Die „Aber-was-dann“-Krankheit – Das Leben mit einer schweren Angststörung

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Die „Aber-was-dann“-Krankheit – Das Leben mit einer schweren Angststörung

Angststörungen können sich so anfühlen, als wärst du in einem Sturm aus negativen Gedanken und Ängsten gefangen. Doch mit der richtigen Therapie lässt sich damit durchaus leben.

Die sogenannte „Fight-or-Flight"-Reaktion fungiert als Teil des akuten Stresssystems des Körpers, indem es die Herzfrequenz erhöht, die Atemwege erweitert und die Blutgefäße verengt, und so die Blut- und Sauerstoffzufuhr der Muskeln erhöht, so dass wir bereit sind, vor etwas Lebensbedrohendem wegzulaufen; einem wilden Tier, einem schnellen Auto, einer gefährlichen Person. Unter den körperlichen Reaktionen gehört sie zu den so ziemlich wichtigsten. Nur leider hat sie halt gelegentlich einen Kurzschluss.

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Charles Darwin, der unter einer schweren Panikstörung litt, die ihn streckenweise über Jahre hinweg in seinen eigenen vier Wänden gefangen hielt, hat behauptet, dass die Reaktion, zumindest teilweise, evolutionär hochentwickelt ist, um permanent einsatzbereit sein zu können. Aber, wie Mark Williams und Danny Penman in Mindfulness: A Practical Guide to Finding Peace In a Frantic World schreiben, funktioniert die Flight-or-Fight-Reaktion „nicht bewusst, sondern wird von einem der ‚archaischsten' Teile des Hirns kontrolliert, was bedeutet, dass ihre Interpretationen einer möglichen Gefahr teilweise ein wenig zu simpel gestrickt sein können. Sie kann tatsächlich nicht einmal zwischen einer äußeren Bedrohung, z.B. einem Tiger, und einer inneren, wie z.B. einer angstbehafteten Erinnerung oder Zukunftssorgen unterscheiden. Sie behandelt beide als Bedrohungen, gegen die man entweder kämpfen, oder vor denen man weglaufen muss." Wie es der Chefredakteur des Atlantic, Scott Stossel, in seinen brillanten und erschütternden Memoiren, Angst: Wie sie die Seele lähmt und wie man sich befreien kann, recherchiert hat, „erhöhen Arten, die auf die ‚richtige Weise Angst haben' ihre Überlebenschancen. Wir Ängstlichen unter den Menschen neigen seltener dazu, uns aus dem menschlichen Genpool auszuradieren, indem wir z.B. auf steilen Felsen herumturnen oder Kampfpiloten werden."

Aber manchmal ist die gefährliche Person nicht die, die mit gezücktem Messer hinter einem her rennt. Manchmal ist diese Person man selbst.

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Ich leide seit 15 Jahren unter einer schweren Angststörung, genau genommen, einer Panikstörung von der Sorte, die einen daran hindern kann, die eigenen vier Wände zu verlassen und irgendetwas zu tun, außer auf YouTube die Simpsons zu schauen und salzige Cracker zu essen.

Werde ich diesmal psychotisch davon? Sollte ich einen Krankenwagen rufen? Wie viele Schlaftabletten müsste ich einnehmen, um 24 Stunden durchzuschlafen, aber nicht zu krepieren?

Das sind die Art Fragen, die ich mir in der Vergangenheit gestellt habe, wenn ich in einer Spirale negativer Gedanken feststeckte. Meine Fähigkeit zum rationalen Denken verflüchtigte sich, während ich mir Kinderbilder von mir anschaute und laut vor mich hin sagte: „Wo ist sie hin?" Als gäbe es zwei Versionen von mir: Version 1.0—vor der Angst, und Version 2.0—mit Angststörung.

Was keine total abwegige Theorie ist. Durch meine fortlaufende kognitive Verhaltenstherapie habe ich gelernt, die Wurzeln meiner Angst zu erkennen—eine spektakuläre Nahtoderfahrung aufgrund eines Blinddarmdurchbruchs, der ca. sechs Monate meines Lebens aufgefressen hat. Und, wenn man dann noch ein sensibles Kind ist, kann es passieren, dass die Tatsache, dass der eigene Körper von Wundbrand zerfressen wird und so schwach geworden ist, dass man auf der Intensivstation aufgepäppelt werden muss, ziemlich krasse Auswirkungen auf die eigene zukünftige psychische Gesundheit haben kann. Besonders wenn die physischen Nachwirkungen besagter Episode einem die Eingeweide mehr oder weniger für immer ruiniert haben.

