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Die Bitcoin-Community steht vor ihrer wichtigsten Entscheidung seit Langem

Mein Freund Michael* hätte eigentlich jeden Grund, tierisch nervös zu sein. Vor vier Jahren hat der 34-jährige Informatiker sein Erspartes zum Teil in die Kryptowährung Bitcoin (BTC) gesteckt. Mit Bitcoin lassen sich Transaktionen weitgehend anonym und ohne die Hilfe von Mittlern wie Finanzinstituten durchführen. Michael investierte 1.250€ und kaufte sich dafür 25 Bitcoins, damals für 50€ das Stück. Seitdem erobert der Coin fröhlich die Welt. Erst im Mai erklärte Japan Bitcoin zum offiziellen Zahlungsmittel. Viele Internethändler, darunter Steam und seit kurzem auch Lieferando, akzeptieren den Coin mittlerweile.

Das führte in der Vergangenheit zu wahren Anstürmen neugieriger Investoren. Im Juni überschritt Bitcoin erstmals die Marke von 2.700€. Vor sieben Jahren soll ein Typ in Zypern 10.000 Bitcoin für die zwei vielleicht berühmtesten Pizzen der Welt ausgegeben haben. Im Juni hätte er dafür 27 Millionen Euro bekommen.

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Für Michael bedeutete der hohe Kurs theoretisch 66.250€ Gewinn – das sind rund 5.300 Prozent. Einen kleinen Teil zahlte sich Michael aus, am Rest hielt er fest. Und dann? Zunächst korrigierten sich die Kurse nur ein wenig nach unten. Aber seit zwei Wochen brechen sie regelrecht ein. Mickrige 1.830 Euro sind die Coins zum Stand der Veröffentlichung beim Krypto-Broker Kraken.com noch wert. Woran liegt’s?

Wofür ist das Bitcoin-Update überhaupt gut?

Schuld daran ist vermutlich das technische Bitcoin-Update Segregated Witness (Segwit), das mit den zur Zeit größten Problemen von Bitcoin aufräumen soll. Vor allem leidet Bitcoin an seiner zu geringen Skalierbarkeit, und das dramatisch: Nur rund sieben Transaktionen pro Sekunde sind aktuell möglich. Das liegt am geringen Volumen einzelner Blocks in der Blockchain – der Technologie, auf der Bitcoin und andere Kryptowährungen wie Ethereum basieren. In der Folge steigen die Wartezeit und die Kosten für Transaktionen so sehr, dass es teilweise inpraktikabel wird, im Alltag mit Bitcoin zu zahlen.

Das soll Segwit beenden. Durch ein verändertes Speicherverfahren sollen die 1MB großen Blocks nach dem Update effizienter benutzt werden können. Effektiv wären dann doppelt so viele Transaktionen möglich wie bislang. Außerdem soll Segwit den Diebstahl von Bitcoins erschweren und eine Schwachstelle ausmerzen, die bislang die Manipulation von Transaktionen ermöglicht hat.

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Aber auch Segwit kann das Problem der zu geringen Skalierung alleine nicht lösen. Darum erwägt die Bitcoin-Community noch eine weitere Maßnahme: Off-Chain-Transaktionen könnten die Transfers zusätzlich beschleunigen. Solche Transfers fänden außerhalb der Blockchain statt. Die P2P-Lösung Lightning-Network soll dafür gemeinsam mit Segwit implementiert werden. Dieses Paket nennen die Entwickler Segwit2x. Das Update Segwit2x sieht darüber hinaus die Verdopplung der Blockgröße auf 2MB je Block vor.

Was genau passiert in den kommenden Tagen?

Ob das Update kommt, entscheidet die Miner-Community in einer demokratischen Abstimmung. Zu der Gemeinschaft gehören all diejenigen, die Rechenpower für das Schürfen neuer Bitcoins zur Verfügung stellen. Entscheiden sie dafür, kommt es zu einer sogenannten Hard Fork. Das meint eine Änderung am Bitcoin-Protokoll, nach der Clients ohne das Update nicht mehr mit den aktualisierten Clients kommunizieren können. Steigen nicht alle Miner auf das Update um, gibt es nach der Fork folgerichtig zwei verschiedene Bitcoin-Währungen – könnte es also auch zu einer Spaltung der Community kommen, weil verschiedene User plötzlich zwei verschiedene Währungen nutzen?

Ab dem 21. Juli müssen 95 Prozent aller Miner das Vorhaben binnen 336 Blocks (das entspricht ungefähr zwei Tagen) absegnen. Dann würde das Update am 1. August initialisiert. Momentan scheint die Stimmung in der Community so zu sein, dass tatsächlich für die Hard Fork gestimmt wird. Kommt es dazu sind die gesetzten Anreize, den eigenen Client nicht ebenfalls upzudaten, für die verbleibenden Nutzer gering. Das bedeutet auch: Bitcoin steht also nicht unbedingt eine relevante Spaltung bevor. Heute signalisieren bereits über 88 Prozent der Miner ihre Unterstützung für Segwit2x (Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung).

Es gibt aber auch noch eine zweite, für die Bitcoin-Community nicht so erfreuliche Möglichkeit: In einem bisher sehr unwahrscheinlichen Szenario können die Miner sich nicht auf die Hard Fork einigen. Dann tritt eine User-Activated Soft Fork (UASF) inkraft und statt der Miner bestimmen die Nutzer. Auch in diesem Szenario existieren hinterher zwei verschiedene Coins. Wenn dabei zwei ähnlich starke Fraktionen entstehen, wird es richtig brutal. Weil nach der Logik der Blockchain stets nur die längste Blockchain die gültige ist, könnten die beiden Fraktionen einander wochenlang attackieren und dabei etliche Nutzer ihr Vermögen verlieren.

Was bedeutet all das für den einzelnen User?

Nutzer sollten zu ihrer Sicherheit in den kommenden Tagen auf Transaktionen verzichten. Das Update könnte vorübergehend technische Probleme bereiten. Außerdem solltet ihr abwarten, ob tatsächlich alle Teilnehmer Segwit2x akzeptieren. Ein geringes Restrisiko zweier ähnlich starker Fraktionen verbleibt. Wer jetzt eine Chance wähnt, vergleichsweise günstig in die Wunderwährung zu investieren, sollte wahrscheinlich sehr, sehr vorsichtig sein, bis zum August damit warten und sich über Bitcoin.org über die täglichen News zum anstehenden Update auf dem Laufenden halten. Wie es mit Bitcoin weitergeht, steht voraussichtlich bereits wenige Tage nach dem 1. August fest.

Und wer wie Michael schon mit seinem Ersparten in die Kryptowährung investiert hat? Da ist guter Rat teuer. Rückblickend wäre es möglicherweise schlau gewesen, seine Anlage zu verkaufen und den Gewinn nach dem Update zu reinvestieren. Aber niemand weiß vorher, wie die Kurse sich wirklich entwickeln. Michael jedenfalls will sein Investment nicht anrühren. Er hofft, dass sich die Kurse erholen und Bitcoin seinen Siegeszug fortsetzen wird. “Ich warte jetzt einfach mal ab”, schreibt er mir.

Korrektur (18.7.2017; 14:20): In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass auch Amazon inzwischen Bitcoin akzeptiere. Tatsächlich funktioniert eine Bitcoin-Zahlung auf Amazon nur mit Hilfe von Drittanbietern. Wir haben den entsprechenden Abschnitt inzwischen korrigiert und bedauern die Ungenauigkeit.

*Name durch die Redaktion geändert.