Die Angst und die Leere der Kleinstadt

Wouter Van de Voorde ist ein Fotograf, der in Belgien geboren wurde, jetzt aber im australischen Canberra lebt. Er gibt zu, dass es nicht viel braucht, um ihn kreativ gesehen zu unterhalten. Wenn er nicht gerade als Lehrer im Fach Medien und Fotografie tätig ist, fährt er einfach mitten ins Nirgendwo und schießt Bilder von den vergessenen Orten des ländlichen Australiens. Auf seinen Fotos sind zwar nur gewöhnliche Dinge wie Autos, leere Straßen oder beschauliche Städtchen zu sehen, aber trotzdem ist das Ganze von einer Unheimlichkeit geprägt, die schon fast ins Surreale übergeht. Stell dir einfach Twin Peaks bloß ohne Regen vor. Ich habe mich mit Van de Voorde unterhalten und dabei darüber diskutiert, wie er mit der Einsamkeit auf seinen stundenlangen Reisen umgeht und wieso der Künstler „immer ein Fremder und immer ein Tourist” bleiben wird, wenn er die abgelegene Orte Australiens dokumentiert.

VICE: Deine Fotos erscheinen auf den ersten Blick ja eigentlich ziemlich harmlos. Was genau willst du mit ihnen zeigen?
Wouter Van de Voorde: Mich hat die düstere Seite gewisser Dinge schon immer total fasziniert—also Sachen, die irgendwie unheimlich wirken. Ich versuche, gewisse Stimmungen einzufangen, die ich gar nicht wirklich beschreiben kann. In ganz Australien herrscht eine Art verrückte Grundstimmung, die so etwas wie mein Anhaltspunkt ist. Eigentlich will ich aber nur Fotos machen, die dich die Dinge durch meine Augen sehen lassen.

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Dabei spielt die Atmosphäre eine wichtige Rolle. Als ich hierher gezogen bin, war ich eine Zeit lang arbeitslos. Deshalb habe ich mich viel mit Erzählungen der Aborigines auseinandergesetzt und da war wirklich brutales und düsteres Zeug bei. Ich wollte dieses Land mit Hilfe der Aborigines-Geschichten und -Mythen besser verstehen.

Ich habe zum Beispiel eine Geschichte gelesen, in der Reisende um ein Lagerfeuer sitzen. Nachdem sie eingeschlafen sind, kommen Geister, essen ihre Nieren und füllen die Körper der Reisenden anschließend mit grünen Ameisen wieder auf. In anderen Geschichten geht es darum, wie sich Geister mit Menschen paaren—lauter abgefahrenes Zeug eben.

Lernt man durch das Fotografieren etwas über die neue Umgebung, in der man sich befindet?
Ich finde es total wichtig, neue Dinge zu erforschen, und das kann ich hier zur Genüge machen—auch wenn in Australien zwei Städte genau gleich aussehen können, obwohl sie über 1000 Kilometer voneinander entfernt liegen. Die Vorstädte Canberras gleichen wie ein Ei dem anderen und man muss sich wirklich anstrengen, um die subtilen Unterschiede zu erkennen. Ich finde, das Ganze hat etwas vom Unterscheiden verschiedener Weine.

Wie fühlt es sich an, im ländlichen Australien Fotos zu machen?
Ich halte mich eigentlich ganz gerne an einem Ort auf, wo ich von nichts umgeben bin. Irgendwie liegt dem Ganzen auch eine gewisse Angst zugrunde. Belgien ist ein so kleines Land, dass es eigentlich unmöglich ist, sich dort zu verfahren. Australien hingegen ist so groß, dass man meine Leiche wahrscheinlich erst Jahre später finden würde, falls ich mich mal verirren sollte. Wenn ich in meinem Auto unterwegs bin und die Dunkelheit hereinbricht, dann denke ich immer über Einsamkeit nach.

Ist dir bei deinen Reisen schon mal etwas richtig Schräges widerfahren?
Um Canberra herum habe ich in einem Umkreis von mehreren Hundert Kilometern fast alle Städtchen abgeklappert.

In einer Kleinstadt namens Nyngan gibt es eine Straße, die sich ewig hinzieht und deren Rand kilometerlang nur von Scherben bedeckt ist. Man hat das Gefühl, dass die Leute dort einfach keine Rücksicht nehmen und seit 60 Jahren oder so ständig ihre Flaschen aus dem Auto geworfen haben. Solche Sachen finde ich total faszinierend.

Ich wohne jetzt zwar schon seit sieben Jahren in diesem Land, aber trotzdem habe ich irgendwie diese Vorstellung entwickelt, dass ich hier immer ein Fremder und immer ein Tourist bleiben werde. Wenn man anfängt, alles als selbstverständlich anzusehen, dann kann man eigentlich auch gleich sterben. Ich flippe immer noch aus, wenn ich hier auf einen Papagei treffe. Das werde ich mir wohl nie abgewöhnen können. Das Gleiche passiert auch bei Kakadus! Dieses Land versetzt mich immer und immer wieder in kindliches Erstaunen.

Das Interview führte Emma Do.