Des Teufels rechte Hand: Wie russische Orthodoxe gegen Heavy Metal kämpfen


Dimitrij Enteo ist der Wortführer von Gottes Wille, einer russisch-orthodoxen Aktivistengruppe, die mit spektakulären Aktionen versucht, Konzerte zu verhindern. Einsatzbild via Getty Images. Fotos von Anthony Tafuro

Aus der Music Issue 2016

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Vor dem Tschechow-Künstlertheater in Moskau lag ein abgetrennter Schweinekopf. Auf seiner klammen Stirn stand in schwarzer Tinte „Für Tabakow”. Am 1. April 2015 skandierte hier Dimitrij Enteo mit Mitgliedern seiner russisch-orthodoxen Aktivistengruppe „Gottes Wille” Slogans gegen Blasphemie, wobei sie sich theatralisch bekreuzigten. Es ist unklar, ob der Regisseur Oleg Tabakow, gegen den sich ihr Zorn richtete, überhaupt anwesend war. Ihre Abscheu über seine Entscheidung, Oscar Wildes Stück Ein idealer Gatte zu inszenieren, hatten sie jedenfalls kundgetan. Enteo ist körperlich keine imposante Gestalt. Er trägt einen dunklen Bart und ein selbstzufriedenes Grinsen, und als Sprecher von Gottes Wille kennt er sich gut damit aus, wie man öffentlich Unruhe stiftet. Aus orthodox-religiöser Überzeugung verdammen er und seine Mitstreiter alles, in dem sie Satanismus, Homosexualität oder kulturellen Nonkonformismus wittern. Seine Aktionen sind meist spektakulär und übertrieben. Nicht nur wirft er mit Schweineköpfen und unterbricht Theaterstücke, er hat auch bereits Bandmitglieder von Marilyn Manson vor einem Konzert 2014 in Moskau mit Eiern beworfen, mutmaßlich eine Kunstausstellung beschädigt, weil sie „pornografische” Darstellungen von Jesus Christus zeige, einen „missionarischen Flashmob” im Darwin-Museum der Hauptstadt inszeniert und außerdem Berichten zufolge LGBT-Aktivisten und Pussy-Riot-Unterstützer tätlich angegriffen.

Enteo, eigentlich Dimitrij Tsorionow, ist Teil einer starken neuen Welle des Aktivismus, an deren Spitze junge, fanatische Orthodoxe stehen. Sie versuchen, Moralvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert mit der Technologie des 21. Jahrhunderts zu verbreiten. Ihre Bewegung wurde infolge der Verhaftung der Bandmitglieder von Pussy Riot nach ihrem „Punk-Gebet” in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale bekannt. Daraufhin setzten orthodoxe Aktivisten Politiker unter Druck, ein Exempel zu statuieren. Die Folge war, dass das russische Strafgesetz um den Artikel 148 erweitert wurde. Dieser erklärt „öffentliche Handlungen, die deutliche Missachtung der Gesellschaft ausdrücken und ausgeführt werden, um die religiösen Gefühle Gläubiger zu verletzen” zum Verbrechen. In anderen Worten, Blasphemie ist nun offiziell verboten. Heute erweist sich Artikel 148 für orthodoxe Aktivisten wie Enteo als sehr nützlich. Es ist zu einem großen Teil Enteo zuzuschreiben, dass sich der Fokus der Rechten von Opern und Kunstausstellungen zu volksnäheren Kunstformen wie westlichem Heavy Metal und Hard Rock verschoben hat. Das Gesetz ist auf ihrer Seite, und die religiösen Fanatiker bedrohen regelmäßig Promoter, protestieren bei Konzerten, machen telefonisch Bombendrohungen und drohen damit, den Föderalen Migrationsdienst einzu­schalten, um Musikern Visumprobleme zu bereiten. Alles, um Russland von diesen blasphemischen, „satanischen” Elementen zu befreien.

Am 26. August 2016 beantragten orthodoxe Aktivisten bei der russischen Polizei ein permanentes Verbot der amerikanischen Death-Metal-Ikonen Incantation, der österreichischen Black/Death-Metal-Band Belphegor und des amerikanischen Dark-Folk-Acts King Dude. Sie bestanden darauf, diese Bands würden Satanismus und Blasphemie verbreiten. Insgesamt hatten Incantation kaum Probleme bei ihren russischen Konzerten, doch bei ihrem Auftritt in Moskau erschienen Demonstranten. Auch klagte die Band darüber, dass sie die Titel ihrer „blasphemischen” Songs auf der Bühne nicht nennen durften; King Dude hat auf jüngeren Konzerten dasselbe Verbot erhalten. „Ich bin offensichtlich kein Satanist”, sagt TJ Cowgill alias King Dude. „Ich bin Luziferianer, wie ich schon seit Jahren sage. Ich bin in keiner Weise antichristlich, und genauso wenig bin ich antisatanisch.”

Einsatzbild via Getty Images

Nergal ist der Frontmann von Behemoth, einer polnischen Death-Metal-Band, die bereits von orthodoxen Aktivisten ins Visier genommen wurde. Mehrere Konzerte in Russland wurden abgesagt.

