Sie waren davon ausgegangen, eine Nation im Umbruch zu sehen. Ohne konkreten Auftrag ausgestattet, reiste VICE-Gründer Suroosh Alvi mit seiner vierköpfigen Crew einmal quer durch den Iran. Jetzt stellt sich heraus, dass während ihres Besuchs ein Frieden herrschte, wie es ihn im Iran seitdem nicht mehr gegeben hat. Hier erzählt die Crew, was sie erlebt hat.
Wir wollten Menschen aus allen Schichten und Ecken des Landes treffen. Deswegen verzichteten wir neben einer großen Crew auf schweres Gepäck. Neben der üblichen Kameraausrüstung nahmen wir noch eine kleine Sony Handycam mit, die eher Touristen benutzen.
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Das Ergebnis ist der VICE Guide to Iran – ein Film, der den Alltag im Iran zeigt, wie wir ihn noch nie festhalten konnten. Mit dem Zug fuhren wir 22 Stunden zur Hafenstadt Bandar Abbas, von der aus der Iran die strategisch wichtige Straße von Hormus dominiert. Wir konnten ohne die üblichen Probleme mit Menschen sprechen und die ganze Reise filmen. Es bildeten sich keine Menschentrauben um uns, wir wurden nicht von der Polizei gestört.
Bei unseren Interviews mit einem ehemaligen Führer der Revolutionsgarden oder dem mit einem Mann, der im Jahr 1979 US-Diplomaten folterte (und inzwischen an COVID-19 gestorben ist), haben wir die Sony FS7 Schulterkameras benutzt, die wir auch sonst bei VICE-Drehs verwenden.
Wir wollten Teile des Landes sehen, die andere Filmcrews nie besuchen – wenn sie denn überhaupt in den Iran reisen. Wir waren auf der Insel Qeschm, in der Stadt Bandar Abbas, an der Straße von Hormus und in Teheran. Wir haben uns mit der Metal-Band Chaos Descent getroffen, mit einem ehemaligen Anführer der Islamischen Revolutionsgarden und mit Masoumeh Ebtekar, der iranischen Ministerin für Frauen- und Familienangelegenheiten.
Wenige Tage nach unserer Abreise brachen im ganzen Land Massenproteste aus, das iranische Militär schoss ein Passagierflugzeug ab, die halbe Regierung erkrankte am Coronavirus und mit ihr das ganze Land. Unsere Reise war eine Gelegenheit, den Iran noch einmal zu sehen, bevor es sich wie ein Großteil der Welt dramatisch veränderte.
Die folgenden Fotos hat Jake Burghart mit der Pentax K1000 seines Großvaters gemacht. Sie liefern einen zusätzlichen Einblick in unsere Reise und unsere Arbeit.
Wir sind aus dem Flieger direkt in den Zug gestiegen, um von Teheran im Norden nach Süden zur Straße von Hormus zu fahren. Dieses Foto entstand um 6 Uhr morgens, kurz nach dem Aufstehen. Offiziell gab es im Zug vor 7 Uhr keinen Tee, worauf das Zugpersonal mehrmals energisch hinwies. Plötzlich brachten sie uns dann aber doch welchen vorbei. Einfach so.
Keegan Gibbs war unser zweiter Kameramann, Tontechniker und vieles mehr. Bei einer Crew von vier hat jeder mehrere Aufgaben. Kurz vor unserer Abreise hatten wir diese kleine Handkamera gekauft. Zum Glück, denn im Zug war Filmen streng verboten. Mit dieser Minikamera hatte das Zugpersonal aber keine Probleme.
Kurz nach Sonnenuntergang hielt der Zug zum Gebet. Die Türen öffneten sich und die Leute gingen gemächlich nacheinander in eine kleine Moschee. Niemand interessierte sich für uns oder unsere Kamera.
Kaum aus dem Zug ausgestiegen, ging es direkt an diesen Strand. Öltanker zogen am Horizont vorbei, in einem der umkämpftesten Meere der Welt. Währenddessen gingen die Menschen am Strand ins Wasser, um Selfies zu machen.
