Ich habe Adriatique zu einem längeren Interview getroffen. Im ersten Teil unterhielten wir uns über ihr neues Label Siamese. Heute geht es um die Meinungen und Gedanken des Zürcher DJ-Duos zu ihrem grossen Erfolg, Kommerzialisierung und EDM.
Noisey: Wie funktioniert ihr eigentlich als Team?
Shala: Adrian verbringt definitiv mehr Zeit im Studio und arbeitet mehr an kreativen Sachen. Wir entscheiden und finalisieren aber alles gemeinsam. Ich versuche dafür, alles andere von ihm fernzuhalten. Ich kümmere mich mehr um die administrativen Sachen und kommuniziere auch viel mehr mit den jeweiligen Ansprechpartnern. Aber aktuell ist das Ziel, noch Verstärkung zu suchen. Für das Label haben wir wohl jemanden gefunden. Jetzt geht es noch darum jemanden zu finden, der uns bei allen anderen Sachen unter die Arme greift.
Schweizer: Es muss schon jemand sein, der voll Bock drauf hat.
Shala: Jemand, der vielleicht auch schon etwas in die Richtung gemacht hat und uns voll unterstützen kann. So jemanden haben wir natürlich schon bei Diynamic, aber wir wollen einfach einen Mitarbeiter noch näher bei uns.
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Das ist auch ein grosser Schritt—jemanden für sich selbst anzustellen. Ist das nicht etwas komisch?
Shala: Ja, schon. Es müsste schon fast jemand aus unserem Umfeld sein. Gerade im Musikbereich ist es etwas anderes als in irgendeiner Firma. Wenn man in diesem Business arbeiten will, gehört mehr dazu. Leidenschaft ist extrem wichtig.
Schweizer: Es fehlen auch einfach die Strukturen für einen ganz normalen Bürojob.
Shala: Du musst viel von unterwegs aus machen, es gibt keine klaren Arbeitszeiten, du machst die Sachen dann, wenn sie anstehen. Aber das steht alles noch ein wenig offen.
Schweizer: Es gibt viele Bereiche, bei denen wir noch Unterstützung brauchen können: Sei es bei unserem Social-Media-Auftritt oder einfach jemanden, der mit uns reist und Bilder und Videos vor Ort machen kann.
Mit 150.000 Facebook-Fans habt ihr auch mittlerweile eine grosse Fangemeinde, die mitverfolgt, was ihr tut. Nur so als Vergleich: Ihr seid mittlerweile grösser als Stress.
Shala: Das kann man nicht vergleichen. Stress ist in der Schweiz viel grösser als wir, macht ganz andere Musik und hat eine ganz andere Wirkung. Wir haben natürlich einen viel internationaleren Markt. Es macht uns trotzdem stolz, so eine Fanbase zu haben.
Schweizer: Eine kleine Anekdote dazu: Ich habe letzthin etwas aus den USA bestellt. Als meine Freundin dem Support angerufen hat—ich weiss nicht mehr genau wieso—, hat die Person am Telefon gesehen, was sie für eine E-Mail-Adresse hat: Das ging über meine Adriatique-Adresse. Der Typ vom Support hat dann effektiv gefragt, ob wir wirklich wir seien, und ist dann voll durchgedreht—irgendwo im Silicon Valley, in den USA, und wir rufen aus Bülach an. Dass du so etwas erlebst, dass du mal einen Fan am Telefon hast, die Wahrscheinlichkeit ist eigentlich relativ klein. Trotzdem passieren so Sachen immer häufiger, und es ist mega eindrücklich, was eben auch Social Media für eine Ausstrahlungskraft hat.
Shala: Das darf man auch nicht vergessen. Und daran erinnern wir uns immer wieder.
Schweizer: Ich glaube, das ist der einzige Vorteil am Techno und Beatport—Stress macht vielleicht einen Plattenvertrag bei Universal Schweiz, seine Musik wird dann hierzulande herausgebracht, vielleicht in Frankreich, Österreich oder Deutschland, wenns gut kommt, aber international geht da nicht so viel—als DJ gehst du sofort in den Weltmarkt. Da sind automatisch alle Territorien eingeschlossen, und darum erreichst du so viele Leute mit deiner Musik.
