Die Bewohner der Tourimeile am Berghain wehren sich – gegen Obdachlose

Der Ostbahnhof in Berlin-Friedrichshain am Sonntagnachmittag. Zwei Spanierinnen Mitte 20 bleiben vor dem Ausgang stehen, sie tragen schwarze Stiefel und Netzstrümpfe. Auf ihren Smartphones suchen sie den Weg zum Berghain. Wäre Marko jetzt hier, er könnte den beiden die richtige Richtung zeigen. Aber Marko sitzt zu Hause. Er wohnt fast Tür an Tür mit dem weltbekannten Club, nur dass Marko keine Tür hat und auch nicht mehr lange dort leben darf – zumindest, wenn es nach einigen Nachbarn geht. Ihnen zufolge sorgen Marko und seine Freunde für eine lange Liste von Problemen im Kiez: Ratten, Drogen, Müll, Lärm, Pissegeruch und Kackhaufen. Deshalb sollen sie weichen.

Markos Zuhause ist eine zertretene Wiese keine 100 Meter Luftlinie vom Berghain entfernt. Die Menschen, die von der Warschauer Brücke zum Club laufen, kommen alle hier vorbei. In Markos Wangen stecken Piercings. Seinen rechten Stiefel halten orangefarbene Schnürsenkel zusammen, den linken neonblaue. Das schwarze Fell seines Hundes glänzt, während der die sieben Campingzelte umstreicht. Zusammen mit anderen hat Marko hier sein Lager für den Sommer aufgeschlagen. Rund 30 sollen sie hier im Park sein, verteilt auf drei Lager: Deutsche, Polen, Schweizer, Ukrainer, Afrikaner. Woher sie alle kommen, weiß Marko nicht genau. “Obdachlose, Punks, Drogensüchtige, gescheiterte Existenzen” – so nennt sie das Boulevardblatt Berliner Kurier. Von “selbst gebauten Hütten, wie man sie aus Slums armer Länder kennt”, schreibt die Berliner Zeitung. Marko sagt: “Wir sind Menschen wie jeder andere auch.” Sie alle seien aus freien Stücken hier.

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“Wir sind Menschen wie jeder andere auch”

Kaum größer als zwei Fußballfelder zieht sich der Park zwischen dem nördlichen Fuß der Warschauer Brücke zum Berghain hin. Die Stadt hat eine Skateanlage gebaut, eine 100-Meter-Laufstrecke auf den Asphalt gemalt, aber die Grünfläche erinnert trotzdem eher an eine Brache: Birken, Vogelbeeren, Buchen, Gräser und Sträucher wuchern vor sich hin. Einen “wilden Park” nennen die Betreiber des Quartierzentrums in einem alten Lokschuppen das. Schräg gegenüber steht das mittlere der drei Lager. Ein weiteres haben sie nochmals 50 Meter weiter in den Park hineingebaut, ein aufgemaltes Hanfblatt prangt von einer Plane, es läuft elektronische Musik – in Zimmerlautstärke. Marko und seine Freunde campen an der Rückseite des Quartierzentrums. Er selbst verbringe hier im fünften Jahr in Folge den Sommer, sagt er, andere seien zum ersten Mal da.

Das zweite Lager schmiegt sich an eine alte Mauer im Park

Sie haben Zelte und Europaletten zusammengetragen, sammeln ihren Müll in einer Metalltonne, abends zünden sie Lagerfeuer an. Man habe hier auch eine Küche und ein Wohnzimmer, sagt Marko, und zeigt auf eine Couch und einen Tisch hinter ihm, den ein kleiner Pavillon überspannt. Dank einer Bong und einer Handvoll leerer Bierflaschen sieht ihr Wohnzimmer fast aus wie das einer WG. Die Wände hier sind allerdings Büsche, durch die hindurch sie auf Dealer blicken, die auf Berghain-Besucher warten. Lagern die hier ihren Stoff? Nein, sagt Marko.

