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Der Tod ist ihr Hobby: Die Frauen, die auf fremden Beerdigungen weinen

bocitoare din Romania

Geschichten über Klageweiber begegneten mir in meiner Jugend immer wieder: “Professionelle” Trauergäste seien das, die auf fremden Beerdigungen auftauchen, laut weinen und traurige Lieder singen. Ich sah nie welche, aber stellte mir ältere Frauen mit Kopftüchern vor, die ganz in Schwarz gekleidet an der Leiche heulen. Wie sich rausstellen sollte, war meine Vorstellung absolut richtig.

Der Beruf des Klageweibs hat eine jahrtausendelange Geschichte in Asien, Afrika, Nahost und großen Teilen Südeuropas. Doch inzwischen ist der Brauch vielerorts ausgestorben, so auch in meiner Heimat Rumänien. Also habe ich mich auf die Suche nach den letzten Frauen gemacht, die diese Tradition am Leben erhalten.

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Ich spreche mit einigen der bekanntesten Historikern Rumäniens, aber sie sagen alle, Klageweiber gebe es in ihren Landesteilen nicht mehr. Doch dann erreiche ich Gabriela Herta, eine Grundschullehrerin in dem winzigen Dorf Romuli, weit im Norden des Landes. Sie kennt ein paar Klageweiber, die auch noch zu einem Treffen mit mir bereit sind.

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Gavrilă Catrinas Haus (links)

Er schneit heftig, als ich in Romuli eintreffe. Ich parke mein Auto an der Hauptstraße und steige einen Hügel hinauf zu einem der wenigen Gebäude weit und breit: ein altes türkisfarbenes Hüttchen, das aussieht wie direkt aus einem Märchenbuch entsprungen.

Gavrilă Catrina, Ana Heidel und Anica Bulz begrüßen mich an der Schwelle mit einem einstimmigen “Gott segne dich!” und einem Glas Blaubeer-Branntwein, der mir sofort das Blut in die Wangen treibt. Sie schütten ihre Gläser weg, als wäre es nichts. Zur Feier des Tages tragen die Frauen traditionelle weiße Blusen mit schlichten schwarzen Stickereien.

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Ana Heidel

Die Aufgabe der Klageweiber ist schnell erklärt: Sie gehen zu jeder Bestattung in ihrer Umgebung, ohne dass die Angehörigen darum gebeten hätten oder dafür zahlen würden. Sie weinen und singen Trauerlieder, die oft speziell für die verstorbene Person verfasst wurden.

Die Frauen packen ihr Handbuch aus: “100 Verse für die Toten – Beerdigungslieder für junge Mädchen, Kinder, Frauen und Männer” heißt das Buch von 1930, aus dem sich die Klageweiber von Romuli ihre textliche Inspiration holen. Oft treffen sie sich vor einer Beerdigung und bereiten die besonderen Strophen für die verstorbene Person vor. Sie ändern die überlieferten Verse und improvisieren auch mal, aber alles orientiert sich an diesen Texten, die seit Generationen weitergegeben werden.

Ich frage, ob sie bereit sind, ein Trauerlied vorzutragen. Sie besprechen sich kurz, wählen eine Strophe aus und räuspern sich.

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Das Liederbuch, das die Klageweiber von Romuli als Grundlage für ihre Verse nehmen

Die Frauen wissen, dass ihre Tradition ausstirbt, und sagen, sie hätten sich damit abgefunden, womöglich die letzten richtigen Klageweiber Rumäniens zu sein.

“Junge Menschen wollen nicht mehr für die Toten singen”, sagt Bulz, mit 60 die Jüngste der Dreien. “Es ist, als würden sie sich dafür schämen.” Bulz weiß nicht mehr, wie alt sie war, als sie zur Klagesängerin wurde, aber gefallen habe es ihr schon immer.

Mit 79 ist Ana Heidel die Älteste – und auch die Lustigste.

“Ich meine, was glauben die denn? Dass man uns so einfach los wird?”, fragt sie. “Ob es regnet oder schneit, wenn du tot bist, kommen wir und singen für dich.” Heidel erzählt, sie und andere Frauen hätten früher in den Patriotischen Garden gedient, den paramilitärischen Gruppen, die unter Ceaușescus kommunistischem Regime Rumänien gegen ausländische Einflüsse verteidigen sollten. “Denkst du, uns macht noch irgendwas Angst? Wir können Maschinengewehre bedienen!”

