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Der Mann, der die Erde mit Millionen von Rubel verdunkelte

Seit der Industrialisierung arbeiten Unternehmer und Wissenschaftler daran, die Produktivität der Arbeiter zu optimieren. Anfang des 20. Jahrhunderts war es der Taylorismus, der die Fabrikarbeit nach wissenschaftlichen Kriterien organisierte, um die Leistung der Angestellten zu steigern und die einzelnen Produktionsschritte effizienter zu organisieren. Heute sind es vor allem die modernen Kommunikationswerkzeuge, die das Arbeitsleben effektiver machen: Dank der ununterbrochenen Erreichbarkeit durch E-Mails und Smartphones sind die Beschränkungen des alten 9-to-5-Arbeitstags längst passé—was nicht nur dazu geführt hat, dass die Werktätigen immer mehr arbeiten, sondern auch weniger schlafen.

Die Digitalisierung ist jedoch eine eher unspektakuläre Entwicklung verglichen mit den Maßnahmen, mit denen russische Forscher die Arbeitswelt in den 1990er Jahren revolutionieren wollten: Ein Team aus Astronomen und Ingenieuren versuchte damals mit aller Macht buchstäblich, die Nacht zum Tag zu machen. Ihr Plan war so simpel wie ambitioniert: Ein riesiger Reflektor sollte die Erde umkreisen, auf bestimmte Regionen ausgerichtet werden und so auch in die dunkelsten Nachtstunden Sonnenlicht bringen. Ziel war es, die Anzahl an Arbeitsstunden—insbesondere im hohen Norden mit seinen langen Winternächten—zu erhöhen und nebenbei auch die Stromkosten für die Beleuchtung zu senken.

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Was nach dem Plan aus einem James Bond-Film klingt, war tatsächlich eines der ehrgeizigsten russischen Weltraumprojekte, in das viel Geld und die Arbeitszeit von einigen der talentiertesten Ingenieure der Sowjetunion flossen—und welches im Vergleich zu Bond nicht nur Fiktion blieb, sondern tatsächlich ins All geschossen wurde.

Von Gagarin zum Sonnensegel

Wladimir Syromjatnikow machte 1956 seinen Abschluss an einer Technischen Universität in Moskau. Als einer der talentiertesten Ingenieure seiner Zeit konnte er sich bereits im Alter von 23 Jahren einen Job beim russischen Raumfahrt- und Raketenprogramm sichern, das damals noch nach guter sowjetischer Art „Sonderplanungsamt 1 des Forschungs- und Entwicklungsinstituts 88″ hieß.

Syromjatnikow arbeitete unter Sergei Koroljow, dem führenden sowjetischen Raketenkonstrukteur, unter dessen Leitung bereits 1957 der Sputnik-Satellit in die Erdumlaufbahn geschossen worden war. Zu seinen frühen Spitzenleistungen gehörte unter anderem die Entwicklung der Wostok: Mit diesem ersten bemannten Raumfahrzeug der Geschichte flog Juri Gagarin 1961 ins All.

Der fleißige Ingenieur arbeitete sich im russischen Raumfahrtprogramm schnell nach oben—vor allem aufgrund seiner genialen Ideen bei der Entwicklung von Dockingsystemen. Er baute das Androgyne Periphere Koppelsystem, kurz APAS-89, das in den 1970ern eine Kopplung von amerikanischen Apollo- und sowjetischen Sojus-Raumfahrzeugen ermöglichte. Seine Entwürfe werden noch immer für die Shuttles verwendet, die an die Internationale Raumstation ISS andocken.

„Der Weg ins Unentdeckte ist eine Herausforderung.”

Ende der 1980er jedoch hatte sich Syromjatnikow ein anderes Projekt in den Kopf gesetzt: Er wollte unbedingt ein Sonnensegel entwickeln, welches mit der Energie der Sonne ein Raumschiff auf seiner Reise durch die Galaxie anzutreiben vermag. Gleichzeitig sollte das Segel Licht auf die Erde reflektieren und so die nächtlichen, finsteren Regionen erhellen.

Die sowjetischen Politiker sahen in dem ambitionierten Projekt vor allem eine einzigartige Chance zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Zu Zeiten der Sowjetunion waren zahlreiche russische Forscher nahezu besessen davon, Methoden zur Effizienzsteigerung bei der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen zu finden. Vor allem in den nördlichen Regionen Russlands wollten sie die Arbeitszeit durch solche Maßnahmen gewinnbringend aufstocken, da dort die Tage im Sommer sehr lang und im Winter extrem kurz sind.

Im Jahr 1988 sprang dann auch Syromjatnikow auf den Zug der Tageslicht-Verlängerung auf; wohl vor allem, um die nötigen Finanzmittel für sein Projekt aufzutreiben. Er überarbeitete seinen Entwurf, sodass dieser als allgemeiner Weltraumreflektor fungieren konnte, und gründete das Konsortium „Kosmische Regatta”.

„Ursprünglich ging es darum, Licht für entlegene Gebiete in Sibirien und Westrussland mit langen Polarnächten bereitzustellen, sodass dort rund um die Uhr im Freien gearbeitet werden kann”, schreibt Jonathan Carry, Professor für Kunst und Theorie an der New Yorker Columbia University, in seinem Buch 24/7: Schlaflos im Spätkapitalismus. „Später erweiterte das Konsortium seine Pläne, um auch ganze Stadtgebiete mit Nacht-Licht zu versorgen. Man argumentierte, dass so Energiekosten für elektrische Beleuchtung eingespart werden könnten, und warb mit dem Slogan ‚Die ganze Nacht lang Tageslicht’.”

„Stellen Sie sich vor, was das für die Zukunft der Menschheit bedeuten wird”, erklärte Syromjatnikow gegenüber der Moscow Times. „Keine Stromrechnungen mehr, keine langen, dunklen Winter. Das ist ein großer technologischer Durchbruch.”

Er scharte ein Team um sich und baute einen Satelliten, der wenige Jahre später als Snamja („Banner”) in die Geschichte eingehen sollte—ein kosmischer Riesenreflektor mit einem Durchmesser von etwa 20 Metern.

Snamja 2 | Bild: RSC

Snamja 2

„So wie ein Kind mit einem Handspiegel lernt, dass es einen Lichtpunkt von einem hellen Fenster in eine dunkle Zimmerecke reflektieren kann, so glauben auch einige Forscher, dass sie große Reflektoren um die Erde kreisen lassen können, die dunkle Gebiete auf der Erdoberfläche mit reflektiertem Sonnenlicht erhellen.” So beschrieb die New York Times 1993 das Konzept von Snamja, das Gebiete mit einem Durchmesser von Dutzenden Kilometern erhellen sollte.

Der Satellit sollte von der Erde zur Raumstation Mir und von dort aus in die Erdumlaufbahn geschickt werden. Wenn er diese erreicht hätte, würde sich das Segel innerhalb von acht Sekunden auf eine Spannweite von 20 Metern entfalten und die dunkle Hemisphäre unter sich erhellen. Die Zeit der minimalen Stromkosten und endlosen Arbeitstage könnte umgehend ihren Lauf nehmen.

Die Snamja-Ingenieure zählten später in einem Dokument noch weitere potentielle Vorteile auf, mit denen sie für ihr Projekt werben wollten:

  • Ein künstliches Beleuchtungssystem könnte sich als extrem wertvoll bei Rettungseinsätzen nach industriellen und natürlichen Katastrophen erweisen
  • Die Erleuchtung könnte bei Polizei- und Anti-Terror-Einsätzen helfen
  • Das Licht aus dem All kann auch besondere Bauprojekte und andere Industrieaktivitäten unterstützen

Der Plan sah eine kontinuierliche Vergrößerung der Testreflektoren vor: Zunächst wollte man einen 20-Meter-Reflektor (Snamja 2) testen, dann eine 25-Meter-Version (Snamja 2.5), um schließlich die Testphase mit einem 70-Meter-Reflektor zu beenden. Danach sollte ein permanenter Weltraumreflektor mit einem Durchmesser von 200 Metern installiert werden, der die frühe Nacht der russischen Städte in fast taghelles Licht tauchen würde. Befürworter argumentierten, dass sich dank des Sonnensegels die jährlichen Stromkosten in Billiardenhöhe reduzieren ließen, dass Landwirten während Saat- und Erntezeit das Leben erheblich erleichtert würde und große Bauprojekte schneller vollendet werden könnten. Der einzige Nachteil wäre der Verlust des Schlafes.

„Der Plan sah eine Kette von Satelliten vor, die auf einer Höhe von 1.700 Kilometern in auf die Sonne abgestimmten Umlaufbahnen die Erde umkreisen würden, jeder mit einem ausfahrbaren parabolischen Reflektor aus papierdünnem Material”, schreibt Crary. „Wenn diese erst einmal auf ihren vollen Durchmesser von 200 Metern entfaltet wären, wäre jeder Reflektor-Satellit fähig, eine Fläche von 25 Quadratkilometern auf der Erde mit einer Helligkeit fast 100 mal so stark wie Mondlicht zu erhellen.”

Die Umsetzung von Snamja war jedoch voller Kompromisse. Der Zerfall der Sowjetunion hatte die Forschungseinrichtungen des Landes in den nahenden Ruin getrieben. Viele Ingenieure und Techniker arbeiteten ehrenamtlich, um das Sonnensegel-Projekt zu unterstützen und der eigentliche Satellit, der Snamja zum ersten Mal ins All brachte, wurde aus gespendetem Material zusammengeschustert. Finanzielle Unterstützung kam—wenn auch nur in geringem Maße—von einem Patchwork-Konsortium aus den verbleibenden staatlichen Raumfahrtorganisationen und unabhängigen Forschungsgruppen, darunter NPO Energia.

Nach Jahren der Entwicklungsarbeit schickten Syromjatnikow und sein Team die Snamja-2 1992 schließlich ins All. Mit einem Gewicht von 40 Kilogramm als sekundärer Nutzlast wurde sie an Bord eines Raumfahrzeugs namens Progress M-15 in Richtung der Raumstation Mir geschossen.

„Das dürfte eine wunderbare technische Demonstration werden”, sagte damals James E. Oberg, ein ehemaliger NASA-Experte für russische Raumfahrtprogramme. „Das ist eine Idee, über die sie schon lange sprechen, und jetzt haben sie die Gelegenheit, herauszufinden, ob sie funktioniert.”

Snamja jedoch blieb monatelang ungenutzt. Der Reflektor sollte ursprünglich im Dezember seine Arbeit aufnehmen, doch die russische Raumfahrtbehörde verschob das Datum und erst im Februar war der Tag gekommen, an dem das Segel schließlich installiert werden sollte. „Inzwischen sehen die Pläne es vor, dass Kosmonauten von der Mir die Trommel, die Snamja enthält, am Andockstutzen der Progress anbringen, bevor das unbemannte Versorgungsschiff die Station am 4. oder 5. Februar verlässt. Wenn die Progress 150 Meter von der Mir entfernt ist, wird Snamja freigegeben, indem ein elektrischer Motor die Trommel dreht und die acht Segmente der Reflektorfläche wie einen japanischen Fächer entfaltet. Der Reflektor wird den Planeten auf einer Höhe von etwa 360 Kilometern umkreisen und von der Erde aus wie ein heller Stern aussehen”, berichtete die New York Times.

Das Licht, das schon bei diesem ersten Test auf die Erde fallen sollte, entsprach laut Berechnungen der Leuchtstärke mehrerer Vollmonde. Der Nachthimmel kann schon mit einem einzigen Vollmond so hell sein, dass er in etwa einem grauen Dämmerlicht entspricht. Bei mehreren Vollmonden wären keine Taschenlampen mehr erforderlich.