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Meinen ersten Vorgeschmack auf die Panikattacken bekam ich in der ersten Woche nach meiner Rückkehr an die Schule. Die Lehrer sprachen mich im Schulflur an: „Eleanor, geht es dir gut?", fragten sie dann mit nach Kaffee riechendem Atem. Ich war das Thema der Woche. Aber nach ein paar Tagen passierte etwas.

An einem Nachmittag wurde mir während des Biologieunterrichts schlecht. Meine Hände wurden taub und ich hatte das Gefühl, dass mir der Schädel gleich wie eine Eierschale zerspringen würde. Das war ein seltsames Gefühl, für das ich keinerlei Bezugspunkte hatte. Ich ging auf die Toilette und dort gehörten dann ein paar Minuten lang mein Körper und mein Hirn nicht mehr mir. Ich dachte, ich müsste brechen, aber es kam nichts. Nur eine Welle drückender Übelkeit nach der anderen – von meinen Schläfen bis in die Zehenspitzen. Dann ergriff mich eine kalte, schwarze Angst, wie ich sie noch nie erlebt hatte: mein Kopf begann zu schwimmen, die Wände fühlten sich wie Knete an. Nichts in und um meinen Körper machte noch irgendeinen Sinn. Ich war, schlicht und einfach, besessen.

Was zum Teufel geschieht mit mir? Sterbe ich jetzt?

Das war meine erste Panikattacke, aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Die nächsten paar Wochen dachte ich an nichts anderes mehr. Es passierte noch ein paar Mal. Ich weinte nachts, aber meinen Eltern davon zu erzählen, kam nicht in Frage. Sie würden es nicht verstehen – was auch immer „es" war. Ich dachte, es sei etwas Körperliches, etwas, das mit meinen zerstörten Innereien zu tun hatte. Aber nach drei Wochen der Hölle und einer komplett schlaflosen Nacht, ging ich allein zu meiner Ärztin und die sagte mir, „Es könnte sein, dass du Panikattacken hast." Sie gab mir ein paar Broschüren mit und überwies mich an eine freundliche ältere Therapeutin in einem Nachbarschaftszentrum neben einer Shell-Tankstelle.

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Für jede zukünftige Sekunde musste der mögliche Fluchtplan immer bereits stehen. Für den Fall der Fälle. Eine Angststörung ist im Prinzip die „Aber-was-dann"-Krankheit.

Der Ansatz dieser Dame bestand darin, mir ein paar Gummibänder zu geben, die ich am Handgelenk tragen und gegen meine Haut schnippen lassen sollte, wann immer ich meinen inneren Druck steigen spürte. Ich erinnere mich nicht, dass es mir mit der Panik selbst geholfen hätte, aber es machte mir ganz sicher deutlich, dass es einen Energiefluss gab, der gedeichselt werden musste. Irgendwie.

Als ich Monate später zum Studium nach London zog, verstand ich meine Panikattacken schon ein wenig besser. Meine Eltern wussten Bescheid, weil ich ihnen die plötzliche Schwemme hautfarbener Gummibänder in ihren beiden Wohnungen erklären musste. Sie waren lieb und verständnisvoll, aber ich lebte, wenn ich draußen unterwegs oder mit anderen Leuten zusammen war, immer noch in permanenter Angst vor einer weiteren Attacke (wie ich später erfuhr, ein grundlegendes Merkmal einer Panikstörung). Egal ob ich bei Vorlesungen, in Pubs oder Clubs war, sie verließ mich nie. Nicht eine Minute lang.

