Popkultur

Der Körper Eines Amerikaners

Fotos von Matthew Leifheit

Wer gängigen Ansichten zur Pornoindustrie Glauben schenkt—dass diese sich im Zerfall befindet, dass sich mit ihr kein Geld machen lässt, dass die Studios, die einmal hochwertige Filme gemacht haben, durch ungewaschene Amateure mit Webcams und fleckigen Matratzen verdrängt werden—sollte die makellosen Büros von Lucas Entertainment aufsuchen, um sich eines Besseren belehren zu lassen.

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Die Räumlichkeiten im ersten Stock eines Bürogebäudes am Rande von Manhattan sind ein Tempel des Yuppie-Showbiz im 21. Jahrhundert. Im Warteraum, dessen Wände eine Fülle von Auszeichnungen aus der Erotikfilmindustrie zieren, befinden sich ein feudaler weißer Sessel, ein abstrakt geformter hölzerner Tisch und ein mit Gemüsesaft-, Mandelmilch- und Wasserflaschen vollgepackter Kühlschrank. Im Flur reiht sich Schrank an Schrank voller Kostüme für die Darsteller, die an einem Set arbeiten, das sich in ein Hotel, Schlafzimmer oder jeden anderen Ort verwandeln lässt, an dem Männer unter Umständen Sex haben könnten. Ein paar Türen weiter sitzen die 15 Mitarbeiter des Unternehmens vor ihren Computerbildschirmen, um die Arbeit hinter den Kulissen zu leisten, die schließlich darin münden wird, dass sich irgendwo jemand einen runterholt. Für all dies zahlt Lucas Entertainment 16.500 US-Dollar monatlich. Leisten kann das Unternehmen sich dies dank eines kontinuierlichen Outputs von High-Budget-Filmen, in denen man die sexuelle Leistungsfähigkeit massiger Muskelprotze und häufige Cameo-Auftritte von D-Promis bewundern kann.

„Wir sind das einzige [schwule] Unternehmen, das bisher noch nicht hops gegangen ist oder von einem Verleih geschluckt wurde“, erzählte mir Marc MacNamara, der damalige Creative Director von Lucas Entertainment, als ich letzten Juni vorbeischaute. (MacNamara hat Lucas Entertainment mittlerweile verlassen, um sein eigenes Pornostudio zu gründen.)

Ich hatte einen Termin mit Michael Lucas, Gründer und treibende Kraft des Unternehmens, das seinen Namen trägt. Der ehemalige Pornostar könnte wohl auch heute noch mit seinem Körper Geld verdienen. Der 42-Jährige hat den schlanken, wohlkonturierten Körper eines Models, seine Haut ist unglaublich perfekt und durch seine locker sitzenden Hemden sieht man seine Muskeln. Sein Büro ist, wie man sich denken kann, eine Gedenkstätte all der Erfolge, die er in seiner mehr als 16-jährigen Laufbahn in der Branche erreicht hat. An den Wänden hängen die Cover von Pornomagazinen—X-Factor, Unzipped, Man, Mandate—mit Lucas auf dem Titel; zur Dekoration gehören außerdem antike Kameras, Lucas Juraabschluss an der Staatlichen Universität Moskau sowie eine Reihe künstlerisch angehauchter Fotos: eine Familie mit zwei Vätern, ein nackter Mann, der hinter einem alten Fernseher steht, ein anderer nackter Typ, der einen Fernseher auf seinem Hintern balanciert.

