Wenn es mal wieder Frühling sein sollte und im Mai die verdammten Schwimmbäder endlich wieder aufmachen, dann heißt das für meine Band und mich, dass es bald wieder auf Tour geht, weshalb der schwere Apparat der Industrie im Hintergrund schon seit Wochen rattern wird. Ein schöner Zeitpunkt, um in meinem Blick hinter die ekligen Kulissen des Business mal den Lichtkegel auf die Schattengestalten des Puppentheaters zu werfen. Frei nach dem Motto “Einer muss den Job ja machen…” habe ich mit Tontechnikern, Merchandise-Verkäufern, Roadies und anderen armen Gestalten gesprochen, die sich alle mehrmals im Jahr in den Tourbus zwingen um ein paar Häppchen Fame und Geld zu kassieren. Bei der Gelegenheit habe ich gleich hochprofessionell evaluiert, wie Rausch-tauglich die Berufe sind. Ich präsentiere euch mit Stolz den Killer eurer Traumkarriere: Die furchtbarsten Jobs, die man auf Tour übernehmen kann.
Merchandise verkaufen
Eigentlich wolltest du nur mal mit deinen Freunden von der frisch gegründeten Punkband übers Wochenende auf Tour fahren. Endlich durch die Clubs ziehen, saufen, aufmucken, Drogen nehmen und rummachen! Für so viel Spaß hast du den kleinen Haken “Verkaufst halt nebenbei ein bisschen unsere T-Shirts!” gerne in Kauf genommen. Das war vor sechs Jahren. Inzwischen nennst du deine Freunde “Chef”, sie haben einen Plattenvertrag und du verschleuderst noch immer ihre Fanartikel. Wie bist du da bloß reingerutscht? Dabei hat alles so schön angefangen: “Solange wir auf der Bühne stehen, passt du halt auf unser Merch auf. Danach übernehmen wir wieder.” Haben sie dir versprochen. Jetzt sitzt du mit leeren Augen hinter einer klapprigen Bierbank im Eingangsbereich der Arena und drapierst stillschweigend CDs, Aufkleber, Buttons und Poster auf einer zwei Meter Molltondecke. Deine zittrigen Hände betteln um Kleingeld, deine trockene Kehle schreit nach dem dritten Bier. Hoffentlich lassen dich die Fans noch in Ruhe, bis das Konzert vorbei ist. Aber falsch gedacht: Vor dir steht schon das erste grinsende Pärchen und fragt nach Rabatt.
Videos by VICE
Das Schönste am Job: Während deine abgehobenen Freunde auf der Bühne längst den Draht zum Pöbel im Publikum verloren haben, bewegst du dich in der angenehmen Mitte zwischen Fußvolk und Popstar. Bei dir haben die nach Zuneigung lechzenden Seelen der Nacht wenigstens noch eine echte Chance, weshalb du öfter zum Stich kommst als die Band selbst.
Das Schlimmste am Job: Solltest du für eine halbwegs erfolgreiche Band arbeiten, wirst du dir die Vorzüge von Fame und Fortune immer aus der ersten Reihe anschauen dürfen, aber nie wirklich davon profitieren. Während deine Freunde Interviews geben, Autogramme kritzeln oder Hotelzimmer zerlegen, wirst du Kisten stapeln, T-Shirts zählen und Gaffa-Tape klauen. Außerdem wirst du schlecht bis gar nicht bezahlt. Aufstiegsmöglichkeiten auf der Karriereleiter: gleich Null.
Sauftauglichkeit: Erhöhter Alkoholkonsum ist als Merchandiser nicht nur möglich, sondern auch strengstens empfohlen. Einerseits, damit du mit den potentiellen Kunden auf einem geistigen Level bist, andererseits, damit du die vier Stunden unter dem “NEUES ALBUM 12€” Schild und den Kleiderbügeln der Verdammnis überhaupt ohne Hirnschäden überstehst.
Das Booking
Booking zählt eigentlich nur halb, denn allzu oft musst du dich in diesem Beruf zum Glück nicht selbst auf Tour begeben. Meistens sitzt du im Büro und starrst den lieben langen Tag auf Emails. Hunderte von Emails. Hin und wieder darfst du auch mal telefonieren und facebooken, aber dein Zuhause ist Outlook, und du wirst es nach wenigen Wochen bereits hassen. Solltest du für eine Band oder eine Booking-Agentur arbeiten, ist es dein Job, deinen Künstlern Auftritte an Land zu ziehen und eine Tour zu organisieren. Ziel ist es dabei, möglichst viel Kohle für die Shows deiner Hobbypunker herauszuschlagen.
Das Schönste am Job: Du musst nicht selber in einem Minivan durchs Land gurken, wirst aber hin und wieder auf Galas, Showcases und Konzerte eingeladen, wo du so tust, als würdest du netzwerken und dir in Wirklichkeit einen Gratissekt nach dem anderen hinter die Binde gießt.
