Es ist Sommer und das ist körperpolitisch die anstrengendste Zeit des Jahres. Einiges wird mein Leben in den nächsten drei Monaten ätzend machen: Vom Gegeneinanderreiben wunde, verschwitze Oberschenkel, die an Plastik- oder Metallstühlen kleben bleiben, wenn ich mit kurzer Kleidung auf ihnen sitze. Kein Eis in Ruhe essen, ohne dass ein Wespenschwarm mich jagt. Alles riecht intensiver, auch der tropfende Siff der Müllbeutel und Hundescheiße. Permanente Be- und Abwertung meines Körpers.
Deswegen auch ambivalente Gefühle Freibädern gegenüber, denn klar, wer liebt nicht den erfrischenden Sprung in das Becken kühler Menschensuppe? Und gleichzeitig der allgegenwärtige Wahn um den sogenannten „Beach Body”. Mehr nackte Haut heißt automatisch mehr Angriffsfläche für Hater. Und überhaupt: Sonnengerötet, mit eingeschränkten Garderobenoptionen, verschmiertem Make-Up und verschwitzt ist es viel schwieriger, sich vor dem Spiegel einzureden, dass man eigentlich doch ziemlich cute ist. Ich hasse den Sommer.
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Manche dieser Phänomene beschäftigen mich während der restlichen neun Monate des Jahres nicht so dringlich. Der Wind macht nicht nur einen kühleren Kopf, sondern erlaubt mir mehr Kleidung zu tragen, in der ich mich wohlfühle. Trotzdem bleibt mein Körper das, was er ist: dick. Auf Englisch nenne ich ihn „chubby”, je nach Kontext auch „fat”. Im Gegensatz zum deutschen Sprachraum gibt es im englischen Raum einen ganzen Diskurs über „Fat-Activism”, Dickenaktivismus, in dem der Begriff „fat” als Selbstbezeichnung auch eine ermächtigende Komponente bekommt. Von Euphemismen wie „moppelig”, „vollschlank” oder „pummelig” halte ich nichts, weil sie implizieren, dass der direkte Begriff „dick” zu plump oder degradierend sei. Von pseudo-wissenschaftlichen Wörtern wie „übergewichtig” oder „adipös” halte ich noch viel weniger.
Das Konzept „Übergewicht” lässt außer Acht, dass irgendwelche Leute irgendwann irgendeine eine beliebige Norm festgelegt haben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) änderte 1998 die bereits bestehenden BMI-Werte, sodass über Nacht 35 Millionen Menschen zu sogenannten „Übergewichtigen” wurden – und damit auch gleich Zielgruppe der Diätindustrie. Praktisch.
Die Verstrickungen zwischen Medizinwesen und Diätindustrie erschweren dicken Personen den Zugang zu Health Care. Nicht nur ich, sondern auch viele meine dicken Freund_innen erleben es häufig, wegen Knieschmerzen, Depressionen, Migräne, Muskelschmerzen, was auch immer zu Ärzt*innen zu gehen und als ersten Ratschlag Abnehmtipps zu hören. Hängen Körperfettanteile und Gesundheit wirklich zwingend miteinander zusammen? Für einige Leute scheinbar schon. Sobald es mal um Fat-Empowerment geht, meldet sich mindestens eine schlanke Person, die „Aber es ist nicht gesund!” durch den Saal heult. Sorry, „Becky”. Sorry, ihr „Basic Bitches”, euer wöchentlicher Ketaminkonsum und eure ungeschützte Haut in der Sonne sind auch nicht gesund. Für solche Leute habe ich keine Zeit. Erstens, weil es überhaupt nicht bewiesen ist, dass Dicksein eine „ungesunde Lifestyle-Wahl” ist, und zweitens, weil Gesundheit auch nicht alles im Leben ist. Wer sagt, dass alle immer gesund sein müssen? Außerdem: Seit wann geht mein Körper überhaupt andere Leute etwas an?
Dicke*fette Körper werden nicht nur als rufschädigend, faul und ungesund, sondern auch oft als so unglaublich lustig wahrgenommen.
Ich erzählte dem Heidelberger Arzt Dr. Gunter Frank von meiner Hürde, Ärzt_innen aufzusuchen, wenn ich Probleme habe. Er höre nicht zum ersten Mal davon, sagt er. „Viele Ärzte scheinen über die tatsächlichen Zusammenhänge von Übergewicht und Gesundheit schlecht informiert zu sein und pflegen bei der Behandlung von übergewichtigen Menschen die üblichen, längst widerlegten Klischees. Ich kenne Schilderungen von Patienten, die mit klaren organischen Beschwerden zum Arzt gingen und pauschal zu hören bekommen haben: „Nehmen Sie doch erst mal ab, bevor Sie wiederkommen. Somit glaube ich schon, dass wir Ärzte einen erheblichen Anteil daran haben, dass sich viele Menschen wegen ihres Gewichts diskriminiert fühlen.”
Die Annahme, dicke Körper seien automatisch krank oder ungesund, ist ein gefährlicher Mythos. Dicke Menschen machen nicht automatisch weniger Sport oder essen mehr, sondern die Fettschicht unter der Haut ist ein genetisch definiertes Baumerkmal. „Oft sind die Molligen und Dicken die Gesünderen” und ihre Diskminierung „aufgrund eines Körperbaumerkmals erinnert mich an finstere Zeiten, von denen wir eigentlich glaubten, sie überwunden zu haben”, sagt Dr. Frank. Der Schlankheitswahn betrifft nicht nur Frauen, sondern er verbreitet sich auch unter Männern. Erst kürzlich habe ihm ein Manager erzählt, dass er wegen seines Gewichts die Firma in ein schlechtes Licht rücke, glaubte er.
