Der Klugscheißer-Guide zu Flucht und Asyl – Teil 1: Deutschland

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Foto: Jermain Raffington

Bereits in der letzten Woche haben wir euch in einem Faktencheck gezeigt, wie sich die schlimmsten Totschlagargumente gegen Flüchtlinge mit etwas Fachwissen entkräften lassen. Wenn euch das noch nicht reicht, haben wir für euch als verantwortungsvolle Vertreter der Lügenpresse in diesem ausführlichen Guide eine Auswahl der wichtigsten Schlagwörter im Bereich Flucht und Asylpolitik zusammengestellt, damit ihr euch bei der nächsten Diskussion gegen gefährliches Halbwissen zur Wehr setzen und als wahre Klugscheißer glänzen könnt.

In diesem Guide widmen wir uns ausschließlich der diesbezüglichen Situation in Deutschland. Im zweiten Teil widmen wir uns der Flüchtlingssituation in Europa.

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Ausländer vs. Migranten

Nicht jeder, der aus dem Ausland nach Deutschland kommt, ist hier, um Asyl zu suchen. Tatsächlich machen Asylsuchende bei den Menschen, die im letzten Jahr eingewandert sind, nur einen Anteil von 11 Prozent aus. Momentan leben etwa 8, 2 Millionen Menschen ohne deutschen Pass in der Bundesrepublik. Mehr als die Hälfte von ihnen kommt aus der EU. Besonders Rumänen und Bulgaren gefällt es in Deutschland anscheinend besonders gut—und damit der Gruppe von Einwanderern, die Pegida-Anhänger und andere nationalistische Wirrköpfe inkorrekterweise gern zu den „Wirtschaftsflüchtlingen” rechnen, obwohl es sich bei ihnen um Migranten handelt, die sich innerhalb der EU so frei bewegen dürfen, wie sie wollen.

Erst austricksen, dann aushungern—wie der Berliner Innensenator das Flüchtlingsproblem lösen will.

Als Migrant gilt generell jeder, der seine Heimat verlässt und sich—oft mit der Hoffnung auf die Verbesserung der eigenen Lebensqualität—im Ausland ansiedelt, egal ob er von Spanien nach Deutschland zieht, um einen besser bezahlten Job zu finden, oder von Deutschland nach Spanien, weil ihm das Wetter dort besser gefällt. Dennoch ist der Begriff nicht unproblematisch: Während ein Deutscher mit türkisch-stämmigen Eltern für seine urdeutschen Landsleute immer einen Migrationshintergrund behalten wird, würde niemand auf die Idee kommen, den kanadischen Expat, der sich mit seiner Familie in Berlin oder Frankfurt angesiedelt hat, als Migranten zu bezeichnen.

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Foto: Grey Hutton

Asylwerber vs. Flüchtlinge

Der Status von Asylsuchenden oder -werbenden unterscheidet sich von dem eines Flüchtlings folgendermaßen: Menschen die Asyl suchen, haben meistens erst einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ihn aber noch nicht bekommen. Oft warten sie darauf, dass ihnen der Flüchtlingsstatus von einer bestimmten Regierung zugeteilt wird.

Flüchtlinge und Kontingentflüchtlinge

Als Flüchtling gilt laut der Genfer Flüchtlingskonvention jeder, der aufgrund seiner „Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe” in seinem Heimatland verfolgt wird. Dabei ist es egal, ob die Diskriminierung selbst von staatlichen Akteuren ausgeht oder der Staat die betroffene Person nicht ausreichend vor Diskriminierung und Verfolgung schützt. Recht auf Asyl in Deutschland hat, wer politisch verfolgt wird und nicht über einen „sicheren Drittstaat” eingereist ist. In der Praxis können die Behörden jedoch auch Menschen Asyl verweigern, die diese Kriterien erfüllen, aber ihrer Ansicht nach nicht direkt verfolgt werden.