Infolge dessen entwickelte ich, wie viele andere, die unter der Störung leiden, ein Muster von Vermeidungsstrategien im Bezug auf Orte, an denen ich in der Vergangenheit schon mal Angst bekommen hatte: „Nein, Dummerchen, du kannst nicht durch den Park laufen um zu der Vorlesung zu gehen, da hattest du doch letzte Woche einen echt fiesen Anfall," oder, „Ich weiß, dass das Pub nur ein Klo hat, also lass ich das wohl besser aus, nur für den Fall, dass ich einen Anfall habe und vor dem Klo eine Schlange ist," waren Dinge, die ich mir in einem nie abreißenden inneren Dialog sagte, den meine Therapeutin heute als „die Plappertasche" bezeichnet. Zu wissen, wo an jedem beliebigen Ort die Toilette war, war essentiell. Ich brauchte einen Ort, an den ich fliehen konnte, falls eine Panikwelle kam, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass meine Panik fast immer mit Darmproblemen einherging. Wenn ich keine Toilette, oder wenigstens ein Notausgangszeichen in Sichtweite hatte, ging gar nichts mehr.

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Offene Räume waren eine notfalls machbare, aber dennoch Furcht einflößende Angelegenheit, und wenn ich, sagen wir, durch den Park laufen musste, weil meine Freunde das so wollten, behielt ich stets alle dichten Gebüsche im Blick, hinter denen ich mich, im Fall der Fälle, verstecken konnte. Ich musste bei jeder Vorlesung und im Kino immer in der letzten Reihe sitzen, nur um sicher zu sein. Falls ich mal mit der U-Bahn fuhr (was immer seltener vorkam), stand ich bei der Tür, mit dem Blick nach draußen—für den Fall der Fälle.

Für jede zukünftige Sekunde musste der mögliche Fluchtplan immer bereits stehen. Für den Fall der Fälle. Eine Angststörung ist im Prinzip die „Aber-was-dann"-Krankheit.

Ich spule jetzt mal zum Heute vor, und obwohl ich inzwischen mit Sicherheit eine verdammte Doktorarbeit zum Leben mit der Angst runterreißen könnte, kann ich euch auch sagen, dass ich erst vor wenigen Jahren wirkliche Fortschritte gemacht habe und dass ich die Vorstellung, eine Panikattacke zu haben, immer noch beängstigend finde, weil … nun ja, weil es anders kaum vorstellbar ist. Der einzige Unterschied ist, dass die Angst heute weniger stark ist, weil ich jetzt Techniken beherrsche, bereits mit der Angst umzugehen, wenn sie aufkommt, und nicht erst, wenn die Welle bricht.

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„Heutzutage würden nur noch Wenige bestreiten, dass chronischer Stress ein Merkmal unserer Zeiten ist, oder dass die Angst eine Art kulturellen Merkmals der Moderne ist," sagt Stossel. „Wir leben, wie es seit dem Beginn des Atomzeitalters schon oft gesagt worden ist, in einer Ära der Angst." Aber nicht jeder von uns reagiert „normal" auf diese Angst.

Die Panikstörung ist eine Angststörung, die von wiederkehrenden Panikattacken und einer andauernden Angst vor dem Eintreten einer solchen Attacke charakterisiert wird. Die aktuellsten verfügbaren Statistiken zu Angststörungen in Großbritannien stammen aus dem Jahr 2007 und greifen auf eine Studie zur psychiatrischen Krankheitsrate zurück, laut der 1,1 Prozent der Erwachsenen (1,3 Prozent der Frauen und 1 Prozent der Männer) die Kriterien einer Panikstörung erfüllten. In Deutschland haben zirka 14 Prozent der Erwachsenen im Jahr der Umfrage an einer Art von Angststörung gelitten. Diese hohe Zahl liegt an einer anderen Klassifikation des Krankheitsbildes. In den USA liegt die Anzahl der Erwachsenen, die mutmaßlich unter einer Panikstörung leiden, bei 2,7 Prozent. Das umfasst natürlich nur diejenigen, die „offiziell" krank sind. Mein Arzt sagte mir neulich, dass Angst eine der häufigsten Beschwerden ist, von der ihm Patienten berichten. Streckenweise häufiger als Husten und Erkältungen.

Panik gibt es in vielen Formen und Farben. Sie reicht von einer nagenden Unruhe im Bauch bis hin zu dem Gefühl, von einem Schnellzug überrannt zu werden. Mein üblicher Cocktail besteht aus einem stechenden Kribbeln von Kopf bis Fuß, einem bleichen Gesicht, verengten Lungen, tauben Händen und einem Schlingern im Bauch. Ich habe das Gefühl, jede Sekunde erbrechen oder mir in die Hose machen zu müssen. Ersteres ist mir auch schon passiert, letzteres bislang noch nicht—obwohl ich mehrmals kurz davor stand.