Als ich ihn nach einem der Bilder fragte, meinte er: „Ich habe es geschenkt bekommen. Es ist interessant, aber für meine Wohnung nicht gut genug. Dort habe ich wunderschöne Sachen von [Robert] Mapplethorpe.“

Misha und Sasha, ein russisches Paar, das seit acht Jahren zusammenlebt und in Campaign of Hate zu sehen ist

Alles an Lucas strahlt Macht und Reichtum aus—das Magazin New York bezeichnete ihn 2007 in einem Profil als „Löwe von Chelsea“ und als New Yorks einziges „rechtmäßiges Mitglied des Porno-Adels“. Zugleich ist Lucas in den letzten Jahren jedoch dafür bekannt geworden, dass er sein Vermögen und seinen Namen für seine politischen Steckenpferde einsetzt—in erster Linie seine Unterstützung für Israel und seinen Hass auf Russland, das Land, aus dem er im Alter von 23 Jahren auswanderte. Deutlich zutage kommt seine Weltsicht in Men of Israel, einem der beliebtesten Videos von Lucas Entertainment aus dem Jahr 2009. Der zweistündige Porno (angeblich der erste schwule Porno mit ausschließlich israelischer Besetzung) ist voller langer liebevoller Einstellungen, die muskulöse jüdische Männer beim Vögeln, Blasen und Rimmen an Flußufern und Stränden zeigen—wäre da nicht der ganze schwule Hardcoresex, könnte der Film glatt vom israelischen Fremdenverkehrsamt stammen.

„Ich wollte die Aufmerksamkeit unbedingt auf Israel lenken, um Touristen anzulocken, und das ist mir gelungen“, meinte Lucas. „Schwule Männer schauen eher Pornos als Dokumentarfilme—und da gibt es auch nicht viel über Schwule in Israel—also zeigte ich nicht nur Männer, die Sex haben. Ich zeigte sie beim Sex in wunderschönen Umgebungen.“

Im Advocate, einem Schwulenmagazin, pries er Israel und fing an, Dokumentarfilme zu drehen: Letztes Jahr brachte er Undressing Israel heraus, ein Loblied auf die schwulenfreundliche Politik Israels, und in diesem April veröffentlichte er einen Film über Homophobie in Russland namens Campaign of Hate.

Sein offener Zionismus hat ihn natürlich ins Visier der Linken gerückt. Das Politikmagazin New Republic nannte ihn die „neokonservative Nummer eins des schwulen Pornos“ und die jüdisch-lesbische Romanschriftstellerin Sarah Schulman veröffentlichte einen Gastkommentar in der New York Times, in dem sie Lucas beschuldigte, die Misshandlung der Palästinenser durch Israel „pinkzuwaschen“.

2010 stimmte Lucas in einen Chor rechtslastiger Stimmen ein und sprach sich gegen den Bau eines islamischen Kulturzentrums in der Nähe des früheren World Trade Centers aus. Er schrieb im Advocate, das Zentrum sei ein „islamisches Kolonialisierungsprojekt“, Muslime hätten „3.000 Menschen ermordet und bauten am Tatort eine Moschee“.

Die Aktivistin Masha Gessen (links) und ihre Frau, Svetlana Generalova, sprechen in Campaign of Hate mit Lucas über die schwulenfeindliche Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Lucas ist stets auf der Hut und es kann ganz schön schwierig sein, mit ihm über all das—das Geld, die Kontroversen um seine Person, irgendwelche Bereiche seines Privatlebens—zu sprechen. Als ich Lucas gegenüber seinen Reichtum erwähnte, unterbrach er mich: „Wer hat dir gesagt, ich sei reich?“

Lucas wurde 1972 als Andrei Treivas in Moskau geboren. Als schwuler Jude mit einer natürlichen Abneigung gegenüber Autorität geriet er ständig mit den einengenden Machtstrukturen der Sowjetunion in Konflikt.

„Er war rebellisch“, erzählte mir Marina Giliver, Schulkameradin und Freundin von Treivas.

„Er wollte sich den kommunistischen Standards, wie die Menschen zu sein hätten, nicht anpassen, also war er anders.“

Schon mit sieben Jahren stellte Treivas Regierung und Politik der Sowjetunion infrage. Eines Tages fragte er seinen Großvater, ein Mitglied der Kommunistischen Partei: „Warum gehen wir überhaupt wählen? Es macht doch keinen Unterschied, ob wir wählen oder nicht, wenn eh nur eine Person zur Wahl steht.“

„Wage es nicht, das jemandem zu erzählen, und sprich mit niemandem darüber“, rief sein Großvater.

