Noch einige Zeit, bevor sich Bruce Willis in den Die Hard-Filmen als John McClane gleich zwei Mal ausgerechnet zu Weihnachten mit skrupellosen Terroristen herumschlagen musste, wurde dieser Plot in Wien bereits traurige Realität.
Am 27. Dezember 1985, um kurz nach 9 Uhr morgens, stürmen drei schwer bewaffnete Männer die Schalterhalle am Flughafen Schwechat und eröffnen mit ihren Kalashnikovs das Feuer auf die Passagierschlange vor den beiden Schaltern der El-Al, der staatlichen israelischen Fluglinie. Zuvor rollen sie noch Splitter- und Rauchgranaten in die Richtung der Menschen. Terroristen und Sicherheitskräfte feuern aufeinander, jagen sich durch die Gänge und über die Treppen, inklusive Verfolgungsfahrt.
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An diesem verschlafenen Morgen nach den Weihnachtsfeiertagen eröffnet ein Polizist von einer Balustrade aus mit seiner 9mm-Pistole das Feuer auf die heranstürmenden Terroristen, die auf einer Treppe gestoppt werden können. Zwei Sicherheitsleute der El-Al reagieren ebenfalls prompt und können mit ihrer Feuerunterstützung die überraschten Attentäter zurückwerfen. Sie ziehen sich in Richtung Garage zurück, kapern dort einen Mercedes und fliehen mit Höchstgeschwindigkeit durch die Schranken.
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Die mittlerweile alarmierte Flughafenpolizei nimmt mit Streifenwagen und den El-Al-Securitys die Verfolgung auf. Nach einer anfänglichen Irrfahrt über das Flughafengelände nimmt der Fluchtwagen Kurs auf die Bundesstraße Richtung Fischamend. Verfolgungsjagden kennt man hier bisher bestenfalls aus dem 40 Minuten entfernten Autokino in Groß-Enzersdorf.
Das ändert sich an diesem bisher ruhigen Nach-Weihnachtsmorgen. Terroristen geben immer wieder Schüsse auf die Polizei ab. Die Einsatzkräfte halten heftig dagegen. Schließlich kommt der fliehende Mercedes ins Schleudern und hält an. Die Täter steigen aus und versuchen, Geiseln zu nehmen. Da die Einsatzkräfte – nicht ganz vorbereitet auf einen Showdown im Kugelhagel – keine Munition mehr haben, warten diese ab, bis Verstärkung kommt. Aber die Täter kommen auch so nicht weit.
In einem Handgemenge sackt einer der Terroristen plötzlich leblos zusammen. Die anderen beiden geben schwer verletzt auf. Zahlreiche Kugeln haben die flüchtigen Attentäter getroffen; Abdel Aziz Merzoughi letztendlich tödlich. Die anderen beiden Täter, Tawfik Ben Ahmed Chaovali und Mongi Ben Saadaoui, werden festgenommen und unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen ins Krankenhaus gebracht. Im Schlussbericht ist von insgesamt knapp 200 abgegebenen Schüssen – im Flughafengebäude und auf der Straße – die Rede. 18 Einschüsse zählte alleine der entwendete Mercedes der Terroristen.
Terror aus dem Nichts
Wer Österreich in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr kennt, weiß: Hier passiert gar nichts. Die Trägheit als Produkt aus überbordender Fresserei und Urlaubstagen hat lange Tradition. Erst recht Mitte der 80er, als in den Haushalten Zeitungen und vielerorts auch Fernsehen noch schwarz-weiß sind, Polizisten durch die Bank Schnauzbart tragen und der Flughafen Wien gerade mal ein Drittel der heutigen Größe und Kapazität ausmacht.
Der bisher größte Aufreger des Jahres lag mit dem Glykolwein-Skandal, bei dem Winzer ihre Traubensäfte mit Frostschutzmittel streckten, bereits ein halbes Jahr zurück. Aufregender sollte 1985 eigentlich nicht mehr werden; und dieselbe verschlafene Grundstimmung hört man auch den Charthits an. Hier liegt Jennifer Rush mit “Power of Love” vor der STS, die mit “Gö, du bleibst heut Nacht bei mir” ein bisschen Austropop-Besinnlichkeit verbreiten.
Lethargie und Völlerei liegen wie so oft nahe beisammen. Hinzu kommt die generelle Verschlafenheit des damaligen Wien und seines Flughafens. Niki Lauda ist gerade zum dritten Mal frischgebackener Formel-1-Weltmeister und noch weit von seiner Fluglinien-Expertise entfernt. Private Flugreisen sind generell noch ein Luxus. Warum also wählen die palästinensischen Täter ausgerechnet diesen Provinzflughafen aus? Und in wessen Auftrag?
