Der Mann, der alle Spielerwerte bei FIFA verantwortet, ist ein ziemlich entspannter Kölner

Die letzten zwei Wochen im September waren zwei der wichtigsten im Kalender von Millionen von Fußball-Fans und -Profis. Kurz vor der Erscheinung von FIFA 17 veröffentlichte EA Sports nach und nach die Spielwerte der Fußballer. Und wie immer sorgte dies für helle Aufregung in Wohnzimmern und Umkleidekabinen auf der ganzen Welt. Die FIFA-Reihe ist selbst zu einer ganzen Entertainment-Sparte des Fußballs geworden. Und die Spieler-Werte gehören zu den entscheidendsten Faktoren. So ziemlich jeder FIFA-Spieler wird Jürgen Damm kennen, weil er eine Schnelligkeit von 95 aufweist. Doch niemand wird wissen, dass der 23-Jährige bei den Tigres UANL in Mexiko noch keinen einzigen Scorer-Punkt diese Saison erzielte. Genauso kratzt es am Ego der Spieler, wenn sie sich durch die Spielstärken falsch repräsentiert fühlen. FIFA ist das unmittelbarste Zeugnis ihres Könnens.

Und das stellt ein Mann in Köln aus: Michael Müller-Möhring, genannt „Triple”. Als Head of Data Collection & Licensing leitet er ein Team aus 250 Data-Editors und 8000 Data-Reviewern, die die FIFA-Datenbank editieren und pflegen. Das klingt kompliziert und nach ganz schön viel Verantwortung. Als ich ihn anrief, erwartete ich einen Statistiker-Nerd, der mich mit Zahlen und Werten erschlagen würde. Ganz im Gegenteil: MMM ist ein ziemlich entspannter Zeitgenosse.

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VICE Sports: Es ging vor Kurzem ein Zitat von Ihnen herum, dass Thomas Müller im Nachhinein besser gemacht wurde, weil er neben seiner Qualität als Raumdeuter eher mittelmäßig sei.
Michael Müller-Möhring: Das habe ich gar nicht so gesagt! Das hat der liebe Kollege aus Amerika ein bisschen übertrieben dargestellt. Es hat sich so angehört, als wäre Müller abgesehen vom Stellungsspiel in allen Kategorien sehr schlecht. Das ist natürlich nicht so, aber er ist halt nicht herausragend in den Attributen, die für einen Offensivspieler maßgeblich sind. Er hat mit seinem Näschen eine unglaubliche Stärke, die wir eben am besten im Stellungsspiel wiedergeben können. Dass wir ihn aufgewertet haben, stimmt ja auch, nur wäre Müller anderenfalls nur ein, zwei Punkte niedriger bewertet gewesen. Genau wegen solchen Spielern haben wir ein neues System, bei dem wir Profis, von denen wir denken, dass sie auf Basis der zugeteilten Attributswerte besser oder schlechter als ihr Gesamtwert sind, etwas anpassen können. Einfach weil die herkömmliche Formel zur Berechnung der Gesamtstärke ihnen nicht gerecht wird.

Gab es auch schon andere Sonderfälle?
In der Vergangenheit war unter anderem auch Philipp Lahm ein solcher Problemfall. Durch Faktoren wie Größe und Geschwindigkeit, seine Flanken, die zu Beginn seiner Karriere nicht sonderlich genau waren, ergibt sich dann einfach ein zu niedriges Rating, was dem Spieler nicht gerecht wird. Ein anderer prominenter Sonderfall ist Andrea Pirlo, der wegen seiner Position eine 81 gehabt hätte, was absurd aussah! Das Augenmerk gilt trotzdem immer in erster Linie den Attributen, weil die ja im Gameplay den Unterschied ausmachen. Die Gesamtstärke ist erstmal nur eine Zahl. Wenn auch, vor allem beim Fifa Ultimate Team, eine sehr wichtige.

Spieler wie Holger Badstuber oder Marco Reus, die relativ häufig verletzt und dadurch ein bisschen unkonstant sind, bereiten Ihrem Team bestimmt auch oft Probleme, oder?
Da schauen wir auf das Niveau der Spieler, wenn sie mal einen längeren Zeitraum nicht verletzt waren. Aber wenn sie nach einer gewissen Zeit nicht auf ihr ursprüngliches Level zurückkommen, reduzieren wir langsam, aber stetig die physischen Attribute und später auch die Skill- und Mentalattribute, bis der Spieler wieder auf dem Platz steht. Der Fairness halber sind wir da auch geduldig.