Als ihn seine Eltern in ein Lager der Jungpioniere schickten, dem sowjetischen Pendant zu den Pfadfindern, weigerte sich Treivas, ein rotes Halstuch zu tragen oder um 8 Uhr morgens aufzustehen, um vor der roten Fahne zu salutieren. Den Leitern des Lagers sagte er: „Ich will das nicht.“ Sie nannten Treivas einen „verdammten kleinen Judenbengel“, und eine Stunde später kletterte er die Lagerumzäunung hoch und haute ab. Er nahm den Zug zum Landhaus seiner Familie.

„Es war ein kommunistisches Regime—es gab keine Redefreiheit und wir wussten nichts über Sex, also hatte ich Probleme rauszufinden, wer ich war“, erzählte mir Lucas. „Ich wurde von Kindern an der Schule und von Lehrern misshandelt, weil ich anders war.“

1995 war der eiserne Vorhang verschwunden. Treivas war damals 23 und hatte gerade seinen Juraabschluss in Moskau gemacht. Auf der Suche nach mehr Freiheit kam er mit einem Touristenvisum nach Deutschland. Nach zwei Tagen hatte er kein Geld mehr, aber er hatte einen großen Schwanz und war zu allem bereit, was nötig war.

Eine Weile drehte er in Europa Pornos—für Schwule und für Heteros—und 1997 zog er nach New York, nachdem Falcon, damals Amerikas größtes Studio für schwule Pornofilme, Treivas in einem Film gesehen hatte. Sie gaben dem 25-Jährigen ein einfaches Flugticket, einen Vertrag über ein Jahr und einen neuen, amerikanisierten Namen. „Michael Lucas“ war geboren.

„Lustig, wenn jemand sagt: ‚ich bedaure nichts‘ … Ich bedaure es sehr, dass ich ihnen damals nicht gesagt habe, dass ich meinen richtigen Namen behalten will. Ich mag Andrei Treivas. Ich war 25 und hatte keine Ahnung, wie es in der Branche läuft. Falcon hat mich nicht gefragt. Ich sah meinen neuen Namen erst in dem Film. Für sie war ich nur irgendein russischer Junge.“

Die Pornostars Rod Daily und Vito Gallo mit Andy Dick und Lady Bunny, allesamt Gaststars in Kings of New York, einer Pornoserie von Lucas Entertainment mit zahlreichen Cameo-Auftritten

Die ersten vier Monate in New York lebte Lucas zusammen mit zehn anderen in einem Souterrain—in jedem Raum gerade mal Platz für eine Matratze, einen winzigen Tisch und Kleiderbügel, die an Nägeln in der Wand hingen. Ihm machte das nichts aus. „Wenn du jung bist, mit 25, ist das in Ordnung“, sagte er.

Lucas überlebte nicht nur—er gewann eine Greencard über das Losverfahren. Mit seinem neuen Aufenthaltsstatus verließ er Falcon und gründete 1998 Lucas Entertainment. (Er weigerte sich, mit mir über seine Erfahrungen bei Falcon zu sprechen.) Zu dem Zeitpunkt, als er sein eigenes Unternehmen gründete, besaß er ein Ein-Zimmer-Apartment im West Village (er bezahlte die Miete samt Maklergebühr und Kaution für ein halbes Jahr im Voraus in bar) und hatte das erreicht, was er als den amerikanischen Traum betrachtet. Nicht nur, dass er hart arbeitete—wenn ihr mir nicht glaubt, schaut euch seine ersten Filme an—er hatte sein eigenes Unternehmen gegründet und sein Imperium zudem ganz aus eigener Kraft, ohne Aufnahme eines Kredits, zum Laufen gebracht, ganz so, wie es unter Einwanderern üblich war.

