nur einmal passiert bis jetzt.
Johannes: Unser Sound entsteht ja auch hauptsächlich durch unser Equipment, das aus den 80ern ist.
Nehmt ihr also auch auf Band auf?
Johannes: Das ist zu teuer. Aber wir nehmen sonst mit sehr viel Hardware auf. Es kommt kein einziges Plug-In drüber. Du kannst zu jedem Sound einfach hingehen und das Gerät angreifen, weil es das Ding einfach wirklich gibt.
Letzte Bewerbungsfrage: Wo seht ihr euch in fünf Jahren?
Johannes: Wir gehen einfach alle hundertprozentig rein in das Ding und es geht ständig voran. In eine richtige Richtung. Schauen wir mal, wie weit wir da kommen. Ich glaub nicht, dass es das beeinflussen würde, wenn wir sagen, dass wir in fünf Jahren das Gasometer ausverkaufen wollen. Aber wir wissen schon, dass wir ein Umfeld haben, in dem es eigentlich nur besser werden kann.
Flut kann man am 1. Oktober am Waves Vienna Festival live sehen.
Im Oktober sind sie dann mit Trümmer und im November mit Drangsal unterwegs. Genauere Termine findet dann auf ihrer Facebookseite.
Benji auf Twitter: @lazy_reviews
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