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Eine Nacht in Deutschlands einzigem Men-Strip-Club nur für Frauen

Kurz nachdem er sich als Magic Mike mit eingeöltem Sixpack und Cockerspaniel-Blick auf den Leinwänden der westlichen Welt auszog, wurde Channing Tatum wegen seines „unglaublich gemeißelten Körpers” zum Sexiest Man Alive gekürt. Sonntag feierte er seinen 35. Geburtstag; bald kommt Magic Mike XXL in die Kinos. Glaubt man einschlägigen Frauenmagazinen, ist es ein Wunder, dass weibliche Wesen sich überhaupt noch auf ihre Jobs, Kinder oder sonst irgendetwas konzentrieren können.

Ein Stripper in einem Stripclub nur für Frauen

Das ist nicht Mike, sondern Toni, alle Fotos: Andrea Ruester und Franziska Brodhun.

Wir fanden es an der Zeit herauszufinden, wie viel Magic Mike in der Realität steckt. „Wir haben den Film alle zusammen im Kino gesehen und Tränen gelacht”, sagte Patti bei unserem ersten Telefonat. Sie ist Psychologin, Kindergärtnerin, Ersthelferin, Stilberaterin und irgendwie auch Zirkusdirektorin, alles in einem. Eigentlich lautet ihre Berufsbezeichnung Managerin und zwar von Olivias Wilden Jungs. Denn unsere Magic-Mike-Spurensuche führt uns, wohin auch sonst, in die Rotlichthauptstadt Deutschlands.

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In Hamburg, auf der Großen Freiheit, zwischen neonleuchtenden Puffeingängen, schummrigen Kellerkneipen und Touristen-Gruppen, die nicht nur mit Lärm- und Alkoholpegel, sondern auch outfittechnisch an Ballermann erinnern, liegt Deutschlands einzige Menstrip-Bar für Ladies only. Vermutlich sogar die einzige Europas. Klar gibt es noch andere Etablissements, in denen sich auch Kerle ausziehen, aber um es richtig magicmikemäßig zu halten, brauchten wir eine Location, in der Frauen unter sich sind. Und wir haben sie gefunden.

Olivia Jones, die Betreiberin des Stripclubs nur für Frauen

Chefin Olivia kommt in fast jeder Schicht vorbei, schnackt mit Gästen und Jungs und trinkt auch mal einen Olivia Jones Secco mit.

Um 20.30 Uhr, als wir ankommen, ist eine Schlange vor dem Club. Vereinzelt blitzen Federboas oder ein Krönchen auf, die Menge wogt hin und her, jede will die Erste sein. „Gibt’s da heute was umsonst?”, bringt meine Begleiterin mein eigenes Erstaunen auf den Punkt. Als wir an der Schlange vorbeigehen und vorne nach Patti fragen, bohren sich spitze Blicke in unsere Rücken. Ich habe das Gefühl, manch’ Eine würde auch gerne einen Stiletto-Absatz hinterherschicken. „Ey, hinten anstellen, Prinzessin”, pöbelt jemand, aber da dürfen wir zum Glück schon rein.

Olivias Wild Jungs, die Stripper im dem Stripclub nur für Frauen

„Lasst uns erst kurz quatschen, weil später werd’ ich hier oben gebraucht, samstags reißen die Ladys uns sonst die Bude ab”, erklärt Patti und wir nicken und glauben ihr aufs Wort. Wir drängen uns durch die tanzenden jungen und nicht mehr so jungen Frauen mit pinken Schärpen oder einheitlichen Jungeselinnenabschied-Shirts, hohen Absätzen oder Netzleggings, vorbei an der Bar, hinter der Kellner in Lederwesten und nackter Brust flaschenweise O’Secco vorbereiten. Der Club ist klein, höchstens 80qm, verqualmt und schon jetzt herrscht fast kein Durchkommen mehr. Die Bühne in der Mitte der Tanzfläche ist durch absolut nichts von den Zuschauerinnen getrennt. Patti bemerkt meinen Blick: „Das ist vielleicht der größte Unterschied zum Film. In Echt bleiben die Mädels nicht so cool. Sie flippen völlig aus. Wir haben hier schon Kratz- und Bisswunden behandelt, das würdet ihr nicht glauben.”

Besucherinnen des Stripclubs nur für Frauen

Noch sind alle friedlich.