Eigentlich wollten die Terroristen in Wien nach dem anfänglichen Blutbad Geiseln nehmen, mit diesen ein Flugzeug freipressen und es über Israel detonieren lassen.
Was die Einsatzkräfte zum Zeitpunkt des Anschlags nicht wissen: Gleichzeitig mit dem Anschlag in Schwechat attackiert ein Kommando mit der gleichen Vorgehensweise den Flughafen Rom-Fiumicino. Der Blutzoll ist weit höher. In Rom sind insgesamt 16 Tote und 99 Verletzte zu beklagen. Es handelt sich also offensichtlich um ein konzertierte Aktion einer gut organisierten Terrororganisation. Aber die überlebenden Attentäter schweigen vorerst und lassen die Polizei über die Hintergründe im Unklaren.
Alles, was man damals weiß, ist dass gezielt auf israelische und US-amerikanische Passagiere geschossen wurde. Erstere hat man in Wien als Ziel auserkoren, zweitere in Rom. Nach wenigen Tagen ergibt sich für die mit internationalen Geheimdiensten zusammenarbeitenden Ermittler ein recht vollständiges Bild: Eigentlich wollten die Terroristen in Wien nach dem anfänglichen Blutbad Geiseln nehmen, mit diesen ein Flugzeug freipressen und es über Israel detonieren lassen. Nur durch die überraschende Gegenwehr der Sicherheitskräfte wurden die drei Männer soweit aus dem Konzept gebracht, dass daraus nichts wurde. Schnell stellt sich heraus, wer der Drahtzieher der beiden Flughafen-Attacken ist: Abu Nidal, der Chef einer militanten Splittergruppe der radikalen palästinensischen Fatah.
Die eindringlichen Bilder der Zerstörung in der Abflughalle, die Blutlachen und der mittendrin stehende geschmückte Weihnachtsbaum brennen sich in das kollektive Gedächtnis ein.
Die Abu-Nidal-Organisation verübte schon vier Jahre zuvor zwei aufsehenerregende Attentate in Österreich. Am 1. Mai 1981 wurde der Wiener SPÖ-Stadtrat und Präsident der österreichisch-israelischen Gesellschaft, Heinz Nittel, vor seinem Wohnhaus umgebracht. Ein halbes Jahr später verübte derselbe Täter, der gebürtige Iraker Hesham Mohammed Rajeh, gemeinsam mit einem Komplizen mit Schusswaffen und Granaten einen Anschlag auf die Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse. Nur dank eines zufällig anwesenden Leibwächters und anschließend der Polizei konnte ein Blutbad verhindert werden. Trotzdem gab es zwei Tote.
Mit dem Anschlag am Flughafen erschüttert jetzt erneut antisemitischer Terror die Republik – vor allem wegen der Entschlossenheit und Brutalität, die der Angriff vermitteln. Die eindringlichen Bilder der Zerstörung in der Abflughalle, die Blutlachen und der mittendrin stehende geschmückte Weihnachtsbaum brennen sich in das kollektive Gedächtnis ein. Was hat das kleine neutrale Land getan, um sich den Zorn palästinensischer Terroristen zuzuziehen?
Österreichs Rolle in Nahost
Das hat verschiedene Gründe. Während der 70er-Jahre regiert die SPÖ in Österreich alleine, angetrieben durch den legendären Parteichef und Kanzler Bruno Kreisky, der bereits damals wegen seines Charismas und seiner politischen Unnachgiebigkeit oft als “Sonnenkönig“ tituliert wurde. Kreisky ist jüdischer Abstammung, glühender Sozialist und flieht kurz nach dem Anschluss 1938 nach Schweden. Viele seine späteren politischen Leistungen sind vom hochentwickelten schwedischen Sozialstaat inspiriert. Nach dem Krieg kehrt er nach Österreich zurück und legt eine steile politische Karriere hin, als Staatssekretär leistet er sogar einen kleinen Anteil am alles entscheidenden Staatsvertrag 1955.
Kreisky erkennt die Wichtigkeit einer nach außen gewandten Politik, um das wirtschaftliche und politische Überleben des kleinen Österreich zu sichern, und nutzt die geografische Lage direkt am Eisernen Vorhang zum Ausbau diplomatischer Beziehungen mit dem Osten. Die UNO-City entsteht, und abseits der Öffentlichkeit wird Wien nach West-Berlin zur heißesten Drehscheibe für internationale Geheimdienste. Doch eine besondere Herzensangelegenheit ist Kreisky die Nahostpolitik. In einer heißen Phase des Nahostkonflikts, Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahre, vermittelt er erfolgreich zwischen Israel, Ägypten, Libyen und der palästinensischen PLO und fördert ihren Dialog mit progressiven europäischen Politikern wie Willy Brandt und Olof Palme.