Homosexualität kann zum Beispiel als Asylgrund abgelehnt werden, wenn die betreffende Person nur dann Schwierigkeiten bekäme, wenn sie sich öffentlich outen würde. Auch Armut, Naturkatastrophen und Kriege sind generell kein ausreichender Grund, aus dem jemand Anspruch auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland hat. Die Ausnahme sind sogenannte Kontingentflüchtlinge, denen das Innenministerium aus „humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen” Schutz gewährt.

Die größte Gruppe dieser Kontingentflüchtlinge stellen aktuell Menschen, die vor dem Bürgerkrieg aus Syrien geflüchtet sind. Sie müssen kein Asylverfahren durchlaufen und dürfen in der Regel zwei Jahre bleiben. Allerdings ist das Kontingent nur auf 20.000 Menschen beschränkt—vor allem auf solche, die Familie in Deutschland haben. Die restlichen 56.000 Syrer in Deutschland müssen wie alle anderen das Asylverfahren durchlaufen.

Asylbewerber und Geduldete

Asylbewerber sind alle Schutzsuchenden, die einen Antrag auf Bleiberecht stellen. Meist beschränkt sich dieser Status auf drei Monate, bis über den Fall entschieden wurde. Wer nicht als Flüchtling oder ausreichend schutzbedürftig anerkannt wird, kann zumindest als Geduldeter in Deutschland leben, weil er zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden darf oder noch minderjährig ist. Dieser Zustand kann sich über mehrere Jahre hinziehen, wobei die Betroffenen rechtlich sehr viel schlechter gestellt sind als anerkannte Flüchtlinge und es auf dem Arbeitsmarkt bedeutend schwerer haben. Ebenfalls nicht abgeschoben werden darf jeder, der unter subsidiärem Schutz steht, weil ihm durch eine Abschiebung Tod oder Folter drohen würde, oder weil er schwer krank ist und in seinem Herkunftsland nicht entsprechend medizinisch versorgt werden würde. Ob jemand in Deutschland bleiben darf oder nicht, hängt aber auch vor allem davon ab, wie das zuständige Bundesamt den Fall beurteilt.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Jeder Antrag auf Asyl in Deutschland landet auf dem Schreibtisch eines Mitarbeiters des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der dann darüber entscheidet, ob jemand in Deutschland bleiben darf oder nicht. Viele der Anträge werden dabei gar nicht erst inhaltlich bearbeitet—zum Beispiel, wenn nach dem Dublin-Abkommen ein anderer europäischer Staat für das Verfahren zuständig ist. Wenn jemand während des Asylverfahrens falsche Angaben macht oder sich in Widersprüche verstrickt, kann das Amt das Schutzgesuch als „offensichtlich unbegründet” einstufen.

Motherboard: Asylantrag als Klimaflüchtling.

Im Jahr 2013 wurden etwas weniger als 40 Prozent der Anträge abgelehnt. Bis über seinen Antrag entschieden wird, muss ein Geflüchteter im Schnitt fünf Monate warten, manchmal auch deutlich länger. Aufgrund des hohen Aufkommens an neuen Asylgesuchen hat das BAMF seit dem letzten Jahr Hunderte neuer Mitarbeiter eingestellt, um das Asylverfahren zu beschleunigen. Bei dieser Beschleunigung geht es allerdings hauptsächlich darum, Neuankömmlinge aus den Balkanstaaten, die einen Großteil der Asylsuchenden in Deutschland stellen, möglichst schnell wieder loszuwerden.

Verschärfung des Asylrechts

Der Gesetzesentwurf „zur Neuregelung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung” wurde am 2. Juli vom Bundestag verabschiedet. Das Gesetz wird scharf kritisiert, da es Neuregelungen für Schutzsuchende beinhaltet, die Innenminister Thomas de Mazière gerne als „einladende und abweisende” Botschaften bezeichnet. Zum Einen eine neue Bleiberechtsregelung, die es Geduldeten, die sich gut integriert haben (zum Beispiel arbeiten oder eine Ausbildung machen) ermöglicht, leichter einen sicheren Aufenthaltsstatus zu bekommen, zum anderen eine massive Ausweitung der Abschiebehaft.