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Es hat Momente gegeben, wo ich in Hinterhofgassen gehockt und mich bemüht habe, langsamer zu atmen, mich am Boden „festzuhalten", mich im physischen Boden zu verwurzeln, während mein Körper sich auf eine gefühlte andere Ebene der Existenz begibt. Angst manifestiert sich bei jedem anders. Es gibt Menschen, die einen Krankenwagen rufen, weil sie denken, dass sie einen Herzanfall haben. Andere hyperventilieren. Andere kotzen. Andere zittern, als stünden sie unbekleidet im antarktischen Wind.

Dazu kommen die kognitiven Sachen. Das ist mit zunehmendem Alter eher schlimmer geworden, denn zuvor wurden die mentalen Symptome von den körperlichen überdeckt. Später wurde es dann zu einer Karussellfahrt aus, „Ich explodiere gleich, ich werde mich nie wieder sicher oder normal fühlen, mein Körper versagt, alle werden sehen, wie ich durchdrehe, ich drehe durch, ich werde verrückt. Das war's. Das nächste was jetzt kommt, ist die Zwangsjacke."

„Ich sterbe gleich. Das bringt mich um."

Das Karussell hört auch nicht auf sich zu drehen, nachdem der Höhepunkt der Angst überschritten ist. Es zieht noch ein paar Mal—wenn auch weniger stark—an, bis es vorrübergeht. Und dann hat dich die Erschöpfung in den stachelbesetzten Klauen.

Panik gibt es in vielen Formen und Farben. Sie reicht von einer nagenden Unruhe im Bauch bis hin zu dem Gefühl, von einem Schnellzug überrannt zu werden.

Zu verschiedenen Zeiten meines Lebens hatte ich täglich Panikattacken, oft mehrmals am Tag. Mein erster „Zusammenbruch" (Therapeuten raten uns heutzutage dieses Wort nicht mehr zu verwenden, aber so fühlt es sich einfach an) während meines dritten Jahres an der Uni, braute sich zusammen, nachdem meine Angst vor der nächsten Attacke zu einer Vollzeitobsession geworden war. Ich hatte Angst davor, zum hundert Meter von meiner Wohnung entfernten Supermarkt zu gehen, von Vorlesungen ganz zu schweigen. Ich brauchte einen „Flucht"-Plan für alle und jede Unternehmung, auch wenn die nur darin bestand, auf der anderen Straßenseite Milch zu kaufen.

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Irgendwann wurde das meinem armen Gehirn zu viel. Ich bekam eine schwere Depression.

Eine ausgewachsene Depersonalisierung, das Bedürfnis täglich 16 Stunden durchzuschlafen und eine komplette Appetitlosigkeit—ich verlor sechs Kilo in drei Wochen—manifestierten sich in rasender Folge. Ich konnte mich schlichtweg nicht mehr bewegen. Nachdem ich fünf Tage lang regungslos auf meinem Bett gelegen und Cat Powers Moon Pix in Endlosschleife gehört hatte (ich hatte gelesen, dass sie es während eines Zusammenbruchs geschrieben hat, also schien es passend) und mir Sorgen machte, was ich meinen Eltern und Professoren sagen sollte, ging ich zu meinem Arzt. Er verschrieb mir Sertralin (einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, der häufig für Angststörungen verschrieben wird) und Diazepam und überwies mich an eine Therapeutin. Ich war, seitdem ich nach London gezogen war, nicht mehr in Therapie, obwohl ich immer noch tagtäglich in einem Netz aus Vermeidungsstrategien gefangen und mir der Tatsache bewusst war, dass meine Jugend dahinschwand wie schmelzendes Eis. Ich lebte nie ganz, war nie wirklich im Jetzt.

Die Therapeutin, an die er mich überwies, mochte ich allerdings nicht. Sie war sehr jung, verbrachte die ganze Zeit damit, Häkchen zu machen (nicht im übertragenen Sinne, sondern real, auf einem Klemmbrett) und sah mir fast nie in die Augen. Ich ging nach vier Sitzungen nicht mehr hin, weil ich dachte, „Scheiße, das bringt's nicht." Weil keine der beiden Therapeutinnen, die ich besucht hatte, mir helfen konnte, effektiv gegen meine Attacken vorzugehen, dachte ich, dass ich gegen jegliche Hilfe und Unterstützung immun sei. Das glaubte ich bis vor drei Jahren.