Kreiskys – und damit auch Österreichs – Vermittlerrolle missfällt radikalen arabischen Hardlinern, die Israel von der Karte getilgt sehen wollen. Und ihr Unmut wächst über die Zeit immer mehr. Daher versuchen Terrorzellen wie die von Abu Nidal, mittels besonders spektakulärer Terrorakte gegen israelische Ziele in europäischen Ländern die jeweiligen Regierungen von ihrer Unterstützung für Israel abzubringen – vergeblich.
Muammar al-Gaddafi übrigens, der 2011 gestürzte und gelynchte libysche Staatschef, unterhielt zu dieser Zeit blendende Kontakte mit Abu Nidal. Gemeinsam wurden sie für einige der schlimmsten Terroranschläge der 80er Jahre verantwortlich gemacht. Trauriger Höhepunkt der Attentate ist die Explosion der PanAm 103 über Lockerbie 1988, die 270 Menschenleben auslöscht. Ob tatsächlich Libyen in die Anschläge verwickelt war, oder Gaddafi nur sehr bereitwillig den internationalen Superbösewicht mimte und die Verantwortung für die Taten einer Palästinenser-Terrorgruppe aus dem weitaus mächtigeren Syrien übernahm, bleibt bis heute ungeklärt.
Ganz besondere Abkommen und Spezialeinheiten
Genauso unklar bleiben wohl auch die genauen Gründe, warum Abu Nidal mit drei Männern ausgerechnet in Wien einen antisemitischen Anschlag verüben ließ. Am wahrscheinlichsten ist aber, dass Abu Nidal die nach dem Synagogen-Attentat inhaftierten zwei Täter und ihren Planungschef freipressen wollte. Da die Verhandlungen scheiterten, wurden als Vergeltung schließlich die drei Männer entsandt.
Das folgende plötzliche Ende des High-Profile-Terrorismus in der Alpenrepublik ist übrigens auf eine typisch österreichische Lösung zurückzuführen; man handelt sich einen diplomatischen Mittelweg aus. Die österreichischen Behörden treffen in höchst geheimen direkten Verhandlungen zwischen dem Leiter der Staatspolizei und Abu Nidal himself ein ganz besonderes Abkommen: Angehörige der Abu-Nidal-Organisation bekommen eine Wohnung der Staatspolizei in Wien zur Verfügung gestellt – diese wiederum wird in Zusammenarbeit mit einem nicht genannten “befreundeten Dienst” überwacht (der nicht namentlich als Mossad genannt wird). Und zwar bis 1993.
Was wurde aus den Schuldigen? Nachdem der Einfluss von Abu Nidal schwand, ließ sich dieser nach den Wirren des Golfkriegs in den 90ern im Irak nieder, wo er 2002 unter nicht ganz geklärten Umständen durch eine Schussverletzung starb. Die tödliche Verletzung (oder die tödlichen Verletzungen; je nach Quelle variiert die Geschichte) passierte bei einer Operation des irakischen Geheimdienstes. Die überlebenden Flughafen-Attentäter Tawfik Ben Ahmed Chaovali und Mongi Ben Saadaoui wurden beide in Österreich zu lebenslanger Haft verurteilt. Saadaoui wurde 2008 entlassen und durfte nach Jordanien ausreisen; sein zehnjähriges Einreiseverbot in Österreich läuft noch 2018 aus. Chaovali sitzt wegen zusätzlich ausgefasster 19 Jahre aufgrund mehrerer Ausbruchsversuche immer noch in der Justizvollzugsanstalt Stein ein.
In Wien wurde nach den Vorkommnissen am Flughafen Schwechat die Gründung einer speziellen Einsatzgruppe mit höchster Priorität beschlossen und so die Einsatzabteilung Kranich ins Leben gerufen. Die Einheit war ausschließlich der Sicherung des Flughafens zugeteilt und verfügte für viele Jahre sogar über einen eigenen Radpanzer.
2002 wurde die Einsatzabteilung Kranich aufgrund einer veränderten Sicherheitslage und der mittlerweile völlig anderen Vorgehensweise von Terroristen aufgelöst und wie alle anderen Einsatzkommandos eingegliedert. Was bleibt, ist die Geschichte einer Einheit, von der man sich in Österreich heute nur noch schwer vorstellen kann, dass man sie vor noch gar nicht allzu langer Zeit – und von einem Tag auf den anderen – traurigerweise sehr dringend brauchte. Als Reminiszenz wird der Name Kranich auch heute noch inoffiziell für die Polizei am Flughafen Wien gebraucht.