Und das Touren kommt noch dazu.
Schweizer: Ja. Du gehst automatisch nach Südamerika zum Beispiel, weil die ja auch deine Musik kaufen können. Die wissen vielleicht gar nicht, dass du aus der Schweiz kommst, sondern denken: Diynamic, das ist Deutschland.
Shala: Du wirst sofort als international angesehen, sobald du an so etwas kratzt.
Schweizer: Die Voraussetzung ist dann natürlich schon, ein internationales Label wie Diynamic im Rücken zu haben. Wenn du dort releasen kannst, macht das einen riesigen Unterschied.
Ist es euch wichtig, dass ihr viele Fans habt? Oder umgekehrt: Könntet ihr uncool werden, wenn ihr zu gross werdet?
Shala: Dass man so gross wird, kann halt einfach passieren. Durch gewisse Schritte, die man macht. Und genau deshalb sage ich, dass diese überlegt sein müssen.
Schweizer: Also ich glaube, dass Acts in der Grösse von Sven Väth, Richie Hawtin oder auch Solomun zwar mega kommerziell sind, aber deswegen nicht uncool. Weil das, was sie machen, nicht schlecht ist, das hat Qualität. Und sie haben ihren Weg ziemlich kompromisslos verfolgt.
Am Schluss sind sie kredibil.
Shala: Genau. Sie bleiben auf ihrem Pfad—manchmal mehr, manchmal weniger. Wenn man sich diese Namen anschaut, sind sie sich, was ihre Musik oder die Gestaltung der eigenen Partys angeht, immer treu geblieben. Sie machen das Gleiche wie zu Anfangszeiten. Wenn du das schaffst, bleibst du immer relevant, auch für die Super-Kritiker.
Schweizer: Auch die Festivals wie das Tomorrowland sind super kommerziell, und viele sagen “Oh nein, EDM” und so. Aber auf den Stages, auf denen wir spielen, läuft eine bewusst undergroundigere Musik. Dadurch können wir nur gewinnen. Wir bringen vielleicht auch Leute dazu, die unsere Musik bis heute noch nicht gekannt haben, diesen Sound zu hören. Einem EDM-Head, der sich Adriatique gibt, sind wir auch nicht böse. Etwas wie “Du hast früher EDM gehört, mit dir wollen wir nichts zu tun haben, du bist ein schlechter Fan” würden wir nie sagen.
Shala: Das ist doch auch der Grundgedanke von elektronischer Musik. Nicht in Schubladen zu denken, es soll alles Platz haben. Um zum Thema zurückzukommen: Es gibt die Scheidewege, bei denen es sich entscheidet, ob man auf seinem Pfad bleibt und sich treu bleibt, auch wenn es vielleicht länger dauert bis zu einem gewissen Erfolg, oder ob man die Abkürzung nimmt, wenn man die Möglichkeit auf schnellen Erfolg sieht.
Schweizer: Eigentlich fängt dies im Studio an. Wenn du dir dort zum Beispiel die Frage stellst, ob du ein Clubbrett machen willst, das sich viel verkauft und alle spielen, hast du eigentlich in unserem Business nichts verloren. Und das stört mich bei so vielen Newcomern, die so überheblich denken. Tracks, die auf den Punkt sind und gezwungen erfolgreich werden, kann jeder produzieren. Das hört sich vielleicht blöd an, aber mit den ganzen Loops und der Zugänglichkeit ist das voll easy, und du musst eigentlich nichts können, um elektronische Musik zu produzieren. Ich respektiere einfach so Künstler wie DJ Koze, der wahrscheinlich sogar sich selbst immer wieder mit seinen Produktionen überrascht und noch einen schrägeren Twist rausholt, um einem Track das gewisse Etwas zu verleihen. Ich glaube nicht, dass ein DJ Koze ins Studio geht und sich sagt: “Heute mache ich eine Bombe, und die geht voll durch die Decke.” Der produziert nach Feeling. Und das ist unsere Vision, das ist, was wir schätzen.