Dicke*fette Körper werden nicht nur als rufschädigend, faul und ungesund, sondern auch oft als so unglaublich lustig wahrgenommen. Alles, was eine dicke*fette Person macht, ist automatisch so waaaaahnsinnig witzig. Zum Beispiel Tanzen, Schwimmen, Rennen, ja Sport im Allgemeinen. Oder Sex haben. Vor allem das. LOL, dicke*fette Personen und Begehren, wie soll das überhaupt funktionieren, haha. So scheinen Menschen wirklich zu denken.
Ich war im März auf der Feminist Film Week in Berlin, auf der einen Abend lang Filme zu Body-Positivity gezeigt wurden, darunter auch der Clip „Sleeveless / Fearless” der Finnin Hinni Huttinen. Sie steht im Top vor der Kamera, macht zwei Fäuste mit angewinkelten Armen und bewegt sie kraftvoll, sodass ihre Oberarme sich wie Flügel im Loop bewegen. Ich saß vor der Leinwand und lächelte, weil ich diese Assoziation von dicken, wackelnden Oberarmen und starken Flügeln toll fand. Vor allem Huttinens ernster Blick dabei. Die schlanken Leute aber lachten.
Ich verstand nicht, was so lustig sein sollte. Hatte ich einen Scherz verpasst oder lachten sie an einem Abend über Körperpositivität wirklich über den dicken Körper einer Feministin? Ich schaute mich um und außer meiner Begleitung schien niemand die Absurdität dieser Situation zu bemerken. Dieser Körper wurde ausgelacht und seine politische Dimension ins Lächerliche gezogen. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte jeder lachenden Person eine Realitätsschelle gegeben. So fest, dass auch meine Oberarme wackeln würden.
Alles ist komisch, was dicke*fette Leute machen. Auch ihre Kleidung, wenn sie nicht total angepasst ist. Adiletten? Jogginghosen? Latzkleider? LUSTIG! Was schlanke Hipster ironisch als Look feiern können, gilt an dicken*fetten Körpern in der Regel als selbstironische Comedy-Nummer. Als ich mal mit einem hellblauen, hautengen American-Apparel-Onesie und Jelly-Shoes durch Wien lief, sammelte ich statt Credits für einen guten Geschmack nur abwertendes Starren ein. Fremde fotografierten mich heimlich. Ich hätte meinen Körper ja unter einem weiten Kleid verstecken können, aber da ich etwas so Figurbetontes trug, lud ich die Öffentlichkeit quasi dazu ein, sich so zu verhalten, wie sie es taten.
Es gibt da auch dieses Vorurteil, alle dicken*fetten Personen seien lustig. Comedians wie Rebel Wilson, John Candy alias „Onkel Buck” und Louis C.K. haben zwar unterschiedliche Körper, aber eine kleine bis große Wampe haben sie gemeinsam. Wie Zusammenhang zwischen Dicksein und Humor hergestellt wird, bleibt mir ein Rätsel. Denken Leute, dass dicke*fette Personen in ihrem Doppelkinn mehr Witze verstecken können, die sie auf Reserve mit sich herumtragen und zu passenden Gelegenheiten auspacken? Oder denken sie, es liegt daran, dass dicke*fette Personen es ohnehin gewöhnt sind, dass man sich über sich lustig macht, also können sie auch gleich damit anfangen, den Leuten einen Grund fürs Lachen zu geben? Auch ich frage mich manchmal, ob Leute, während ich spreche, in lautes Gelächter verfallen, weil ich dick und für sie lächerlich bin oder einfach hammer Witze mache. Ich gehe gerne von Letzterem aus, weil der Gedanke mir sehr gut gefällt, Leute mit Humor zum Lachen zu bringen.
Und wo wir gerade beim Lächeln sind: Manchmal denken Leute auch, alle dicken*fetten Personen seien lieb. Ich dachte das zumindest mal und habe als Kind diese Urban Legend verstreut. Indem andere mir glaubten, dachte ich, dass ich mehr Akzeptanz für meinen Körper gewinnen kann. Denn ich mochte vielleicht ein fettes Kind sein, aber dafür mit einem Herzen aus Gold. Mittlerweile kotzt mich die Assoziation von Dicksein und Naivität/Liebsein/Freundlichkeit an. Sie täuscht vor, dass dicke*fette Menschen so verzweifelt und einsam sind, dass sie nur nett zu anderen sein können. Sie können sich Arroganz, Gehässigkeit oder hohe Ansprüche in der Wahl ihrer Partner*innen oder Freund*innen nicht leisten. Deshalb fand ich in der ersten und zweiten Staffel der Musical-Serie „Glee” die Figur von Lauren so exzellent. Sie war eine dicke, gemeine Playerin, die dem Sport-Macker das Herz brach und zu niemandem unnötig nett war. Weil sie es nicht nötig hatte. Versteht mich nicht falsch: Ich finde Freundlichkeit und Respekt sehr wichtig. Aber alle sollten grumpy sein dürfen. Vor allem jetzt im Sommer, wo doch alles so scheiße ist.