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Anica Bulz legt eine traditionelle Tracht für Bestattungen an

Im Gespräch mit diesen Frauen wirkt der Tod nicht wie etwas, das man fürchten muss, sondern wie ein ganz normaler Teil des Lebens. Das Klagen verlangt den Frauen allerdings auch einiges ab. Catrina sagt, sie träume häufig noch nächtelang von der Person, die zuletzt beerdigt wurde. Auch Bulz geht es so; ihre Schwester ist vor Kurzem gestorben, daher fällt ihr der Klagegesang zurzeit besonders schwer.

Heidel träumt nicht von den Toten. Doch Beisetzungen von Menschen, die schon jung gestorben sind, bei denen die Angehörigen vor Trauer außer sich sind, fallen allen dreien schwer. Trotzdem sehen sie die Tradition und die Rolle, die sie darin spielen, als einen wesentlichen Bestandteil der Gemeinde. Das Klagen bringe die Menschen einander näher, sagen sie, denn so würden die Angehörigen spüren, dass sie mit ihrer Trauer nicht allein sind. Stattdessen nimmt die gesamte Dorfgemeinschaft Anteil.

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Der Priester Nicolae Târgoveț

Corina Bejinariu leitet das Museum für Kunst und Geschichte in Zalău, einer Stadt im Norden Rumäniens. Sie hat für ihre Doktorarbeit Bestattungsriten untersucht und erklärt, die meisten Menschen würden ihr Leid für sich behalten und es somit verschlimmern. Die Klageweiber können das öffentliche Trauern normalisieren, so Bejinariu, und damit könne “der Trauerprozess seinen Lauf nehmen”. “Heutzutage will niemand mehr öffentlich trauern”, sagt sie. “Der Tod wird immer mehr zum Tabu, weinen gilt zunehmend als ein Zeichen von Schwäche in einer Gesellschaft, die den Stärkeren Vorrang gibt.”

Laut Bejinariu sind nicht nur die jungen Menschen in Rumänien dafür verantwortlich, dass die Klagetradition ausstirbt: “Die Kirche wollte schon immer die Autorität in punkto Tod sein, also hat sie versucht, dieses Ritual auszumerzen – das sei heidnisch und stimme nicht mit der christlichen Lehre überein.”

Dass die Orthodoxe Kirche von Romuli kein großer Fan der Klageweiber ist, wird schnell deutlich. Der Dorfpriester Nicolae Târgoveț hat sich ins Zeug gelegt, diesen und andere alte Bräuche zu unterbinden. Als er vor vier Jahren in Romuli eintraf, sei er schockiert gewesen, welche Praktiken in dem Dorf noch existierten, sagt er.

“Die Leute beerdigten ihre Toten mit einem Kreuz an den Füßen”, erzählt der Priester. “Ich dachte, die Totengräber wären bei der Arbeit betrunken gewesen.” Die Dorfbewohner hätten ihm erklärt, dass die Toten das Kreuz am Tag des Jüngsten Gerichts bräuchten, um sich damit hochzustemmen und wiederaufzuerstehen. “Diese Begründung konnte ich nicht fassen”, sagt Târgoveț. “Ich habe zwei Jahre gebraucht, um sie davon zu überzeugen, dass das keinen Sinn ergibt. Das Klagen ist also nicht die einzige Tradition, gegen die ich vorgehen musste.”

Laut dem Priester verstößt das Klagen gegen die orthodoxe Tradition, denn eine Bestattung solle den Menschen im Angesicht des Todes Hoffnung spenden und ihnen vor Augen halten, dass ihre Angehörigen ein Leben nach dem Tod haben. “Mit meiner Predigt versuche ich, den Menschen mitzugeben, dass der Tod nicht das Ende ist”, sagt er. “Und was machen die Klageweiber? Sie kommen und weinen und singen diese dramatischen Texte, was nichts bewirkt, außer die trauernde Familie noch mehr bestürzen. Das ist alles ein sinnfreies Theater.”

Târgoveț erklärt, er habe schon häufig versucht, mit den Klageweibern zu sprechen, schließlich wisse er, dass sie tief im Inneren gläubige Christinnen seien. Doch die Frauen lassen nicht mit sich reden, so der Priester.

“Ach, das hat der Priester also gesagt?” Anica Bulz wirkt überrascht. “Der wird es schon noch einsehen. Stell dir mal vor, wir würden nicht mehr für die Toten singen, nur weil der Priester das so will!”

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