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Die Drogen hatten keine wundersame oder definitive Wirkung—ich hatte lediglich das Gefühl, mit der Zeit in der Lage zu sein, für längere Zeiträume aus meinen obsessiven Gedankenspiralen auszubrechen, was mir wiederum half klarzukommen—jedenfalls für meine Verhältnisse. Erst im Nachhinein wird mir klar, was für eine große Belastung ich für meinen damaligen Partner gewesen sein muss, dem ich nicht sagte, warum ich bestimmte Dinge tun oder nicht tun musste. Es war mir stattdessen unglaublich peinlich und ich erzählte nur äußerst selten jemandem davon, was wirklich in meinem Kopf vorging; ich hatte Angst, ich würde sonst klingen als sei ich „verrückt"—sogar für die Person, mit der ich zusammen war. Es gab genau genommen nur eine Freundin, die wirklich wusste, was mit mir los war. Und trotzdem kam ich—auf meine eigene verkorkste Weise—irgendwie klar.

Ich nahm die Antidepressiva ein paar Jahre lang ein, und kam in meiner Karriere ziemlich rasch voran. Die Angst davor, eine Panikattacke zu bekommen, oder „aufzufliegen" hing jeden Tag wie Vorhänge über meinem Gemüt, aber die Vorhänge waren etwas leichter geworden. Wenn ich eine Attacke hatte – eine pro Woche, statt eine am Tag – brauchte es ein paar Tage, bis ich wieder ganz bei mir war, aber im Großen und Ganzen war ich OK.

Auch nachdem ich die Drogen abgesetzt hatte, kam ich, mit der Unterstützung eines neuen Therapeuten, ganz gut klar—bis vor zirka drei Jahren. Ich ergatterte einen tollen Job nach dem nächsten, schrieb viel, fuhr um die Welt und interviewte Leute. Von außen betrachtet war ich am Schweben, glitt wie ein Schwan durch die Welt und nahm mit, was das Leben zu bieten hatte—stressige Meetings, Langstreckenflüge, ambitioniertere und immer kurzfristigere Aufträge. Aber unter der Oberfläche breitete sich wieder das Chaos aus. Ich wollte nicht akzeptieren, dass ich die Antidepressiva vielleicht nicht hätte absetzen sollen. Auf irgendeine Weise sah ich sie als eine Art Notlösung an. Ein Aufgeben. Warum sollte ich eine Pille nötig haben, die mir, jedes Mal, wenn ich sie mir durch die Lippen schob, das Gefühl gab, dass ich ein Krüppel sei, der Drogen braucht um zu funktionieren? Was spielte es für eine Rolle, dass meine Freunde es zunehmend satt hatten, dass ich ihnen in der letzten Sekunde absagte, weil ich auf dem Weg zu ihnen eine Panikattacke bekommen hatte und mich nicht in der Lage sah, auch noch einen einzigen Schritt weiterzugehen, als bis zu dem Fleck, auf dem ich mich eben gerade befand? Warum sollte ich ihnen das erzählen?

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Eigentlich kam ich aber überhaupt nicht klar. Ich tat nur so und brauchte Hilfe. Über die Jahre war ich zu einer Meisterin der Täuschung geworden—keiner, aber auch keiner, hätte ahnen können, dass ich eine Angststörung hatte, von meiner Unfähigkeit, mehr als ein paar wenige Stationen mit der U-Bahn zu fahren, abgesehen. Wenn mich, wenn ich mit Leuten unterwegs war, das erste Anzeichen einer Panik befiel, ging ich nach Hause. Die diversen Vermeidungsstrategien ermöglichten es mir, an der Oberfläche ein scheinbar normales Leben zu führen. Bis ich vor drei Jahren einen erneuten Zusammenbruch hatte—da ist das Wort wieder, aber für mich ist es das einzige, das passt. Dieses Mal war es noch viel schlimmer als beim letzten Mal.