Das Schlimmste am Job: Wen ruft die Band an, wenn sie verärgert vor einer schimmligen Backstage-Matratze statt vor dem Vier-Sterne-Himmelbett steht? Wen ruft der Konzert-Veranstalter an, wenn deine Band drei Stunden zu spät zum Soundcheck kommt? Na? Am besten Handy auf lautlos und weiterschlafen.
Sauftauglichkeit: Da du, wie gesagt, meistens eh nur am Telefon hängst oder Emails tippst, darfst du dich nach Lust und Laune im Homeoffice betrinken. Wunder dich dann aber nicht, wenn deine Bands dich mitten in der Nacht am Handy terrorisieren, weil sie eben schon wieder vor einer schimmligen Backstage-Matratze stehen.
Tontechnik
Als Tontechniker hast du all den anderen Halbstarken aus deiner Crew schon mal eines voraus: Du bist mit Sicherheit die einzige Fachkraft im Tourbus. Denn im Gegensatz zu den Pseudo-Aufgaben eines Tourmanagers, dem nervigen Geplärre einer Sängerin oder dem läppischen Durchhalte-Job eines Busfahrers verlangt man von dir ehrliche, harte Arbeit. Als “Mischer” sorgst du schließlich dafür, dass die Band während ihrer Show einen ordentlichen Sound fährt und die Technik stimmt. Das setzt ein gewisses Know-how und im besten Fall eine passende Ausbildung voraus. Anders als der Merchandiser, der seinen Arbeitsplatz oft außer Reichweite der Beschallungsanlage aufbauen kann, bist du gezwungen, dir jedes verdammte Konzert deiner Band ganz genau anzuhören. Was unabdingbar dazu führt, dass dir ihre Musik irgendwann unerträglich vorkommt. Weshalb du erst recht das Kotzen kriegst, wenn dich einer ihrer Die-Hard-Fans am Mischpult belästigt oder dir gar mit klebrigen Griffeln in die Fader fässt.
Das Schönste am Job: Neben den hin und wieder durchaus lustigen Rock’n’Roll Eskapaden mit der Band deines Vertrauens arbeitest du im richtigen Leben auf Industriemessen und verkabelst Filmpremieren und Politiker. Außerdem soll es ein unbeschreibliches Gefühl sein, eine monströse Soundanlage selber aufgebaut und eingerichtet zu haben, die am Ende auch noch fantastisch klingt. Überraschung, hin und wieder lässt sich in deinem Job sogar Geld verdienen!
Das Schlimmste am Job: Kaputter Scheiß. Ständig ist irgendwas defekt oder fehlt. Kabel gebrochen, Steckdose verbrannt, Datei zerschossen. Das Mikrofon fiept, die Gitarre brummt und der Chef des Hauses hat vergessen, wo die XLR-Kabel aufbewahrt werden. Du möchtest dich am liebsten an Ort und Stelle erhängen, aber du bist vom Hunger so geschwächt, dass du den Strick nicht über die Stange kriegst. Kein Wunder – während sich die Band im Backstage den Bauch vollgeschlagen hat, bist du auf Knien unter der Bühne langgekrochen und hast alte Leitungen entkalkt. Alles für den Sound!
Sauftauglichkeit: Herbe Enttäuschung, aber unser Tontechniker Moritz verriet mir im Rahmen meiner Recherche, dass Saufen am Mischpult absolut nicht geht: “Das erste Bier verändert schon die Hörfähigkeit, das kannst du nicht machen.” Ich war daraufhin sehr stolz auf unseren Mischer und habe sein Honorar um zwei Bananen erhöht.
Tourmanagement
Herzlichen Glückwunsch! Wenn du als Manager mit auf Tour fährst, hat deine Band höchstwahrscheinlich zu viel Geld. Dein Posten wird normalerweise erst besetzt, wenn der Bus bereits mit Technikern, Merchandisern und Drummern vollgestopft ist und immer noch zu wenig Ausgaben beim Finanzamt aufgeführt sind. Dein Job ist simpel aber breit gefächert: Sorge für einen reibungslosen Ablauf des Touralltags. Hole die Band aus dem Bett, bringe die Band zum Soundcheck, kümmere dich um die vegetarische Extraportion im Catering, lege dem verhätschelten Gitarristen das Handtuch auf die Monitorbox, unterschreibe die Rechnung, hindere deine Band vor anstehenden Schweinereien, bringe deine Band ins Bett. Und von vorn. Das Allerwichtigste dabei: Lasse niemanden merken, dass die Musiker deinen Job auch selber machen könnten, wenn sie nicht so versoffene, faule Schweine wären und tue so, als wärst du absolut unabdingbar. Richte dich außerdem darauf ein, dass du auf Tour keine Freunde finden wirst. Die Bandmitglieder selbst werden dir hin und wieder die kalte Schulter zeigen, weil du das sturzbetrunkene Date des Bassisten aus dem Backstage geschmissen hast, die Veranstalter im Club werden einen Bogen um dich gehen, nachdem du zum dritten Mal um Luxus-Extrawürste für den Sänger gebeten hast und die Fans vor Ort werden dich steinigen wollen, weil du die Band vom Flirt -und Saufgelage der Aftershow fernhältst.