Als nächstes fuhren wir per Boot auf die Insel Qeschm – quasi ein Muss für eine solche Reisedoku. Hier warteten wir im Van darauf, dass die Zollbeamten unsere Sachen fertig durchsucht hatten. Das Ganze hatte immerhin definitiv mehr Insel-Vibes als die Durchsuchung in Teheran.
Im winzigen Fischereihafen von Qeschm sahen wir diesen Jungen, der über einem versunkenen Schiff schwamm. Da wir die Sittsamkeit von Teheran gewohnt waren, fühlte es sich fast schon verboten an, so viel freiliegende Haut zu sehen. Aber schon bald zogen wir unsere Shirts aus und sprangen selbst ins Wasser.
Die Stimmung an diesem Strand glich fast einer Spring-Break-Party – dank der BBQs, der spontan aufgebauten Shisha-Runden, der Kamelritte, der Fallschirmsegler, der Musik und der guten Laune. Als Fotograf kann man sich in einer solche Szenerie schnell verlieren. Ich vergaß, dass wir hier eigentlich arbeiteten, und ließ mich einfach treiben.
Als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, ging das Meer so weit zurück, dass eine Landbrücke zu einer anderen, kleineren Insel zum Vorschein kam. Viele Leute zogen dorthin, und die Party ging weiter.
Die spontan organisierte Shisha-Runde auf der kleineren Insel. Die Leute saßen auf einem Mauervorsprung vor einem verlassenen Gebäude, ein Mann hatte einfach ein paar Wasserpfeifen und Tische rangeschafft. Hinter mir war das Meer, links von mir grillte ein Typ Kebabfleisch, auf der anderen Seite war der Himmel voll mit den Fallschirmen des zwielichtigen Parasail-Unternehmens auf dem Festland. Ich stamme aus Florida, deswegen fühlte ich mich direkt heimisch und wollte nicht mehr weg.
Wir mussten aber wieder zurück nach Teheran. Nachdem wir so viel per Boot und Zug unterwegs gewesen waren, bereitete mir allein der Gedanke an den Flug Unbehagen. Hier steht Suroosh im Chomeini-Mausoleum – wo natürlich eine ganz andere Stimmung herrschte als am Strand. Einen Souvenirladen mit Eiscreme gab es trotzdem.
Die Iraner nennen diesen Ort “Spionenhöhle” oder “Spionagenest”, was viel schmissiger klingt als “ehemalige US-Botschaft”. In diesem Museum fühlt man sich wie in der Zeit zurückversetzt, es schien jedoch nicht wirklich geöffnet zu haben. Dort trafen wir den Diplomaten und Politiker Hussein Sheikholeslam, der 1979 bei der Geiselnahme in der Botschaft dabei war. Im März starb Sheikholeslam an den Folgen des Coronavirus.
Dieses antisemitische und antiamerikanische Ramones-Logo befindet sich direkt vor der Botschaft. Nach der Revolution malten Künstler antiamerikanische Bilder auf die Mauern, zum 40. Jahrestag der Revolution kamen neue Bilder dazu.
Dieser Typ – Bigmouth – ist vor allem als Stimmungsmacher bei antiamerikanischen Demos bekannt.
Wenn Bigmouth der Stimmungsmacher ist, dann sind das die Tänzer. Junge Menschen werden aus den Schulen in Vororten von Teheran in Bussen zu den Demonstrationen gebracht, dafür werfen sie sich in ihre besten antiamerikanischen Kostüme. Dennoch kann man sich nett mit ihnen unterhalten. Und sie versichern einem, dass sie nur die US-Regierung und nicht die US-Bürger hassen.
“Ich stehe dir zu Diensten, Chomeini”: Diese religiösen Schülerinnen scheinen noch mehr die Hardline-Schiene zu fahren als andere.
Das Ende der Parade, des Karnevals oder der Demonstration – wir sind uns nicht sicher, welcher Begriff die Veranstaltung am besten beschreibt. Ein Straßenverkäufer wäscht über einem offenen Abwasserkanal die Paintball-Flecken von seinem Trump-Poster.
Die Gruppe am letzten Tag auf dem Markt: Suroosh Alvi, Alex Chitty, Keegan Gibbs, Katty Arsinjani, Jake Burghart (v.l.n.r.)