Gibt es auch Attribute, die für den Spieler nicht sichtbar sind?
Bei Spielern, die als Hitzköpfe gelten, haben wir auch noch ein Attribut und zwar das Temperament. Dieses legt die Extravaganz beim Jubel, die Reaktion auf Schiedsrichterentscheidungen und bei vergebenen Chancen fest. Das ist dann ein Wert zwischen eins und fünf, bei dem es immer wieder schwierig ist, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Das sehen die Kollegen in Mexiko natürlich komplett anders als die in Schweden! Neben den bekannten „Volcanoes” gibt es auch Sonderfälle, bei denen wir lange intern diskutiert haben, was wir ihnen geben sollen. Mario Balotelli, zum Bespiel. Bei ihm wurde es am Ende eine vier.

Wie ich ernsthaft dachte, ich könnte einen FIFA-Profi besiegen

Wie ist das bei jungen Spielern wie Gianluigi Donnarumma, die blutjung zu Stammspielern werden?
Donnarumma war aus mehreren Gründen problematisch, weil wir auch Spieler, die jünger als 17 Jahre alt sind, aus lizenztechnischen Gründen nicht ins Spiel lassen dürfen.

Das wird bestimmt ein Spaß, wenn der 13-jährige Karamoko Dembélé den Sprung in die erste Mannschaft von Celtic Glasgow macht.
(Stöhnt) Oh Gott. Im Grunde ist diese Richtlinie richtig. Aber für unsere Kunden ist es dann halt doof, wenn die Spieler bei uns fehlen. Alexander Isak, in dem viele den neuen Ibrahimovic sehen, ist einen Tag nach unserem Early Access Release 17 geworden. Deswegen ist er jetzt bei uns auch noch nicht im Fifa Ultimate Team.

Podolski war zu seiner Arsenal-Zeit aus Werbezwecken auch mal zu Besuch. Nachdem er einen Kommentar über meine Fortuna-Köln-Fahne gemacht hat, meinte er, ‚Shotpower ist ein bisschen niedrig, ne?’. Dann durfte er sie auch ein bisschen nach oben korrigieren. Mit Poldi willst du in Köln ja schließlich keinen Ärger haben.

Bei Twitter beschweren sich ja hin und wieder Spieler über ihre Werte. Hat das auch schonmal jemand persönlich gemacht?
Ja. Dominik Kohr, der damals noch bei Bayer 04 Leverkusen gespielt hat. Er hat uns damals einen Brief geschrieben, weil wir aus Versehen das Foto von einem anderen Spieler verwendet haben. Aber das war nicht allein unser Fehler. Die Fotoagentur hatte sich da auch vertan. Auch der Kicker hatte das falsche Bild drinnen. Das Glück war in dem Fall, dass er bei Leverkusen gespielt hat und wir in Köln sitzen. Deswegen haben wir ihn eingeladen, ihm den Fehler erklärt und anschließend die Datenbank gezeigt. Er durfte sich dann auch selbst in einigen Attributen ein bisschen anpassen. Das Coole ist, dass Fußballer, die vorbeikommen, oft super interessiert sind. Podolski war zu seiner Arsenal-Zeit aus Werbezwecken auch mal zu Besuch. Nachdem er einen Kommentar über meine Fortuna-Köln-Fahne gemacht hat, meinte er: ‚Shotpower ist ein bisschen niedrig, ne?’. Dann durfte er sie auch ein bisschen nach oben korrigieren. Mit Poldi willst du in Köln ja schließlich keinen Ärger haben.

Wenn jetzt nicht gerade Lukas Podolski daran rumwerkelt, wie kommen die Spieler zu ihren Werten?
FIFA hat ja ziemlich viele Ligen und Mannschaften im Spiel, vor ungefähr zehn Jahren haben wir uns dafür entschieden, die Daten in einer Online-Datenbank zu sammeln. Dazu tragen Datenbankeditoren aus aller Welt bei, die sich um die einzelnen Vereine kümmern. Dieses Team wird durch lokale Fußballexperten mit einer Affinität für Zahlen, Spielerbewertungen und der FIFA-Reihe erweitert. Im Idealfall gehen diese auch regelmäßig ins Stadion und kennen die Mannschaften in- und auswendig. Für die großen Ligen ist es einfach, Leute zu finden—aber wenn man Experten für die koreanische oder chilenische Liga sucht, wird das schon schwieriger.

Aber besteht bei Dauerkartenbesitzern nicht auch die Gefahr, dass sie die Vereinsbrille aufhaben?
Genau deswegen sammeln wir unsere Informationen in einer Onlinedatenbank. So können wir permanent ein Auge darauf haben, wer was editieren möchte. Der erste Schritt ist, erst mal die Spieler in den jeweiligen Attributen in einer Art mannschaftsinternem Ranking festzuhalten. Danach wird auf die komplette Liga geschaut und erneut eine Rangfolge erstellt, die „Sinn ergibt”—das ist natürlich subjektiv. Am Ende gibt es diesen Prozess nochmal im globalen Vergleich.

