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Der Junge, der versuchte, einen Atomreaktor in seinem Garten zu bauen

Foto: Macomb County Jail

David Charles Hahn hatte einen Traum, der für Menschen im zarten Alter von 15 Jahren wohl eher ungewöhnlich ist: Er wollte im Garten der Eltern einen Nuklearreaktor bauen. Statt sich wie sich normale Teenager darauf zu konzentrieren, auf Partys rumzuhängen und sich ins Koma zu saufen, wollte Hahn lieber Atome spalten.

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Der „radioaktive Pfadfinder”, wie ihn die Presse taufte, als seine ambitionierten Pläne 1994 erstmals öffentlich wurden, wollte einen so genannten Brutreaktor bauen. Dabei handelt es sich um ein spezielles Kraftwerk, das nicht nur Atomenergie erzeugt, sondern zugleich weiteres spaltbares Material produziert, das wiederum in Energie umgewandelt werden kann.

Um sich die Kenntnisse für den Bau eines Atomreaktors anzueignen, schrieb er unter falschem Namen Organisationen und staatliche Behörden an, unter anderem die Amerikanische Nukleargesellschaft, das Atomindustrie-Forum und die Nukleare Regulierungskommission (NRC). Er schrieb laut eigenen Angaben 20 Mails pro Tag und erhielt so „Tonnen” von Informationen über die Funktionsweise eines Nuklearreaktors.

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Der junge Hahn gab sich dabei als Physiklehrer aus Clinton Township im US-Bundesstaat Michigan aus, der seinen Schülern ein grundlegendes Verständnis von Atomenergie vermitteln wollte. Speziell die NRC zeigte sich überaus hilfsbereit und versorgte Hahn mit kritischen Informationen. Via E-Mail verwickelte Hahn den führenden NRC-Mitarbeiter Donald Erb in eine wissenschaftliche Diskussion, in deren Verlauf Hahn immer mehr Tipps bekam. Erb erklärte “Professor Hahn” beispielsweise, wie man bestimmte radioaktive Elemente isoliert, und schickte ihm eine Liste von Isotopen, die eine nukleare Kettenreaktion überstehen. Eine von Erbs Schlüsselinformation, die Hahn insbesondere beim Bau einer Neutronenkanone half, lautete: „Nichts produziert Neutronen…so gut wie Beryllium.”

Laut eines Journalisten des US-Magazins Harper’s war Hahn wie besessen von der Idee, eine eigene Neutronenkanone zu bauen, und wild entschlossen, „alles zu bestrahlen”, was er konnte. „Der NRC gab mir alle Informationen, die ich brauchte”, erinnerte sich Hahn später. „Ich musste nur losgehen und die Materialien holen”, wie er dem Harper’s-Reporter erzählte, der ihn für ein ausführliches Porträt besuchte.

Die radioaktiven Zutaten für seinen Gartenreaktor fand er in simplen Haushaltsgegenständen: Thorium aus Gaslampen, Radium aus alten Uhren, Americium aus Rauchmeldern.

Doch sein Traum vom eigenen Atomreaktor fand ein jähes Ende, als jemand am 31. August 1994 Hahn bei der Polizei meldete. Auf den Verdacht hin, Hahn hätte „Reifen gestohlen”, durchsuchten die Ermittler seinen Wagen. Doch statt eines schöden Pneus fand die Polizei ein Sammelsurium an radioaktivem Material. Wenig später rückten Spezialisten des Energieministeriums, der NRC, der Umweltbehörde (EPA) und das Bombenentschärfungskommando der Michiganer Polizei in dem Ort an—nur um zunächst Entwarnung zu geben: keine Atombombe. Es dauerte fünf weitere Monate, bis der inhaftierte Hahn den Ermittlern von seinem geheimen Atomlabor in Mutters Garten erzählte, und noch ein paar weitere Wochen, bis die Umweltbehörde den alten Schuppen zur nuklearen Sperrzone deklarierte, um sie erst mal ordentlich sauber zu machen. (Die Reinigungsarbeiten von Hahns Mutter, die einige der radioaktiven Elemente aus dem Schuppen in gewöhnliche Müllcontainer kippte, waren selbstverständlich absolut untauglich.)

Nach seiner Haft ging Hahn für mehrere Jahre zum US-Militär und arbeitete vier Jahre auf dem nuklearbetriebenen Flugzeugträger USS Enterprise. Doch seinen Traum der atomaren Eigenproduktion hatte er nie ganz aufgegeben. 2007 wurde er wegen Diebstahls verurteilt, weil er reihenweise Rauchmelder aus einem Haus abmontiert hatte, um an die darin enthaltenen Mini-Mengen an radioaktivem Americium zu gelangen. Als die Polizei Hahn aufspürte, war sein Gesicht voller Wunden und roter Punkte, die laut Ermittlern auf die radioaktive Strahlung zurückzuführen war, der Hahn lange Zeit ausgesetzt war.

Hahn verwendete kaum Schutzkleidung, wenn er in dem kleinen Schuppen an Atomen herumbastelte. Dem Harper’s-Reporter erzählte Hahn damals, wie er mit Kaffeefiltern und Gurkengläsern hantierte, um tödliche Substanzen wie Radium und Salpetersäure zu bearbeiten. Nach seiner Festnahme verweigerte er eine medizinische Behandlung, die ihm Ärzte und Gefängnisaufseher empfahlen.

Im September diesen Jahres starb der „radioaktive Pfadfinder” im Alter von 39 Jahren, wie nun bekannt wurde. Die Todesursache ist offiziell bis heute ungeklärt.