„Wenn du einen Kredit aufnimmst, gehst du damit verschwenderisch um“, so erklärte er. „Wenn es dein eigenes hart verdientes Geld ist, denkst du wirklich darüber nach, wie du es ausgibst. Du rechnest mehr.“

Es überrascht ein wenig, dass Lucas im Allgemeinen ein ziemlich zurückgenommener Manager ist, der seinen Mitarbeitern vertraut. Er überlässt es ihnen, Promis für Cameo-Auftritte anzuheuern. „Ich mache das nicht aus geschäftlichen Gründen“, kommentierte Lucas. „Ich mache das, weil ich will, dass es für meine Jungs aufregend ist.“

Es gibt nur wenige Regeln: Lucas segnet die Darsteller ab (wobei er natürlich nach dem Aussehen geht), die Darsteller müssen auf dem Set nüchtern sein (Lucas mag keinen Alkohol), die Filme haben komplexe Handlungen, und große Schwänze. „Ein großer Schwanz ist ein großes Plus“, sagte er. „Ich glaube an Handlung, weil die Handlung es interessanter macht. Es ist sexy zu wissen, warum Leute Sex haben. Der Grund, warum Leute Sex haben, ist heiß. Manchmal schaut man sich einen normalen Film an und man sieht keine Penetration, aber er ist heiß—heißer noch als Porno—weil du weißt, warum sie Sex haben.“

J. C. Adams, ein Autor, der über die Pornoindustrie schreibt, hält diese kreativen Entscheidungen für den Grund, warum Lucas Entertainment im digitalen Zeitalter erfolgreich sein konnte, während ältere Unternehmen kollabiert sind. „Michael Lucas hat den Sinn für das Wesentliche nie verloren“, lautet sein Kommentar. „Außerdem versucht er unterschiedliche Dinge, verwirklicht kreative Ideen und schwimmt gegen den Strom. Grundgütiger, er hat einen Fetischfilm namens Farts! herausgebracht.“

Das Cover der zweiten Staffel von Kings of New York

Im letzten Juli habe ich mich zu MacNamaras Wohnung aufgemacht, um beim Dreh für eine Folge der Serie Kings of New York von Lucas Entertainment dabei zu sein. Etwas enttäuscht musste ich feststellen, dass diese trotz des ganzen Geredes über Handlung und größere Budgets so billig und die Story so konfus war wie bei einem selbst gemachten YouTube-Musikvideo. Die Geschichte dreht sich um zwei schwule Theaterbesitzer, die ein verlassenes Schauspielhaus in ein „Gaiety“ verwandeln. Als sie vor Ort ankommen, trifft gerade der Village Voice-Klatschkolumnist Michael Musto ein, eine feste Größe in der New Yorker Schwulenszene. Er wurde gerade bei Village Voice entlassen und möchte sein altes Theater aus Kinderzeiten besuchen. Nach einer Rückblende mit einem jungen Musto am Theater und dann einer Aufnahme von der Eröffnungsvorstellung des renovierten Theaters sehen wir die Theaterbesitzer beim Analsex in ihrer Wohnung, ohne dass sich mir die Gründe dafür erschlossen hätten.

Nachdem MacNamara das Bett freigeräumt hatte, besprach er die Szenen mit den beiden Darstellern, während im Hintergrund Musik von Janet Jackson und Jennifer Lopez spielte.

Das Drehbuch enthielt keine genauen Vorgaben, wie die Darsteller Sex haben sollten, also hatten sie, ähnlich wie Choreografen bei einem Ballettstück, eine langwierige Diskussion, wie sie von einer Position in die nächste wechseln würden. MacNamara plante den Cumshot. „Bist du ein Shooter oder ein Dribbler?“, fragte er Angelo. Das Set war ein wenig unterbesetzt, also musste ich ein Galgenmikrofon über die Köpfe von David und Angelo halten, während sie es miteinander trieben.

Während meiner Anwesenheit wollte MacNamara nicht, dass ich die Aufnahmen sah, die der Kameramann von den Darstellern schoss; eines der vielen Male, wo Mitarbeiter von Lucas Entertainment mir den Zugang zu etwas verweigerten oder versuchten, Einfluss auf meinen Artikel zu nehmen. Lucas’ Assistent Jeff erzählte mir, dass Lucas Interviews nur dann zustimme, wenn er die Fotos für die jeweilige Story auswählen dürfe. Als ich um Fotos bat, schickte mir Lucas per E-Mail Hochglanzaufnahmen von sich in Badehose. (Später genehmigte er dann die Fotos zu diesem Artikel.)

Lucas wollte nicht über einige der Kontroversen sprechen, in die er verwickelt war. Schulman, die Autorin, die Lucas in der New York Times wegen seiner zionistischen Ansichten angegriffen hatte, schrieb später ein Buch, Israel/Palestine and the Queer International, in dem sie unter anderem beschrieb, wie New Yorks LGBT Community Center 2011 der pro-palästinensischen Gruppe Siege Busters untersagt hatte, in ihren Räumen Veranstaltungen abzuhalten. Schulman zufolge hatte Lucas dem Zentrum gegenüber mit der Androhung eines „wirtschaftlichen Boykotts“ Druck ausgeübt, und Glennda Testone, die Leiterin des Zentrums, hatte innerhalb von Stunden Folge geleistet. (Im Zentrum ignorierte man meine Anfragen zu diesem Thema.)

Kurz darauf brüstete sich Lucas in einer E-Mail mit dieser Entscheidung. „Wir haben gewonnen! Herzlichen Glückwunsch an alle, die mir bei der Unterstützung Israels zur Seite gestanden haben“, schrieb er. „Mit eurer Hilfe konnte ich unsere Mission in nur acht Stunden vollenden.“ Als ich Lucas auf die Geschichte ansprach, erklärte er: „Ich habe keinen finanziellen Einfluss auf das Zentrum … Wenn es so wäre, würde ich diesen sofort nutzen. Sie verwenden dieses Klischee vom reichen, zionistischen Pornografiemogul, der mit dem Scheckbuch wedelt, sehr gern.“ Dass sein Gatte, der Geschäftsmann Richard Winger, ehemaliger Vorsitzender des Zentrums ist, vergaß er zu erwähnen. Eigentlich hat er die Tatsache, dass er einen Ehemann hat, überhaupt erst erwähnt, als ich ihn direkt darauf ansprach. (Seit meinem letzten Gespräch mit Lucas hat das Paar die Scheidung eingereicht.)

„Bei Michael geht es sehr viel um Zensur“, sagte Schulman.

Standfotos aus Undressing Israel, Lucas’ Dokumentation über die schwulenfreundliche Politik Israels

Auch wenn Lucas bemüht ist, bestimmte Aspekte seines Lebens unter Verschluss zu halten, scheut er doch nie davor zurück, seine Meinung offen auszusprechen, auch wenn er damit manchen verstört oder sich Feinde schafft. Der Comedian Yonah Ward Grossman, ein Freund von Lucas, erzählte mir, dass selbst Winger mit Lucas’ Politik nicht einverstanden sei. „Er teilt keine von Michaels eher scharfen politischen oder geopolitischen Ansichten.“ Grossman erzählte mir auch, dass der Pornomogul Putins schwulenfeindliche Gesetze vorhergesagt habe, bevor irgendjemand anders überhaupt darüber sprach. „Einige Leute hielten ihn für verrückt“, sagte Grossman. „Und dann dreht sich die Welt weiter und seine Verrücktheit erweist sich als wahr … Michael Lucas gehört wohl zu den zwei oder drei geopolitisch am besten informierten Leuten, die ich kenne, und ich kenne eine Menge Leute, die gut informiert sind.“