Das Schönste am Job: Die ersten Tourtage sind auch für dich wie Klassenfahrt und du bist aus unerfindlichen Gründen so eine Art Autorität für deine Rasselbande. Du weißt nicht ganz warum, aber die Band hört auf dich und deine Ansagen und bezahlt dich auch noch dafür. Geil!
Das Schlimmste am Job: Musiker, die sich auf der Suche nach irgendeinem Rudelbums im Kleinstadtdschungel verirren. Musiker, die ihr Hotelzimmer dreimal abschließen und neben einem leeren Handyakku einpennen. Musiker, die dich rotzfrech zum Extrawürste-Bestellen vorschieben. Kurzum: Musiker.
Sauftauglichkeit: Nicht gut. Wenn du möchtest, dass die kaum zu bändigenden Asozialen, die sich hier “Künstler” nennen, noch eine Weile daran glauben, dass du auf Tour das Sagen hast, musst du dich immer stark zeigen. Wenn du jetzt in ihre Venusfalle tappst und den guten Küstennebel auf ex trinkst, bist du morgen einer von ihnen. Kindergärtner dürfen sich schließlich auch nicht vor ihren Kiddies besaufen.
Spaßäffchen
Der absolute Kaffeesatz unter den Tourjobs ist der des Spaßäffchens. Obwohl an dieser Stelle von Job nicht die Rede sein kann, du erfüllst im Touralltag nämlich keine Aufgabe. Im Mittelalter zu Hofe nannte man diese Leute wohl Harlekin oder Gaukler. Oder ganz deprimierend: Narr. Der Ursprung deines Jobs erklärt sich ähnlich wie der des Merchandise-Verkäufers: Du wolltest eigentlich nur mal mitfahren, ein bisschen Rausch und Glitzer schnuppern. Leider hast du für die Hoffnung von ein paar Tagen Spaß mit deiner Würde bezahlt. Die Band gibt dir das Gefühl, dir käme eine große Ehre zuteil, wenn sie dir ein halbes Hotelbett und einen benutzten Catering-Teller überlassen.
Das Schönste am Job: Tatsächlich suhlst du dich für ein, zwei Nächte glücklich in der schmutzigen Welt hinter der Bühne: Gratis Drogen, Cocktailhäppchen und ständig laute Musik. “Voll abgefahren mit euch!” wirst du mit strahlenden Augen frohlocken und deinen Freunden beim schuften, spielen, managen und verkaufen zusehen, während du dich genüsslich zurücklehnst und Tequila kippst.
Das Schlimmste am Job: Doch dann kommt der Wendepunkt. Im Gegensatz zu den erprobten Wichsern von der Band ist dein Körper nicht an 13 Gin Tonic pro Nacht gewöhnt. Außerdem hast du keinen Cent mehr in der Tasche, weil sich der Keyboarder ständig was von dir ausleiht. Schließlich wachst du brutal verkatert in deiner eigenen Kotze auf der Kloschüssel eines schicken Hotelzimmers auf. Der Sänger eines Elektropop-Duos stößt dich mit den Schuhen an: “Wach mal auf, ist ja eklig. Du, wir haben dir ja gestern ganz schön viel geile Drinks gemacht und so. Und du hattest ja auch voll Spaß, oder? Hast sogar eine Handynummer abgestaubt, oder? Voll cool! Ist es okay wenn du heute fährst? Und Merchandise machst? Und den Sprit bezahlst? Und Instrumente einladen muss auch noch jemand. Dafür machen wir heut Abend noch mal richtig Party, yaaay!” Du siehst an deinen Beinen herab in deine heruntergelassene, volle Unterhose und würdest am Liebsten um ein rostiges Messer betteln. Aber wenn du jetzt abspringst, bist du der uncoole Typ, der nach zwei Tagen Tour schon genug hatte. Also lässt du die Folter noch eine Woche über dich ergehen. Ab jetzt bist du der Idiot vom Dienst. Zur Belustigung aller wirst du mit Glitzerschminke beschmiert, als Packesel missbraucht und zur Bank umfunktioniert. Bezahlt wirst du in schalem Bier, womit man dich gerade so bei Laune hält. Zum Abschluss klopft man dir ermutigend auf den Rücken und knipst ein letztes Foto von dir: