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Der russische Wissenschaftler, der zweiköpfige Hunde erschuf

Ja, das obige Foto, auf dem ein lebendiger zweiköpfiger Hund zu sehen ist, ist echt. Das Tier ist das makabere Ergebnis einer der frühesten Transplantations-Versuche des sowjetischen Wissenschaftlers Wladimir Demikhov. Tatsächlich müsste man wohl eher von anderthalb Hunden sprechen—Demikhov war es nämlich gelungen, den Kopf und die Vorderpfoten des kleineren Hundes Shakva an den Körper des größeren Hundes Brodyaga zu transplantieren. Beide überlebten die Operation zunächst, beide konnten nach dem Eingriff sehen und sich unabhängig voneinander bewegen—und beide starben vier Tage nach der Operation. Doch Demikhov gab so schnell nicht auf—er wiederholte sein Experiment mehr als 24 Mal. Der Reddit User BorisGuzo hat die Fotos aus einer alten Ausgabe des LIFE Magazins ausgegraben, in dem die Operation dokumentiert wurde—und auf die Bild-Hosting-Plattform Imgur geladen, wo sie seitdem für rege Diskussionen sorgen. Life hatte damals extra einen Fotografen nach Russland geschickt, der Demikhovs neuartiges Verfahren filmen sollte. Das Experiment wurde daher Schritt für Schritt von dem Magazin dokumentiert

In dem daraus entstandenen Artikel „Russlands zweiköpfiger Hund“, der im Juli 1959 veröffentlicht wurde, beschreibt Edmund Stevens die Szenen (der Bericht in voller Länge ist bei Google Books nachzulesen):

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Demikhov erklärte, dass es sich bei dem kleinen Hund um eine 9-jährige Hündin namens Shavka handele. Shavkas Kopf wird abgetrennt. Der Empfänger ist da drüben”, erklärte er in klaren knappen Worten. Er zeigte auf den Operationstisch, auf dem ein unter der Narkose erschlaffter, großer Mischling lag. Der Bereich um seinen Hals und seine Schultern war wie Shavkas Körpermitte rasiert worden. Shavka bellte gelegentlich. Demikhov sagte, es gebe keine Hinweise auf die Herkunft des großen Hundes. Er sei nur ein herrenloses Tier, das auf der Straße von Hundefängern aufgegriffen wurde. Demikhov nannte ihn „Brodyaga”, was Streuner bedeutet, und merkte an, dass der Hund großes Glück gehabt hatte. ‚Sie kennen doch das Sprichwort: Zwei Köpfe sind besser als einer.’

Die von Stevens beschriebene Szene geht weiter, als ein weiterer Mischling in den Operationssaal hereingedackelt kommt. ‚Hier, Palma’, rief Demikhov. Der Hund gehorchte, schnüffelte an Demikhovs Bein und wedelte mit dem Schwanz. Kommt Ihnen irgendetwas ungewöhnlich an Palma vor?, fragte er. Er wies auf die frischen Narben auf Palmas Brustkorb hin und erklärte, dass sie vor sechs Tagen mit einem zusätzlichen Herz ausgestattet worden war. Während der Operation musste auch die Lungenstruktur des Hundes stark verändert werden. Jetzt hatte sich das Tier aber erholt und machte einen fast ganz normalen Eindruck.

Nachdem Stevens also Demikhovs Persönlichkeit eines verrückt anmutenden Wissenschaftlers dargelegt hat, fährt er mit der detaillierten Beschreibung des bizarren Eingriffs fort:

Zuerst machten sie einen Einschnitt am Nackenansatz des großen Hundes und legten so die Jugularvene, die Aorta und einen Teil der Wirbelsäule frei. Dann bohrten sie zwei Löcher durch den knöchernen Teil eines Wirbels und zogen zwei Plastikfäden, einen roten und einen weissen, durch die beiden Löcher. Dieser Teil der Operation dauerte 40 Minuten. Shavka wurde dann unter Narkose gesetzt, und ihr Kopf und Körper wurden jeweils mit einem Handtuch umwickelt, sodass nur die rasierte Fläche um ihre Körpermitte freilag.

Nach dieser Vorbereitung wurde Shavkas schlaffer Körper neben Brodyaga auf den Operationstisch gelegt. Goriainov machte den Einschnitt und zog dabei vorsichtig Shavkas Haut zurück. Dann fuhren er und Demikhov fort und trennten mit dem Skalpell mühsam ein jedes Blutgefäß durch und verknoteten jedes einzelne mit einem Faden, während sie sich langsam tiefer zu Shavkas Organen vorarbeiteten. Schließlich durchtrennte Demikhov die Wirbelsäule.

Obwohl der Rest des Körpers amputiert worden war, waren Shavkas Kopf und Vorderpfoten erhalten geblieben und nutzten weiterhin Lungen und Herz. Nun begann der dritte und schwierigste Teil der Transplantation. Die großen Blutgefäße von Shavkas Kopf mussten perfekt mit den entsprechenden Gefäßen des Wirts-Hundes verbunden werden.

Im Internet gibt es natürlich auch ein Video dazu:

Demikhovs Experimente haben später einen amerikanischen Wissenschaftler, den Pionier der Neurowissenschaften, Dr. Robert White, dazu inspiriert, erfolgreiche Kopftransplantationen bei Affen durchzuführen. Motherboard hatte die seltsame Ehre, sein letztes Interview mit ihm zu führen—er verstarb 2010.

Die Geschichte medizinischer Forschung ist voll von schrecklichen Experimenten, ethisch fragwürdigen Verfahren und abstoßenden Operationen; dabei stellen die grausamen „Forschungs-Versuche” der Nazis an Holocaust-Opfern mit Sicherheit das dunkelste aller Kapitel dar. Obwohl Demikhovs Experimente zweifellos verstörend sind, verdanken wir ihnen große Fortschritte in verschiedenen medizinischen Bereichen. Seine Versuche, vor allem die Organtransplantationen—er hat als erster erfolgreich Herz- und Lungentransplantationen bei Tieren durchgeführt—, haben den Weg für die menschliche Variante dieser Eingriffe geebnet und führten zu einem Verfahren, das in den darauffolgenden Jahrzehnten ganz klar unzählige Menschenleben gerettet hat.

Kurz gesagt wären die medizinischen Transplantations-Verfahren von heute ohne diesen traurigen zweiköpfigen Hund wahrscheinlich nicht möglich und wir würden schlicht und einfach an Nierenversagen krepieren, statt eine neue Niere eingepflanzt zu bekommen.