Ein großes Akkupack liefert den Strom für ihre Handys. Ein Hostel und ein veganer Supermarkt erlauben den Bewohnern sich dort zu waschen, auf die Toilette zu gehen und sich mit Wasser zu versorgen. Einer der Camper sagt, er habe auch ganz gute Kontakte zum Quartierszentrum, zumindest zu einem der beiden Betreiber. Er stellt sich als “Schaden” vor. “Stimmt doch gar nicht, du heißt Krätze!”, ruft jemand von weiter hinten. Also erzählt Krätze, dass er und die anderen sich eigentlich ganz gut mit den Anwohnern verstünden, und dass die Kassierer vom Supermarkt nebenan oft mit ihnen scherzen würden. Berechtigterweise, “immerhin lassen wir da auch einiges an Kohle”, findet Krätze, um die 40 Euro pro Tag, jeden Morgen ist Großeinkauf für das Camp.

Dieses Schild haben die Bewohner des ersten Zelts aufgestellt, um so Spenden zu sammeln

Im Berghain war Krätze noch kein einziges Mal, da wolle er auch gar nicht hin. “Ich würde es da nie drei Tage aushalten.” Aber sie stören sich gegenseitig nicht, eins haben Club und Camper sogar gemeinsam: Dass Fotos von ihnen gemacht werden, möchten sie nicht.

“Eine öffentliche Toilette”

Montag, 18:30 Uhr. Im Park wurde seit dem Vortag geputzt, doch im Gebüsch entlang der Helsingforser Straße, die aufs Berghain zuführt, liegen immer noch die Überreste der Generation Billigreisen auf Drei-Tage-wach-Trip: leere Dönerboxen, Pfeffischnäpse, halb ausgetrunkene Weinflaschen. Es riecht nach Urin und Chemie, wie auf einer Clubtoilette. Ratten huschen hin und her.

Uwe aus dem ersten Stock eines der angrenzenden Mietshäuser zieht an einer Zigarette, seine Ringe und ein goldfarbenes Armband glänzen im Abendlicht. “Andrea, wie lange wohnen wir schon hier?”, ruft der 55-Jährige. “Seit 2001!”, schallt es durch das angelehnte Küchenfenster bis runter auf die Straße. Wenn er sich über die Brüstung lehnt, sieht er das Berghain. Vor allem aber schaut er direkt auf den Park. “Eine öffentliche Toilette”, schimpft er, “alles voller Kacke, Müllberge und Ratten.” Den Park könne man nicht mehr nutzen, Ende April, Anfang Mai sei es hier unerträglich geworden. Mittlerweile kämen die Leute aus dem Park sogar in die Hinterhöfe.


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Erst habe er immer wieder die Polizei gerufen, dann hat sich Uwe gemeinsam mit seiner Frau Andrea und einigen Nachbarn beschwert: zunächst beim Ordnungsamt, dann bis hoch zur Bezirksbürgermeisterin. Und sie haben den Berliner Kurier angerufen. Mittlerweile waren auch die B.Z., SAT1, der rbb, die Berliner Zeitung und die taz da. Die B.Z. schrieb erst von 70, mittlerweile sogar von 80 Menschen, die im Park leben sollen. Lokalpolitiker von der CDU und der FDP haben Stimmung gemacht. Jetzt, das habe Uwe von den Reportern erfahren, solle endlich was passieren – möglich machen das die Ratten.

Aufräumen heißt: räumen

“Wenn Bürger Rattenbefall melden, muss der Bezirk handeln, dann müssen wir aufräumen”, sagt die Bezirkssprecherin zu VICE. Auch die Zelte sollen dann abgebaut werden, sprich: Es wird nicht nur aufgeräumt, es wird bald geräumt. Der vom Gesundheitsamt bestellte Kammerjäger habe bislang nicht gegen die Nager vorgehen können. Weil das Nahrungsangebot zu groß sei, bringe es nichts, Köder auszulegen. Und da hinter jeder Packung Billigmortadella und Toastbrot auch ein Mensch samt Zelt steckt, müssten die zuerst weg.