Wenn ich zurückschaue, merke ich, dass es sich schon eine ganze Weile zusammengebraut hatte. Ich mochte meinen Job nicht besonders, trotz des Status und Selbstwertgefühls, zu dem er mir verhalf. Ich hatte langsam keine Ausreden mehr, mit denen ich meine Freunde vertrösten konnte. Es standen neue Darmoperationen an—eine furchterregende Vorstellung, mir der ich selbst mit Hilfe meines Therapeuten nicht rational umgehen konnte. Die mit dem Job verbundenen Reisen wurden immer anstrengender, da jede neue Departure Lounge jedes neuen Flughafens den Deckel über einer weiteren Welle Angstsymptome lüftete.

Bevor ich für den Guardian nach Kenia flog, saß ich auf irgendeiner Toilette im Terminal 3 und war überzeugt davon, dass meine Halswirbel kurz davor standen, der Länge nach in zwei Hälften zu zerspringen, weil der Druck in meinem Kopf so stark war, während meine Gedanken sich zu einem unlösbaren Knoten verwickelten.

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Was passiert, wenn ich in Kenia mitten auf dem Land eine Panikattacke bekomme? Wer wird mir dann helfen? Was passiert, wenn ich im Flieger ausflippe und den ganzen Laden vollkotze, weil ich es nicht rechtzeitig auf die Toilette schaffe? Was, wenn ich in einem Teil der Welt ohnmächtig umfalle, wo mich keiner kennt, und dann irgendwo eingesperrt werde, weil sie nicht wissen, was sie mit mir anfangen sollen?

Was dann, was dann, was dann. Sogar es zu schreiben ist anstrengend und langweilig. Schließlich dauerte es bei jeder Panikattacke noch länger als beim letzten Mal, bis ich mich wieder erholt hatte, und ein paar Wochen später verschmolzen sie miteinander zu einer Konstellation aus Frustration, Tränen und Verzweiflung.

Ich wurde wieder depressiv. Diesmal war der „Bruch" von Weinen, Schwindel und der fast kompletten Unfähigkeit Nahrung zu mir zu nehmen, gekennzeichnet. Ich ging an einem Abend schlafen und wachte am nächsten Morgen, wie es sich anfühlte, als eine andere Person wieder auf: als jemand, der nicht mehr gerade laufen konnte, der nicht aufhören konnte zu weinen, der um eine einzige Scheibe Toast zu essen eine Stunde brauchte, der dem Briefträger nicht aufmachen konnte, der nicht ans Telefon gehen konnte, die Katzen nicht füttern konnte. Körperlich fühlte es sich die gesamte Zeit so an, als würde ich auf der Dachkante eines Wolkenkratzers stehen; eine Höhenangst bis ins innerste Mark. Ich war verzweifelt: die Angst überschattete alles andere.

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Eigentlich kam ich überhaupt nicht klar. Ich tat nur so und brauchte Hilfe. Über die Jahre war ich zu einer Meisterin der Täuschung geworden—keiner, aber auch keiner, hätte ahnen können, dass ich eine Angststörung hatte, von meiner Unfähigkeit, mehr als ein paar wenige Stationen mit der U-Bahn zu fahren, abgesehen.

Angststörungen und Depressionen gehen oft Hand in Hand. Mein rationales Hirn wusste das, aber auf der Welle dieses neuerlichen Horrors konnte ich es nicht akzeptieren. Ich konnte nicht akzeptieren, dass mein Gehirn genug davon hatte, in ständiger Furcht vor sich selbst gefangen zu sein, dass die Depression ein Symptom meiner Angststörung wurde, weil es zu viel für mich geworden war. Das hätte für mich geheißen versagt zu haben. Drei Wochen lang ging ich nicht weiter als bis zu dem Laden am Ende meiner Straße. Ich hatte, zum ersten Mal in meinem Leben auf rationale Weise Selbstmordgedanken—oder, genauer gesagt, den verzweifelten Wunsch nach einem spürbaren Ende einer lebendigen Hölle. Wirklich sterben wollte ich aber nicht. Ich wollte nur nicht länger in Furcht vor der nächsten Minute leben.

An dem Tag, als ich mich dabei ertappte, wie ich ein wenig zu lange in mein Arzneischränkchen blickte, suchte ich mir im Netz die Adresse des nächsten kognitiven Verhaltenstherapeuten heraus (in weniger als 300 Meter Entfernung von meiner Wohnung), und, glücklicherweise, bekam ich noch am selben Nachmittag einen Termin bei ihm. Er sagte mir, „Sie sind jetzt am schlimmsten Punkt, von nun an können Sie es unter Kontrolle bekommen," und obwohl meine Beine heftig gegen die Stuhlbeine schlugen (ein saftiges neues Symptom) und ich mit dem Wunsch kämpfte, aus seiner Praxis und zurück in mein Bett zu fliehen, hörte ich ihm zu. Er war witzig, fluchte die ganze Zeit und hatte tiefgreifende Kenntnisse über die wissenschaftlichen Gründe, warum sich das Gehirn so verhält, wie es sich verhält—was mir gefiel.

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Dieser Nachmittag war mein erster wirklicher Wendepunkt in 15 Jahren. Nachdem ich zunächst zweimal wöchentlich zu ihm ging, verschrieb mir mein Arzt ein neues niedrig dosiertes SSRI—Citalopram, ein weiteres Antidepressivum, das sich als wirksam in der Behandlung von Angststörungen erwiesen hat—und nach einem Monat dieser zweigleisigen Behandlung begann ich Hoffnung zu schöpfen.

Das war vor inzwischen drei Jahren und seitdem komme ich weit besser mit dem Leben zurecht. Ich nehme immer noch Citalopram in einer geringen Dosis und ich habe auch nichts dagegen, das für den Rest meines Lebens zu tun. Angststörungen haben oft eine Vielzahl von Gründen, aber ich bin bereit zu akzeptieren, dass mein Gehirn, während der ganzen Geschichte mit dem fast Abkratzen einen Knacks wegbekommen haben könnte, und dass die Medizin meine Angst auf ein erträgliches Maß reduziert. Meine Muskeln fühlen sich nicht mehr an, als klebten sie an meinen Knochen fest. Es fühlt sich immer noch manchmal Scheiße an, aber ich habe nicht mehr das Gefühl mich gleich aufzulösen. Und während ich früher in Angst und Schrecken von dem Stempel lebte, den man mir aufdrücken könnte, solange ich Antidepressiva nahm—Junkie? Versager? Lemming der Pharmakonzerne?—ist es mir inzwischen scheißegal, wenn mich jemand fragt. Ich bin in der Lage, mein Leben zu leben. Das ist das Fazit einer jeden Frage danach.

Die Menschen wollen gehört werden, es muss nur einer den ersten Anstoß geben.

Meine Freunde wissen heute alle, dass ich eine Neigung zu Angst und Panikattacken habe, und wie es so oft mit diesen großartigen Eröffnungen, die man sich so oft im Kopf ausmalt hat, ist, war es ihnen, als ich ihnen die Gründe für meine wiederholte Unzuverlässigkeit erzählte, ziemlich egal. Das ist es immer noch. Die Leute reagieren im allgemeinen sehr besonnen, wenn du ihnen einmal etwas erklärt hast – egal ob es dabei darum geht, dass du manchmal mental etwas zu kämpfen hast, oder an deiner Arschlochbehaarung Batik betreibst. Sie wollen einfach nur verstehen, was du ihnen da sagst, und ob sie helfen können, und dann ihre Leben weiterleben. Nicht darüber zu sprechen funktioniert hingegen nicht so gut. Wie Stossel schreibt: „Mein momentaner Therapeut, Dr. W., sagt, dass immerhin die Möglichkeit besteht, dass meine Angst vor anderen einzugestehen die Last der Scham und die Isolation des einsamen Leidens lüften kann. Als ich bei dem Gedanken ein Buch über meine psychiatrischen Probleme zu schreiben nervös werde, sagt Dr. W.: ‚Du hältst deine Angststörung nun schon seit Jahren geheim, oder? Und hat es dir was gebracht?'"

