Das Runner-High ist ein Glücksmoment, den jeder Langstreckenläufer nur allzu gut kennt. Die Euphorie, die sich nach dem kilometerlangen Laufen einstellt, ist nicht nur für den Läufer ein besonders freudiges Erlebnis, sondern ist biologisch gesehen auch dem High eines Cannabis-Konsumenten erstaunlich ähnlich. Beide Hochstimmungen funktionieren durch das Endocannabinoid-System des Körpers: Dabei handelt es sich um eine Gruppe „endogener”, also im Körperinneren entstehender Rezeptoren, Lipide und Enzyme. Diese „Endocannabinoide” regulieren eine ganze Bandbreite an Körperfunktionen wie Appetit, Schmerz, Stoffwechsel, Stimmung, Energie, Schlaf und Stressreaktionen. Es sind die gleichen Rezeptoren, auf die die Cannabinoide, also die chemischen Stoffe im Marihuana, beim Kiffen wirken.
Doch ist es auch möglich, dass die beiden Hochstimmungen einander verstärken? Laut dem Ultraläufer Avery Collins aus Colorado ist die Antwort auf diese Frage, die sich wohl so noch nicht viele chillende Raucher gestellt haben, eindeutig: ja. Ultraläufer sind Läufer, die Strecken zurücklegen, die über die Marathondistanz von 42,195 km hinausgehen. Der längste Non-Stop-Lauf Deutschlands ist beispielsweise der Goldsteig Ultrarace mit einer Strecke von unglaublichen 661 Kilometern.
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„Es ist ganz einfach. Ich laufe gerne, wenn ich high bin”, erzählte Collins Motherboard. Cannabis verschafft ihm weder einen Wettbewerbsvorteil, sagte er, noch konsumiert er es während der Läufe selbst, doch das Üben für die langen Läufe wird dadurch angenehmer und es hilft ihm dabei, seine Muskeln zu entspannen, wenn er nicht läuft.
Die beim Laufen ausgeschütteten Endorphine tragen natürlich zum High des Läufers bei, doch außerdem wird durch die Bewegung auch die Menge an körpereigenem Ananadamid erhöht, einer endogenen „Glücks”-Chemikalie oder einem natürlich auftretenden Cannabinoid, das großen Einfluss auf das menschliche Verhalten, das Essen, den Schlaf und auf die Schmerzlinderung hat. Anandamid hat die gleiche Wirkung wie die im Marihuana enthaltenen Cannabinoide, wie beispielsweise das psychoaktive THC (Tetrahydrocannabinol), das die Blut-Hirn-Schranke durchquert, um die gleichen neuronalen Rezeptoren zu aktivieren wie die chemischen Stoffe in der Hanfpflanze.
„[Cannabis] hilft mir dabei, im Moment zu leben. Alles wird dadurch ein bisschen spirituell. Man denkt an rein gar nichts, außer an den Lauf”, erklärte Collins. „Ich benutze es, um den Lauf zu intensivieren und zu verbessern. Es verlängert die Dauer des Highs des Läufers, weil man ja eigentlich bereits high ist.”
Collins nimmt pro Jahr an vier bis fünf Läufen teil, die jeweils eine Distanz von 150-300 Kilometern haben. Diese Strecke zu meistern, kann zwischen 18 und 30 Stunden dauern. Stops werden unterwegs nur einige wenige eingelegt, und keiner dauert länger als vier Minuten. Für sein Training legt er wöchentlich fast 250 Kilometer zurück. „Es wäre gelogen zu behaupten, dass [Cannabis] nicht dabei hilft, meine Muskeln zu beruhigen”, so Collins, der mehrmals über den Tag verteilt an seinem Vaporizer zieht, manchmal essbares Marihuana konsumiert und nachts ein medizinisches Pflaster trägt, um besser schlafen zu können. Als seine Achillesferse stark verletzt war, hat er den Bereich mit medizinischer Salbe eingecremt, um den Heilungsprozess zu beschleunigen.
Die meisten Läufer werden vor dem Lauf nicht auf Drogen getestet, außer sie gehören zur Läufer-Elite, erklärte Collins. Doch vorsichtshalber hört er bereits einige Tage oder Wochen vor einem Lauf auf, Cannabis zu konsumieren.
Obwohl keine wissenschaftlichen Belege vorliegen, dass der Marihuana-Konsum Läufern tatsächlich irgendeinen Vorteil verschaffen würde, steht die Substanz auf der Liste der Welt-Anti-Doping-Agentur—auch, weil es zumindest die These gibt, dass die Substanz die Leistung steigern könnte.
Forscher haben herausgefunden, dass Sportler Cannabis aufgrund seiner angstlösenden Wirkung nutzen und auch, um in der Nacht vor einem Lauf besser schlafen zu können. Außerdem kann Cannabis die Sauerstoffversorgung des Gewebes erhöhen, die Konzentrationsfähigkeit steigern, das Sehvermögen verbessern und die Wahrscheinlichkeit von Muskelkrämpfe vor, während oder nach der sportlichen Leistung senken.
Aus den bereits genannten Gründen macht Collins auch kein Geheimnis daraus, dass er regelmäßig kifft—im Gegenteil: Er wird von drei Cannabis-Unternehmen öffentlichkeitswirksam gesponsert, und zwar von Roll-uh-Bowl, die faltbare Bongs herstellen, von einem Hersteller für medizinischen Marihuana und dem Unternehmen Incredible, das essbare Marihuana-Produkte herstellt. Zudem ist er Botschafter der Four-Twenty-Games, die in US-Staaten, in denen der Marihuana-Konsum legal ist, Sportveranstaltungen organisieren, um das Stigma des faulen Kiffers anzufechten.
Es gibt bisher nur wenige Hinweise dafür, dass es überhaupt einen direkten Zusammenhang zwischen Cannabis und einer Veränderung der Laufleistung gibt. Sicher ist aber, dass es Sportlern dabei hilft, mit den Begleiterscheinungen des Laufens besser zurecht zu kommen. „Die Leute neigen dazu, die Sache zu überanalysieren”, sagte Collins. „Ich versuche nicht, mir irgendein Vorteil zu verschaffen. Ich mag es schlicht und einfach, high zu sein, wenn ich laufe. Es macht Spaß, ist total befreiend und bietet eine gute Gelegenheit, dem Rest der Welt zu entfliehen.”