Enteo hat ein Interview mit uns abgelehnt, doch Auf­merksamkeit ist ihm offensichtlich mehr als recht. „Gott sei Dank!”, tweetete er, als ein Marilyn-Manson-Konzert 2014 aufgrund einer anonymen Bombendrohung abgesagt wurde. Als ein weiterer Auftritt in Nowosibirsk, der drittgrößten Stadt Russlands, abgesagt wurde, sagte Enteo NBC News gegenüber: „Wir können nicht zulassen, dass so etwas noch einmal passiert.” Twitter scheint ihm das liebste soziale Medium zu sein. In seinem Profil beschreibt er sich mit: „The God’s Will movement, orthodox christian, right-wing, conservative, pro-life, pro-family, pro-gun, creationism, anti-communism, fusionism”. Mehr als 50.000 Follower empfangen seine Tweets über seine religiösen und politischen Ansichten, seine Bewunderung für den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Ted Cruz und seine eigenen Aktionen. Sein Gespür für Social Media und Spektakel, kombiniert mit einem schon fast krankhaften Verlangen nach Aufmerksamkeit, hat ihn zu einem der besten Vollzeit-Provokateure Russlands gemacht.

2014 nahm Enteo auch die amerikanischen Death-Metal-Legenden Cannibal Corpse ins Visier. Die Band hatte für Oktober acht Konzerte in ganz Russland angekündigt. Enteo sagte Ria.ru gegenüber: „Wir schicken Massenanträge an die Staatsanwälte, mit Beschreibungen von dem, was auf Konzerten der Gruppe geschieht, ihren Songtexten, die detailliert Vergewaltigung und Mord an Kindern beschreiben.” Er merkte außerdem an: „Zuerst werden wir versuchen, dieses Problem mit der Hilfe der Gesetzeshüter zu lösen. Wenn das nicht funktioniert, wird es vielleicht Kundgebungen und Gebetstreffen geben—Massenproteste in verschiedenen Formen.”

Letztendlich wurden drei Konzerte abgesagt. In einer Mitteilung beschrieben Cannibal Corpse ihre Auffassung der Situation: „In Ufa wurde kurz vor dem Konzert der Strom abgestellt (weil die Lokalität mit der Miete im Verzug sei, hieß es), und in Moskau und St. Petersburg sagten sie uns, wir hätten nicht die richtigen Visa und wenn wir versuchen würden aufzutreten, würde man uns verhaften und deportieren (vor der Tour hatte man uns gesagt, unsere Visa und Dokumente seien alle vollständig und korrekt). In Nischni Nowgorod gab es auch Probleme. Dort konnten wir nur unser halbes Set spielen, bevor die Polizei uns unterbrach. Sie sagte uns, der Veranstaltungsort müsse nach Drogen abgesucht und die Show abgebrochen werden.”

Dem vorausgegangen war ein ähnlicher Vorfall mit den polnischen Death-Metalern Behemoth. Religiöse Aktivisten in Moskau schickten dem Bürgermeister Sergei Sobjanin einen Brief, der das Tourprogramm der Band als “Beleidigung religiöser Befindlichkeiten” bezeichnete. Als Behemoth am 21. Mai in einem Club in Jekaterinburg ankamen, nahm die Polizei die Bandmitglieder mit zum Migrationsamt, wo man ihnen sagte, sie hätten nicht die richtigen Visa für einen Live-Auftritt. Behemoth mussten ein Bußgeld von 2.000 Rubel (ca. 30 Euro) zahlen und wurden des Landes verwiesen, nachdem sie nur vier der geplanten 13 Konzerte in Russland gespielt hatten.

In der jüngeren Vergangenheit hat sich mit Anatoli Artjuch ein weiterer extremistischer Wortführer eingemischt, allerdings mit einem noch gewalttätigeren Ansatz. Genau wie Enteo ist er berüchtigt dafür, stets das Rampenlicht zu suchen. Beide haben sich bereits öffentlich mit ihren Erfolgen bei der Verdrängung westlicher Metal-Bands gebrüstet. Artjuch reagierte auf unsere Interviewanfragen nicht, doch wir wissen, dass der 55-jährige Musiker und ehemalige Geschäftsmann der St. Petersburger Filiale von Narodny Sobor („Volkskonzil”), einer nationalis­tischen Gruppe mit engen Verbindungen zur russisch-orthodoxen Kirche vorsteht. Auch bekannt ist, dass er sich unter anderem dafür eingesetzt hat, LGBTQ-Menschen als psychisch gestört einzustufen, Schriften gegen Homosexualität an Schulkinder verteilt und sogar ein Ballett geschaffen hat, dass Homosexuelle, Abtreibung und Frauen ohne Kinder verteufelt.