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Foto: Grey Hutton

Strafbar macht sich dem neuen Gesetz zufolge jeder, der für seine Flucht hohe Summen an Schlepper gezahlt oder falsche Angaben über seine Identität gemacht hat. Außerdem jeder, der über ein anderes EU-Land nach Deutschland gelangt ist. Da man ohne Pass und gültiges Visum nicht per Flugzeug nach Deutschland einreisen darf, betrifft das so ziemlich alle Geflüchteten, die neu nach Deutschland kommen. Die Befürworter des Gesetzesentwurfes argumentieren, dass die Abschreckung nötig sei, um eine „unkontrollierte Zuwanderung” zu verhindern. Dabei wird bei allen Horrorszenarien, in denen Deutschland von ungebetenen Gästen überrannt wird, außer Acht gelassen, dass auch akute Lebensgefahr Menschen nicht davon abhält, über das Mittelmeer zu fliehen, und dass trotz Migration und Flüchtlingsströmen weltweit immer noch 97 Prozent der Menschen in dem Land leben, in dem sie geboren wurden. Davon abgesehen profitieren die europäischen Sozialsysteme laut OECD momentan eher von Flüchtlingen, als dass sie unter der Last der Neuankömmlinge zusammenbrechen.

Residenzpflicht

Die Residenzpflicht untersagt es Asylbewerbern und Geduldeten für die Dauer von drei Monaten, das Bundesland oder auch nur die Stadt, in der sie sich aufhalten, zu verlassen. Deutschland ist der einzige EU-Staat, in dem ein so massiver Eingriff in die Bewegungsfreiheit gesetzlich festgelegt ist. Wer gegen das Gesetz verstößt und das Bundesland—aus welchen Gründen auch immer—verlässt, kann mit einem Bußgeld und im Wiederholungsfall mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Außerdem kann die Residenzpflicht verlängert werden, sobald jemand bei einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat erwischt wird. Im Bezug auf Drogendelikte wurde das Gesetz zu Beginn des Jahres noch verschärft. So kann zum Beispiel in Berlin und Brandenburg allein der Besitz von Drogen bei einem Asylbewerber eine Straftat darstellen.

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Sichere Herkunftsländer und Asylmissbrauch

Vor einigen Wochen sprach sich Bundespräsident Joachim Gauck im Rahmen einer Gedenkfeier für die Opfer von Flucht und Vertreibung für mehr Offenheit und Verständnis gegenüber Flüchtlingen aus. CSU-Urgestein und Hobby-Demagoge Horst Seehofer nahm diese Forderung Gaucks zum Anlass, seinem Ärger über schmarotzende Ausländer und „massenhaften Asylmissbrauch” ordentlich Luft zu machen. Von Asylmissbrauch ist vor allem dann die Rede, wenn Menschen, die keine den Genfer Konventionen nach anerkannten Fluchtgründe vorweisen können, einen Antrag darauf stellen, in Deutschland leben zu dürfen. In Anbetracht dessen, dass fast 50 Prozent aller Asylbewerber in Deutschland diese Voraussetzungen erfüllen, ist die Klage über einen massenhaften Asylmissbrauch schlichtweg unberechtigt. Davon abgesehen haben aber auch viele der „Armuts-” oder „Wirtschaftsflüchtlinge” gute Gründe dafür, ihre Heimat zu verlassen—zum Beispiel, wenn sie als Roma in einem „sicheren Herkunftsland” wie Serbien, Bosnien oder Mazedonien diskriminiert, verfolgt und sozial benachteiligt werden.

Wenn euch klugscheißen allein nicht reicht, engagiert euch doch.