Marko und Krätze, die dann gehen sollen, sagen, dass es bei ihnen direkt an den Camps keine Ratten gebe, ihre Hunde würden diese vertreiben, gut jeder zweite Parkbewohner hat ein Haustier. Am Sonntagnachmittag waren knapp 20 Menschen im Park zu sehen.

In der Helsingforser Straße gibt es derweil noch mehr zu tun. “Die Hausfassade soll demnächst neu gemacht werden”, sagt Paulina am Montag, Graffiti bedecken die Häuserwände vom Boden bis zu den Fenstern im Hochparterre. Die 25-jährige Auszubildende wohnt seit zweieinhalb Jahren hier, drei Hauseingänge entfernt von Uwe. In den Park gehe sie nicht mehr. Beim Amt beschwert hat sich Paulina dennoch nicht, denn von den Obdachlosen habe sie bislang nichts mitbekommen. Ja, jemand habe mal in den Hausflur gekackt und eine Person wurde von der Polizei unterhalb ihres Fensters aufgegriffen, aber sie wisse nicht, zu welcher Gruppe die beiden gehörten. Wenn die Trolleys der Hostelgäste über das Pflaster rattern, höre sie das bis ins Schlafzimmer. Ginge es nach ihr, sollten die Behörden erstmal gegen die Dealer vorgehen. “Das ist sicherlich nicht Zehlendorf hier”, sagt sie, bevor sie ins Haus geht.

Die Häuser an der Helsingforser Straße direkt gegenüber des Parks

Auch Katharina gehört nicht zur Gruppe der Beschwerdeführer. Die Wohnung der Lehrerin liegt am Ende der Helsingforser Straße. “Seltsam”, findet sie die ganze Situation. Vor einiger Zeit gab es noch ein weiteres viertes Lager, direkt vor ihrer Haustür, allerdings dachte sie, das wären Touristen. Und die Ratten habe es in den sechs Jahren, in denen die 29-Jährige hier wohnt, schon immer gegeben. Der Müll, der dauerhafte Pissegeruch – ihrem Eindruck nach komme beides eher von den Feiernden.

Die Stadt wird wohl zunächst gegen die Menschen aus den Camps vorgehen. Bezirksamt, Ordnungsamt, Grünflächenamt, Gesundheitsamt, Amt für Soziales – die Liste der Behörden, die in den Fall mittlerweile verwickelt sind, ist lang. Schließlich will der Bezirk auch Sozialarbeiter schicken, die Marko, Krätze und die anderen beraten. Vielleicht bekommen sie dann eine Wohnung vermittelt, wenn sie das denn wollen. Vielleicht ziehen sie einfach weiter zum nächsten Platz, wo sie dann wieder vertrieben werden. Denn wenn in Berlin über Freiräume diskutiert wird, dann fordern die einen Network Hubs für potentielle Start-up-Gründer und die anderen sprechen von Ateliers und Studios für junge Künstler – aber von den Wohnungslosen, die selbst gewählt oder aus einer misslichen Situation heraus im Freien leben, spricht kaum jemand.

Krätze und seine Stiefel

Drei Bewohner seien wegen der aktuellen Berichte bereits abgehauen, erzählt Marko am Sonntag. Sollte man sein Zelt abreißen, würde er wohl zunächst zu Freunden gehen, im Winter dann vielleicht wieder nach Spanien. Auch Krätze will bis zum Schluss bleiben. Wenn Leute ihnen helfen wollen, sollen sie ihnen Decken oder Matratzen bringen, sagt er.

Am Wegesrand haben die Parkbewohner einen Briefkasten aufgestellt, eine Räumungsklage lag da bislang noch nicht drin.

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