Auf dem Weg nach unten kommt uns Matthias entgegen, den Patti als Vertriebsleiter vorstellt. Er trägt ein Mädchen die Treppe hoch, das offensichtlich schon ein bis fünf O’Secco zu viel hatte. „Ihre Freundinnen haben angeboten, das Klo zu putzen. Nette Mädels”, sagt er im Vorbeigehen. Als Nächstes rennt uns ein sehr großer, sehr muskulöser Mann im Wolverine-Kostüm und mit offener Hose fast über den Haufen. Athos berichtet aufgelöst, dass sein Gürtel heute viel zu weit ist. Das ist blöd, weil er in drei Minuten auf der Bühne stehen muss und die Tänzer hier zu Beginn ihrer Nummern echt was anhaben, was sie dann ausziehen können (anders als bei den Amis). Matthias hat das Mädchen draußen abgesetzt und kommt mit einer Bohrmaschine angelaufen, um ihn mit neuen Gürtellöchern auszustatten, und der Riese beruhigt sich langsam wieder. Als die Situation geklärt ist, gehen wir durch unverputzte Gänge geradewegs am Kompetenzzentrum aka Pattis Büro vorbei („Auf keinen Fall, keine Zeit zum Aufräumen gehabt!”) in ein Separeé.

Ein Stripper im Stripclub nur für Frauen

In der kleinen Kammer mit verspiegelter Decke, Glitzer-Lichteffekten und schwarzen Ledercouchen erzählt Patti uns vom alltäglichen Wahnsinn ihres Clubs: Was es für eine immense Aufgabe ist, gegen den Ruf der puren Fleischbeschauung anzukämpfen und die Besucherinnen „für das Ästhetische und Tänzerische zu sensibilisieren”. Oder zumindest davon abzuhalten, die Tänzer ständig ungefragt anzugrabschen. Von dem Chaos, das entsteht, wenn fünf Halbgötter in Bauarbeiterkostümen sich quasi von Donnerstag bis Sonntag durchgehend eine Garderobe teilen. Sie erklärt die Regeln, die für Jungs (nicht küssen, nicht unters Shirt greifen, usw.) und Kundinnen (nur Anfassen, wenn der Tänzer die Hand führt, nicht festhalten) gelten und dass sich Erstere meistens daran halten, weil’s sonst Ärger gibt: „Bei allem Spaß, ab und zu muss ich auch mal rumbrüllen. Ohne Regeln läuft so ein Laden einfach nicht.” Sie erzählt von Zickereien und Prügeleien zwischen Gästen und von einer legendären Kundin, die es irgendwie schaffte, zwei Türsteher und einen Tänzer zu verhauen. Wir grübeln gerade darüber nach, was für einen Kampfsport diese Dame wohl gelernt hat, als oben ein besonders spitzes Kreischen ertönt. „Das war ein Regelverstoß! Wir könnten bei einer Quizshow mitmachen und am Schreien erkennen, was die Frauen gerade anstellen. Kommt mal mit!” Wir sind gerührt und folgen Patti, die sich wie eine echte Mama um ihre Jungs sorgt.

Oben mischen wir uns unter die fleischeslustigen Gäste. Immer um viertel vor und viertel nach sind Bühnenshows, dazwischen können die Jungs Privates, also Tänze an den Tischen annehmen, was natürlich nochmal extra Cash bringt, denn jeder Olivia Jones-Dollar, der irgendwie an ihren Körper gerät, gehört ihnen. Eigentlich ist es gesetzlich verboten, dass Männer in Clubs komplett blank ziehen (sexuelle Belästigung), aber um die Chance auf möglichst viele Privates zu erhöhen, kann es schon sein, dass auf der Bühne mal der Hut oder die Flagge verrutscht. Ist heute aber noch nicht passiert.

Hintern eines Strippers in einem Stripclub nur für Frauen

Toni, dessen Tanzstil tatsächlich ein bisschen an The Kid erinnert, gibt auf der Bühne den Bauarbeiter. Zu „Augenbling” zerreißt er sein Shirt, entledigt sich der knappen Jeansshorts und als er mit seinem Zollstock eine Colaflasche öffnet und sie über sich und einigen der Mädels ausschüttet, gibt es kein Halten mehr. Je frecher und touchier die Jungs werden, desto mehr gehen die Frauen ab. Tonis Becken simuliert jetzt den Geschlechtsverkehr mit dem Kopf einer begeistern jungen Frau. Die Menge johlt. Als Toni am Ende der Show bis auf den Bauarbeiter-Helm nackt auf der Bühne steht, habe ich um mich herum schon mindestens dreimal das Wort „Private!!!” gehört. Die Mädels haben einen Riesenspaß.