Artjuch machte letzten April damit Schlagzeilen, dass er Helmuth Lehner, dem Sänger der österreichischen Death-Metal-Band Belphegor, ins Gesicht spuckte, als dieser zu Beginn der Russlandtournee in St. Petersburg landete. Ein Video von dem Vorfall zeigt Artjuch, einen kräftigen Mann mit harten Gesichtszügen, der seine Motivation darstellt: Er nennt die Band „Perverse”, „Schwule” und „Satanisten” und gelobt, „alles zu tun, was er kann”, um „diese Freakshow” zu verhindern. Dabei zi­tiert er Artikel 282 des russischen Strafgesetzes, der es verbietet, „zu Hass oder Feindseligkeit aufzuhetzen oder die Menschenwürde zu verletzen”. Nachdem Artjuch einen ahnungs­losen Fan verhört, der am Gate auf Belphegor wartet, geht er direkt auf die Bandmitglieder zu und spuckt Lehner ins Gesicht. Lehner spuckt zurück und lässt ein paar deutsche Schimpfwörter los. Artjuch belästigt ihn und seine Kollegen verbal, darunter Karl Sanders von der amerikanischen Death-Metal-Band Nile, und droht damit, die Belphegor-Konzerte absagen zu lassen. Artjuch und sein Gefolge kleben den Musikern an den Fersen, als sie den Flughafen verlassen. Offensichtlich sind sie auf Konfrontation aus. Als Artjuch ausholt, um zuzu­schlagen, wehrt der Nile-Frontmann ihn gelassen ab und sagt ihm, er solle verschwinden.

Das Ergebnis der orthodoxen Bemühungen: Belphegors Konzert in St. Petersburg wurde nur Stunden vor Beginn abgesagt. Der Auftritt in Moskau wurde zur Farce, da man der Band vorschrieb, Bühnenbild und Requisiten wegzulassen. Auch sagte man Lehner, er dürfe den Song „Lucifer Incestus” nicht singen. Irgendwann stellte der Tontechniker den Gesang aufgrund der Textinhalte für das restliche Konzert stumm und als die Band von der Bühne kam, erfuhr sie, dass ihre Konzerte in Jekaterinburg und Krasnodar ebenfalls abgesagt worden waren.

„Ich empfinde weder Belphegor noch mich selbst als Opfer”, sagt Lehner. „Wir haben etwas richtig gemacht, wenn wir solche Menschen wütend machen.”

Anatoli Artjuch ist der St. Petersburger Vorsitzende von Narodny Sobor, einer landesweiten russisch-orthodoxen Organisation. Vor Kurzem wurde er dabei gefilmt, wie er einem österreichischen Metal-Musiker ins Gesicht spuckte. Einsatzbild via AP Images

Enteo, Artjuch und ihre Kollegen scheinen es hauptsächlich auf große Namen abgesehen zu haben, doch ein Vorfall aus der jüngsten Zeit zeigt, dass sie wohl auch ein gewisses Interesse an der Underground-Metal-Szene haben. Im April war die polnische Band Batushka gezwungen, zwei Konzerte abzusagen. Sie schrieben in einer E-Mail: „Wir hatten all diese Genehmigungen und grünes Licht von den zuständigen Ämtern. Leider haben wir Drohungen von Extremisten aus dem Umfeld der russisch-orthodoxen Kirche erhalten, die ankündigten, Besucher der beiden Konzerte verprügeln und sogar töten zu wollen. Da wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit wissen können, ob es für das Publikum und uns sicher ist, sind wir gezwungen, beide Konzerte abzusagen.”Einheimische Promoter sind ebenfalls schon zur Zielscheibe geworden. Eine amerikanische Metal-Band (die anonym blei­ben möchte, um ihren russischen Promoter zu schützen) musste bei ihrer Ankunft für die Konzerte in Moskau und St. Petersburg feststellen, dass man den Promoter aufgefordert hatte zu unterschreiben, dass die Band nichts Blasphemisches unterstützen werde.

Vielleicht ist „Ignorieren und weitermachen” die beste Vorgehensweise gegenüber einer Gruppe von zwielichtigen Extremisten, die mit Populismus und Einschüchterung arbei­tet. Die Aktivisten mögen eine große Klappe haben und den ausländischen Bands hier und da Kopfschmerzen bereiten, doch letztendlich sind die heimischen, russischen Metalheads die Leidtragenden. Die orthodoxen Extremisten haben ihren Hass bisher mehr auf westliche Bands gerichtet, doch Andrei P. von der Funeral-Doom-Band Station Dysthymia aus Nowosibirsk erzählt uns, die Einheimischen befürchteten, dass sich das ändern könnte.

„Am meisten beunruhigen uns die Konzerte”, sagt Andrei. „Jetzt haben wir immer die Sorge, jemand könnte aufkreuzen und allen den Spaß verderben.”

„Ich bin Russe, ich liebe meine Leute und mein Land”, fährt er fort. „Und deswegen finde ich, dass wir gegen Scheiße wie das hier kämpfen müssen. Ich bin nicht gegen religiöse Leute, aber genauso wenig, wie ich ein Recht habe, ihnen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, haben sie ein Recht, anderen ihren Glauben aufzuzwängen.”

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