Kommen dann auch regelmäßig verfälschte Werte vor?
Klar. Aber wir als Produzententeam kriegen das dann relativ schnell mit und sprechen dann mit den jeweiligen Mitarbeitern, wenn zum Beispiel der zweite Torwart einer kolumbianischen Mannschaft plötzlich extrem stark ist. Daneben haben wir auch noch eine weitere Kontrollinstanz. Das sind „Data Reviewer”, also Leute, die wir in unsere Datenbank hinein lassen und die die Daten sehen, aber nicht ändern können—die dürfen lediglich ein begründetes Feedback abgeben, warum die Werte anders sein sollten. Die Kontrolle liegt am Ende aber bei dem jeweiligen Editor.

Trotzdem können Spieler immer noch komische Werte haben. Am Ende wäre es auch vermessen zu sagen, dass wir jeden Spieler unfallfrei richtig bewerten können. Wer kann schon mit Bestimmtheit sagen, ob Schweinsteigers Kopfballspiel eine 65 oder 56 ist? Im Spiel macht es nicht den großen Unterschied, aber für unsere Leute sind das schon Welten.

Und welche Statistiken ziehen Sie zum Ergänzen der Werte heran?
Wir nutzen Daten von Opta und ähnlichen Providern, die öffentlich verfügbar sind, zum Beispiel whoscored.com, um uns einige von diesen objektiven Statistiken anzuschauen. Wir haben aber letztlich die Entscheidung getroffen, diese nicht direkt im Spiel zu verwenden. Da fehlt einfach der Kontext. Die Stärke und die Genauigkeit einer Flanke werden ja beispielsweise nicht bewertet. Wir vertrauen da eher der Crowd Intelligence unserer 250 Data Editors und 8.000 Data Reviewern. Leute, die einfach nur unsere Ratings vorab posten wollen, haben allerdings keinen Zugriff auf die Daten. Denn mit der Aktivität steigt quasi auch der Zugang.

Ein Rating, worüber in meinem Freundeskreis viel diskutiert wird, sind die Sterne für die Skills. Ab welchem Punkt hat ein Spieler Fünf-Sterne-Skills? Bei Yannick Bolasie und Aiden McGeady, die Namensgeber für Tricks sind, ist es ja mehr oder weniger klar. Aber Hachim Mastour hatte diese Wertung ja schon, als er mit 17 Jahren ins Spiel kam.
Die legen wir auch durch ständiges Beobachten fest. Bei den Spezialbewegungen kommt es häufig zu Missverständnissen. Es geht da weniger darum, wie gut ein Spieler diese Tricks ausführen kann, sondern wie oft der Spieler diese in einem regulären Spiel einsetzt. Ich glaube, selbst ein Mertesacker bekommt in echt Fünf-Sterne-Moves hin—wenn er wirklich will—, aber im Spiel macht er das eben nicht.

Wo wir schon mal bei Sternen sind, wo werden die Grenzen bei den Sternen der Mannschaften gesetzt? Manchester United hätte es ja leistungstechnisch in den letzten Jahren nicht verdient, so gut bewertet zu werden.
Die Sterne werden hier, wie auch bei den Gesamtwertungen der Spieler, nicht einfach zugewiesen. Jeder Spieler hat 36 verschiedene Attribute, die je nach Position zu einer Gesamtstärke führen. Anhand der 16 besten Spieler wird wiederum das Teamrating ermittelt. Ab einem Rating von 83 hat man dann eine Fünf-Sterne-Mannschaft. Wenn die Leistung einer Mannschaft von den Werten abweicht, sind wir sehr vorsichtig, zu schnell die Wertungen runter- oder hochzudrücken, damit die Spieler und Teams sich nicht jo-jo-mäßig entwickeln. Da dauert es dann schon ein bisschen, bis man den Schweinsteiger runtereditiert, was ich selbst gemacht habe. Vielleicht ist er mittlerweile noch überbewertet. Die Spieler sollten ihre Qualität ja in der Regel Woche für Woche bestätigen. Wenn Messi und Ronaldo irgendwann altersbedingt nicht mehr regelmäßig spielen, wird auch deren Rating Stück für Stück runtergehen.

Diesen Jo-Jo-Effekt habe ich bisher nur bei Henrikh Mkhitaryan bemerkt.
Durch seine Inform wurde dieser Effekt auch noch ein bisschen verstärkt. Sein höchstes Rating war 86. Das sollte jetzt aber auch wieder ein bisschen niedriger sein. (lacht) Man muss da allerdings auch noch hinzufügen, dass unser zuständiger Produzent ein BVB-Fan ist. Also, (hustet) da kann es schon mal einen leichten Ausreißer nach oben geben. (lacht) Wobei man Spieler wie Mkhitaryan, die nur mit gewissen Mitspielern, Trainern und einem guten Umfeld funktionieren, in vielen Ligen findet.