Ein sehr wichtiger Aspekt, der mir im Umgang mit der Angststörung klar geworden ist, ist dass man einen Therapeuten finden sollte, den man mag. Das ist wahnsinnig wichtig. Und falls das heißt, dass du dich durch eine ganze Reihe Leute durchprobieren musst, bis du jemand gefunden hast, vor dem du deine kompletten Gedanken auskotzen kannst, dann ist das—falls du die dafür nötigen finanziellen Mittel hast—OK. Wenn du auf die regulären Angebote eines Kassenarztes angewiesen bist, und den Therapeuten, an den du überwiesen wirst, nicht magst, oder nicht mit ihm klarkommst, bitte ihn, dich an jemand anderen zu überweisen—es ist deine Gesundheit, und du bist nicht verpflichtet, bei jemand zu bleiben, bei dem du dich unwohl fühlst, genauso wie es auch gestattet ist, sich in gesundheitlichen Fragen eine zweite Meinung einzuholen. Dein Hirn ist ein Organ und braucht eine angemessene Versorgung, wenn es erkrankt. Es ist genau so, wie Louis Theroux in einem Interview mit mir seine eigene Therapieerfahrung beschreiben hat: „Als würde man unter die Motorhaube schauen und sehen was da drinnen los ist."

Bei diesem Therapeut, denn ich „S" nennen werde, habe ich gelernt, dass der absolute Grundstein meiner Fähigkeit zu funktionieren darin besteht, zu akzeptieren, dass es keine „Heilung" gibt, die meine Gesundheit wiederherstellen kann—sondern nur Techniken und Interventionen (in meinem Fall Medikamente), die das Leben erträglich machen können. Frustration ist sehr nah dran an der Angst, und das permanente „WARUM ZUM TEUFEL PASSIERT MIR DAS", aber auch, es keinem zu sagen, machen alles nur schlimmer. Der Druck ist zu groß.

Ihr fragt euch vielleicht zurecht, wie ich hier in dieser Länge und Breite darüber schreiben kann, nachdem ich jahrelang keinem ein Wörtchen davon erzählt habe. Die Antwort ist schlicht und einfach die: Menschen auf der ganzen Welt durchforsten tagtäglich das Internet um Geschichten zu finden, die ihren eigenen Schmerz spiegeln, oder Beweise, dass es Menschen gelungen ist, schreckliche mentale Qualen zu besiegen. Als es mir schlecht ging, war das alles, was ich wollte—eine Vorstellung davon, dass es einen Ausweg aus diesem finsteren Unterholz gibt.

Es klingt nach einer sehr simplen Idee, dass über die eigene Erfahrung mit psychischen Erkrankungen zu sprechen andere ermutigen wird, dies ebenso zu tun. Aber trotzdem ist es so. Stossel beschreibt in seinem Buch, wie er bei einem Dinner über seine Arbeit an dem Buch sprach, und ihm danach die anderen anwesenden neun Personen „Geschichten von ihren eigenen Erfahrungen mit Angst und Medikamenten zu erzählen begannen. Und so ging es einmal um den ganzen Tisch herum mit den Geschichten unserer neurotischen Leiden."

Ich bin öfter in derartigen Situationen gewesen, als ich hier wiedergeben kann. Leute—hochgradig aktive, erfolgreiche Menschen—wünschen sich nichts mehr, als über ihre Kämpfe mit ihrer psychischen Gesundheit zu erzählen. Keinem käme es komisch vor, von seiner Herzrhythmusstörung zu berichten, warum sollte eine Instabilität im Hirn also eher tabu sein als eine im Herz? Die Menschen wollen gehört werden, es muss nur einer den ersten Anstoß geben. Und die Vorstellung, dass wir zu viel „offenbaren", dass wir die Leute überfordern oder das Risiko eingehen, für immer und ewig als verrückt zu gelten, wenn man einmal über seine psychische Gesundheit spricht, ist einfach nur falsch. Es ist eine Frage der Gesundheit, weiter nichts. Der Mann, der dir heute Morgen den Kaffee serviert hat, hat vielleicht vor ein paar Jahren Krebs besiegt. Oder vielleicht war es auch eine tiefe, lähmende Depression. Vielleicht hat er versucht sich umzubringen, und ist sogar eingewiesen worden, aber du würdest es nicht wissen, weil es ihm wieder besser geht und er sein Leben führt, so gut er kann.

Und das ist genau das Ding mit uns Menschen: wir bleiben nie gleich. Wir ändern uns, wir passen uns an, und wir können gesunden—egal was genau unser Leiden ist. Wir sind einfach auf einem ausreichend hohen Entwicklungsstand.

Eleanor auf Twitter: @eleanormorgan

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