Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video “I’m Not Okay” von My Chemical Romance
Emo ist wohl das seltsamste Genre der jüngeren Musikgeschichte. Und wir reden hier nicht von dem “True Emo”, den Bands wie Fugazi, Rites of Spring oder später Sunny Day Real Estate oder Jawbreaker geprägt haben. Wir meinen schon den Emo, der eine ganze Generation verunsicherter Teenager in die Drogerien rennen ließ, um sich schwarze Haarfarbe und Kajal-Stifte zu kaufen. Die von Band zu Band unterschiedlich starke Vermischung von Indie, Punk, Hardcore und einer extra großen Portion Weltschmerz und Teen Angst war Anfang der 00er eine willkommene Abwechslung zum Dicke-Eier-Nu Metal, der damals die Rockcharts dominierte. Anfangs noch selbst von der Szene belächelter Untergrund, drang die eigenwillige Ästhetik immer mehr in den Mainstream, bis selbst Green Day, Papa Roach oder Jared Leto wie Emos rumliefen. Und alle einen Myspace-Account hatten, wo sie sich AlExAnDrA VaN BlOoDsMiLe nannten und sofort My Chemical Romances “Helena” durch die Boxen dröhnte, wenn ihr deren Profil geöffnet habt.
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Wir wollten uns nochmal anschauen, was damals eigentlich los war und haben uns mal wieder die besten Musikvideos angeschaut:
The Used – “The Taste Of Ink” (2002)
Der Song ist DER Prototyp für Emo schlechthin. Übertrieben leidenschaftliche Stimme? Check. Pathos-geschwängerter Text? Check. Mitreißende Hook, die so schwammig formuliert ist, dass sich jeder mit seinen eigenen Problemen damit identifizieren kann? Check. The Used haben eben schon mit ihrer zweiten Single die Tür dafür aufgetreten, was die nächsten Jahre noch kommen sollte.
Matchbook Romance – “The Promise” (2003)
Das vom Bad Religion-Gitarristen gegründete Label Epitaph war lange Zeit treu dem Punkrock verschrieben. Das änderte sich, als Matchbook Romance gesignt wurden und ihren ultra-verheulten Emo neben Bands wie Pennywise, Refused oder NOFX auf dem Labelsampler präsentierten. Das wäre selbst OC Californias Quoten-Emo Seth Cohen zu viel zur Schau getragenes Leid gewesen. Und nach all den Jahren müssen wir leider sagen: Verdammt, wir kennen immer noch jedes einzelne Wort.
Alexisonfire – “Pulmonay Archery” (2003)
Alexisonfire passten nie wirklich in die Emo-Schublade. Das waren eben fünf Typen, die hochemotionale Musik machten, optisch eher wie Nerds denn Halbtags-Gothics aussahen und wesentlich mehr auf die Kacke hauten. Einer schrie die ganze Zeit, der andere antwortete mit schiefer Engelsstimme und der Rest verlor sich immer weiter im Song. Das Video zu “Pulmonary Archery” erzählt auch keine tragische Geschichte oder überhaupt irgendwas. Die Band performt ihren Song in einem gemütlich eingerichteten Zimmer und das war es. Aber die zappeln dabei dermaßen ungelenk rum, geben einen Fick auf Gepose und fühlen stattdessen einfach nur ihren Song, sodass es auch nach all den Jahren echt beeindruckend ist. Emo eben, mal ohne Kitsch und Kajal.
My Chemical Romance – “I’m not okay” (2004)
Bevor My Chemical Romance mit “Welcome to the Black Parade” als Emo-Götter verehrt wurden, hatten sie schon mit der Single “I’m not okay” alle neuen Standards festgelegt. Ein Video, dass sämtliche Highschool-Drama-Klischees aufgriff, zeigte die Jungs als eine Gruppe von Außenseitern, die zwar nicht reinpassen, denen das aber auch völlig egal ist. Da wurde beim Hören des Songs schon mal die ein oder andere Faust geballt. Aber nur in der Hoodie-Tasche, damit das keiner sieht und Fragen stellt.
UnderOATH – “Reinvating Your Exit” (2004)
UnderOATH kamen eigentlich aus der Metalcore-Ecke, umarmten aber spätestens mit ihrem vierten Album They’re Only Chasing Safety vollends jedes Emo-Kind. Shirts in Größe S, Skinny-Jeans, diesen Song hören und “We’re nothing short of invincible!” schreien – da kommen die Tränen wieder auf Play-Knopfdruck.
From First to last – “Note to Self” (2004)
Als From First To Last sich vor ein paar Monaten mit einem neuen Song und Skrillex aka Sonny Moore am Mikro zurückmeldeten, rasteten Mittzwanziger kollektiv aus. Denn obwohl From First To Last durch den Abschied von Moore nur relativ kurz durch die Manege getrieben wurden, hinterließen sie doch einen bleibenden Eindruck – dank seiner übertrieben hohen Singstimme, seinen unerwartet fiesen Screams und des meisterhaften Wechsels von Schmonzette auf Metalcore-Geballer. Nicht zuletzt aber auch wegen Emo-Wandtattoo-Lines wie dieser: “Note to myself, I miss your terribly / This is what we called a tragedy / Come back to me, back to me, to me!”
Silverstein – “Your Heroine” (2005)
Dafür, dass im Emo großflächig und bunt bedruckte Shirts zur Uniform gehörten, traten Emo-Fahnenschwenker Silverstein im Video zu ihrer doppeldeutigen Powerballade erstaunlich Normcore-mäßig auf. Getreu nach dem Motto: “Black jeans, black shirt, black shoes.” Dafür war der Song großflächig mit gezielt verzweifeltem Geschrei, bittersüßen Melodien und Liebeskummer zugepflastert. Weil ja der Text über eine schmerzhafte Beziehung noch nicht stark genug ist, schreit sich der Sänger im Video als Insasse einer Psychiatrie den Liebeskummer aus der Seele. Wir fühlten uns verstanden.
Hawthorne Heights – “Niki FM” (2005)
Das Video bedient jegliche Klischees einer unglücklichen Highschool-Liebe und wird in der Hook mit folgender Zeile noch auf die absolute Spitze getrieben: “I’m outside of your window, with my radio!” Wer dachte, dass diese Art von Liebesbekundung ein Relikt der 90er ist, der wurde dank der Hawthorne Heights eines Besseres belehrt. Wir wollen gar nicht wissen, wie viele Kissen mit Tränen getränkt wurden, während dieser Song laut durch das Jugendzimmer schallte. Wenn schon Herzschmerz, dann richtig.