So geht ihr auch ins Studio?
Schweizer: Genau. Auch beim “Atlas”-Remix (Anm. d. Red.: Original ist von Marc Romboy und Stephan Bodzin) war es eigentlich so, dass ich ihn nicht gut gefunden habe.
Shala: Wir wollten den eigentlich canceln.
Schweizer: Ich habe drei Versionen gemacht, und ich habe alle ungenügend gefunden. Es war trotzdem ganz witzig. Ich habe die Originalmelodie am Anfang ganz schräg gecuttet, so dass sie eine andere Abfolge hatte—völlig unkonventionell. Dann habe ich mir natürlich Feedback eingeholt, und glücklicherweise hat man mich darauf gebracht, die Melodie so zu lassen, wie sie im Original ist.
Shala: Seinen eigenen Touch dazugeben, aber trotzdem dem Original Tribut zollen.
Schweizer: So, wie ich es gemacht hätte, wäre es zu schräg gewesen.
Shala: Was auch okay gewesen wäre. Am Ende hat es aber gepasst.
Schweizer: Es ist schön, Leute um uns herum zu haben, die uns Inputs geben können.
Wer sind diese Leute?
Shala: Im Fall von “Atlas” war es Stephan Bodzin selbst, der die erste Version, die gar nicht fertig war, gespielt hat und riesen Feedback-Mails geschrieben hat von wegen: “Jungs, das ist der Hammer.”
Schweizer: Die aller-allererste Version mit der verkorksten Melodie habe ich Mano Le Tough geschickt, von dem ich mir oft Feedback einhole. Er meinte, dass das Thema zu gut und zu stark sei, ich solle die Melodie im Normalzustand lassen. Was ich dann auch gemacht habe, obwohl es mich nicht mehr so berührt hat, weil ich diesen Kompromiss eingehen musste. Deshalb habe ich den Track erst mal zur Seite gelegt und monatelang nicht mehr in Betracht gezogen, sogar gedacht, dass wir den Remix absagen müssen. Trotzdem sind wir dann irgendwann zu dem Remix zurückgekommen.
Shala: Dann haben wir ihn fertig gemacht, ihn angefangen zu spielen, Bodzin hat davon geschwärmt, und nach langem Hin und Her waren wir auch zufrieden. Was ganz wichtig ist.
Schweizer: Es ist extrem wichtig, dass die Selbstkritik in hohem Masse vorhanden ist. Zufrieden zu sein, ist für mich schon fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Bist du ein Perfektionist?
Schweizer: Ich frage mich einfach, woher man sich das Recht nimmt, sich selbst zu loben. Das habe ich, glaube ich, eingetrichtert bekommen, als ich jung war: dass es Eigenlob nicht gibt und dass man das nicht macht. Man kann sich schon über einen Erfolg freuen, von einem Track zum Beispiel. Aber umso schöner ist es, wenn du es nicht erwartest. Und beim “Atlas”-Remix hätte ich das nie erwartet. Das habe ich damals als gross empfunden und habe es selbst gespielt. Aber das war ein anderer Vibe als heute.
Wie ist es für euch, wenn Legenden und Idole wie Bodzin auf euch für einen Remix zukommen? Ist das mittlerweile schon normal?
Shala: Es kommt immer drauf an, wie so etwas zustande kommt. Im Fall von Marc Romboy und Stephan Bodzin war es sehr natürlich. Klar war es supercool, haben sie uns für einen Remix angefragt. Aber es war gleichzeitig ein anderer Track, den wir nicht so interessant gefunden haben. Durch die Konversation ist es schliesslich zum Remix von “Atlas” gekommen, und das hat dann für uns gepasst.
Schweizer: Ja, wir haben vorgeschlagen, etwas aus “Atlas” zu machen—das war gar nicht ihr Plan. Dadurch ist auch die Idee entstanden, daraus gleich eine Jubiläumsgeschichte zu machen. Zehn Jahre “Atlas”, zehn Jahre Marc Romboy, Special Vinyl.