Snamja nach dem Beginn des Einsatzes | Foto: Daniel Marin

Wie geplant verließ Snamja am 4. Februar die Mir. Auf sicherem Abstand wurden die Reflektoren erfolgreich entfaltet. Und tatsächlich schickte Snamja auch einen fünf Kilometer breiten Lichtstrahl auf die Erde. Der Strahl streifte Berichten zufolge mit einer Geschwindigkeit von acht Kilometern pro Sekunde durch Europa, von Südfrankreich nach Westrussland.

Allein die Stärke der Leuchtkraft von „mehreren Vollmonden” stellte sich als Übertreibung heraus: Die Helligkeit des Lichts entsprach einem einzigen Vollmond. Leider erblickte man aufgrund einer besonders dicken Wolkenschicht davon auf der Erde zunächst herzlich wenig. Wie die BBC berichtete, sahen einige Menschen verteilt auf dem europäischen Festland ein Licht aufblitzen, als der Strahl vorbeizog, doch das war es auch schon.

Dennoch hielt die Theorie dem Praxistest stand und die Konstruktion hielt. Snamja wurde nach ein paar Stunden aus dem Orbit geholt und verglühte beim Wiedereintritt in die Atmosphäre über Kanada.

„Der Reflektor war ein großer Erfolg, weil er bewies, dass das Konzept Hand und Fuß hat”, berichtete Nikolai N. Sewastjanow, ein Projektingenieur von Snamja, stolz der New York Times. „Jetzt müssen wir uns Unterstützung suchen, um einen Größeren zu bauen.”

Pläne für Snamja 2.5 | Bild: Space Frontier Foundation/Energia

Snamja 2.5

Snamja 2 brachte dem Team Anerkennung und genug Finanzmittel ein, um eine weitere Runde an dem Plan zu arbeiten. Auch gab es begeisterte Medienreaktionen: „Russische Raumforscher suchen nach dem ewigen Licht” jubelte noch im Juli 1998 der Titel eines Artikels in der Moscow Times, der wie folgt beginnt: „In den tiefsten Windungen der russischen Raumfahrtindustrie planen visionäre Forscher, der langen Winterdunkelheit ein Ende zu setzen… Es ist so einfach. Indem sie eine Kette von Spiegeln einsetzen, die über der Erde hängt und so angewinkelt ist, dass sie Sonnenstrahlung einfängt, könnten sie uns Heiz- und Beleuchtungskosten in Milliardenhöhe einsparen.”

Nachdem die Entwürfe angepasst worden waren—Snamja würde nicht nur einen Durchmesser von 25 Metern haben, sondern den Lichtstrahl auch kontrollieren und bündeln können—, machten sich Syromjatnikow und sein Team für einen neuen Raketenstart bereit. Im November stand ein Frachtflug zur Mir bevor, und die Moscow Times fragte: „Warum nicht einfach eine reflektierende Membran an der Rakete anbringen, sie davon abkoppeln und nordrussischen Städten ein paar Extrastunden Tageslicht bescheren?”

Die Erwartung stieg. Die Kühnheit des Projekts hatte dafür gesorgt, dass es in wissenschaftlichen Kreisen und von Interessierten aus aller Welt genau beobachtet wurde. Und die Pläne wurden noch wagemutiger: Snamja 3 befand sich bereits im Bau.

„Wir sind Pioniere auf diesem Gebiet”, sagte Wladimir Syromjatnikow, inzwischen Direktor des Konsortiums Kosmische Regatta, der New York Times. „Wenn das Experiment nach Plan verläuft, schlagen wir vor, dass Dutzende weitere Reflektoren dauerhaft ins All geschickt werden.”

Das Projekt nahm langsam gigantische Ausmaße an, und das gefiel nicht allen.

„Schnell gab es aus verschiedenen Richtungen Kritik an dem Projekt”, erinnert sich Jonathan Crary. „Astronomen zeigten sich entsetzt, weil es für den Großteil der erdbasierten Himmelsbeobachtung verheerende Auswirkungen hätte. Forscher und Umweltschützer verkündeten, dass es für Tiere und Menschen negative körperliche Folgen hätte, weil ohne die regelmäßige Abwechslung von Tag und Nacht diverse Stoffwechselprozesse gestört würden, darunter auch der Schlaf. Es gab also Proteste verschiedener Organisationen, die argumentierten, der Nachthimmel sei ein Gemeingut, auf den die gesamte Menschheit das gleiche Anrecht habe, und es sei ein durch keine Firma antastbares menschliches Grundrecht, die Dunkelheit der Nacht zu erleben und die Sterne zu sehen.”

Diese Haltung war den Forschern wohlbekannt. „Vertreter der russischen Raumfahrtbehörde haben Beschwerden von Astronomen und Umweltschützern erhalten, laut denen Snajma den Nachthimmel mit unerwünschtem Licht verderben würde”, berichtete beispielsweise die BBC 1999 über die Kontroverse. Die Beschwerden galten nicht spezifisch Snamja 2.5, sondern eher den dauerhaften Weltraumreflektoren, die Syromjatnikow geplant hatte.

„Wenn es funktioniert, werden sie in der Lage sein, fünf oder sechs russische Städte zu erhellen”, erklärte der Weltraumexperte Leo Enright dennoch. Plötzlich war es zu einer realistischen Möglichkeit geworden, sogar ganze Regionen zu erhellen, die sonst von der Nacht verdunkelt wären. Die BBC veröffentlichte sogar Übersichtskarten, die angaben, wo man mit ein wenig Glück das Reflektorlicht aufblitzen sehen könnte.

Darstellungen zur Sichtbarkeit von Snamja 2.5 | Bild via Triz-Journal

Und so sah die ganze Welt gespannt zu, als am 5. Februar 1999 der zweite, größere Snamja-Satellit von der Mir abgekoppelt wurde.

Doch beim Abkoppeln blieb einer der Reflektoren an den Antennen der Mir hängen und riss. Die Kontrollstation versuchte, den verfangenen Reflektor zu befreien, doch es war zu spät. Snamjas zerstörter Nachfolger wurde widerwillig aus der Umlaufbahn geholt und verglühte als Fehlschlag.

Syromjatnikow höchstpersönlich versuchte, das Projekt zu retten und arbeitete weiter an seinen Plänen für Snamja 3. Eine Projektwebsite, die 1999 erstellt wurde, listet ihn als einzige Ansprechperson auf, und zwar mit seiner persönlichen E-Mail-Adresse und Telefonnummer.

„Menschen in aller Welt und die Projektteilnehmer, die sich für technischen Fortschritt und die Erforschung des Universums zu friedlichen Zwecken interessieren, haben sich auf das Weltraumreflektor-Experiment gefreut und bedauern es sehr, dass es nicht vollständig ausgeführt werden konnte”, schrieb er, wobei er anmerkte, sein Team habe Briefe von Unterstützern aus zahlreichen Ländern erhalten. „Nach Abschluss des Experiments bat man uns, mit dem Projekt fortzufahren, nicht enttäuscht zu sein und nicht den Mut zu verlieren. Der Weg ins Unentdeckte ist eine Herausforderung.”

Eine Herausforderung allerdings, die eine Menge Geld kostet. Gegen Ende verwandelt sich das Dokument in einen leidenschaftlichen Aufruf an Investoren: „Wir erwägen tatsächlich, ob es möglich ist, das Snamja 2.5-Experiment zu wiederholen sowie das Snamja 3-Experiment mit dem 70-Meter-Reflektor im Rahmen des geplanten experimentellen Programms vorzubereiten und auszuführen”, schreibt Syromjatnikow.

„Doch Enthusiasmus alleine reicht nicht aus. Die Finanzierung des Snamja 2.5-Experiments war sehr knapp … Da es nicht genug Regierungsgelder gibt, um wissenschaftliche Forschung zu finanzieren, hoffen wir, Sponsoren im In- und Ausland zu gewinnen. Dies wäre eine Methode, um den Entwicklungsprozess für Sonnensegel-Raumschiffe, Weltraum-Erhellungssysteme sowie andere fortgeschrittene Technologien schneller voranzutreiben.” (Selbst hier konnte er nicht anders, als für die Sonnensegel zu werben, die das ganze unglückliche Unterfangen auf den Weg gebracht hatten.)

Es ist unmöglich zu sagen, wie viel Snamja am Ende tatsächlich gekostet hat—die New York Times berichtete, allein die Hardware für Snamja 2 habe wahrscheinlich 10 Millionen Dollar verschlungen, wobei die Kosten für den Raketenstart nicht miteinbezogen wurden—, Syromjatnikow jedenfalls warb um 100 Millionen Dollar für den größeren Snamja 3-Satelliten. Seinen Berechnungen nach würde sich die Konstruktion, der Raketenstart und der Betrieb der dauerhaften Reihe von Tageslicht regulierenden Reflektoren, deren Vorstufe die Snamja-Experimente bildeten, auf insgesamt 340 Millionen Dollar belaufen. Er behauptete dennoch, dass dieses Perma-Snamja angesichts der Kostenersparnis für künstliches Licht in Großstädten und bei Rettungsaktionen innerhalb von nur zwei bis drei Jahren Profite abwerfen würde.

Die Investoren meldeten sich nie. Nach dem Fehlschlag von Snamja 2.5 schwand das Interesse, Snamja 3 wurde abgebrochen und Syromjatnikow musste sich darauf beschränken, Weltraumreflektoren lediglich auf dem Papier zu entwerfen. Er war gezwungen, seinen Traum von Sonnensegel-Schiffen aufzugeben. Der Versuch, vom Weltall aus die Nacht zum Tag zu machen, war gescheitert, und die Nacht hatte gewonnen.

Syromjatnikow mit seinem Dockingsystem | Foto: ESA

Aller Tage Abend

Syromjatnikow kehrte schließlich zu seiner Arbeit an Dockingsystemen zurück, die er bis zu seinem Tod 2006 fortführte. Kurz bevor er starb, gab er IEEE Spectrum noch ein Interview, in dem er erzählte, wie er selbst im Alter von weit über 70 Jahren noch ohne Unterlass gearbeitet hatte, oft an Dockingsystemen für die Sojus-Raketen.

„Ich beginne frühmorgens mit meiner Arbeit, normalerweise gegen fünf, manchmal auch vier Uhr”, sagte er. „Ich gehe sehr früh schlafen und stehe sehr früh auf. Jeden Morgen mache ich 20 bis 30 Minuten lang Leibesübungen—und ich arbeite das ganze Wochenende durch.” Der Mann, der den Wunsch hegte, den Arbeitstag auf physischem Wege mit Weltraumreflektoren zu verlängern, wünschte sich offensichtlich auch selbst, niemals schlafen zu müssen.

Eines von Syromjatnikows liebsten Mottos, wie er IEEE sagte, war: „Die beste Erholung ist es, bis zum Mittagessen zu arbeiten. Dann hast du nicht das Gefühl, dass der Tag verloren ist, und in den verbleibenden Stunden kannst du andere, weniger wichtige Dinge tun.”

Inzwischen denken manche Wissenschaftler wieder über Satelliten nach, die das Sonnenlicht reflektieren. Diesmal ist die Absicht dahinter allerdings, eine große Menge solarer Energie auf die Erde zu strahlen. Einrichtungen wie das US Naval Research Lab forschen ernsthaft an dieser Möglichkeit, und die japanische Raumfahrtbehörde JAXA hat vor, noch in diesem Jahrzehnt ein Solarkraftwerk in die Umlaufbahn zu schicken. Auch die USA arbeiten an einem solchen Kraftwerk, das ebenfalls bis dahin einsatzbereit sein könnte. John Mankins, ein ehemaliger leitender NASA-Angestellter, ist der Kopf hinter dem amerikanischen Projekt SPS-Alpha. Er behauptet: „Ein einziger Solarenergie-Satellit würde etwa ein Drittel der Menschheit mit Energie versorgen.”