Satire darf alles. Vor allem Geld verdienen. Didi Hallervorden, die Spaßkanone aus dem vorherigen Jahrtausend, hat die Schnauze gestrichen voll. Mit der Ansage „Jetzt erst recht!” haute er gestern Nacht via Facebook seinen neuen „satirische(n) Song Erdoğan, zeig mich an!” raus. „Das Musikvideo folgt in Kürze!”
Hallervorden, vor Kurzem zu sehen als verstummender Alzheimer-Patient aus Til Schweigers Honig im Kopf, hat in der nicht fiktiven Welt eher ein reges Mitteilungsbedürfnis. Letztes Jahr erst veröffentlichte er mit dem Lied „Ihr macht mir Mut (in dieser Zeit)” eine regelrechte Hymne für Verschwörungstheoretiker.
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Wenn man die Genese des Liedes erraten müsste, könnte man meinen, Hallervorden habe mehrere Montagsdemos abgeklappert und die dort aufgeschnappten Wort- und Sinnfetzen zu seinem Hit verwurstet. Im Grunde war es fast nur eine Frage der Zeit, bis auch er sich in die Causa Böhmermann vs. Erdoğan einschaltet. Der Inhalt seines Liedes Erdoğan, zeig mich an! ist schnell erzählt: Der Komiker wünscht, von Erdoğan angezeigt zu werden. Dazu muss er ihn aber beleidigen, was im Lied logischerweise geschieht: „Ich sing einfach, was du bist. Ein Terrorist, der auf freien Geist nur scheißt.” Das ist auch schon die härteste Punchline gegen den türkischen Staatspräsidenten, denn in der kurzen Dauer von 01:44 Minuten kriegt Hallervorden neben dem endlosen Refrain—begleitet von Blaskapellenmusik wie zur Kaiserzeit—kaum mehr Text unter. Und der kleine, traurige Rest klingt wie von einem Viertklässler geschrieben: „Erdoğan, Erdoğan, ach du armer, reicher Mann. Jeden Witz, den du verbietest, macht dich selbst zum Witz.”
Der Fall Böhmermann mag selbst wie ein schlechter Witz klingen, zum Lachen ist er leider gar nicht. Für Merkel nicht, weil sie nach dem offiziellen Eingang des Strafbegehrens der türkischen Regierung nun vor dem Dilemma steht, entweder die Pressefreiheit zu verraten oder ihre Flüchtlingspolitik zu torpedieren. Und für Böhmermann würde die ganze Angelegenheit spätestens dann bitterer Ernst werden, wenn er—wie unwahrscheinlich das auch klingt—tatsächlich ins Gefängnis wandern müsste.
Wer sich also schon in einer so ernsten Sache in einen öffentlichen Diskurs einschaltet, sollte mehr zu dem Thema zu sagen haben, als Floskeln, halbgare Beleidigungen und Grundschulsprache. Dafür ist das Thema zu wichtig. Nun ließe sich natürlich der Einwand bringen, dass Böhmermann selbst mit seinem Schmähgedicht nichts anderes tat, als auf Kosten von diplomatischen Beziehungen blöde Giftpfeile zu spucken und extra 3 für eigene Belange zu kopieren.
Jein. Denn wenigstens eine weitere Dimension besitzt Böhmermanns Satire gegenüber der von Hallervorden: Mathias Döpfner formulierte sie in seinem Offenen Brief an Böhmermann treffend mit dem Begriff der „Maximalprovokation”, die selbst weit über den Beitrag von extra 3 hinausging. Die Menschen sollten verstört werden, „um sie darüber nachdenken zu lassen, wie eine Gesellschaft mit Satire und—noch viel wichtiger—mit der Satire-Intoleranz von Nichtdemokraten umgeht.” Didi Hallervorden erreicht mit seinem Blaskapellensoundtrack und den Kinderreimen diese Ebene nicht. Für wahre Provokation fehlt ihm der Mut zur Radikalität. Böhmermann ging auf Erdoğan mit einem Flammenwerfer los, Hallervorden spielt mit Wunderkerzen und will sich an Böhmermanns Sonne etwas wärmen.
Und anstatt die kurzen 01:44 Minuten von Erdoğan, zeig mich an! für themenrelevante Inhalte zu nutzen, versucht Hallervoden mit der Passage „Erdoğan, Erdoğan, mach’ auch meinen Song bekannt. (…) Schmeiß die Werbetrommel an” kokett potenzielle Kritik zu antizipieren; und zwar die, dass er sich den Vorwurf gefallen lassen muss, den Wirbel um Böhmermann als eigenen Rückenwind zu missbrauchen. Denn genau diesen Mechanismus macht sich Hallervorden zunutze, aber nur weil er in einer ironisch-besungenen Berechnung das Bewusstsein darüber aufzeigt, wiegt der Vorwurf des Trittbrettfahrens nicht weniger schlimm. Gut, eine weitere Deutungsvariante wäre, dass Hallervorden mit dieser Zeile einen Seitenhieb an den Werbetrommel nutzenden Böhmermann verteilen wollte, nur dann würde diese Kritik die Solidaritätsbekundung mit seinem Kollegen unterlaufen, die das Lied in erster Linie beabsichtigt.
Ob also diese lauwarmen 104 Sekunden Böhmermann, der Politik oder der Pressefreiheit helfen können, ist mehr als fraglich, momentan helfen sie nur Hallervorden selbst. Das Lied wurde über 14.000 Mal auf Facebook geteilt, hat mittlerweile mehr als 27.000 Likes, Didi ist wieder back im Game. Aber als Solidaritätsbekundung hat diese Nummer einen ähnlich starken Symbolcharakter wie das Drüberlegen von blau-weiß-roten Farbfiltern über das eigene Facebook-Profilfoto nach den Anschlägen von Paris. Nein, wenn ich recht überlege, liegt der Symbolcharakter noch weit darunter.
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