Ein Stripper und weibliches Publikum in einem Stripclub nur für Frauen

Christian, dessen Adern auf Armen und Bauch auch bei Schummerlicht gut zu erkennen sind, kommt mit schwarzer Fliege auf die Bühne und das Grüppchen neben uns rastet komplett aus. In puncto Muskeln gilt hier scheinbar: Mehr ist mehr. Das eine Mädel reißt ihrer Freundin (der zukünftige Braut) die Dollarscheine aus den Fingern und drängelt sich nach vorne, um sie hysterisch quiekend mit den Zähnen in Christians Slip zu stecken. Meine Begleitung und ich schauen uns an. Es könnte auch an dem O’Secco liegen, der hier in Strömen fließt, oder aber der Laden an sich bringt die Abgründe der weiblichen Seele ans Tages- beziehungsweise Diskolicht. Und der Hype ist irgendwie ansteckend. Die Kleine klammert sich immer noch an Christians Oberschenkel. Er löst vorsichtig ihre Hände und als sie mit glühenden Wangen zu ihren Freundinnen zurückkehrt, ist sie von oben bis unten mit seinem Schweiß bedeckt.

Ein Stripper in einem Stripclub nur für Frauen

„Wir müssen noch fragen, wie oft die in der Woche ins Fitnessstudio gehen—gehen müssen”, sagt meine Begleitung. Und sie hat Recht: noch nicht einmal dieser große, breite Typ aus Magic Mike, der ganz offensichtlich nur wegen seiner Statur dabei ist (er führt jegliche Dance-Moves mit 5 Sekunden Verzögerung aus und spricht während des ganzen Films keine drei Sätze), noch nicht einmal der sollte Christian oder einen der anderen Jungs zum Armdrücken herausfordern. Zwischen den Wilden Jungs würden Tatum und seine Bande aussehen wie Erstklässler.

Ein Stripper aus einem Stripclub nur für Frauen
Überwachungskameras im Stripclub, der nur für Frauen da ist

Big mother is watching you.

Irgendwann gehen wir wieder runter und dürfen jetzt doch noch in Pattis Kompetenzzentrum. Eine Wand ist von oben bis unten mit Anekdoten und Sprüchen beschrieben, überall stapeln sich Papiere und Listen, dazwischen überquellende Aschenbecher, Kostümteile, ein 12er Pack Armani-Unterhosen, die dem Besitzer nicht gepasst haben und umgetauscht werden müssen. Auf den Monitoren an der Wand kann das Geschehen im Club verfolgt werden. Patti, Tini von der Garderobe, Lukas, der Chef von der Bar gegenüber und Toni haben sich in den winzigen Raum gequetscht und kämpfen gemeinsam gegen den toten Punkt an, den die meisten nachts arbeitenden Menschen kennen. Sie reden über Karma und das anstehende fünfjährige Jubiläum und es ist sehr familiär. Toni erzählt, dass er „wie die Jungfrau zum Kinde” an den Job als Tänzer gekommen ist und momentan eine Art Sonderstellung innehat, da er der einzige Tänzer Mitte 20 ist. „In dieser Generation war Tanzen einfach uncool. Das merkt man jetzt. Es gibt so viele Tänzer Anfang 30 und gerade kommen einige ganz junge nach, so 18-, 19-Jährige. Die Typen dazwischen geben sich am Wochenende eher einen veganen Kochkurs oder gehen auf’n Flohmarkt.”

Ein Stripper inm Backstage-Bereich eines Stripclubs nur für Frauen

In der Garderobe nebenan sitzt Damien und tippt in sein Handy. Er sieht erschöpft aus, ist auch schon den dritten Abend am Stück hier. Trotzdem zeigt er uns seine Kostüme, die von echter Liebe zum Detail und Kreativität zeugen: Der Polizistenstern glänzt frisch poliert, es gibt einen Stapel frischer, weißer Tanktops, da bei jeden Auftritt eins zerrissen wird und ein Werkzeuggürtel hängt ordentlich neben einem Matrosenanzug und einem Michael-Jackson-Kostüm.


Plötzlich fliegt die Tür auf und Athos, der Wolverine, kommt, nur mit einer Flagge um die Lenden, hinein. „Go, Damien, it’s your turn!” Keine 30 Sekunden später steht Damien dann oben und zieht seine Show durch: Keine Spur mehr von Müdigkeit, eben ein Profi durch und durch.Das ist das ganze Team. Ob Türsteher, Kellner oder Stripper: Jeder gibt Nacht für Nacht alles, um den Kundinnen ihre ganz persönliche Version von Magic Mike zu liefern und zwar genauso wie die deutschen Mädels es scheinbar mögen: Mit noch mehr Schweiß, Muckis, Tattoos und ganz, ganz nah dran.

Ein Stripper in einem Stripclub nur für Frauen
Ein Stripper in einem Stripclub nur für Frauen