Ich erzähle Adriatique davon, wie Animal Trainer Prydas “Muranyi” an der Street Parade gespielt hätten, und dass der Track, der “Atlas” sehr ähnlich ist, super funktioniert hätte. Sie geben zu, dass Eric Prydz ein gnadenlos guter Produzent sei, auch wenn zur EDM-Sparte gehört. Was mich auf ein anderes Thema bringt:
Seth Troxler hat sich letztes Jahr in einer Resident Advisor-Doku am Tomorrowland über EDM lustig gemacht. Was haltet ihr davon?
Shala: Ich finds mega, weil es genau ihn als Person widerspiegelt und das ausmacht, was er ist: und zwar jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Er sagt und macht, was er denkt, und deswegen ist er auch so erfolgreich. Viele in unserer Szene denken genau gleich, aber nicht jeder würde sich trauen, so etwas in einem Interview zu sagen. Ich teile seine Meinung auch, was die Musik und den ganzen Zirkus angeht.
Schweizer: Bei EDM ist halt wirklich alles vorprogrammiert. Es ist alles so gewollt, und alles hört sich gleich an, weil es ganz klare Regeln in dieser Musik gibt, die ein Pain in the Ass sind.
Shala: Es ist eine kalkulierte Art von Entertainment. Völlig okay, das berührt mich nicht. Aber wenn du mich fragst, was ich davon halte, bin ich ehrlich und sage, dass ich davon nichts halte.
Schweizer: Ich halte genausowenig von Sängern, die playback singen.
Trotzdem hat doch die kommerzielle elektronischer Musik dem Underground zu einer Art Renaissance verholfen. Hat man da nicht ein wenig Rücksicht?
Shala: Dann muss man doch anschauen, wie die Musik entstanden ist. Aus dem Thema könnte man eine eigene monatliche Rubrik machen. Wir müssen in die 70er zurückschauen, als die Amerikaner aus dem langsamen Disco etwas anderes machten. Dann kann man Chicago, Detroit, Deutschland, Kraftwerk und Italo Disco anschauen und sagen, das sind die Väter des EDM—nicht die heutigen Protagonisten. Letztlich geht es um den Viervierteltakt und um die Tanzmusik . Da kann man ewig diskutieren. Klar, die Bandbreite, die EDM erreicht hat, ist riesig—es ist zu Popmusik geworden.
Schweizer: Ich habe Respekt für die Fans, die sich soetwas reinziehen. Auch an einem Ultra Music Festival zum Beispiel.
Shala: Da wird mir schlecht. Ich könnte mir das keine Minute antun. Ich finde, wir können die Musik schlecht oder uncool finden und uns trotzdem freuen, dass wir mehr “Einschaltquoten” haben. Und wie gesagt: Wenn einer von der EDM-Mainstage zu uns rüberschwappt und nach zwei Jahren Beschallung findet, “Hey wow, das ist cool!”, sind wir dem nicht böse.
Schweizer: Man kann es auch mit anderen Musikarten vergleichen. Die extremen Varianten sind oft erfolgreich. Es ist ein Kick, ein Adrenalinstoss, und das macht diese Genres so erfolgreich. Die Leute suchen einfach nach so etwas. Das sieht man auch an so Veranstaltungen wie der Street Parade, wenn irgendwelche Banker am Bellevue im Affenkostüm tanzen. Wir suchen einen Weg aus dem Alltag. Und das ist EDM—ohne Scham.
Shala: Das muss es auch geben. Sonst existierten auch die Nischen oder Subkulturen wiederum nicht. Man ist mal jung, wird älter, man ändert seine Interessen, musikalisch, intellektuell. Darum bin ich da sehr liberal und sage: Es muss alles geben, ich muss es aber nicht gut finden oder supporten.
Lest nächste Woche Teil 3 der Adriatique-Trilogie auf Noisey.
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