Lucas hat den rebellischen Zug aus seiner Kindheit behalten. Bei einer Charity Party auf Fire Island im letzten August, für die Lucas ein Zelt sponserte, wies er Mitarbeiter an, Nick Gruber—den Ex von Calvin Klein—rauszuschmeißen. Lucas erzählte der New Yorker Daily News, Gruber habe „Hände weg!“ gerufen, als zwei Männer ihn versehentlich gestreift hätten. Dann hätte er gesagt, er sei hetero und wolle nicht, dass Schwule ihn anfassten.

„Du gehst“, habe Lucas laut dessen Facebook-Seite zu Gruber gesagt.

„Weißt du eigentlich, wer ich bin?“ sagte dieser.

„Keine Ahnung“, so Lucas, „und ich will’s auch nicht wissen.“

Später erzählte man ihm, wer Gruber war, doch er tat den Zwischenfall ab, auch wenn damit zu rechnen war, dass er in der abgeschotteten Welt der mächtigen Schwulen von New York City für Wirbel sorgen würde.

„Ich bin froh, dass es bekannt wurde“, meinte Lucas. „Ich habe instinktiv gehandelt. Jeder sollte so handeln. Es ist so einfach, sich gegen Schwulenfeindlichkeit zu wehren.“

Auch wenn er über viele Aspekte seines Lebens Stillschweigen bewahrt, ist seine herausragendste Charaktereigenschaft hier doch ganz offen zu sehen: Es ist ihm scheißegal und er gibt nicht nach, wenn er der Ansicht ist, dass er auf der richtigen Seite steht.

Lucas in Moskau. Jahrelang hatte Lucas Freunde vor Putins Homophobie gewarnt.

„Für Michael ist die Welt schwarzweiß“, erzählte mir Bradford Shellhammer, Gründer von Queerty und Fab.com und ebenfalls ein Freund von Lucas. „Er und ich haben meist die gleichen Ansichten, aber ich bin für Taktgefühl. Er ist manchmal sehr direkt und aggressiv. Er ist nicht bereit, Kompromisse einzugehen.“

Shellhammer glaubt, dass man Lucas als muslimfeindlich bezeichnen könnte. „Er ist wirklich gegen viele Prinzipien in der islamischen Religion. Er hat klare Ansichten über den Islam, vor allem, was die Behandlung von Frauen und Schwulen anbetrifft, und darüber lässt sich gewissermaßen nicht streiten.“

„In meiner Kindheit habe ich eine Menge Antisemitismus erlebt. Ein Teil meiner Familie wurde im Holocaust getötet“, sagte Lucas. „Deswegen verstehe ich, warum die Juden ihren eigenen Staat brauchen, wo sie sich verteidigen und nie wieder ausgelöscht werden können. Mein Urgroßvater war Rabbi und wurde in seiner Synagoge von den Nazis getötet. Ich habe mit dem Judentum nichts zu tun. Ich glaube an den Staat Israel und die Geschichte meines Volkes.“

Grossman sagte, Lucas würde ihn an seinen eigenen Vater erinnern, der Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem kriegsgebeutelten Europa emigrierte. Trotz der Art und Weise, wie er sein Vermögen erwirtschaftet hat, steht Lucas für eine Reihe traditioneller Werte aus der alten Welt. 2000, kurz nachdem Lucas sein eigenes Unternehmen gegründet hatte, besuchten seine Großeltern ihn in New York und er zeigte ihnen sofort den riesigen siebenarmigen Leuchter im Central Park.

„Als er herkam, war er einfach nur erstaunt, dass man ein jüdisches Symbol an einem öffentlichen Ort aufstellen konnte, ohne dass es mutwillig zerstört wurde“, so Grossman. „Das gehörte zu den ersten Dingen, die er seinen Großeltern zeigte, denn er war so überwältigt von den Freiheiten, die wir hier haben.“